Buffett legt zwar Wert auf eine hohe EKR, jedoch nicht um den Preis hoher Verschuldung. Tatsächlich können viele Unternehmen die scheinbaren Kapitalgewinne ihrer Aktionäre nur durch zusätzliche Fremdmittel finanzieren. Mögliche Folgen dieser Politik sind nicht nur hohe Sollzinsen, sondern auch das Risiko, dass der Cashflow eines Tages abreißt und das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Ein variabler Strom von Erträgen ist akzeptabel, solange die durchschnittliche, kontinuierliche Kapitalrentabilität hoch Ist. Eine zu hohe Verschuldung birgt das Risiko, dass das Unternehmen mit Mann und Maus untergeht. Die Gesamtverschuldung sollte gering sein, sowohl im Hinblick auf die Zinszahlungen als auch gemessen am Empfinden eines normalen Kreditnehmers. Die Eigenkapitalrentabilität sollte im Verhältnis zu den betrieblichen Vermögenswerten des Unternehmens berechnet werden – den Aktiva und Passiva, die zur regulären Geschäftstätigkeit notwendig sind, inklusive geringer Barmittel oder Verbindlichkeiten in angemessenem Umfang. Ein Beispiel für ein Unternehmen mit scheinbar hoher EKR, die jedoch auf zunehmende Verschuldung gegründet ist, ist General Electric.
Wir haben gesehen, dass Buffett die Eigenkapitalrentabilität als zentrale Kennzahl für die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens betrachtet. Der Unternehmenswert ist der Aufschlag auf den Buchwert, den ein Unternehmen wert ist, wenn es auf reinvestiertes Kapital hohe Erträge erwirtschaftet. Ein durchschnittliches Unternehmen mit einer langfristigen EKR von, sagen wir, 10 Prozent ist einen Aufschlag auf den Buchwert wert, wenn die Zinsen niedrig sind. Die Zinssätze verändern sich jedoch zyklisch, so dass dieser Aufschlag in Kürze vielleicht zu niedrig angesetzt scheint.
Buffett hält es für sicherer, Unternehmen mit außergewöhnlich hoher EKR auszuwählen, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Dauer sein dürfte und die Rendite von herkömmlichen Anlageformen wie festverzinslichen Wertpapieren oder Barguthaben deutlich übersteigt. Greifen wir noch einmal den Vergleich „Aktien als Rentenpapiere“ auf. Wir haben festgestellt, dass Aktien, die zuverlässig eine Eigenkapitalrendite von 10 Prozent bringen, mehr oder weniger Rentenpapieren mit 10 Prozent Festzins entsprechen. Dabei gibt es zwei grundlegende Unterschiede: Zum einen haben die meisten Rentenpapiere eine bestimmte Laufzeit, nach der das investierte Kapital zurückgezahlt oder ein neuer Zinssatz vereinbart wird. Aktien dagegen haben keine Laufzeitbegrenzung. Für den zweiten Unterschied, der damit in Zusammenhang steht, existiert in der Unternehmensfinanzierungstheorie der Begriff Reinvestitionsrisiko.
Der Unternehmenswert ist der Aufschlag auf den Buchwert, den ein Unternehmen wert ist, wenn es auf reinvestiertes Kapital hohe Erträge erwirtschaftet.
