Nutzen
Lernen Sie einige Stolpersteine in der Gruppenarbeit kennen, die von der persönlichen Einstellung der Beteiligten und ihrer Interaktion abhängen und die Sie unbedingt vermeiden sollten. Sie möchten aus der Gruppenarbeit natürlich einen Nutzen ziehen. Ganz klar, sonst würden Sie sich ja nicht mit anderen zusammenschließen. Sie möchten auch einen Beitrag zum Erfolg der Gruppe leisten (das sollten Sie jedenfalls, sonst wären Sie bei der Gruppenarbeit falsch) – aber fair sollte es sein. Nicht wahr? So kann es funktionieren!
Soziales Faulenzen
Der Peter der macht’s dann schon. Da sind immer welche dabei, die hören nur zu, obwohl sie ganz viel wissen, Die wollen ja nur meine Informationen haben und bringen selbst gar nichts. Das hat fast jeder von Ihnen schon einmal in einer Gruppe erlebt. Ein oder mehrere Gruppenmitglieder halten sich in der Zusammenarbeit unbewusst zurück – und leisten in der Gruppe weniger, als wenn sie alleine arbeiten würden. Sie bringen weder neue Ideen in die Gruppe ein, arbeiten nicht aktiv an Problemlösungen mit und übernehmen keine persönliche Verantwortung für die Ergebnisse. Dieses Phänomen wurde schon Mitte der 1880er Jahre von dem französischen Agraringenieur Mix Ringelmann erkannt und ist heute auch unter dem Begriff Social Loafing (soziales Faulenzen) oder Ringelmann- Effekt bekannt.
Experiment
Ringelmann wollte die Effektivität landwirtschaftlicher Maschinen und Arbeiten testen. Dazu startete er ein Experiment mit einem interessanten Ergebnis:
Er ließ dazu Studenten an einem Tau ziehen. Erst allein, dann zu zweit, danach zu dritt und zu acht. Dabei maß er jedes Mal, wie kräftig die Studenten zogen. Er ging davon aus, wie Sie sicherlich auch, dass die Kraft mit zunehmender Zahl der Studenten proportional steigt. Das Ergebnis war jedoch erstaunlich: Ein Student zog durchschnittlich 63 Kilogramm. Drei Studenten zogen 160 Kilogramm (statt der erwarteten 189) und acht schafften sogar nur noch 248 Kilogramm (statt 504 kg). Je größer also die Gruppe wurde, umso weniger strengte sich der einzelne Student an. Bei acht Studenten investierte jeder nur noch seine halbe Kraft. Ringelmann ging damals von technischen und organisatorischen Ursachen aus. Erst Anfang der 1970er Jahre wurden die psychologischen Ursachen dieser Beobachtung untersucht. Wissenschaftler wie Alan G. Ingham von der Universität Washington trugen maßgeblich zu der Erkenntnis bei, die Sie alle sicherlich kennen: Dieser Leistungsnachlass, der meistens unbewusst passiert, ist in der Motivation der Gruppenmit-glieder begründet (vgl. Leitl 2007).
Sind die Bedingungen in der Gruppe ungünstig, kann es passieren, dass manche Gruppenmitglieder kaum Beiträge leisten und auf die anderen wie Trittbrettfahrer wirken. Besonders bei der Gruppenarbeit, aus der gemeinsame Ergebnisse erwartet werden, wie z.B. Referate oder Gruppenprüfungen, wirkt das soziale Faulenzen sehr demotivierend.Die Ursachen liegen also sowohl bei dem sogenannten Trittbrettfahrer, aber auch in der Gruppe selbst. Die Probleme bei der Organisation besprechen wir im folgenden Artikel, bleiben wir erst noch bei den beteiligten Personen selbst.
Persönliche Gründe
Die persönlichen Ursachen liegen in der geringen Motivation einiger Teilnehmer. Warum aber ist oder wird die Motivation geringer?
Dafür lassen sich bei der Gruppenarbeit hauptsächlich zwei Gründe finden. Die Motivation ist beeinträchtigt,
■ wenn Sie sich persönlich keinen Vorteil von der Gruppenarbeit versprechen.
■ wenn sich kein persönlicher Verantwortungsbereich für das Gelingen der Gruppenaufgabe erkennen lässt.
Wenn sich also bei Gruppenaufgaben am Ende keine Ergebnisse zuordnen lassen und die Leistungsunterschiede der einzelnen Gruppenmitglieder nicht deutlich werden, dann verliert das persönliche Leistungsvermögen seine motivierende Kraft.
Ja, wenn ich meinen Beitrag im Endergebnis gar nicht wiedererkenne, dann ist er ja auch gar nicht wichtig. Dann kann die Gruppe auch gut darauf verzichten.
Genau – und dann hat die Gruppe den (oder auch mehrere) Triitbrettfahrer, der sich nicht mehr groß einbringt. Wenn sich in einer Gruppe der Virus des sozialen Faulenzens erst mal breitgemacht hat, taucht in der Regel auch das folgende Phänomen auf:
Sucker-Effekt
Ich bin doch nicht der Depp!
Am Emde halte ich keine Lust mehr, der Dumme zu sein und als Einziger noch etwas zu tun, da haben wir das Ganze aufgegeben. Diese Einstellung hat einen treffenden Namen bekommen: Sucker-Effekt (Sucker = Dummkopf, Depp) und ist eigentlich eine logische Konsequenz des ausgeprägten sozialen Faulenzens in einer Gruppe. Der Begriff wurde von Kerr (vgl. Kerr 1983) geprägt, der dabei von der Gerechtigkeitsvorstellung der beteiligten Personen ausging (vgl. Vogt 2004).
