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Das Abkommen Basel II richtig verstehen – das Damoklesschwert über dem Mittelstand

Die Zahl der Firmenpleiten nimmt bisher ungekannte Ausmaße an und immer wieder sind die Banken im Spiel, wenn Unternehmen in den Ruin getrieben werden. Nahezu ungeprüft werden großzügig Millionenkredite vergeben, während mancher viel versprechende Mittelständler wegen 100.000 Euro in die Pleite gerissen wird. Doch nicht nur Unternehmen sind betroffen, nach der Deutschen Wiedervereinigung wurde ein ganzes Land gnadenlos geplündert. Die Pleite gehört nun einmal zur Marktwirtschaft‘, sagte Bernd Thiemann, damals noch der Vorstandsvorsitzende der DG Bank, in einem Interview mit der Zeitung Die Woche. Das war im Dezember 2000, als die Kurse an den deutschen Aktienmärkten bereits auf Talfahrt programmiert waren.

Die Dachorganisation der deutschen Genossenschaftsbanken hatte wie die privaten Großbanken und Landesbanken vielen Mittelständlern zu ihrem Debüt am Neuen Markt verholfen und an den Aktienplatzierungen wie am handeln kräftig verdient. Mit diesem Engagement wollte die Bank endlich das angestaubte Image der Bank des kleinen Mannes, der Landwirte und Handwerksmeister abschütteln und zum Kreis der Big Players aufschließen. Doch kaum hatte sie auf dem neuen Terrain Morgenluft geschnuppert, wurde sie wieder zu ihrem eigentlichen Geschäft, der Betreuung von kleinen und mittelständischen Betrieben, zurückgeholt.

Basel II: das Damoklesschwert über dem Mittelstand
Die schwache Konjunktur, scharfer Wettbewerbsdruck und knappe oder gar keine Reserven bringen viele kleine und mittlere Betriebe um ihre unternehmerische Existenz. Wenn sich die Lage nicht entspannt, dann steht dem Mittelstand in der Tat eine Pleitewelle ins Haus, erklärte der Vorstand der DZ Bank Friedrich- Leopold von Stechow.

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) rechnet mit 40.000 Unternehmenspleiten allein für das Jahr 2002. Zusammen mit einer wachsenden Zahl von Verbraucherinsolvenzen wird ein volkswirtschaftlicher Schaden von 32 Milliarden Euro erwartet. Jede Stunde macht ein Betrieb Pleite, bringt der Jurist des Verbands, Axel Nitschke, die traurige Prognose auf eine griffige Formel. Der Grund für die drohende Konkurswelle liegt in der schlechten Kapitalausstattung der kleinen und mittleren Betriebe. Kleinunternehmen bis zu 20 Beschäftigten verfügen durchschnittlich nur über zehn Prozent Eigenkapital. Bei Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten liegt die durchschnittliche Eigenkapitalquote nur wenig höher, beschreibt Nitschke die desolate Lage des deutschen Mittelstands.

Geringe Ertragskraft
Ein Grund für die hohe Abhängigkeit vieler Unternehmen von Bankkrediten besteht in der niedrigen Umsatzrendite. So haben deutsche Betriebe selbst im Boomjahr 1999 gerade mal eine Umsatzrendite von 3,1 Prozent erzielt, amerikanische Unternehmen schafften immerhin noch 4,4 Prozent, britische Firmen 5,5 Prozent und spanische Betriebe konnten mit 7,8 Prozent glänzen. Diese Daten sind vom Institut der Deutschen Wirtschaft ermittelt worden. In der derzeitigen Konjunkturflaute ist die Rendite noch einmal erheblich abgesackt. Dietrich Hoppenstedt, der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, warnt, dass fast ein Drittel der Betriebe ohne jeden Gewinn arbeite. Mehr als die Hälfte der mittelständischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu fünf Millionen Euro besitze überhaupt kein Eigenkapital.

Die in der Vergangenheit schon schwache Ertragskraft ist aber nicht nur ein Grund für das schlechte Abschneiden Deutschlands in der EU-weiten Wachstumsliste, schlimmer sind die Folgen für die Unternehmensfinanzierung: Bei so geringen Gewinnen bleibt kaum etwas übrig, um Reserven für schlechte Zeiten zu bilden und auf diese Weise auch den Eigenmittelanteil zu stärken.

Hohe Bankenabhängigkeit
Andere Wege zur Reduzierung des Fremdfinanzierungsanteils, etwa der Gang an die Börse, waren bis in die späten 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei Banken und Unternehmern der Old Economy wenig populär. Jetzt, nach dem Börsencrash, winken Anleger frustriert ab, wenn ihnen Aktien von Parkettneulingen angeboten werden. Den Unternehmern bleibt nur der Gang zur Bank. Der heiße Draht zu den Krediten der Hausbank entwickelt sich fast zur wichtigsten Nabelschnur für den Unternehmenserfolg, erklärt DSGV-Präsident Hoppenstedt, und immer mehr Unternehmer suchten in dieser Lage die Volksbank oder Sparkasse als sicheren Hafen.

