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Der Fall Basel II und seine Folgen lernen

Am ersten Januar 2007 trat eine Richtlinie in Kraft, die das europäische Bankensystem sicherer machen und die Unternehmen stärken sollte. Basel II heißt das Wunderwerk. Der für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy erklärte: Die Umsetzung dieser Richtlinie wird sowohl der EU-Wirtschaft als auch der Finanzstabilität zugute kommen und Vorteile für die Unternehmen und die Verbraucher bringen.

Auch der frühere Vorsitzende des Basler Ausschusses, William McDonough, bekundete seine Zuneigung zu den kleineren und mittleren Unternehmen. I love the Mittelstand, erklärte er im Januar 2002 auf einer Konferenz der Deutschen Bundesbank. In diesem Gremium, dem Notenbanker und Regierungsvertreter der führenden Industriestaaten angehören, sollen die Sicherungsvorschriften der Kreditwirtschaft verbessert werden. So geht es beim Basel-II-Abkommen um neue Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute, um die Bewertung von Kreditrisiken der Banken durch externe Prüfer – sogenannte Ratingagenturen – und um die Veröffentlichung dieser Ergebnisse.

Vor Inkrafttreten der Richtlinie mussten die Banken bei Firmenkrediten acht Prozent der verliehenen Summe mit eigenem Kapital absichern. Wenn also eine Bank einem Unternehmen einen Kredit von 100000 Euro bewilligt, muss sie 8000 Euro aus ihrem Eigenkapital dafür zurücklegen.

Doch nach Basel II soll diese Eigenkapitalbeteiligung der Banken nicht mehr pauschal ermittelt werden, sondern nach dem Risiko des jeweiligen Kreditengagements. Für Kredite an solide, erfolgreiche Unternehmen müssten die Banken weniger Eigenmittel aufbringen als für .Engagements bei Unternehmen mit schlechter Bonität. Für diese Kredite würden dann auch deutlich mehr Sicherheiten fällig.

Die unterschiedliche Risikobewertung schlüge sich natürlich auf die Konditionen nieder, die die kreditnehmenden Unternehmen von ihrer Bank erhalten. Für die Bank sichere Ausleihungen an solide Unternehmer würden niedriger verzinst als riskante Kredite an unsichere Kantonisten. Obendrein sollen künftig langfristige Kredite mit einem höheren Risikoaufschlag bewertet werden.

Für Kleinunternehmen sollte allerdings weiterhin eine Art Pauschale bei der bankinternen Risikosicherung gelten. Sie werden mit den Privatkunden in einem sogenannten Retailportfolio gebündelt, das mit einem einheitlichen Prozentsatz am Eigenkapitalanteil der Bank abgesichert werden muss.
Tatsächlich sollte Basel II und die entsprechende EU-Richtlinie eigentlich die Konsumkredite wie die Privatkundenkredite verbilligen, weil sie nicht mehr wie bisher mit acht Prozent des Eigenkapitals besichert sein müssen. Experten sprachen von einer um fünf Prozent niedrigeren Eigenkapitalsicherung.

Theorie und Praxis
Die Praxis, vor allem während der langen Verhandlungs- und Vorbereitungszeit auf das Inkrafttreten der Richtlinie, sah allerdings ganz anders aus. Basel II wurde zu dem Knüppel, mit dem die deutschen Mittelständler bis aufs Blut gezüchtigt wurden. Die deutschen Banken machten mit ihren Kunden kurzen Prozess. Wer nicht seine Bücher und Tresore öffnen mochte und den Firmenkreditberatern Zugang zu allen Betriebsgeheimnissen, Strategien und Produktentwicklungen gewährte, wurde ganz schnell aussortiert. So mancher Unternehmer sah sich von seiner Hausbank schon abgeschoben, bevor er sich über den fehlenden Kaffee bei der Besprechung mit dem Firmenkundenberater wundern konnte.

