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Berechtigte betriebliche Interessen bei Kündigung

Nach der seit 1.1.2004 (wieder) geltenden Neufassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind in die soziale Auswahl Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen

-ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder

-zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes

-im berechtigten, betrieblichen Interesse liegt.

Entgegen der bislang, bis 31.12.2003, bestehenden Rechtslage ist damit nicht mehr eine Abwägung der sozialen Schutzwürdigkeit mit den betrieblichen Bedürfnissen einer Weiterbeschäftigung eines weniger schutzwürdigen Arbeitnehmers vorzunehmen. Vielmehr sind die Arbeitnehmer, an deren Weiterbeschäftigung ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers besteht, von vornherein nicht in die Auswahl einzubeziehen! Die Weiterbeschäftigung muss nicht mehr erforderlich, der leistungsstärkere Arbeitnehmer erst recht für den geordneten Betriebsablauf unverzichtbar sein.

Ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Weiterbeschäftigung besteht, wenn für den Betrieb (nicht das Unternehmen!) die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geboten erscheint.

Als berechtigtes Interesse sind folgende Umstände anzuerkennen:

(1)Besondere Kenntnisse, die für Spezialarbeiten bzw. für einen reibungslosen Betriebsablauf unerlässlich sind,

(2)besondere Leistungen (Schnelligkeit, geringe Fehlerquote, Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit),

(3)ein bestimmtes hohes Leistungsniveau, das für den Betrieb betriebstechnisch und wirtschaftlich vorteilhaft ist und das der sozial schwächere Arbeitnehmer nicht aufweist,

(4)Schlüsselposition, d. h. wenn der in Rede stehende Arbeitsplatz von herausragender Bedeutung für den Ertrag des Unternehmens ist oder sich auf die anderen Arbeitsplätze leistungsmotivierend auswirkt wie z. B. Einkäufer, der günstige Konditionen aushandelt, Verkäufer mit überdurchschnittlich vielen Abschlüssen, Mitarbeiter mit wichtigen Kundenkontakten u.a.

Zu den einer sozialen Auswahl entgegenstehenden betrieblichen Bedürfnissen sind auch solche betrieblichen Beeinträchtigungen zu rechnen, die ihre Ursache in der Person des Arbeitnehmers haben (z.B. krankheitsbedingte Fehlzeiten). Freilich muss der Arbeitgeber darlegen, warum auf dem fortbestehenden Arbeitsplatz die Beschäftigung eines Arbeitnehmers mit geringeren krankheitsbedingten Fehlzeiten von besonderer Bedeutung ist. Solche Fehlzeiten sind auch zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung nicht vorliegen.

Nach dem zweiten Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind Arbeitnehmer auch nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass insbesondere bei Massenentlassungen die soziale Auswahl anhand der vier Sozialkriterien dazu führen kann, dass sich durch die vorrangige Entlassung jüngerer Arbeitnehmer eine den betrieblichen Interessen zuwiderlaufende Überalterung kaum vermeiden lässt. Deshalb ist es bei Massenkündigungen nicht nur möglich, die Sozialauswahl mit Hilfe von Punktetabellen leichter handhaben zu können, sondern auch über Auswahlrichtlinien mit dem Betriebsrat Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer nach Altersstufen zu bilden, um so die soziale Auswahl in der Vorgehensweise zu vereinfachen.

Rechtsprechungsbeispiel:
Eine Stadt mit Kindertagesstätten und Internaten entschloss sich wegen rückläufigem Betreuungsbedarf von 156 Erzieherinnen die Arbeitsverhältnisse mit 66 Erzieherinnen betriebsbedingt zum 31.3.1999 zu kündigen. Der Sozialauswahl legte sie eine zuvor mit dem Personalrat vereinbarte Auswahlrichtlinie (Dienstvereinbarung) zu Grunde. In einem ersten Schritt ermittelte sie 18 Vergleichsgruppen und bildete in der größten Vergleichsgruppe fünf Altersgruppen. Eine Erzieherin, die in einer Altersgruppe (bis 50 Lebensjahre) zusammen mit 26 Kolleginnen gekündigt wurde, beanstandete mit ihrer Klage beim Arbeitsgericht die soziale Auswahl, insbesondere die von der Arbeitgeberin vorgenommene Gruppenbildung. Das BAG gab der Arbeitgeberin Recht. Es bejahte zunächst ein dringendes betriebliches Bedürfnis für die Entlassung einer der Bedarfsberechnung entsprechenden Anzahl von Erzieherinnen. Die Arbeitgeberin sei auch berechtigt gewesen, nicht unter allen Erzieherinnen der Vergleichsgruppe, der die Klägerin zuzuordnen war, eine Sozialauswahl durchzuführen. Ihre Vorgehensweise, vorab Altersgruppen zu bilden und lediglich innerhalb dieser Altersgruppe auszuwählen, sei berechtigt gewesen. Auch die Gewichtung der Sozialkriterien untereinander, die sie mit dem Personalrat in der Dienstvereinbarung festgelegt habe und die nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen war (§ 1 Abs. 4 KSchG), sei nicht zu beanstanden gewesen.

Nach der seit Jahresbeginn in Kraft getretenen Neuregelung des § 1 Abs. 3 KSchG ist die soziale Auswahl in folgenden drei Schritten vorzunehmen:

(1)Zunächst hat der Arbeitgeber im Betrieb den Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer anhand arbeitsplatzbezogener Merkmale (Berufsgruppen wie Arbeiter/ Angestellte, Ausbildungsberufe wie Mechaniker/Meister/technischer Zeichner u.a.) jeweils auf derselben (horizontalen) betriebshierarchischen Ebene zu ermitteln.

(2)In einem 2. Schritt hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, bestimmte, an sich vergleichbare Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung ihm im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, aus dem Kreis des auswahlrelevanten Personenkreises herauszunehmen bzw. auszulassen.

(3)Schließlich hat er aus dem nach Maßgabe der ersten beiden Schritte ermittelten Arbeitnehmerkreis die eigentliche Sozialauswahl vorzunehmen. Dazu muss er die gesetzlich vorgegebenen vier Sozialkriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung jedes dieser Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigen.