Nach heftiger Kritik durch die Aktionärsschützer hat die Deutsche Börse zum Jahresanfang 2001 ihre Regeln für den Neuen Markt verschärft. Wichtigste Neuerung ist die Einführung einer Meldepflicht für Geschäfte mit Aktien der eigenen Gesellschaft. Die Unternehmen selbst und die Insider, das sind die Vorstände und Aufsichtsräte, müssen seit März unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Tagen veröffentlichen, wenn sie Aktien der eigenen Gesellschaft kaufen oder verkaufen. Außerdem müssen sie beim Börsengang im Emissionsprospekt einzeln aufschlüsseln, wie viele Aktien ihrer Firma sie besitzen. Vorher musste nur die Gesamtzahl genannt werden. In den USA gehen die Regeln noch weiter. Da müssen Insider Aktienverkäufe sogar vor der Transaktion anmelden. Man will mit dieser Neuregelung verhindern, dass Insider ihre Aktien einfach verkaufen, bevor sie Informationen, die sich negativ auf den Kurs auswirken könnten, ad hoc mitteilen, und nur die anderen Aktionäre nachher die Verluste hinnehmen müssen.
Investmentfonds können mit ihren großen Aktienpaketen auch die Kurse beeinflussen. Sie sind jedoch von der Meldepflicht für Wertpapier geschälte nicht betroffen. Aktionärsschützer hoffen, dass dieses mit Verabschiedung des vierten Finanzmarktförderungsgesetzes geschehen wird.
Seit Januar 2001 werden auch strengere Maßstäbe an die Quartalsberichte der Unternehmen am Neuen Markt gelegt und Verstöße harter bestraft. Quartalsberichte sind jetzt umfangreicher geworden; es ist eine standardisierte Form vorgeschrieben, und sie müssen bestimmte wichtige Kennzahlen enthalten. Außerdem müssen Quartalsberichte die Bilanz für den Berichtszeitraum enthalten sowie die Anzahl der Aktien, die vom Unternehmen, den Vorständen und Aufsichtsräten gehalten werden. Volker Potthoff, Mitglied des Vorstands der Deutsche Börse AG, sagte, man wolle mit den Neuerungen wieder ein Zeichen für das Qualitätsmerkmal Transparenz setzen, das den Erfolg des Neuen Marktes ausmache. Allerdings wies er auch darauf hin, dass das Regelwerk weder sinkende Kurse noch Fehlverhalten der Vorstände verhindern könne. Die neue Form der Quartalsberichte biete eine bessere Vergleichbarkeit. Das stimmt sicher. Aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Für den Kleinaktionär wäre es besser, wenn auch vorgeschrieben wird, dass die Quartalsberichte von Wirtschaftsprüfern testiert werden müssen, das brauchen sie nämlich nach der jetzigen Rechtsprechung, auch nach der Verschärfung, nicht.
Halten die Unternehmen die Vorgaben für die Quartalsberichte nicht ein oder liefern sie diese nicht innerhalb von 60 Tagen, dann wird das im Internet unter neuer-markt*com veröffentlicht, und die Börse behält sich zusätzlich vor, die Aktiengesellschaft abzumahnen, mit einem Bußgeld von bis zu 100 000 Euro zu belegen oder auch vom Neuen Markt auszuschließen. Dies ist Ende Februar 2001 erstmalig geschehen. Der zuständige Ausschuss der Börse hat der Gigabell AG die Zulassung zur Börsennotierung entzogen. Begründet wird dieser Schritt damit, dass das Unternehmen den Bericht für das dritte Quartal 2000 trotz mehrfacher Mahnungen nicht vorgelegt hat. Gigabell hatte im Herbst als erstes Unternehmen am Neuen Markt Insolvenz angemeldet. Eine Übernahme durch einen finnischen Internetprovider platzte. Wenn die Gigabell-Aktie mit Ablauf des 23. Februar den Neuen Markt verlässt, rückt sie nicht automatisch in das Börsensegment des geregelten Marktes. Dazu müsste sie zusammen mit einem zugelassenen Kreditinstitut erst einen Antrag stellen.
