Entgegen landläufiger Meinung sind nicht alle Aktien börsennotiert, sondern etliche Aktien werden privat platziert, d.h. die Aktiengesellschaft verkauft die Aktien direkt an private oder institutionelle Anleger. Wenn Ihnen ein solches Angebot in den Briefkasten flattert, sollten Sie Vorsicht walten lassen; denn solche Angebote können dubios sein, da diese Aktien nicht der Börsenaufsicht unterliegen. Darüber hinaus ist es sehr schwierig, solche Aktien wieder zu verkaufen. Ähnlich wie bei GmbH-Anteilen müssen Sie nämlich erst jemanden finden, der sie Ihnen abkauft. Da diese Aktiengesellschaften meist wenig bekannt sind, sind die Chancen dafür sehr gering. Kaufen Sie also im Zweifelsfall niemals Aktien, die nicht börsennotiert sind.
Obwohl es in den letzten Jahren deutliche Reformen gab und es inzwischen möglich ist, ein Unternehmen sofort als Aktiengesellschaft zu gründen, hat es sich eingebürgert, Unternehmen erst ein paar Jahre aufzubauen, bevor sie den Börsengang antreten können.
Die Konsortialbanken, die für den eigentlichen Börsengang zuständig sind, prüfen die Voraussetzungen sehr genau und erwarten eine solide Finanz- und Ertragslage und kontinuierlich steigende Umsätze. Zu Zeiten der New Economy und des Internetbooms, der 1999 einsetzte, strömten Hunderte von Unternehmen an die Börse, bei denen die Eignung oft fragwürdig war. Die Euphorie
der Massen führte dazu, dass auch Dot*coms eine Chance erhielten, deren wirtschaftliche Aussichten bei nüchterner Betrachtung eher schlecht waren. Man hatte damals eigens ein Börsensegment für diese Technologiewerte geschaffen, das als „Neuer Markt“ bezeichnet wurde. Viele europäische und außereuropäische Länder schufen ähnliche Börsenabteilungen, an denen vor allem vermeintlich innovative Technologieaktien notierten, die der Internet-, Telekommunikations- oder Medienbranche angehörten. Ein neuer Index namens NEMAX spiegelte den unglaublichen Aufstieg dieses Segments wider. Der Höchstwert des NEMAX erreichte über 9000 Punkte; in den Jahren danach setzte ein in der Börsengeschichte einmaliger Crash ein, der den NEMAX auf unter 900 Punkte fallen ließ. Viele Internetwerte waren im Jahre 2003, als der Tiefststand erreicht wurde, nur ein Zehntel oder noch weniger wert. Etliche Unternehmen gerieten in den Verdacht der Bilanzmanipulation und anderer illegaler Praktiken und mussten Insolvenz anmelden.
Als Anleger sollten Sie Neuemissionen kritisch betrachten; zwar gibt es in diesem Bereich die Möglichkeit, in kurzer Zeit beträchtliche Gewinne zu erzielen, aber einige der Aktien, die neu an die Börse kamen, verloren schon nach wenigen Wochen erheblich an Wert oder gingen sogar Pleite. Neuemissionen sind daher besonders risikoreich. Enormen Gewinnchancen stehen dramatische Verluste gegenüber. Ein Spitzenjahr der Neuemissionen war 1999, als mehr als 170 Aktiengesellschaften an die Börse kamen. Damals konnten Anleger praktisch blind zeichnen und erzielten über Nacht Riesengewinne. Doch schon einige Jahre später stürzten viele der vermeintlich gewinnträchtigen Technologiewerte wie Kartenhäuser in sich zusammen und rissen die Anleger mit in den Abgrund.
