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Fundamentalanalyse beim Aktienhandel – das Kurs-Buchwert-Verhältnis

Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) ist ebenfalls eine wichtige Kennzahl. Durch sie erfahren Sie, wie weit der Börsenwert des Unternehmens über dem Buchwert liegt. In den meisten Fällen spiegelt der Wert einer Aktie die Zukunftsaussichten und die Gewinnchancen eines Unternehmens wider, d.h. die Aktie stellt nicht den realen Wert eines Unternehmens dar, sondern schließt schon zukünftige Erwartungen mit ein.
Den realen Wert eines Unternehmens, den Buchwert, erhalten Sie, wenn Sie sämtliche Vermögensgegenstände (Grundstücke, Gebäude, Fahrzeuge, Maschinen, Erzeugnisse, Waren, Vorräte, Kontoguthaben, Wertpapiere usw.) im Unternehmen zusammenzählen und davon die Schulden abziehen. Was dann übrig bliebt, ist das, was das Unternehmen tatsächlich hat. Diesen Wert nennt man Buchwert. In der Praxis wird der Buchwert je Aktie berechnet, d.h. Sie dividieren den Buchwert durch die Anzahl der umlaufenden Aktien. Das ist notwendig, damit Sie diesen Wert mit dem Kurs einer einzelnen Aktie vergleichen können. Den aktuellen Börsenkurs einer Aktie dividieren Sie dann durch den Buchwert je Aktie.

Wenn der Aktienkurs um ein Vielfaches über dem Buchwert liegt, dann bedeutet das Folgendes: Die Marktteilnehmer sind bereit, ein Mehrfaches für das Unternehmen zu zahlen. Sie erwarten, dass in Zukunft die Aktiengesellschaft deutliche Gewinne und steigende Umsätze erzielt. Der im Vergleich zum Buchwert hohe Aktienkurs signalisiert glänzende Perspektiven. Falls Ihnen der Zusammenhang noch nicht klar sein sollte, möchte ich es mit Hilfe einer Analogie verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen das Bild eines noch wenig bekannten Malers, der aber nach Auskunft bekannter Galeristen ein bedeutender Künstler werden könnte. Das Gemälde, das Sie kaufen, hat vielleicht einen Substanzwert von wenigen Euro; denn es besteht nur aus einer Leinwand, ein wenig Farbe und einem Rahmen. Sie zahlen aber für das Bild beispielsweise 2000 Euro. Diese Summe spiegelt Ihre Erwartungen wider, dass der noch wenig bekannte Maler eines Tages berühmt werden könnte.
Genauso verhält sich mit dem Verhältnis von Buchwert und Börsenwert. Der Börsenwert liegt meist deutlich höher, weil er die Zukunftsaussichten des Unternehmens repräsentiert.

Die entscheidende Frage ist nun: Was ist als Anlagestrategie besser? Ein Unternehmen, dessen Börsenwert nahe dem Buchwert oder sogar darunter liegt? Oder eines, dessen Börsenwert sich weit vom Buchwert entfernt hat? Auch hier scheiden sich leider die Geister, und man muss bei der Beurteilung einige wichtige Gesichtspunkte beachten.

Wenn der Börsenwert eines Unternehmens weit über dem Buchwert, also der Substanz des Unternehmens, liegt, dann ist es überteuert; denn Sie müssen als Aktionär ein Vielfaches für das Unternehmen zahlen, als es eigentlich wert ist. Andererseits könnte der hohe Preis gerechtfertigt sein, weil das Unternehmen in der Vergangenheit ständig steigende Umsätze und Gewinne vorweisen konnte. In unserem Beispiel mit dem Kunstmarkt würde es bedeuten, dass Sie – vorausgesetzt Sie haben das nötige Kleingeld – einen Picasso oder van Gogh kaufen.
Ist der Börsenwert niedrig oder entspricht er ungefähr dem Buchwert (dann ist der Quotient bei 1,0), werden die Gewinnperspektiven von den Marktteilnehmern eher schlecht eingeschätzt oder falsch bewertet. Es kann natürlich sein, dass sich aus einer solchen „grauen Ente“ ein prächtiger Schwan entwickelt.
Noch kritischer ist es natürlich, wenn der Börsenwert unter dem Buchwert liegt; dann erreicht der Quotient des Kurs-Buchwert-Verhältnisses (KBV) einen Wert von unter 1,0. Dies bedeutet, dass Sie – zumindest theoretisch – über die Börse ein Unternehmen billiger einkaufen können, als es wert ist. Das wäre etwa so, als würde ein Galerist ein Bild, dessen Rahmen allein 30 Euro kostet, für 10 Euro verschleudern.

