Es ist eine einfache Erkenntnis, die sich aber oft bestätigt: Vielen Trends wohnen bereits Gegentrends inne. So erscheint die Frage durchaus berechtigt, ob dem Direktbanking tatsächlich die Zukunft gehört oder ob diese Form der Finanzdienstleistung allmählich an ihre Grenzen stößt und das Filialbankengeschäft in den nächsten Jahren eine unverhoffte Renaissance erleben könnte. Manche Banken und Sparkassen glauben an ein Comeback der Geschäftsstellen und investieren ansehnliche Summen in die Niederlassungen vor Ort. Zwar werden nach wie vor Filialen geschlossen, doch die verbleibenden sollen ganz besonders einladend auf die Kunden wirken. Komfortable Sitzgarnituren mit anspruchsvollem Lesestoff, um eventuelle Wartezeiten angenehm überbrücken zu können, diskrete, edel eingerichtete und mit modernstem elektronischem Equipment ausgestattete Besprechungsräume, Spielecken für die Kinder, ein angeschlossenes Café, in dem man nach den Bankgeschäften noch in Ruhe einen Cappuccino genießen kann – und vor allen Dingen: freundliche und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Kunden ganz persönlich und mit großen Charme beraten. Sieht so das Bankgeschäft der Zukunft aus?
Manchen Bankern und deren Beratern schweben gleichsam Flagshipstores vor, wie sie die renommierten Luxusgüterproduzenten in kaufkraftstarken Metropolen unterhalten. Aber lässt sich eine Volksbank wirklich mit Louis Vuitton vergleichen, eine Sparkasse mit Prada? Wohl kaum. Bankprodukten fehlt jede Emotionalität. Wer hat sich schon je in einen Riester-Sparplan verliebt? Wann hat schon jemand lustbetont ein Festgeldkonto eröffnet? Eben weil es den Bankprodukten an Exklusivität und Emotionalität mangelt, werden sie regelmäßig über Marketing-Vehikel verkauft. Entweder man verknüpft sie mit bestimmten emotionalen Themen (zum Beispiel dem Sport) oder sie werden als Mittel zum Zweck dargestellt („Mein Haus, mein Auto, mein Boot“).
Nur die wenigsten Bankkunden dürften den Wunsch verspüren, nach dem kurzen Gespräch mit dem Berater unbedingt noch einen Kaffee zu trinken. Und das weiche Designersofa wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso wenig als probates Kundenbindungsprogramm erweisen. Wo sich früher manche Kunden über die „Protz-Paläste“ ihrer Bank mokierten, wird man künftig auch Lifestyle-Oasen nicht goutieren, wenn die Konditionen nicht stimmen.
Wer über die Bank von morgen diskutiert, muss sich daher zunächst über die Kunden der Zukunft Gedanken machen. Wovon müssen die Finanzdienstleister also ausgehen?
Die Preissensibilität wird weiter zunehmen. Zum einen, weil es noch nie so einfach war, die Konditionen grenzüberschreitend zu vergleichen. Es dauert nur wenige Sekunden, bis der Verbraucher im Internet die gewünschten Informationen erhält. Und zum anderen, weil die Banken ihre Kunden mit Rabatt- und Bonusaktionen quasi zur Preissensibilität erzogen haben.
Die ohnehin schon hohe Quote der Internetnutzer wird weiter wachsen. In 10 bis 15 Jahren werden Menschen in den Ruhestand treten, für die der Umgang mit modernen Technologien im Gegensatz zu vielen Senioren von heute kein Problem mehr darstellt. Die „Silver-Surfer“ werden keine in den Medien herausgestellten Ausnahmen mehr sein, sondern die Regel.
Die Verbraucher werden kritischer und sind dank der Medien immer besser informiert. Sie entscheiden autonom und misstrauen einseitiger Beratung.
Bankkunden nehmen Rabatt- und Bonusaktionen zwar gern an, reagieren aber verärgert, wenn es sich um kurzfristige Lockangebote handelt. Schlechte Voraussetzungen für das Cross-Selling- Geschäft, also den Versuch, dem Kunden weitere Produkte der Bank zu verkaufen.
Die Kunden wünschen sich transparente Produkte. Auf Angebote mit viel Bürokratie (Beispiel Riester-Rente) reagieren sie zurückhaltend.
Gefragt ist Banking „rund um die Uhr“ – auch spät am Abend und an Feiertagen. Der Besuch des Bankberaters beim Kunden zu Hause jedoch erfreut sich keiner allzu großen Beliebtheit.
