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Erinnerung nach der Schuldenkrise in Mexiko – detailliertere Information

1973 wurden auf dem Treffen der Finanzminister der wichtigsten Industriestaaten in Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire das seit 1944 geltende System fester Wechselkurse aufgegeben und der internationale Kapitalverkehr liberalisiert. Danach begannen die Banken der Industriestaaten – zunächst die Finanzinstitute in den USA, später auch europäische und japanische Banken – die Schwellenländer mit Anlagekapital in Höhe von Milliarden von Dollars zu überschwemmen. Hauptadressaten für den Geldsegen waren die Diktaturen Afrikas und Lateinamerikas – dort finanzierten die westlichen Banken unter dem Schutz der Militärregime mit Milliardensummen gigantische Infrastrukturprojekte, Herrscherpaläste und Industriekomplexe. Welchen Nutzen diese riesigen Prestigeprojekte für die Bewohner der betroffenen Staaten haben sollten, wie es um ihre Wirtschaftlichkeit, geschweige denn ihre Umweltverträglichkeit bestellt war, spielte für die Banken keine Rolle. Hauptsache die Schulden wurden mit hohen Zinszahlungen bedient. Dass sich diese Staaten immer tiefer verschuldeten und in der Folgezeit immer mehr Geld leihen mussten, um die alten Kredite bedienen zu können, schien ebenfalls keine Besorgnis im Westen auszulösen. Dass die Potentaten oft Gelder für Staatsprojekte auf ihre eigenen Konten oder die ihrer Freunde und Helfershelfer in der Schweiz umleiteten, war ebenfalls lange kein Grund, den üppigen Geldfluss zu stoppen. Rund eine Billion Dollar flössen in diese oft korrupten Staaten, doch zur Bevölkerung drang davon kaum etwas durch.

Im August 1982 kam es dann zum Knall: Mexiko, das Niedriglohnland im Hinterhof Amerikas konnte seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Die Staatskasse war leer, die Wirtschaft lag danieder, das einst aufstrebende Land, das mit dem Export seiner Ölvorkommen solide Wachstumsraten und den Aufbau von Industriestrukturen erzielt hatte, war am Ende.

Zinsschock durch die Fed
Ausgelöst wurde die Liquiditätskrise in dem mittelamerikanischen Staat allerdings in den USA: Zu Beginn seiner Amtszeit hatte US- Präsident Ronald Reagan den damaligen Chef der US-Notenbank Paul Volcker dabei unterstützt, zur Bekämpfung der hohen Inflationsraten in den USA die Zinsen auf 20 Prozent hochzusetzen. Durch den dadurch ausgelösten Zinsschock hoffte die Federal Reserve Bank die überhitzte amerikanische Konjunktur abkühlen zu können. Die Expansion der Wirtschaft auf Kredit sollte eingedämmt und den Konsumenten das Leben auf Pump abgewöhnt werden.

Doch die Zinserhöhung hatte weit dramatischere Folgen: Während in den USA durch den Zinsanstieg nur eine Rezession ausgelöst wurde, war die geldpolitische Maßnahme für die Schuldnerstaaten in der Dritten Welt fatal. Ihre Zinszahlungen verdreifachten sich und diesen Schuldendienst konnte kein Land finanzieren.

Gleichzeitig begann ein Ansturm auf den Dollar, weil Anleger in aller Welt von den hohen Zinsen profitieren wollten. Die Folge: Der Wechselkurs des Dollars schnellte nach obem Die anderen Zentralbanken mussten ebenfalls ihre Zinsen erhöhen, um zu verhindern, dass über die teureren Importe aus dem Dollarraum – vor allem die Rohöleinfuhren – auch in ihren Ländern die Inflationsraten stiegen. Die Schuldnerländer, die sich das Geld an den internationalen Kapitalmärkten in der US-Währung geliehen hatten, mussten nun in ihrer heimischen Währung noch höhere Beträge für den Schuldendienst aufbringen.