Eine solche Situation zieht natürlich unsere bereits bekannten „Raubritter“ oder Raider an, die nun ein solch unterbewertetes Unternehmen kaufen, in die Einzelteile zerlegen und dann Stück für Stück verkaufen.

Als Anleger sollten Sie aber beachten, dass nicht jedes unterbewertete Unternehmen wirklich ein lukratives Schnäppchen ist. Wenn die Marktteilnehmer schon so sehr das Unternehmen abwerten, dann kann dies an schlechten Gewinnperspektiven liegen. Möglicherweise hat die Aktiengesellschaft über viele Jahre hinweg nur dürftige Ergebnisse erzielt und nichts getan, um die Ertragslage zu verbessern. Auch wenn ein solches Unternehmen wie ein Schnäppchen wirkt, ist es in Wirklichkeit möglicherweise eine Niete. Denn wenn das Unternehmen jahrelang auf diesem Niveau vor sich hindümpelt, haben Sie als Aktionär verloren. Erst bei einer Liquidation, d.h. bei der Auflösung des Unternehmens, können Sie die noch wertvollen Grundstücke, Gebäude, Patente oder Maschinen zu Geld machen.
Das Kurs-Buchwert-Verhältnis lässt sich nur dann für eine interessante Anlagestrategie nutzen, wenn Sie den Eindruck haben, dass das Unternehmen die Wende schafft und sich wieder verbessert. Dann könnte eine unterbewertete Aktiengesellschaft, die unter ihrem Buchwert an der Börse notiert, ein guter Kauf sein. Leider ist dies in der Praxis für Außenstehende nur schwer zu beurteilen. Als weiteres Hindernis kommt hinzu, dass viele Aktiengesellschaften über stille Reserven verfügen, was insbesondere bei der deutschen Bilanzierungspraxis der Fall ist. Das deutsche System ist auf den Gläubigerschutz ausgerichtet, deshalb erlaubt es im Vergleich zum europäischen oder US-amerikanischen Standard großzügige Abschreibungen – vor allem bei Immobilien. Dadurch ist es dem Unternehmen möglich, sich ärmer zu machen, als es ist. Wenn ein Unternehmen beispielsweise ein Gebäude in der Innenstadt von München besitzt, sinkt der Bilanzwert dieser Immobilie nach mehreren Jahrzehnten praktisch auf fast Null wegen der unzähligen Abschreibungen. In der Realität aber steigt der richtige Wert, der Verkehrswert, einer Immobilie im Laufe der Jahre. Allein das Grundstück in der Münchener Innenstadt kann sich in den Jahrzehnten im Wert vervielfachen. Durch diesen krassen Unterschied zwischen dem Wert in der Bilanz und dem tatsächlichen Wert entstehen stille Reserven, die nirgends auftauchen. Erst wenn das Unternehmen die Immobilie verkaufen würde, könnte man den tatsächlichen Wert erkennen. Aus diesem Grund ist der Buchwert aufgrund der vielen stillen Reserven in den meisten Fällen zu niedrig angesetzt. Bei amerikanischen Aktien ist dieses Problem geringer ausgeprägt, da bei der dortigen Bilanzierung Immobilien anders bewertet werden.

Sie sollten daher das Kurs-Buchwert-Verhältnis kritisch betrachten. Eine unterbewertete Aktie ist nur dann einen Kauf wert, wenn viele Indizien dafür sprechen, dass sich das Unternehmen in der Zukunft besser entwickelt. Trotz dieser schwierigen Beurteilung beruhen einige Anlagestrategien gerade auf einem niedrigen
KBV. Auch der Begründer der Fundamentalanalyse, Benjamin Graham, machte diese Kennzahl zum Angelpunkt seiner Anlagestrategie. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Value-Strategie, da man auf den Substanzwert eines Unternehmens setzt.