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Die russische Finanz-Krise von 1992 richtig verstehen – detailliertere Information

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1992 bescherte den Beratern, Bankern und Investoren die lang ersehnte Gelegenheit, dem früheren Reich des Bösen, wie US-Präsident Ronald Reagan die UdSSR einst nannte, eine Lektion in westlicher Marktwirtschaft zu erteilen. Die Botschaften, die die zahllosen Experten zum Umbau der Wirtschaft der kollabierten Supermacht verkündeten, führten das Land auf schnellstem Wege in die Katastrophe. Allerdings nicht ohne den großen Finanzinstituten eine fette Beute zu bescheren. Dabei kamen in Russland vor allem die amerikanischen Investmentbanken Goldman Sachs, Merrill Lynch und Salomon Brothers zum Zuge.

Wie das russische Roulette organisiert wurde, schildern die Autoren Christiane Grefe, Matthias Greffrath und Harald Schumann in ihrem Buch: Attac – was wollen die Globalisierungsgegner. Große Wirtschaftskrisen, die ganze Volkswirtschaften an den Rand des Bankrotts treiben, haben in aller Regel nicht nur einen Auslöser. Im Falle Russlands gab es sogar eine ganze Kette von Ursachen und Fehlsteuerungen. Als die Berater von IWF und der US-Regierung 1992 in Russland eintrafen, hatten sie bereits ihren üblichen Maßnahmenkatalog im Gepäck. Auch das Riesenreich mit seinen maroden Industrieunternehmen und seinem verschwenderischen Umgang mit den enormen Rohstoffvorkommen sollte nach 08/15- Schema auf den rechten Weg zur Marktwirtschaft gebracht werden.

Aus diesem Grund wurde die Regierung des damaligen Präsidenten Boris Jelzin dazu gedrängt, die großen Staatsbetriebe zu privatisieren. Danach mussten die Märkte für ausländische Investoren geöffnet und alle Einfuhrzölle sowie die Preiskontrollen abgeschafft werden. Als dann Milliarden von Rubel aus der Zeit der früheren Planwirtschaft freigesetzt wurden, stieg durch den dramatischen Anstieg der Geldmenge auch die Inflationsrate Besorgnis erregend, wodurch in kurzer Zeit ein großer Teil der Ersparnisse der einfachen Bevölkerung vernichtet wurde.

Um die Geldentwertung zu stoppen, erhöhte Jelzins Regierung auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds die Zinsen und koppelte den Rubel an den Dollar. Danach würde der Wert der russischen Währung steigen, wenn der des Greenback stieg, und wenn der Dollar durchhing, würde auch der Kurs des Rubels fallen. Eine fatale Entscheidung mit schweren Folgen für das Land, aber glänzenden Aussichten für die Banken. Denn damit wurde zwar die Inflation gebremst, aber gleichzeitig auch die Wirtschaftsentwicklung abgewürgt. Wegen der hohen Zinsen konnten die russischen Firmen keine Kredite mehr aufnehmen und daher auch nicht mehr investieren oder ihre Produktion aufrechterhalten. Viele Betriebe konnten nicht einmal mehr die Löhne zahlen. Die Wirtschaft sank in eine tiefe Rezession.

Satte Gewinne mit dubiosen Rubel-Anleihen Doch die neuen Reichen der russischen Gesellschaft konnten ihre Vermögen, die meist aus dubiosen Privatisierungsgeschäften stammten, ungehindert außer Landes in die bekannten Kapitalfluchtburgen bringen. Die westlichen Banken konnten dafür der Regierung des maroden Riesenreiches immer mehr Geld borgen. Das brauchte die Jelzin-Administration auch dringend, um die Löcher in der Staatskasse zu stopfen, die durch die Privatisierung der Staatsbetriebe entstanden waren. Deren Erträge kassierten jetzt die neuen Eigentümer, ausländische Konzerne oder russische Investoren – die nicht selten zu den Weggefährten des Präsidenten zählten.

Den ganz großen Reibach aber machten die US-Investment – banken mit kurzfristigen Staatsanleihen auf Rubelbasis, den so genannten GKOs. Aufgrund der rasch anwachsenden Staatsverschuldung stiegen die Zinsen für diese auch Junkbonds genannten Anleihen sprunghaft auf 150 Prozent. Damit waren sie für die Zeichner ein höchst lukratives, aber ebenso riskantes Geschäft. Denn die Chancen, dass die russische Regierung diese Anleihen je würde bedienen können, ohne neue Schulden aufzunehmen, war gleich null. Doch wer sich im internationalen Schuldenmanagement auskannte wusste, dass die prominenten Käufer dieser Junkbonds sowohl mit heiler Haut als auch mit dicken Gewinnen aus der russischen Schuldenkrise hervorgehen würden.

Als die russische Zentralbank im Juli 1992 ihre Reserven zur Stützung des Rubelkurses aufgebraucht hatte, sprang der IWF als Retter der westlichen Kapitalinteressen in die Bresche und gewährte eine Finanzspritze von 23 Milliarden Dollar. Zwischen der US-Investmentbank Goldman Sachs als Konsortialführer der Staatsanleihen, dem IWF und der russischen Regierung wurde ein Deal über das Umrubeln, das heißt die Umschuldung der GKOs, geschlossen. Im Wert von sechs Milliarden Dollar konnten die Investoren ihre wertlosen Rubel-Junkbonds in langfristige Dollar- Papiere tauschen.

Mit der Umtauschofferte können sie nun ihre riesigen Rubel- Zinseinnahmen kassieren und trotzdem wieder in Dollar-Papiere gehen, zitieren Grefe, Greffrath und Schumann einen Frankfurter Bankenanalysten. Goldman Sachs habe dabei auf einen Schlag mehr Geld eingefahren als die deutschen Großbanken zusammen seit dem Ende des Kommunismus verdient hätten. Die russische Bevölkerung hingegen ging unvorstellbar harten Zeiten entgegen: Die Regierung ließ den Rubelkurs um 60 Prozent absacken und versuchte das vom IWF verordnete Sparprogramm umzusetzen. Die Folge: Die Wirtschaftsleistung schrumpfte um 40 Prozent. Innerhalb eines Jahrzehnts stieg die Zahl der Menschen, die mit weniger als vier Dollar am Tag auskommen müssen, von zwei Millionen auf 60 Millionen. Und wieder einmal hatte der IWF den Interessen der Großfinanz trefflich in die Hände gespielt und gleichzeitig ein Land in den finanziellen Kollaps geführt.