Man nennt den Börsengang eines Unternehmens im Englischen IPO oder „Initial Public Offering“ (öffentliches Zeichnungsangebot). Um eine Neuemission zu kaufen, müssen Sie bei Ihrer Bank solche Aktien „zeichnen“. Sie werden dann für den Kauf noch vor der ersten Börsennotierung vorgemerkt. In der Praxis sind viele Anleger und institutionelle Investoren daran interessiert, solche Neuemissionen zu erwerben. Denn wenn man auf das richtige Unternehmen gesetzt hat, können die Kursgewinne innerhalb weniger Monate oder eines Jahres beträchtlich sein. Während der Boomphase des neuen Marktes im Jahre 1999 erreichten manche Neuemissionen innerhalb von Monaten Wertsteigerungen von mehreren hundert Prozent. Solche Kursgewinne sind inzwischen seltener geworden, da nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes die Anleger vorsichtiger geworden sind. Doch auch mit den Neuemissionen der letzten Jahre konnte man in einem Jahr durchaus zwischen 20 und 100 Prozent erzielen. Was man allerdings bedenken sollte ist, dass es neben den Highflye und den Börsengewinnern etliche Unternehmen gibt, deren Aktienkurs nur nach unten zeigt. Am Ende einer solch unrühmlichen Talfahrt steht oft die unvermeidliche Pleite. Seien Sie also vorsichtig und prüfen Sie das Unternehmen sorgfältig. Lassen Sie sich nicht von Werbekampagnen und vollmundigen Slogans blenden: Jedes Unternehmen, das an die Börse geht, versucht, durch eine Flut von Werbespots die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erringen. Besonders bitter in Erinnerung ist die Werbekampagne der Deutschen Telekom, die Mitte der 1990er Jahre an die Börse ging und dort schon als zukünftige Volksaktie firmierte. Der Aktienkurs stieg auch innerhalb weniger Jahre dank des Internetbooms und der Euphorie am Neuen Markt auf unerwartete Höchststände. Mutige Anleger konnten ihr eingesetztes Kapital vervielfachen; doch dann setzte eine verhängnisvolle Talfahrt ein, so dass Anleger, die die Aktie zehn Jahre gehalten haben, inzwischen nur wenig mehr als den ursprünglichen Einstandskurs erreicht haben. Der starke internationale Wettbewerb, die enormen Veränderungen im Markt durch technische Innovationen wie DSL, WLAN, UMTS und Internettelefonie haben viele große Telekommunikationsunternehmen zu Verlierern gemacht. Als die Aktie jedoch an die Börse kam, zeichneten sich diese Entwicklungen erst in den Anfängen ab, so dass kaum jemand ahnen konnte, wie drastisch die Preise für Telekommunikation sinken würden.
Wenn Sie daher eine Neuemission kaufen möchten, nehmen Sie das Unternehmen kritisch und sorgfältig unter die Lupe. Welche Zukunftsaussichten hat das Unternehmen tatsächlich? Wie sehen die Märkte aus? Langfristige Untersuchungen haben ergeben, dass viele Neuemissionen trotz großer Versprechungen sich später schlechter entwickeln. Im Zeitraum von 1997 bis 2003, der den fulminanten Aufstieg der Technologiewerte und den Internetboom bis zum völligen Crash des neuen Marktes beschreibt, notierten über 90 Prozent aller Neuemissionen unter dem Ausgabewert. Angesichts solcher Zahlen sollten Sie äußerste Vorsicht walten lassen. Auch bei den Venture-Capital-Unternehmen, deren Hauptaufgabe es ist, neu gegründete Unternehmen durch so genanntes Wagniskapital in ihrer Expansion zu fördern und später auf den Börsengang vorzubereiten, ist es eine Erfahrungsregel, dass von 10 geförderten Unternehmen nur eines zum Börsenstar avanciert; vier entwickeln sich durchschnittlich bis mäßig, und der Rest erweist sich als erfolglos. Die meisten Unternehmen scheitern im vierten Jahr nach der Gründung.
