Wer sich mit der Börse befasst, muss ständig bereit sein für Neues und für Veränderungen. Er muss immer schneller werden und darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Die Börse ist voller Widersprüche und voller Überraschungen. Die Börse ist verrückt, und sie kann für manche zu einem großen Risiko werden. Es gibt immer neue Facetten des Börsengeschehens. Das macht vielleicht auch ihre Faszination aus.
Der Market lebt
Der amerikanische Professor Benjamin Graham wird vielen deutschen Lesern nicht mehr bekannt sein, denn er starb bereits 1976. Einer seiner Schüler war Warren Buffett, der die Ratschläge Grahams sein Leben lang befolgte. In dem Buch Intelligent investieren beschreibt Graham die Börse als eine Person, den Mr. Market.
Man soll sich nun vorstellen, dass man mit diesem Mr. Market als Partner gemeinsam eine Firma betreibt. Allerdings hat Mr. Market eine ganz erhebliche Macke: Jeden Morgen, bevor Sie mit der Arbeit beginnen, erscheint er bei Ihnen und macht Ihnen das Angebot, Ihren Geschäftsanteil an der Firma zu kaufen oder auch seinen an Sie zu verkaufen. Dabei macht er jeden Tag ein neues Angebot, das sich von dem des Vortages manchmal ganz erheblich unterscheidet, obgleich die wirtschaftlichen Verhältnisse Ihres gemeinsamen Unternehmens recht stabil sind. Die Ursache für das Verhaltens Ihres Partners Mr. Market liegt in seiner Krankheit. Er ist nämlich manisch-depressiv.
Manchmal sieht er Ihre gemeinsamen Geschäftserfolge im rosigsten Licht und möchte Ihre Anteile am Unternehmen um jeden Preis kaufen, doch dann wieder ahnt er in der Zukunft drohende Veränderungen, die ihn tief bedrücken, und er hat nur noch ein Ziel vor Augen: seine Anteile zu verkaufen, und zwar um jeden Preis!
Da Sie nun schon eine Zeit lang mit ihm Zusammenarbeiten, kennen Sie diese Macken und wissen, dass es ihm überhaupt nichts ausmacht, wenn Sie nicht auf seine Angebote eingehen. Am nächsten Tag ist er wieder bei Ihnen und macht Ihnen einen erneuten Vorschlag. Sie stehen also jeden Tag vor der Wahl, auf die Vorschläge von Mr. Market einzugehen oder nicht. Da Mr. Market nun aber keine echte Person ist, brauchen Sie auch keine Skrupel zu haben, auf seine Vorschläge einzugehen, wenn diese für Sie besonders günstig zu sein scheinen. Kaufen Sie die Firmenanteile von ihm, wenn Sie darin einen Vorteil sehen, oder verkaufen Sie ihm Ihre. Handeln Sie stets so, wie es Ihrem eigenen Vorteil entspricht, aber bedenken Sie stets, dass Ihr Unternehmen im Prinzip solide funktioniert und dass nur Mr. Market seine allmorgendlichen verrückten Anwandlungen hat.
Lassen Sie sich nicht selbst von ihm verrückt machen, indem Sie seine Vorschläge für der Weisheit letzten Schluss halten. Mr. Market ist Ihr Partner, der Ihnen nichts übel nimmt und der ein bisschen verrückt ist. Aber er ist nicht Ihr Chef.
Diese Beschreibung der Börse als Mr. Market hat Benjamin Graham in den Grundzügen schon in den dreißiger Jahren entwickelt, und es hat sich zumindest an der Krankheit des Mr. Market bis heute nicht viel geändert. Aus dem gleichen Grund haben auch noch viele der alten Börsenweisheiten ihre Berechtigung behalten.
Computer sind auch nur Menschen
Der 3. Januar 2001 war einer der zugegeben immer seltener werdenden Aufreger-Tage an der Börse. Völlig überraschende Zinssenkung in den USA, es war 19 Uhr MEZ. Wie eine Rakete schoss der Index DAX an der schwarzen Tafel senkrecht in die Höhe, bewegt! durch riesige Kaufaufträge innerhalb von Sekunden. Einige riefen zwar unwissend: Die Tafel ist kaputt! Das gibt’s doch nicht. Schon wieder so’n blöder Fehler der Technik! Von wegen: Die (rote) Eilmeldung der Nachrichtenagentur Reuters war gleichzeitig auf allen Bildschirmen und löste fast panikartige Käufe aus. Die bisher friedlich vor sich hin dümpelnde Frankfurter Börse vibrierte ähnlich wie vorher nur am 11. März 1999, als Oskar Lafontaine als Finanzminister zurücktrat. Jubel und fast ein Aufschrei auf allen Computern. Sage niemand, die hätten keine Emotionen. Also mussten auch wir unseren Tagesplan komplett umschmeißen und den Leuten erklären: Warum jubelt die Börse bei einer mickrigen Zinssenkung (0,25 Prozent) im fernen USA und warum war gerade sie zu Beginn des Jahres psychologisch so wichtig? Das Witzige war: Die nächste Zinssenkung im selben Monat wurde an den Börsen fast emotionslos aufgenommen. Denn die war erwartet worden, die am 3- Januar eben nicht.
Bei einzelnen Werten hat es solche rasanten Kursveränderungen schon öfter gegeben (am Neuen Markt bis zu 300 Prozent), aber nicht beim DAX!