Neben Mexiko gerieten auch Brasilien und Argentinien in Zahlungsschwierigkeiten, weite Teile Afrikas waren praktisch zahlungsunfähig und verkamen zum Armenhaus der Welt.
Um den drohenden Kollaps des gesamten Weitfinanzsystems abzuwenden, holte die US-Regierung den Internationalen Währungsfonds zu Hilfe. Die Beamten des internationalen Instituts sollten das Schuldenmanagement für die ausgelaugten Entwicklungsländer übernehmen und ihnen frisches Geld von den Zentralbanken der reichen Staaten besorgen. Die neuen Kredite sollten allerdings nur zum Schuldendienst der Altkredite dienen und nur gegen strenge Auflagen vergeben werden. Die Empfängerländer mussten sich dazu verpflichten, einen scharfen Sparkurs einzuschlagen, ihre Märkte zu öffnen, ihre Staatsausgaben erheblich zu reduzieren, ihre Staatsbetriebe zu privatisieren und ihre Kapitalmärkte zu liberalisieren.

Dieser Maßnahmenkatalog wurde später als Washingtoner Konsens bezeichnet. Er diente ausschließlich dazu, die Kreditgeber, die großen Banken in den USA, Europa und Japan vor Ausfällen zu schützen und den multinationalen Konzernen freie Bahn für Investitionen in den ruinierten Volkswirtschaften Lateinamerikas und Asiens zu schaffen, wo sie noch lernfähige und billige Arbeitskräfte rekrutieren konnten.

Staaten wie Brasilien, die sich nicht dem Joch des IWF und der internationalen Bankenwelt beugen mochten, wurde offen mit dem Abzug aller ausländischen Gelder und einem Boykott der dringend benötigten Importwaren gedroht.

Schuldenerlass als Fremdwort
Profitiert haben von der Wende in der Hochzinspolitik der Amerikaner und dem auf Druck der US-Regierung schärferen Vorgehen des IWF nur die Finanzmärkte, wie der Politologe Richard Barnet und der Globalisierungsexperte John Cavanagh in einem Aufsatz für das Schwarzbuch Globalisierung schildern: Von einem Tag auf den anderen verwandelte sich der Bondsmarkt von einem ruhigen Plätzchen in ein Kasino. Das Kaufen, Verkaufen und Verleihen von Währungsprodukten weltweit wurde zu einem eigenen Geschäftszweig. Das meiste hatte wenig oder gar nichts mit Investitionen in die Produktion oder den Handel zu tun. Die Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern gingen zurück, weil die großen Geschäftsbanken sahen, dass sie mit Provisionen, Gebühren und Zinsen beim Recycling von zigmilliarden so genannter Petrodollars, die aus den Schatztruhen in Kuwait und Saudi- Arabien an die Regierungen und Unternehmen in den ärmeren Ländern flössen, mehr verdienen konnten.

Erst 1987 schien sich zaghaft eine Wende in der Schuldenkrise anzubahnen. Der damalige Chef der US-Citibank John Reed und Alfred Herrhausen, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hatten einen Plan ausgearbeitet, der den Schuldnerländern etwas mehr Spielraum beim Schuldendienst einräumen und in hoffnungslosen Fällen auch den Erlass der Schulden vorsehen sollte. Als Herrhausen diesen Plan jedoch ein Jahr später während der IWF- und Weltbanktagung in Berlin 1988 den Damen und Herren der internationalen Hochfinanz präsentierte, applaudierte vor allem die liberale Presse. Seine Bankerkollegen ließen den Vordenker der Industrie glatt auflaufen. Der damalige Commerzbank- Chef Walter Seipp sagte dazu knapp: Im Vokabular eines Privatbankers kommt das Wort Schuldenerlass nicht vor.

Ein Jahr später – auf der IWF- und Weltbanktagung in Washington im Herbst
1989 – wurde bereits deutlich, dass sich die Vorreiter eines humaneren Umgangs mit den Schuldnerländern nicht würden durchsetzen können. Wenige Wochen später fiel die Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands drängte die Nöte der Entwicklungsländer an den Rand des politischen Interesses. Alfred Herrhausen, der prominenteste deutsche Fürsprecher eines teilweisen Schuldenerlasses für die Schuldnerländer, fiel zudem Ende November 1989 einem Anschlag der RAF zum Opfer. Zwar wurde in den folgenden Jahren immer wieder mal in äußersten Notfällen den ärmsten der armen Länder die Rückzahlung von Teilschulden erlassen, doch fester Bestandteil der IWF-Politik ist der Schuldenerlass wahrlich nicht geworden. Das Gegenteil war der Fall, wie die Bewältigung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs Russlands und der Asienkrise Ende der 90er Jahre zeigen sollten.