Viele geraten allerdings auch dort in Seenot. Denn selbst die Volksbanken und Raiffeisenkassen sowie Genossenschaftsbanken und Sparkassenorganisationen geben sich mittlerweile eher zugeknöpft. Nach einer Studie der Universität Hamburg klagt jedes vierte Unternehmen über die rigiden Methoden bei der Kreditvergabe der Banken.

Der Mittelstand am kurzen Zügel
Tatsächlich haben die Geldhäuser die Zügel bei der Kreditvergabe gerade in jüngster Zeit kräftig angezogen. Die Banker fallen wie Rollkommandos über die kleinen und mittleren Unternehmen her. Die drei- bis vierköpfigen Teams der Kreditinstitute drehen in den Firmen jedes Blatt Papier um, wie Drogenfahnder nach Crack und Koks sind Bankbeamte in Werkstätten und Produktionsanlagen auf der Suche nach Schwachstellen und Mängeln. Im Anschluss daran wird die Geschäftsführung in einem mehrstündigen Verhör in die Mangel genommen. Die rigorose Suche nach potenziellen Krisenherden in den Betrieben begründen die Bankangestellten gern mit dem Hinweis auf die Folgen des Basel-II-Abkommens, das den Banken eine Neubewertung ihrer Kreditengagements auferlegt.

Basel II: Neubewertung der Kreditrisiken
I love the Mittelstand, erklärte der Vorsitzende des Basler Ausschusses William McDonough im Januar 2002 auf einer Konferenz der Deutschen Bundesbank. In diesem Gremium, dem sowohl Notenbanker als auch Regierungsvertreter der führenden Industriestaaten angehören, sollen die Sicherungsvorschriften innerhalb der Kreditwirtschaft verbessert werden. Bisher haben die deutschen mittelständischen Unternehmer jedoch große Zweifel an der Zuneigung des Kommissionschefs. Vielmehr argwöhnen sie, dass ihnen künftig der Geldhahn zugedreht werden soll.

Tatsächlich geht es beim Basel-II-Abkommen auch um neue Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute, um die Bewertung von Kreditrisiken der Banken durch externe Prüfer – so genannte Ratingagenturen – und um die Veröffentlichung der dabei erarbeiteten Ergebnisse. Derzeit müssen die Banken bei Firmenkrediten acht Prozent der verliehenen Summe mit eigenem Kapital besichern. Wenn also eine Bank einem Unternehmen einen Kredit von 100.000 Euro bewilligt, muss sie 8.000 Euro aus ihrem Eigenkapital dafür zurücklegen.

Kunden erster und zweiter Klasse
Künftig soll diese Eigenkapitalbeteiligung der Banken nicht mehr pauschal ermittelt werden, sondern nach dem Risiko des jeweiligen Kreditengagements. Für Kredite an solide, erfolgreiche Unternehmen müssten die Banken weniger Eigenmittel aufbringen als für Engagements bei Unternehmen mit schlechter Bonität. Für diese Kredite müssten dann deutlich mehr Sicherheiten hinterlegt werden.

Die unterschiedliche Risikobewertung schlägt sich natürlich auf die Konditionen nieder, die die kreditnehmenden Unternehmen hinnehmen müssen. Für die Bank sichere Ausleihungen an solide Unternehmer würden niedriger verzinst als riskante Kredite an unsichere Kantonisten. Obendrein sollen künftig langfristige Kredite mit einem höheren Risikoaufschlag bewertet werden. Für Kleinunternehmen soll allerdings weiterhin eine Art Pauschale bei der bankinternen Risikosicherung gelten. Sie sollen mit den Privatkunden in einem so genannten Retailportfolio gebündelt werden, für das es dann einen einheitlichen Prozentsatz gibt. Offen ist bisher noch, wie Kleinunternehmen definiert werden.

Krisenstimmung beim Mittelstand
Bisher ist zwar noch nichts entschieden, der Basler Ausschuss will erst in der zweiten Hälfte 2002 ein drittes Konsultationspapier vorlegen, über das dann in den beteiligten Ländern beraten wird. In Kraft treten könnte das Abkommen und das neue Regelwerk frühestens 2006. Dennoch sind die Unternehmer in Deutschland schon jetzt in Alarmstimmung. Sie fürchten, dass ihre Hausbanken sie künftig noch schneller abservieren, wenn sie in einer Absatzflaute finanzielle Unterstützung zum Weitermachen brauchen. Der DIHT und andere Unternehmerverbände versuchen deshalb ihre Mitglieder in Crashkursen in der Krisenprävention zu schulen, damit sie künftig rechtzeitig und möglichst noch vor den Prüfern der Banken die wahre Lage ihres Unternehmens erkennen und gegensteuern können.

Diese Nachhilfe kommt wahrlich nicht zu früh, denn die Banken haben voreilig ihre eigenen Schlüsse aus den Entwürfen zum Basel-II-Abkommen gezogen und suchen bereits den Mittelstand heim. Gute Unternehmensführung reicht nicht mehr, klagte der Geschäftsführer der alteingesessenen und erfolgreichen Armaturenfabrik Hans Grohe nach einem Verhör durch seine Hausbank gegenüber dem Magazin Der Spiegel.