Den Aktionärsschützern gehen die Verschärfungen der Bestimmungen des Neuen Marktes noch nicht weit genug. Sie fordern, dass wie in den USA Aktienkäufe bereits vorher angemeldet werden müssen, dass die Lock-up-Periode verlängert wird und dass die Zulassungsbedingungen für Börsenkandidaten am Neuen Markt verschärft werden.
Ad-hoc-Meldungen: gut gemeint, oft schlecht gemacht
In der schönen neuen Aktienwelt gibt’s das Wort unverzüglich oder ad hoc. Auch wer beim Latinum geschlafen hat, zuckt an der Börse bei einer Ad-hoc-Meldung zusammen, wenn die – von wem auch immer – über den Bildschirm flattert. Sonne oder Gewitter? Schon wieder eine Gewinnwarnung oder diesmal was Positives? Vorstand und Investor-Relations- Abteilung formulieren sie, die Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität in Frankfurt bringt sie unters Volk: an Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Funk und TV. Damit alle gleichzeitig informiert sind und – wie auch immer – handeln können. Alles im Sinne des fairen Anlegerschutzes und genau geregelt. Bei Ankündigungen mit gravierenden Kursfolgen (Verlust- oder Gewinnansage, Fusionsabsichten, drastische Strukturänderungen im Unternehmen) sicherlich auch zweckmäßig.
Oder auch nicht. Was heißt denn erhebliche Kursrelevanz? Schon wenn im Vorstand Stühle gerückt werden, wenn Aufträge kommen oder storniert werden, eine Tochtergesellschaft verkauft, saniert, was immer wird? Könnte ja alles erhebliche Auswirkungen auf den Kurs haben, wenn ein Großauftrag abgesagt, der Finanzvorstand gegangen wird oder Ähnliches. Die Unsicherheit jedenfalls ist seit der Einführung groß. Auch beim Bundesaufsichtsamt, das sich bei Anfragen bedeckt hält und sich höchstens hinterher äußert, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Etwa beim Börsenwert Borussia Dortmund, der ad hoc die Krankheit eines Stürmerstars mit dem Hinweis meldete, er leide an einem Gehirntumor. Das erregte und rührte die ganze Nation: eine Ad-hoc-Meldung über eine Veränderung eines Vermögenswerts in der Bilanz. Doch – es ist ein Mensch und keine Maschine! Muss das sein? Nein, es muss nicht, sagt das Amt. Krankmeldung ja, denn ein wichtiger Aktivposten der Aktiengesellschaft Borussia fällt aus. Das reicht, die Art der Erkrankung ist Intimsphäre.
Solche Klarstellungen wünscht sich die Börse öfter, sonst würden nicht Meldungen ins Kraut schießen, die Marketingabteilungen massenhaft als ad hoc, also höchst wichtig ansehen: Wir haben eine neue Software, unsere Telefontarife werden gesenkt oder am nächsten Montag kommen Analysten zu uns ins Haus. Toll, alles mit erheblicher Kursrelevanz. Die für Anleger wichtigsten Informationen, nämlich die Prognosen, dürfen leider nicht Inhalt von Ad-hoc-Meldungen sein. Genau die wären’s aber, denn an Börsen wird ausschließlich Zukunft gehandelt. Nur neue Tatsachen, die einer objektiven Klärung zugänglich sind, machen den Kohl nicht fett. Die Ad-hoc-Regelung ist wichtig, aber offen für Missbrauch und daher stark verbesserungsfähig.
