Besonders aufschlussreich kann es sein, wenn Sie dem Unternehmen selbst einen Besuch abstatten. In manchen Unternehmen gibt es nämlich Betriebsbesichtigungen, die Sie nutzen sollten. Zwar können Sie dann die Ertragssituation im Ausland oder die Entwicklung der Umsatzerlöse immer noch nicht einschätzen, aber häufig kann man die Stimmung in einem Unternehmen schon äußerlich erkennen. Es soll zwar Unternehmen geben, die mit viel Aufwand und prachtvollen Festen es geschafft haben, die Öffentlichkeit gezielt zu täuschen, aber in einigen Fällen werden Sie Unternehmen, die sich auf der Verliererseite befinden, an der allgemeinen Atmosphäre, die dort herrscht, erkennen.
Wenn Sie also an einer solchen Betriebsführung teilnehmen, achten Sie als Erstes auf den Eingangsbereich. Hat man dort unachtsam Kartons abgestellt? Sehen die Pflanzen auf der Fensterbank aus, als hätten sie gerade einen fünfwöchigen Transport durch die Sahara hinter sich? Schauen Sie auch, ob sich die Sekretärin wirklich um die Besuchergruppe bemüht: Unterhält sie sich lieber mit ihrer Kollegin über die neuesten Sonderangebote? Und wie sieht der Schreibtisch aus? Ein unergründliches Chaos aus Akten, Briefen und Unterlagen? Ziert die Regale eine Staubschicht? Ein besonders fataler Fauxpas ist übrigens: Sehen Sie in dem Büro Präsente von anderen Firmen oder Geschäftspartnern – also beispielsweise Kalender von Zulieferern, Briefbeschwerer und Kugelschreiber mit dem Logo einer Zeitarbeitsfirma, Porzellantassen, auf denen fremde Insignien prangen? Seriöse Unternehmen verbannen solche Präsente aus dem Erscheinungsbild, denn sie stören die Corporate Identity. In vielen Unternehmen ist es offiziell verpönt, solche Geschenke in Büros zu platzieren.
Beobachten Sie auch die Person, die die Betriebsbesichtigung durchführt. Ist sie gut vorbereitet? Kann sie Detailfragen beantworten oder ist sie bereit, Ihnen eine schriftliche Antwort auf eine wichtige Frage zukommen zu lassen? Gibt man sich ernstlich Mühe, oder wirkt die Führung so, als halte man die Besuchergruppe für den Kegelclub aus Untergruppenbach?
Interessant ist in einem Industrieunternehmen auch der Produktionsbereich. Selbst wenn Sie kein Ingenieur sind, können Sie einige wichtige Rückschlüsse ziehen. Werden Materialien systematisch geordnet? Wirkt der Arbeitsplatz sauber und aufgeräumt? Machen die Arbeitnehmer einen kompetenten und motivierten Eindruck? Wie ist es um Qualitätsnormen bestellt? Fragen Sie die Person, die Sie durch das Unternehmen führt, nach TQM, Six Sigma, Kaizen. Wenn man Sie nur entgeistert anschaut, wissen Sie zumindest, dass die Führung nicht sachkundig vorbereitet ist.
Nach einer solchen aufmerksamen Betriebsbesichtigung haben Sie sich wenigstens persönlich überzeugt. Zwar kann der erste Eindruck immer täuschen, aber wenn Sie das unbeirrbare Gefühl haben, dass mit dem Unternehmen etwas nicht stimmt oder dass es in Ihnen eine Abwehr ablöst, dann sollten Sie die Aktien auf keinen Fall kaufen. Es gibt so viele Wertpapiere weltweit, dass Sie nicht auf dieses Unternehmen angewiesen sind. Vergleichen Sie den Kauf eines Unternehmens mit dem eines Autos: Sie sollten sich nie in ein Fahrzeug setzen, dessen Bremsen defekt sind und das nur noch zwei Kilometer fährt.
