Tatsächlich zeigte sich, dass es Anlagestrategien gibt, die langfristig eine höhere Rendite als der Markt erzielen. Sie beruhen auf so genannten Marktanomalien; das sind besondere Phänomene, die man sich in der Strategie zunutze machen kann. Ein solches Phänomen ist beispielsweise der so genannte Januar-Effekt. Langfristige Untersuchungen, die sich auf einen Zeitraum von 1904 bis 1974 erstreckten, zeigten augenscheinlich, dass die Aktienkurse generell im Januar am stärksten steigen. Der Januar ist mit Abstand der beste und gewinnträchtigste Monat im ganzen Jahr. Insbesondere die erste Januarwoche zeichnet sich durch eine überdurchschnittliche Wertentwicklung aus. Anleger, die im Januar investiert waren, erzielten im Durchschnitt eine Rendite, die um 3 Prozentpunkte höher lag. Als Ursache vermutet man, dass manche Anleger vor Weihnachten ihr Depot leeren, um entspannt den Weihnachtsurlaub genießen zu können oder um die Depotgebühren zu sparen, da zumindest früher viele Banken die Gebühr nach einem Stichtag am Jahresende berechneten. Eine andere Vermutung lautet, dass Investmentfonds, die Milliardensummen verwalten, zum Jahresende Nieten aus dem Portfolio werfen, um im Abschlussbericht vor den Anlegern besser dazustehen. Ein solches Vorgehen nennt man „Window Dressing“.
Dennoch überzeugen die vorgebrachten Erklärungsversuche nicht, denn aufgrund dieser Verkäufe müssten die Aktienkurse im Dezember sinken, was aber nicht der Fall ist. Der Dezember ist vielmehr ein relativ guter Börsenmonat. Wahrscheinlicher ist, dass der Januar-Effekt durch die Zuversicht und den Optimismus der Marktteilnehmer ausgelöst wird, wenn nach der Silvesternacht das neue Jahr beginnt.
Insgesamt ist die Wertentwicklung in den einzelnen Monaten sehr unterschiedlich. Als die besten Monate gelten der Januar und der Februar. Die Aufwärtstendenz hält in der Regel mit einer immer schwächer werdenden Performance bis April an. Der Mai ist bereits ein sehr mäßiger Börsenmonat und kann bereits mit größeren Kursrückgängen verbunden sein. Ein altes Börsensprichwort lautet deshalb: „Seil in May and go away.“ Die nachfolgenden Sommermonate, in denen anscheinend viele Anleger Urlaub machen, sind sehr schwach. Der gefährlichste Monat ist übrigens der September. Langfristige Untersuchungen konnten zeigen, dass im September die größten Kursverluste entstehen. Landläufig gilt der Oktober als Katastrophenmonat, wenngleich der September im Langfristvergleich noch schlechter abschneidet. Der Oktober wird deshalb als Krisen- und Katastrophenmonat angesehen, weil sich zu dieser Zeit mehrere schwere und verhängnisvolle Crashs ereigneten. So begann die desaströse Weltwirtschaftskrise von 1929 im Oktober und führte selbst bei Standardwerten zu Kurseinbrüchen von mehr als 90 Prozent. In der Wall Street stürzten sich viele Spekulanten in ihrer Verzweiflung aus dem Fenster, und die nachfolgende Massenarbeitslosigkeit brachte fast die gesamte westliche Welt an den Rand eines Abgrunds. Ein anderer fataler Crash fand ebenfalls im Oktober statt: am 19.10.1987 fielen die meisten großen Börsen um mehr als 20 Prozent. Der amerikanische Aktienindex S&P 500 verlor an diesem Tag mehr als 23 Prozent. Besonders gefürchtet ist der Freitag im Börsenmonat Oktober.
Als Anleger sollten Sie daher Folgendes beherzigen: In der Regel, auch wenn es in manchen Jahren kleinere Abweichungen oder Besonderheiten geben mag, ist der Januar der beste Monat, vor allem die erste Woche nach dem Jahreswechsel. Der positive Trend hält normalerweise mit sich abschwächender Tendenz bis
März. In diesen Monaten sollten Sie auf jeden Fall investiert ein.
Problematisch wird es im Monat Mai, der bereits mit heftigen Kursrückgängen einsetzen kann. Diese turbulente Zeit mit fallenden Kursen hält den ganzen Sommer an. Der Höhepunkt ist im September erreicht; dann drohen gravierende Verluste. Auch der Oktober als häufiger Krisenmonat hat schon vielen Anlegern schwerste Verluste und dramatische Crashs eingebracht. Erst im Dezember beginnt wieder die zaghafte Erholung der Kurse. Auf den Grundlagen dieser Erkenntnisse wurden saisonale Anlage Strategien entwickelt.
Ein anderes Phänomen ist der Monatswechsel-Effekt; die Kursgewinne sind immer zum Monatswechsel höher als in der Mitte des Monats. Vermutlich liegt dies daran, dass dann die Gehälter ausgezahlt werden und mehr Kleinanleger sich entscheiden, Wertpapiere zu kaufen.
Andere wichtige Marktanomalien beruhen auf Besonderheiten der Kennzahlen. So hat man herausgefunden, dass Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis langfristig den Markt übertreffen. Da bei ihnen die Relation von Kurs und Gewinn günstig i(, haben sie im übertragenen Sinne ein besseres „Preis-Leistungs- Verhältnis“, wenngleich es auch hier Einschränkungen gibt. Aktien mit einem besonders niedrigen KGV performen oft schlechter als der Gesamtmarkt. Aktien mit einem niedrigeren Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und einem günstigen Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) schneiden besser ab als der Gesamtmarkt.
Detaillierte Untersuchungen haben noch andere Zusammenhänge zutage gefördert, die bisweilen einen kuriosen Anschein erwecken. So hat man herausgefunden, dass die Börsenkurse eher bei Sonnenschein steigen als an Regentagen, was nur den großen Einfluss psychologischer Faktoren unterstreicht. Anscheinend haben die Anleger bei sonnigem Wetter eine größere Kauflaune. Auch die Zahl der Sonnenflecken übt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen aus. Darüber hinaus stellte man fest, dass die Rocklänge ein Indikator für die Inflationsentwicklung sein kann. Als 1923 in Deutschland eine Hyperinflation ausbrach, bei der man bereits für einen Laib Brot Millionen Reichsmark zahlen musste, trugen die Damen sehr kurze Röcke, was auch in den inflationsgebeutelten 1970er Jahren der Fall war, als die Minirockmode aufkam. Um das Jahr 2000 hingegen, als in vielen Ländern die Inflation deutlich zurückging und in Japan schon fast deflationäre Tendenzen sichtbar wurden, kamen knöchellange Röcke in Mode, wie man sie bereits in der Belle Epoque um 1900 getragen hatte.