Suche nach Schwachstellen
Die Verunsicherung, die die Kreditwirtschaft mit zahlreichen Razzien dieser Art ausgelöst hat, beunruhigt sogar Bundeswirtschaftsminister Werner Müller. Er warnte die Banken, die neuen Richtlinien für das Kreditgewerbe nicht zu eng auszulegen, zumal sie noch nicht einmal in Kraft gesetzt worden sind. Die Kreditwirtschaft hingegen, die schon vorher gern schnell und hart durch gegriffen hat, wenn es ihren Interessen diente und der Kunde sich nicht recht wehren konnte, lässt sich durch diese Appelle kaum bremsen.

Schwachstellen, die zur Kreditverweigerung führen können, finden sich gerade bei jungen Kleinbetrieben immer wieder. Rund die Hälfte aller Existenzgründer muss schon in den ersten fünf Jahren den Betrieb einstellen, klagen die Unternehmerverbände. Mal fehlen schon rudimentäre kaufmännische Kenntnisse, mal kippt die Konjunktur oder neue, größere Wettbewerber besetzen die Nische, die der Jungunternehmer für sein Geschäft erobern wollte. Immer aber sind es die Banken, die entweder keinen Kredit für die Gründung geben wollen oder aber schon bei ersten Turbulenzen oft ohne Vorwarnung plötzlich die Reißleine ziehen.

Am liebsten finanzieren Banken nur Sachen, die todsicher sind, klagt ein Unternehmensberater. Das seien dann langweilige Investitionen, die nur eine mäßige Rendite bringen. Auch da steigen die Banken jedoch nur ein, wenn sie den Kredit durch Sachwerte wie Immobilien absichern können. Wenn dann die Firma in Pleite geht, hat der Gründer alles verloren – oft bleibt ihm von seinem Traum vom freien Unternehmertum nur ein Berg Schulden.

Börsenflaute am Neuen Markt
Für Jungunternehmer in der Hightechindustrie ist es vor allem bitter, dass sie derzeit kaum eine Chance haben, der Abhängigkeit von ihren Kreditgebern zu entkommen. Nach dem Kursgemetzel und der Pleitewelle an der Wachstumsbörse Neuer Markt lassen sich dort kaum noch Aktien von Start-up-Unternehmen unterbringen. Gerade mal 26 neue Firmen hatten sich 2001 zum Debüt an der Börse angemeldet – im Jahr 2000 waren es noch 152, 1999 sogar 168.

Schlimmer noch ist allerdings, dass die Banken die heute in ihrer Existenz gefährdeten Unternehmen des Neuen Marktes schnöde fallen lassen. Diese rüde Behandlung der einstigen Börsenlieblinge kritisieren nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern auch Anlegerschützer. Die Institute hätten an den Provisionen für die Börsengänge gerne verdient und Firmen, die noch nicht börsenreif gewesen seien, zum Gang aufs Parkett ermutigt. Jetzt kommt es darauf an, den Unternehmen Liquidität zur Verfügung zu stellen, wenn man schon einmal dran verdient hat, sagte Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Häufig säßen Bankenvertreter schließlich auch im Aufsichtsrat der Firmen. Dennoch würden die Institute den Geldhahn oft einfach zudrehen und das Tafelsilber verkaufen, während die Aktionäre ihre Investments abschreiben können.

Düpierte Anleger
Besonders ärgerlich für Anleger und Mitarbeiter ist es, wenn die Banken gerade dann aussteigen, wenn ein Unternehmen auf gutem Wege ist, der drohenden Pleite zu entgehen. Zu den Opfern dieser rigorosen Stop-Loss-Politik der Banken zählt die Ufa-Theater GmbH. Die Münchner HypoVereinsbank drehte Deutschlands drittgrößter Kinokette den Geldhahn zu. Weitere Kredite will die HVB als Hausbank nicht mehr geben. Für das Unternehmen kommt das Veto von Deutschlands zweitgrößter Bank ziemlich überraschend, weil die Sanierung deutliche Fortschritte gezeigt hatte: 40 Kinos der Gruppe wurden geschlossen, die Kosten für Personal und Mieten sanken erheblich. Die operativen Verluste seien von 23 Millionen € (1999) und rund 21 Millionen € (2000) im vergangenen Jahr auf nur noch 536.000€ gesunken. In diesem Jahr sollte ein Gewinn von gut 300.000 Euro erzielt werden. Das Überleben der Kinokette scheiterte letztlich an einer Liquiditätsspritze von drei Millionen Euro. Diese Summe bräuchte die Firma, um die Einbußen, die aufgrund des flauen Sommergeschäfts entstanden waren, auszugleichen.

Erstaunlich für die düpierten Anleger dürfte sein, dass erst im Februar des Jahres 2002 die HypoVereinsbank zusammen mit Mercer Management Consulting die Medien-Studie 2006 herausgegeben hat: Darin wird der Kinobranche die Fortsetzung der fundamentalen Wachstumsphase bescheinigt. Die Ufa gehört nun wohl nicht mehr dazu – ihr droht ein Insolvenzverfahren, falls nicht noch andere Banken oder die Gesellschafter neues Geld nachschießen.