Friedrich Merz warnt: Europa darf sich nicht von den USA abhängig machen
Bei einem Gipfeltreffen in Berlin sprach Bundeskanzler Friedrich Merz am Freitag mit ungewohnter Deutlichkeit über eine Schwäche, die Europa seit Jahren begleitet. Noch immer, so betonte er, sei Deutschland in entscheidenden Fragen der Digitalisierung viel zu abhängig von amerikanischer Software. Cloudlösungen, Betriebssysteme, Datenbanken – zentrale Teile der digitalen Infrastruktur stammen aus den Vereinigten Staaten. Für Merz ist das ein Risiko, das Europa seine Handlungsfreiheit nimmt.
Der Ruf nach digitaler Souveränität
Merz stellte klar, dass es für ihn nicht nur um wirtschaftliche Fragen geht, sondern um die politische Zukunft Europas. „Ich will, dass wir in Europa – nicht nur in Deutschland, sondern als gesamteuropäische Gemeinschaft – unabhängiger werden. Wir müssen souveräner handeln und unsere eigenen Stärken entwickeln“, sagte er vor dem Publikum in Berlin.
Er verband damit die Forderung, dass Europa den Aufbau eigener Rechenzentren und Softwarelösungen deutlich beschleunigen müsse. Wer auf Dauer fremde Plattformen nutze, begebe sich in Abhängigkeiten, die nicht nur teuer, sondern auch gefährlich sein könnten. Datenhoheit sei gleichbedeutend mit politischer Souveränität – eine Einsicht, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker durchgesetzt habe.
Ein verändertes Amerika
Besonders kritisch äußerte sich Merz über die Entwicklung in den USA. Das Land habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Regeln und Prinzipien, die lange Zeit als verlässlich galten, würden zunehmend missachtet. Und selbst ein möglicher Regierungswechsel werde daran nichts Grundsätzliches mehr ändern. „Die Veränderungen sind so tiefgreifend, dass es kein Zurück gibt“, fasste er seine Einschätzung zusammen.
Für Merz bedeutet das: Europa kann sich nicht länger auf die Hoffnung verlassen, dass Amerika automatisch ein stabiler und berechenbarer Partner bleibt. Auch wenn die transatlantische Partnerschaft wichtig bleibe, müsse Europa beginnen, eigene Strukturen aufzubauen.
Europa zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Mahnung des Kanzlers fällt in eine Zeit, in der die Europäische Union bereits Initiativen gestartet hat, um digitale Eigenständigkeit zu fördern. Programme wie GAIA-X sollen eine europäische Cloud-Infrastruktur schaffen. Doch bisher sind die Fortschritte überschaubar, viele Projekte bleiben in politischen Abstimmungen oder bürokratischen Details stecken. Gleichzeitig drängen amerikanische und asiatische Konzerne immer stärker in den europäischen Markt – mit großem technischen Vorsprung und nahezu unbegrenzten Ressourcen.
Für Merz ist das ein Weckruf. Europa dürfe nicht weiter zusehen, sondern müsse entschlossen handeln. Es gehe darum, eigene Technologien zu entwickeln, Talente im eigenen Kontinent zu halten und die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Nur so könne Europa auf Augenhöhe mit anderen Weltmächten bestehen.
Ein Appell an die Zukunft
Die Botschaft des Kanzlers ist klar: Digitale Souveränität ist keine abstrakte Idee, sondern eine Überlebensfrage. Wer seine Daten nicht selbst kontrolliert, verliert mittelfristig auch die Fähigkeit, über seine Politik und Wirtschaft frei zu entscheiden. Für Merz ist der Weg eindeutig: weniger Abhängigkeit, mehr Selbstvertrauen, mehr Investitionen in eigene Lösungen.
Ob Europa diesen Weg tatsächlich einschlagen wird, bleibt offen. Doch eines machte Merz in Berlin unmissverständlich deutlich: Wenn Europa seine digitale Zukunft nicht selbst gestaltet, wird es von anderen gestaltet werden.
FAQ
Was bedeutet digitale Souveränität?
Die Fähigkeit von Staaten, Unternehmen und Bürgern, zentrale digitale Infrastrukturen, Daten und Schlüsseltechnologien eigenständig zu kontrollieren, zu gestalten und zu betreiben – ohne kritische Abhängigkeiten von externen Anbietern.
Warum ist Abhängigkeit von US-Software problematisch?
Sie kann zu strategischen Risiken führen: Preis- und Vertragsmacht liegt bei Dritten, Datenabflüsse sind schwerer kontrollierbar, und politische oder rechtliche Änderungen im Ausland können direkte Auswirkungen auf Europa haben.
Welche Rolle spielen europäische Rechenzentren?
Sie ermöglichen Datenspeicherung und -verarbeitung unter europäischem Recht, stärken Datenschutz und Compliance und schaffen die Grundlage für eigene Cloud- und Plattformdienste.
Wie könnten Unternehmen konkret unabhängiger werden?
Durch den Einsatz europäischer Cloud-Angebote, Open-Source-Lösungen, Multi-Cloud-Strategien, Datentreuhand-Modelle und klare Exit-Strategien aus proprietären Ökosystemen.
Gefährdet mehr Eigenständigkeit die transatlantische Partnerschaft?
Nicht zwangsläufig. Ziel ist Risikostreuung und Resilienz, nicht Abschottung. Kooperation bleibt wichtig, aber kritische Abhängigkeiten sollen reduziert werden.
Welche politischen Schritte sind kurzfristig sinnvoll?
Vereinfachte Förderverfahren, gemeinsame europäische Standards, öffentliche Beschaffung mit Souveränitätskriterien, Förderung von Pilotprojekten und Fachkräfteprogramme.
Welche Branchen profitieren zuerst?
Öffentlicher Sektor, Gesundheit, Industrie 4.0, Energie und kritische Infrastruktur – überall dort, wo Datenhoheit, Verfügbarkeit und Compliance geschäftskritisch sind.
Welche Hürden gibt es für KMU?
Kosten, Fachkräftemangel, Lock-in in bestehende Systeme und fehlende Transparenz über europäische Alternativen. Beratungs- und Migrationsprogramme können helfen.
Reicht Open Source allein für Souveränität?
Open Source ist ein wichtiger Baustein, ersetzt aber nicht Betrieb, Sicherheit, Support und Governance. Es braucht Ökosysteme aus Anbietern, Betreibern und Communitys.
Woran lässt sich Erfolg messen?
An sinkenden Lock-in-Risiken, höherem Anteil europäischer Dienste in Kernsystemen, klaren Exit-Strategien, verbesserten Sicherheits- und Compliance-Nachweisen sowie wachsenden europäischen Tech-Ökosystemen.