Ob es früher, zu Zeiten des Börsenaltmeisters André Kostolany, als es noch keine Ad-hoc-Meldungen gab, besser um Informationen bestellt war? Für die Presse und für viele der Börsenteilnehmer auf jeden Fall interessanter. Es gab immer was zu hören und zu sagen, was andere noch nicht wussten. Heute reduziert sich das Parkettgeflüster oft auf belanglose Informationen oder eben nur Gerüchte. Kursrelevante Informationen müssen allen gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden. Wer hat also heute noch einen Informationsvorsprung? Selbst wenn man einen Manager der zweiten Reihe anruft, heißt es: Sony, wir vom Führungskreis dürfen die Informationen aufgrund der Gesetzgebung des Wertpapierhandels nicht nach draußen geben. Also: Auch der normale Mitarbeiter eines Unternehmens ist Insider, darf nichts ausplappern. Wenn’s wichtig ist und es kommt raus, wird er verknackt.
Nur ein Verweis an die Pressestelle oder an die Abteilung Investor Relations ist erlaubt. Nur die sind befugt, etwas zu sagen.
Die Zahl der Ad-hoc-Meldungen ist im Jahre 2000 geradezu explodiert. 1995 verzeichnete das Bundesamt für den Wertpapierhandel gerade einmal 1001 Ad-hoc-Meldungen, 1999 waren es schon 3 417 und 2000 genau 5 693- In sechs Fällen hat das Bundesaufsichtsamt im Jahr 2000 wegen falscher Angaben Bußgelder verhängt, 1999 waren es zwei. Die meisten eingeleiteten Verfahren enden mit einer Einstellung.
Nach der Krise am Neuen Markt fühlen sich inzwischen auch Politiker für die Kleinanleger verantwortlich. Die vom Bundeskanzler im Sommer 2000 eingerichtete Grundsatzkommission Corporate Governance sollte ursprünglich Regeln für Firmenübemahmen und moderne Unternehmensführung aufstellen. Nun hat sie die Aufgabe bekommen festzustellen, ob die Rechte der Kleinanleger nicht auch per Gesetz gestärkt werden müssen. Die Mitglieder der Kommission – Banker, Börsenmanager, Aktionärsschützer, Vorstände börsennotierter Unternehmen, Juristen und Politiker -, sind sich bisher keinesfalls einig. Vor allem die Banker und Börsianer fürchten eine Überregulierung. Auch das Deutsche Aktieninstitut ist der Ansicht, dass keine Gesetzesänderungen nötig sind, es reiche eine bessere Durchsetzung der bestehenden Regeln. Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts, fordert eine starke Börsenaufsicht nach dem Muster der amerikanischen SEC.
Arthur Levitt, ehemaliger Chef der amerikanischen Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission), gilt als Anwalt der Investoren. Er verfolgte vor allem ein Ziel: den Aktienhandel für Privatanleger transparenter zu machen. Aus diesem Grund hat er sich auch viele Feinde an der Wall Street gemacht.
In seinen acht Amtsjahren hat Levitt für den Kleinanleger gekämpft. Dabei hat er den Fondsmanagern und Analysten das Leben schwer gemacht, vor allem denjenigen, die im Fernsehen ihre Tipps zum Besten gaben. Er hat sich auch mit den führenden amerikanischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften angelegt, weil diese immer mehr in das Beratungsgeschäft eingestiegen sind, anstatt ihrer Prüfungsaufgabe nachzugehen. Eine von ihm eingeführte SEC-Regelung verbietet den Wirtschaftsprüfern zwar nicht ganz die (besser als die Prüfung bezahlten) Beratungsgeschäfte, erschwert aber ziemlich stark die Verknüpfung beider Mandate.
Kurz vor seinem Abtritt hat Levitt noch eine ganze Reihe von Regeln zur Verbesserung der Transparenz beim Aktien- und Fondskauf eingeführt. So schaffte er das Privileg der Wertpapieranalysten ab, von den Unternehmen vorher mit kursrelevanten Informationen versorgt zu werden. Den Fondsgesellschaften drückte er einige neue Vorschriften auf, die dem Anleger helfen, Fonds besser vergleichen zu können.