Nord-Stream-Sabotage: In Polen festgenommener Ukrainer im Fokus deutscher Ermittlungen
Ein neuer Schritt im Rätsel um die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines: In Polen ist ein ukrainischer Taucher festgenommen worden, der von Deutschland wegen mutmaßlicher Beteiligung an den Explosionen gesucht wird. Sein Anwalt bestätigte die Festnahme am Dienstag und kündigte zugleich an, gegen eine mögliche Auslieferung nach Deutschland vorzugehen.
Die Explosionen von 2022 – ein Wendepunkt in Europas Energiekrise
Die Anschläge auf die Pipelines im September 2022 gelten als einer der dramatischsten Momente im Ukraine-Krieg. Innerhalb weniger Stunden wurden drei von vier Strängen der Nord-Stream-Leitungen in der Ostsee zerstört. Diese Leitungen waren Symbol für die enge Energieverflechtung zwischen Deutschland und Russland – und zugleich höchst umstritten, seit Moskau die Ukraine überfallen hatte.
Die Explosionen rissen nicht nur Löcher in die Stahlröhren, sondern auch in Europas Energiesicherheit. Plötzlich war klar: Die Gasversorgung aus Russland würde nicht nur politisch, sondern auch physisch kaum noch eine Rolle spielen. Die Folge waren explodierende Energiepreise, hektische Diversifizierungsmaßnahmen und eine neue strategische Ausrichtung der europäischen Energiepolitik.
Festnahme bei Warschau
Der Verdächtige, Volodymyr Z., wurde nach Angaben seines Verteidigers Tymoteusz Paprocki in einer Kleinstadt nahe Warschau aufgegriffen. Der polnische Sender RMF FM meldete, dass die Festnahme in Pruszków, westlich der Hauptstadt, erfolgt sei.
Paprocki erklärte, die Verteidigung werde die Auslieferung an Deutschland anfechten. Der europäische Haftbefehl sei angesichts des Krieges in der Ukraine rechtlich wie moralisch problematisch: „Die Attacke betrifft eine Pipeline, die teilweise Gazprom gehört – und Gazprom finanziert direkt die russischen Militäroperationen in der Ukraine.“
Juristisches Tauziehen zwischen Polen und Deutschland
Noch ist unklar, ob und wann Volodymyr Z. tatsächlich nach Deutschland überstellt wird. Das deutsche Justizministerium und die Bundesanwaltschaft hielten sich bislang bedeckt. Auch die polnischen Behörden gaben zunächst keine Details bekannt.
Der Fall erinnert an einen weiteren Verdächtigen: Im August 2024 nahmen italienische Ermittler den Ukrainer Serhii K. fest, der im Verdacht steht, die Operation koordiniert zu haben. Ein Gericht ordnete seine Auslieferung nach Deutschland an – doch K. will den Fall vor Italiens Oberstem Gerichtshof anfechten.
Spuren führen zu einem Spezialteam
Deutsche Ermittler gehen nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, Die Zeit und ARD davon aus, dass Volodymyr Z. zu einer kleinen Gruppe gehörte, die die Sprengsätze anbrachte. Hinweise deuten darauf hin, dass es sich um eine professionell geplante Operation handelte – mit erfahrenen Tauchern, modernem Sprengstoff und präziser Logistik.
Auch wenn einzelne Verdächtige ins Visier geraten sind, bleiben die Auftraggeber im Dunkeln. Weder Deutschland noch internationale Partnerstaaten konnten bislang eindeutig klären, wer die Sabotage veranlasst hat.
Russische Anschuldigungen – westliche Zurückweisungen
Moskau macht seit Langem die USA, Großbritannien und die Ukraine verantwortlich. Washington, London und Kiew weisen diese Vorwürfe entschieden zurück. Bis heute hat sich keine Seite offiziell zu der Tat bekannt.
Deutschland, Dänemark und Schweden führten eigene Ermittlungen. Die schwedischen Behörden fanden Spuren von Sprengstoff an den geborgenen Trümmern und bestätigten damit, dass es sich um einen gezielten Anschlag handelte. Dennoch endeten die Ermittlungen in Schweden und Dänemark im Februar 2024 ohne konkrete Ergebnisse – die Täterfrage blieb offen.