Gerechtigkeit
Was hat denn nun Gerechtigkeit mit der Gruppenarbeit zu tun? In der Regel passen Menschen in einer Gruppe ihre Leistungsbereitschaft den anderen an. Wenn also die meisten Gruppenmitglieder hoch motiviert sind und Leistung bringen wollen, werden sich auch die vielleicht zuerst nicht ganz so motivierten Teilnehmer anpassen. Das ist durchaus ein Vorteil der Gruppenarbeit, weil man sich hier gegenseitig motiviert. Wenn aber einige Mitglieder nun feststellen: Da sind welche, die tun weniger als sie. Die könnten es aber eigentlich. Sie leisten also nicht deshalb weniger, weil sie nicht mehr leisten können, sondern weil sie sich scheinbar nicht genug anstrengen. Dann werden auch die ehemals leistungswilligen Gruppenmitglieder sich anpassen. Sie werden nämlich ebenfalls ihre Anstrengungen reduzieren. Weil sonst wäre das ja ungerecht! In letzter Konsequenz führt dies dazu, dass sich die Mitglieder einer Gruppe auf die Leistungen der anderen Gruppenmitglieder verlassen, die aber aufgrund der verminderten Anstrengung der anderen wiederum, ebenfalls zu weniger Leistung bereit sind. Das Ergebnis ist klar.
Matthäus-Effekt
Noch ein drittes Problemwollen wir hier vorstellen:
Da mache ich es lieber selbst.
Das kann ich nicht, mach du.
Wenn die Literatur von den anderen rausgesucht wird, fehlt eh wieder die Hälfte. Das mit dem Powerpoint kriege ich nie hin, mach du das mal lieber, du kannst das doch ruck, zuck.
Den Matthäus-Effekt kennen Sie nur zu gut, auch wenn Sie vielleicht bisher nicht wussten, wie er heißt. Dieser Begriff der Handlungsleitenden Soziologie bezieht sich auf folgende Äußerung im Evangelium nach Matthäus: Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat. (Matthäus 25, 29). Hieraus leiteten sie die Gesetzmäßigkeit für dieses Phänomen ab.
Natürlich ging es im Matthäus-Evangelium um etwas ganz anderes, als heute unter diesem Effekt verstanden wird:
Wer viel weiß, lernt viel dazu. Der Matthäus-Effekt geht davon aus, dass neues Wissen auf vorhandenem Wissen aufbaut. Je mehr Vorwissen jemand hat, umso mehr Nutzen kann er aus neuen Informationen gewinnen. Ein sehr leistungsstarkes Gruppenmitglied wird aus der Arbeit in der Gruppe mehr Gewinn ziehen als ein leistungsschwacher Teilnehmer. Wer in einer Gruppe viel weiß, macht viel und lernt viel dazu. Wer wenig weiß und sich wenig zutraut, überlässt die Aufgaben lieber den anderen und lernt auch nur wenig. Und man kann noch einen Schritt weiter gehen: Was Sie gut können, lernen Sie dadurch noch besser, und was Sie nicht können, lernen Sie immer noch nicht.
So sieht das in der Praxis der Gruppenarbeit dann aus: Die Gruppenmitglieder mit einem hohen Vorwissen und einer hohen Motivation übernehmen bereitwillig und gerne die schwierigen Aufgaben. Sei es, weil sie die Ergebnisse der anderen nicht für gut genug erachten, weil es ihnen zu lange dauert oder weil sie bewusst ihr Wissen festigen wollen.
Sie lernen dadurch immer mehr, sie werden immer besser. Die leistungsschwächeren Gruppenmitglieder trauen sich angesichts der Superstudis erst recht nichts mehr zu und geben Aufgaben, die sie nicht gut erfüllen können oder bei denen sie Versagensängste haben, gerne ab. Sie beschränken sich auf das, was sie sowieso gut können, und nehmen sich die Chance, sich an schwierigen Aufgaben zu üben.
Typische Fehler
■ Lerngruppen werden sehr spontan gebildet.
■ Lerngruppen werden als reine Nachhilfestunden verstanden.
■ Gruppenmitglieder werden nur nach Sympathie ausgesucht.
■ Leistungsschwache suchen sich sehr leistungsstarke Dozenten aus.
■ Gruppen werden zu groß gebildet.
■ Lernaktionen in der Gruppe werden nicht organisiert und vorbereitet.
■ Individuelle Leistungsstände werden nicht klargestellt.
■ Lernkapazitäten werden nicht beachtet.
■ Lernerwartungen werden nicht geklärt.
■ Lernmethoden werden nicht abgestimmt.
■ Einzelaufgaben werden nach Können verteilt.
■ Über nachlassende Motivation und enttäuschte Erwartung wird nicht oder zu spät gesprochen.
Das bringt Sie weiter
■ Überlegen Sie einmal, mit welcher Einstellung Sie sich an der Gruppenarbeit beteiligen. Sind Sie eher der Trittbrettfahrer oder tendenziell der Depp?
■ Haben Sie schlechte Erfahrungen mit der Gruppenarbeit gemacht?
■ Tauschen Sie bei der nächsten Gruppenarbeit Ihre bisherige Erfahrung vorher mit den anderen Gruppenmitgliedern aus.
■ Suchen Sie sich einmal ganz bewusst andere Partner für die Gruppenarbeit aus, die gar nicht zu Ihrem bisherigen Muster passen. Als ewiger Depp suchen Sie sich mal andere Deppen aus – also Partner, die mindestens genau so leistungswillig und -stark sind wie Sie. Als Trittbrettfahrer suchen Sie sich mal andere bekannte Trittbrettfahrer aus.
■ Wenn die alten Rollen und Muster nicht mehr funktionieren, können Sie ganz neue Erfahrungen in der Gruppe machen. Fordern Sie sich zu neuen Lernerfahrungen heraus!