Das Direktbanken-Modell kommt diesem Anforderungsprofil sehr nahe. Dank günstiger Kostenstrukturen und einer großen Zahl von Kunden sind diese Geldinstitute in der Lage, nachhaltig überdurchschnittlich günstige Konditionen zu bieten. Filialbanken, die vergleichbare Angebote machen, halten diese meist nur ein paar Wochen durch – oder sie bekommen auf Dauer ein ernsthaftes Ertragsproblem. Zudem kann der Kunde selbst entscheiden, wann er seine Bankgeschäfte erledigt. Per Internet oder Callcenter erreicht er sein Geldinstitut rund um die Uhr. Schließlich bieten Direktbanken ein überschaubares Produktportfolio an, in dem der Kunde aber dennoch alles findet, was er für seine Geld- und Vorsorgegeschäfte braucht.
Fest steht auch: Die Preise und Konditionen allein entscheiden nicht über den dauerhaften Erfolg. Die Verbraucher erwarten gerade bei Finanzgeschäften darüber hinaus ein akzeptables Maß an Qualität und Verlässlichkeit. Direktbanken, die ihre Kunden zwangsläufig aus der geografischen Distanz bedienen, müssen in besonderer Weise Vertrauen aufbauen. Von einer echten Hausbank erwarten die Verbraucher nämlich mehr als nur Massenmanagement.
Insgesamt nehmen sich die Rahmenbedingungen für die Wachstumsaussichten der Direktbanken somit recht positiv aus. Doch inwieweit könnten die auch künftig nicht verstummenden Diskussionen über die Sicherheit von Onlinebanking die weitere Entwicklung bremsen?
Realistisch betrachtet, kann es eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben – weder bei Filial- noch bei Direktbanken. Wir erinnern uns: Anfang des Jahres 2008 erlebte die entsetzte Öffentlichkeit in Deutschland einen Steuerskandal, der weite Kreise zog. Ausgangs punkt der Affäre waren geheime Daten, die ein Krimineller bei einer Liechtensteiner Bank gestohlen hatte. Bei einer Bank immerhin, die bis dahin als so sicher galt wie Fort Knox, und in einem Land, das normalerweise größten Wert auf Diskretion und die Wahrung des Bankgeheimnisses legt. Das zeigt: Absolute Sicherheit gibt es nirgends. Dennoch stehen die Direktbanken weiterhin vor der Herausforderung, gerade im Hinblick auf die Möglichkeiten von Web 2.0 ihre IT- Sicherheit ständig zu optimieren und damit spektakuläre Schadenfälle zu verhindern. Denn die hätten direkt negative Auswirkungen auf die Akzeptanz von Onlinebanking seitens der Kunden.
In der Vergangenheit wurde über die Zukunft des Finanzdienstleistungssektors häufig in voreiligen „Entweder-oder“-Kategorien diskutiert. Zunächst glaubte keiner so recht an einen dauerhaften Erfolg der Direktbanken. Dann wurde ebenso undifferenziert das baldige Ende der Bankfiliale prognostiziert. Und obwohl in den vergangenen Jahren zahlreiche Filialen dem Rotstift zum Opfer fielen, wird das Geldinstitut vor Ort erhalten bleiben – allerdings nicht mehr für das Standardgeschäft, das die Kunden schon heute überwiegend im Onlineverfahren oder an Automaten abwickeln. Die Filiale der Zukunft wird ein echtes Kompetenz-Center für eine sehr spezielle und individuelle Beratung sein. Die Frage bleibt indessen, ob die Kunden bereit sind, für einen solchen Service einen angemessenen Preis zu zahlen. Denn private Banking-Betreuung zu Direktbanken-Konditionen kann es ebenso wenig geben wie einen Flug im Privatjet zu Ryanair-Preisen. Der Kunde allein entscheidet, welche Art von Finanzdienstleistung er wünscht. Direktbanken stellen ein Angebot dar, von dem in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Menschen in Deutschland und in anderen Staaten Gebrauch machten. Selbst wenn die Zeiten des ungestümen Wachstums vorüber sein sollten (schließlich lässt sich ein Markt nicht beliebig vergrößern), so wird die Zahl der Direktbanking-Kunden weiter wachsen. Nicht von ungefähr sind etablierte Banken, die von einer angeblichen Renaissance der Filialen sprechen, seit einiger Zeit dabei, das Direktbanken-Systeme zu kopieren. Auslaufmodelle aber würde man wohl kaum nachahmen.