Darunter ist zu verstehen, dass der Ertrag aus einem Wertpapier möglicherweise trotz festgelegter Investitionsbedingungen nicht Gewinn bringend investiert werden kann. Wer eine konventionelle Schuldverschreibung mit zehnprozentiger Verzinsung erwirbt und mit dem Kreditrisiko leben kann, darf davon ausgehen, dass er jedes Jahr bis zur Fälligkeit den Gegenwert von 10 Prozent des investierten Kapitals erhält. Was er nicht wissen kann, ist, wie viel er für den Ertrag bekommt, wenn dieser in regelmäßigen Zeitabständen ausgezahlt wird. Niemand kann im Voraus sagen, welche Auswirkungen die Inflation auf die Preisentwicklung hat oder welchen Einfluss die Zinssätze auf den Kurs von Wertpapieren haben. Das ist keine akademische Frage. Es ist durchaus realistisch, davon auszugehen, dass der Wert des Ertrages einer solchen Obligation nach zehn Jahren den ursprünglich angelegten Betrag weit übersteigen wird. Sollten die Zinsen fallen, bevor im ersten Jahr Erträge anfallen, treibt das die Kurse von Schuldverschreibungen mit einer Verzinsung von zehn Prozent drastisch In die Höhe. Den langfristigen Gesamtertrag zu prognostizieren, ist geradezu unmöglich.
Buffett kam auf den klugen Gedanken, den Spieß einfach umzudrehen. Wenn man eine Aktie als verkapptes Rentenpapier ohne Laufzeltbegrenzung betrachtet, das eine feste Rendite bringen kann, so hat man sozusagen die Chance zur Reinvestition. Aktien bringen Dividenden und dieses Element (oder vielmehr dessen Wiederverwendung) ist unvorhersehbar. Doch der einbehaltene Gewinnanteil wird zu einem gut berechenbaren Satz reinvestiert – nämlich der EKR. Liegt die kontinuierliche Eigenkapitalrentabilität bei 10 Prozent, so bringen die einbehaltenen Gewinne 10 Prozent Ertrag. Bei herkömmlichen festverzinslichen Wertpapieren wird der Ertrag zu 100% ausbezahlt. Unternehmen zahlen dagegen meist nur 50 Prozent oder weniger aus. Ein Unternehmen mit einer hohen EKR, das In vernünftigem Rahmen expandiert und vielleicht Aktien zurückkauft, schüttet möglicherweise nur sehr geringe Bardividenden aus.
Unter Reinvestitionsrisiko ist zu verstehen, dass der Ertrag aus einem Wertpapier möglicherweise trotz festgelegter Investitionsbedingungen nicht Gewinn bringend investiert werden kann.
Die Chance zur Reinvestition ist die Option eines wachsenden Unternehmens, große Anteile des generierten Kapitals mit hoher Rendite zu reinvestieren. Unternehmen, die diese Chance wahrnehmen, steigern ihren Unternehmenswert enorm.
Dies Ist die fundamentale finanzwirtschaftliche Wahrheit, die Buffetts Investitionen zu Grunde liegt. American Express verfügt über eine EKR von 23 Prozent, bei Gillette sind es über 35 Prozent, bei Coca-Cola schwindelerregende 55 Prozent. In allen Fällen wächst die Rendite. (Denken Sie an die unvermeidlichen Konsequenzen aus dem Prinzip der Sicherheitsmarge. Selbst diese herausragenden Unternehmen haben einen Wert, und Buffett Ist fest entschlossen, weniger zu bezahlen.)
Kurz, die EKR ist wichtig, weil sie Anhaltspunkte dazu liefert, wie gut ein Unternehmen seine Gewinne reinvestiert. Ein Unternehmen mit einer EKR, die kontinuierlich bei 20% Hegt, bringt nicht nur zweimal soviel Ertrag In
Relation zum investierten Kapital wie eine durchschnittliche Aktie oder Obligation, sondern durch die Chance zur Reinvestition ermöglicht sie einen nicht enden wollenden Strom von 20-prozentigen Renditen. Das ultimative Unternehmen, dem es gelingt, seinen gesamten Gewinn auch bis in ferne Zukunft zu dieser Rendite zu reinvestieren, erwirtschaftet eine Gesamtrendite von 20 Prozent auf das ursprünglich investierte Kapital.
Wenn man eine Aktie als verkapptes Rentenpapier ohne Laufzeitbegrenzung betrachtet, das eine feste Rendite bringen kann, so hat man sozusagen die Chance zur Reinvestition.