Politische Brisanz für Europa
Die Nord-Stream-Anschläge haben nicht nur Energiefragen aufgeworfen, sondern auch das Vertrauen zwischen den westlichen Alliierten belastet. Dass ein europäischer Haftbefehl nun gegen mehrere ukrainische Staatsbürger erlassen wurde, macht die Lage noch komplizierter. Für die Ukraine steht viel auf dem Spiel: Ein Nachweis staatlicher Beteiligung könnte die Unterstützung im Westen gefährden.
Gleichzeitig ringen deutsche Ermittler mit einem Dilemma: Sie müssen den Anschlägen nachgehen, dürfen aber die geopolitischen Folgen nicht ignorieren.
Fazit
Die Festnahme von Volodymyr Z. ist ein weiterer Baustein in einem Fall, der Europa seit zwei Jahren beschäftigt. Auch wenn einzelne Verdächtige gefasst werden, bleiben die zentralen Fragen offen: Wer hat den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines wirklich in Auftrag gegeben? Und welche politischen und rechtlichen Folgen wird dieser Fall noch nach sich ziehen?
Eines ist sicher: Die Nord-Stream-Sabotage ist weit mehr als ein Kriminalfall. Sie ist ein geopolitisches Puzzle, das die Energiepolitik Europas, die internationale Strafverfolgung und das fragile Bündnis zwischen dem Westen und der Ukraine gleichermaßen herausfordert.
FAQ – Festnahme im Nord-Stream-Fall
Wer wurde festgenommen?
Ein ukrainischer Taucher, Volodymyr Z., der von Deutschland per europäischem Haftbefehl wegen mutmaßlicher Beteiligung an den Nord-Stream-Explosionen gesucht wird.
Wo erfolgte die Festnahme?
In der Nähe von Warschau, nach Medienberichten in Pruszków, westlich der polnischen Hauptstadt.
Worum geht es im Kern des Falls?
Um die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee (September 2022), bei der drei von vier Strängen beschädigt wurden und russische Gaslieferungen nach Europa weitgehend ausfielen.
Welche Position vertritt die Verteidigung?
Sie will die Auslieferung nach Deutschland anfechten und verweist u. a. auf den Ukraine-Krieg sowie Gazproms Rolle als Miteigentümer der Leitungen.
Gibt es weitere Verdächtige?
Ja. In Italien wurde zuvor ein Ukrainer (Serhii K.) festgenommen, der die Operation koordiniert haben soll; er wehrt sich gegen die Auslieferung nach Deutschland.
Was ergaben Ermittlungen in Skandinavien?
Schweden fand Sprengstoffspuren an geborgenen Objekten und bestätigte einen gezielten Anschlag. Die schwedischen und dänischen Verfahren wurden später ohne Benennung von Tätern geschlossen.
Was glauben deutsche Ermittler?
Hinweise deuten auf ein kleines, spezialisiertes Team hin; Volodymyr Z. soll nach Medienrecherchen an der Anbringung der Sprengsätze beteiligt gewesen sein.
Wer übernimmt die Verantwortung für die Anschläge?
Bislang niemand. Russland beschuldigt USA, Großbritannien und die Ukraine; diese bestreiten jede Beteiligung.
Welche Bedeutung hat der Fall für Europa?
Er verschärfte die Energiekrise, beschleunigte die Diversifizierung von Gasquellen und belastet die geopolitischen Beziehungen.
Wie läuft eine Auslieferung ab?
Auf Basis des Europäischen Haftbefehls prüft das zuständige polnische Gericht die Zulässigkeit (Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Verhältnismäßigkeit) und entscheidet über eine Übergabe an Deutschland.
Welche Rechte hat der Beschuldigte?
Recht auf anwaltliche Vertretung, Übersetzungen, gerichtliche Prüfung des Haftbefehls, Rechtsmittel gegen Auslieferungsentscheidungen und faire-Verfahrens-Garantien.
Wie geht es jetzt weiter?
Gerichtsentscheid in Polen über die Auslieferung, mögliche Rechtsmittel, anschließend ggf. Übergabe an deutsche Behörden und weitere Ermittlungen/Anklageprüfung.