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Russische Milliarden für Ukraine? Deutschland prüft rechtliche Grundlage für Vermögensbeschlagnahmung

Deutschland erwägt Enteignung russischer Vermögen – doch der rechtliche Balanceakt bleibt riskant

Der Ton wird schärfer – nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in den Konferenzräumen Europas. In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz, dass Deutschland und seine Verbündeten bereit seien, eingefrorene russische Staatsvermögen zu beschlagnahmen – sofern dies rechtlich möglich sei. Eine Aussage mit Signalwirkung.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden weltweit etwa 300 Milliarden US-Dollar an russischen Staatsreserven eingefroren – ein symbolträchtiger und wirtschaftlich bedeutender Akt. Doch was bislang eher als Strafmaßnahme diente, könnte nun zur aktiven Finanzierungsquelle für den Wiederaufbau der Ukraine werden.

„Wenn es rechtlich machbar ist, werden wir es tun“

So nüchtern und bestimmt formulierte es Friedrich Merz. Doch hinter diesem Satz verbirgt sich ein komplexes Geflecht aus völkerrechtlichen Normen, wirtschaftspolitischen Risiken und geopolitischen Abwägungen. Denn einfach so auf Staatsvermögen eines anderen Landes zuzugreifen – selbst im Kontext eines Krieges – ist juristisches Neuland und könnte weitreichende Folgen nach sich ziehen.

„Wir müssen uns auch der Risiken bewusst sein, die ein solcher Schritt für den europäischen Finanzmarkt mit sich bringt,“ warnte Merz im selben Atemzug. Eine Maßnahme, die kurzfristig als Sieg über Moskau erscheinen mag, könnte langfristig das Vertrauen in Europa als sicheren Finanzstandort untergraben.

Was steht auf dem Spiel?

Insbesondere die Europäische Zentralbank und mehrere Finanzministerien innerhalb der EU äußerten sich in den letzten Monaten zurückhaltend. Die Sorge: Wenn Europa beginnt, eingefrorene Staatsreserven zu enteignen, könnte das weltweit Zweifel an der Rechtssicherheit westlicher Finanzsysteme wecken. Länder wie China, Indien oder Brasilien könnten ihre Währungsreserven künftig aus dem Euroraum abziehen – aus Angst, im Konfliktfall ähnlich behandelt zu werden.

Zudem könnte ein solcher Präzedenzfall die Stellung des Euro als globale Reservewährung schwächen – eine Entwicklung, die Europa teuer zu stehen käme.

Mehr als nur Vermögen: Weitere Sanktionen geplant

Merz kündigte neben der Debatte um die Vermögenswerte auch weitere Sanktionspakete gegen Russland an. „Wir diskutieren derzeit weitere Maßnahmen im Energiesektor, im Bankwesen und auch gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen.“ Das Ziel: den Druck auf das russische Regime kontinuierlich zu erhöhen – wirtschaftlich, politisch und symbolisch.

Während viele westliche Länder bereits seit 2022 umfassende Sanktionen gegen russische Banken, Unternehmen und Oligarchen verhängt haben, betonen Merz und seine Partner nun die Notwendigkeit, auch mögliche „Lücken im Sanktionsnetz“ zu schließen.

Nord Stream 2 bleibt vom Tisch

Eine klare Absage erteilte Merz zudem dem Thema Nord Stream 2 – der zweiten Ostsee-Gaspipeline, die nie in Betrieb ging und mittlerweile beschädigt ist. Auf die Frage, ob eine Reaktivierung technisch oder politisch denkbar sei, antwortete er knapp: „Sie besitzt aktuell keine Betriebserlaubnis – und das wird sich auch nicht ändern.“

Damit zieht er einen Schlussstrich unter ein Kapitel, das jahrelang Europas Energiepolitik geprägt – und letztlich tief gespalten hat. Die einstige Hoffnung auf günstige russische Energie ist Geschichte.

Eine europäische Entscheidung mit globaler Tragweite

Die Frage, wie Europa mit eingefrorenem russischem Vermögen umgehen soll, ist nicht nur ein rechtliches Problem – sie ist auch ein moralischer und geopolitischer Prüfstein. Für viele ukrainische Stimmen ist es unverständlich, dass russisches Geld unangetastet in westlichen Tresoren liegt, während in Kiew Straßen und Krankenhäuser zerbombt werden. Aus Sicht der Ukraine ist dieses Geld längst „blutige Schuld“.

Doch Recht ist nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Ordnung. Und die Sorge, ein vorschneller Zugriff könnte das internationale Finanzsystem destabilisieren, ist real. Der Westen muss abwägen – zwischen Gerechtigkeit für die Ukraine und dem Erhalt der internationalen Finanzarchitektur.

Fazit: Symbolpolitik oder Systemfrage?

Kanzler Merz’ Worte klingen wie ein diplomatisches Gleichgewicht: entschlossen und doch vorsichtig, klar in der Zielsetzung und doch offen in der Umsetzung. „Wenn es rechtlich machbar ist, werden wir es tun.“ Dieser Satz könnte die Weichen stellen für ein beispielloses Vorgehen in der europäischen Nachkriegsgeschichte.

Noch ist nichts entschieden. Doch eines ist sicher: Die kommenden Monate werden zeigen, ob Europa bereit ist, nicht nur zu frieren – sondern auch aktiv umzuschichten. Und ob Rechtsstaatlichkeit und politische Entschlossenheit dabei im Gleichschritt marschieren können.

FAQ – Enteignung russischer Vermögen: Was bedeutet das konkret?

Was genau ist mit den eingefrorenen russischen Vermögen gemeint?
Es handelt sich vor allem um Guthaben der russischen Zentralbank und des Finanzministeriums, die in westlichen Ländern gelagert sind – etwa bei Notenbanken oder staatlichen Fonds. Diese wurden 2022 im Rahmen der Sanktionen eingefroren.

Warum will Europa auf diese Gelder zugreifen?
Das Ziel ist, die Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen – entweder direkt oder als Sicherheiten für Kredite und Hilfsprogramme.

Ist so eine Enteignung legal?
Das ist umstritten. Viele Juristen sehen derzeit keine klare völkerrechtliche Grundlage dafür. Deshalb wird an neuen Rechtsinstrumenten gearbeitet, um eine mögliche Nutzung rechtlich abzusichern.

Welche Risiken gibt es für Europa?
Ein solcher Schritt könnte das Vertrauen in den Euro und europäische Finanzsysteme erschüttern – insbesondere bei Ländern, die ebenfalls große Währungsreserven im Westen halten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es zur Enteignung kommt?
Noch ist nichts entschieden. Deutschland prüft die rechtliche Grundlage, andere Länder zeigen sich zurückhaltend. Es braucht wohl einen gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen, um solch einen Schritt zu ermöglichen.