Unternehmer, die in einer Auftragsflaute ihre Hausbanken gar um einen Kredit bitten wollten, wurden oft gar nicht mehr vorgelassen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHT) und andere Unternehmerverbände versuchten deshalb, ihre Mitglieder in Crashkursen in der Krisenprävention zu schulen, damit sie künftig rechtzeitig und vor den Prüfern der Banken die wahre Lage ihres Unternehmens erkennen und gegensteuern konnten.
Diese Nachhilfe war dringend erforderlich, denn die Banken begannen, schon Ende der 1990er Jahre den Mittelstand mit rüden Methoden heimzusuchen.
Gute Unternehmensführung reicht nicht mehr, klagte der Geschäftsführer der alteingesessenen und erfolgreichen Armaturenfabrik Hans Grohe nach einem Verhör durch seine Hausbank gegenüber dem Magazin Der Spiegel.
Die Verunsicherung, die die Kreditwirtschaft mit zahlreichen Razzien dieser Art ausgelöst hatte, beunruhigte sogar die damalige rot-grüne Bunderegierung. Der Bundeswirtschaftsminister Werner Müller warnte die Banken, die neuen Richtlinien für das Kreditgewerbe nicht zu eng auszulegen.

Die Banken hingegen, die immer gerne schnell und hart durchgreifen, wenn es ihren Interessen dient und der Kunde sich nicht recht wehren kann, ließen sich durch Appelle nicht bremsen. Auch nach einer Modifizierung der Bestimmungen, die der Kreditwirtschaft mehr Spielraum bei der Bewertung von Mittelstandkrediten lässt, wird vielen klein- und mittleren Unternehmen den Zugang zu Fremdkapital verwehrt oder unvermittelt der Hahn zugedreht. Und es werden ihnen beim geringsten Risiko hohe Zinsen abverlangt. Rund 37 000 Betriebe haben im Jahr 2005 dichtmachen müssen. Manchem ging sogar bei guter Auftragslage das Geld aus, nachdem die Bank den Daumen gesenkt hatte.

Schwachstellen, die zur Kreditverweigerung fuhren können, finden sich gerade bei neu gegründeten Kleinbetrieben. Rund die Hälfte aller Existenzgründer muss in den ersten fünf Jahren den Betrieb einstellen, klagen die Unternehmerverbände. Mal fehlen grundlegende kaufmännische Kenntnisse, mal kippt die Konjunktur oder neue, größere Wettbewerber besetzen die Nische, die der Jungunternehmer für sein Geschäft erobern wollte. Immer aber sind es die Banken, die entweder keinen Kredit für die Gründung geben wollen, oder aber schon bei ersten Turbulenzen oft ohne Vorwarnung plötzlich die Reißleine ziehen.

Am liebsten finanzieren Banken nur Sachen, die todsicher sind, klagt ein Unternehmensberater. Das seien dann langweilige Investitionen, die nur eine mäßige Rendite bringen. Aber auch da steigen die Banken nur ein, wenn sie den Kredit durch Sachwerte wie Immobilien absichern können.

Mit ihrer restriktiven Kreditvergabe treiben die deutschen Banken die Unternehmen entweder gleich in den Ruin oder in die Hände der Heuschrecken. Auf der Strecke bleiben in jedem Fall die Arbeitsplätze.

Die drastische Kurswende in der Kreditpolitik der Banken unter dem Mäntelchen des Basel-II-Vertrages hat in den vergangenen Jahren wahrscheinlich mehr Jobs in Deutschland vernichtet als die Folgen der Globalisierung. Das Wort Hausbank ist in manchen Unternehmerfamilien mittlerweile zum üblen Schimpfwort geworden. Und die Beschwichtigungen der Unternehmer- und Bankenverbände, dass die Basel-II-Richtlinie einen wichtigen Beitrag zur Sanierung, Konsolidierung und zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen geleistet habe, kann man auch für den größten Witz in der Geschichte der deutschen Wirtschaft halten. Nicht wegen der Richtlinie selbst, sondern wegen des Missbrauchs, den die deutsche Kreditwirtschaft damit getrieben hat.