Für viele Anleger ist es zudem schwierig, bei einer Neuemission zum Zuge zu kommen; denn die Banken, die die Aktie an die Börse bringen, die Konsortialbanken, bedienen ihre eigenen Kunden vorrangig; häufig ist es sogar so, dass vermögende Kunden bevorzugt werden, auch wenn die Kreditinstitute dies nie offiziell zugeben würden. Daher eröffnen gerissene Anleger ein zusätzliches Wertpapierdepot bei einer Bank, die am Emissionsverfahren beteiligt ist. Dennoch lohnt es sich für Sie nicht, bei jeder interessanten Neuemission ein neues Wertpapierdepot bei einer anderen Bank einzurichten, denn Sie verzetteln sich dadurch. Es kann nämlich wichtig sein, dass Sie Ihre Wertpapiere bei einer Bank verwalten, wenn Sie beispielsweise eine Baufinanzierung oder einen größeren Kredit benötigen. Eine Bank, bei der Sie erst einige Monate Kunde sind, wird Ihnen weniger Entgegenkommen bei der Zinshöhe oder bei der Einstufung Ihrer Kreditwürdigkeit zeiggn als Ihre langjährige Hausbank. Bei vielen großen Aktienemissionen, die durch Privatisierung einst staatlicher Unternehmen entstanden, wurde Wert darauf gelegt, dass vor allem Kleinanleger zuerst Aktien erhielten. Beispielsweise hat die Telekom bei Ihrer Emission Zuteilungsklassen definiert; so bekamen Anleger, die zwischen 1 und 150 Aktien geordert hatten, auf jeden Fall den Zuschlag, unabhängig davon, ob sie Kunden bei einer der Konsortialbanken waren oder nicht. Der Emittent kann zudem festlegen, wie groß der Anteil für die institutionellen Anleger sein soll. Eine solche Beschränkung nennt man Kontingentierung.
Insgesamt ist die Zeichnung neuer Aktien eher eine Glückssache. Bei interessanten Neuemissionen sind die Aktien oft mehrfach überzeichnet, d.h. es gibt ein Vielfaches an potenziellen Käufern. Solche Papiere haben oft gute Chancen, innerhalb weniger Tage deutlich anzusteigen. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist die Aktie der berühmten Internetsuchmaschine Google. Für deutsche Anleger ist es allerdings aufwändig, eine ausländische Neuemission zu zeichnen; denn Sie müssen bei der ausländischen Konsortialbank ein Wertpapierdepot unterhalten.
Allerdings kann ein solcher „Run“ auf Neuemissionen auch das Ende einer Börsenhausse signalisieren. Als Siemens Infineon an die Börse brachte, stürmten bereits Hausfrauen, Taxifahrer und Studierende die Banken, um noch rechtzeitig ein Wertpapierdepot zu eröffnen und die Neuemission zu zeichnen. Doch dann brach der Neue Markt plötzlich in sich zusammen, und auch Infineon verzeichnete enorme Kursverluste. Sobald Sie in Boulevardzeitungen, TV-Magazinen und Lifestyle-Zeitschriften eine ausführliche Berichterstattung über die Börse finden, sollten Sie darüber nach- denken, ob möglicherweise unmittelbar eine Korrektur an den Aktienmärkten bevorsteht.
Ein wichtiges Beispiel für Neuemissionen sind Spin-offs. Darunter versteht man die Ausgliederung eines Unternehmensbereichs aus einem Konzern. Dieser Bereich wird zu einem eigenständigen, börsennotierten Unternehmen. Die Altaktionäre erhalten dann Berichtigungsaktien und haben in ihrem Depot zugleich die Aktien des ausgegliederten Unternehmens.
Infineon ist kein Spin-off im engeren Sinne, da in diesem Fall die Altaktionäre nicht beteiligt wurden. Der Unternehmensbereich wurde gleichsam als neue Aktiengesellschaft wieder gegründet, was für den Konzern von Vorteil war. Denn intern waren die Vermögenswerte in der Bilanz durch jahrelange Abschreibungen viel niedriger bewertet als der spätere Börsenwert. Ein ähnliches Beispiel ist die Ausgliederung der Deutschen Postbank aus der Deutschen Post. Für Negativschlagzeilen sorgte T-Online; dieses Unternehmen wurde zuerst aus der Deutschen Telekom ausgegliedert.
Als man bei der Deutschen Telekom die herausragende Bedeutung der Internettechnologie erkannte, beschloss man, sich das Unternehmen wieder einzuverleiben. Viele Aktionäre von T-Online mussten deutliche Einbußen hinnehmen, zumal das Unternehmen durch die Krise der Technologie- und Internetwerte erheblich an Wert verlor.