Bei dem Unternehmen, das Sie kaufen, sollten Sie ein rundum gutes Gefühl haben. Bedenklich ist es allerdings, wenn Sie sich in Ihre Aktie verlieben und ihr durch alle Höhen und Tiefen die Treue halten. Zwar kann man mit einer solchen Strategie durchaus Gewinne machen, aber wenn Sie auf die falsche Aktie setzen, kann eine solche verhängnisvolle Liaison durchaus tragisch enden. Betrachten Sie den Kauf einer Aktie daher nüchtern und sachlich.
Eine weitere Vorauswahl im Alltag kann sein, wenn Sie sich umhören und umsehen. Das ist jedoch nur ein unvollkommenes Verfahren, denn Sie werden im Alltag kaum die Namen weniger bekannter Technologikunternehmen oder von Firmen der Investitionsgüterindustrie zu hören bekommen. Auch werden Ihre Bekannten, Verwandten und Freunde wohl kaum Unternehmen aus Singapur, Taiwan, Brasilien, Indien oder China auf .Anhieb nennen können.
Dennoch kann es von Vorteil sein, sich einmal umzuhören, zumindest wenn eine Position in Ihrem Aktiendepot ein bekannteres Markenunternehmen sein soll. Die Suche beginnt bereits beim Frühstück: Welche Schuhe tragen eigentlich Ihre Kinder? Adidas, Puma oder Nike? Von wem war noch einmal die Spielkonsole, die Sie Ihrem Sohn zu Weihnachten geschenkt haben? Welches Handy ist eigentlich gerade auf Schulhöfen in Mode? Für welches Auto schwärmt Ihr Mann? Ist es ein Toyota, ein Mercedes oder ein VW? Und welches Parfüm trägt eigentlich Ihre Frau? Etwa von Douglas?
Sie werden staunen, wie viele Hinweise eine solche Beobachtung im Alltag bringen kann. Die meisten Markenunternehmen müssen sich nämlich beim Kunden bewähren, und viele wichtige Trends zeigen sich schon früh im Alltag. Natürlich haben Sie jetzt Pech, wenn Sie auf Aldi oder Lidl tippen, denn diese haben nicht die Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Und wenn Sie frohgemut auf Nokia als größtem Hersteller von Handys setzen, so kommt diese Einsicht zweifellos zu spät. Als Nokia noch ein unbekannter Elektronikgerätehersteller war, hätte sich der Einstieg gelohnt; und viele Arbeitnehmer, die damals Belegschaftsaktien hielten, sind heute mehrfache Millionäre, die bescheiden in kleinen finnischen Dörfern leben.
Sie müssen einen Trend am Anfang erkennen und dann zu noch niedrigen Preisen einsteigen. Das ist in der Praxis allerdings relativ schwierig. Bei Unternehmen, die kontinuierlich Erfolg am Markt erzielen, können Sie durchaus auch später Aktien erwerben; die Wertentwicklung wird jedoch geringer sein. Informativ ist es, wenn Sie im Alltag weiter genau beobachten. Fragen Sie doch einmal einen Taxifahrer, welches Auto er für am zuverlässigsten hält. Schauen Sie sich an, wie der Einzelhandel seine Waren präsentiert. Prüfen Sie nach, wie kundenfreundlich Ihre Billig-Airline wirklich ist. Solche Details verraten Ihnen oft mehr über die Situation eines Unternehmens als ausgefeilte Analystengutachten und Bilanzkennzahlen.
Bevor Sie eine Aktie kaufen, sollten Sie überlegen, wie profitabel und attraktiv das Geschäftsmodell ist. Sie werden immer wieder Analysten und Berater finden, die eine Branche hochjubeln und als den Favoriten des Jahres küren. Doch manche Branchen sind auch nach einer möglichen Erholung wenig verlockend. Überlegen Sie einfach, wie dieses Unternehmen sein Geld macht und Gewinne erwirtschaftet. Nehmen wir beispielsweise die Telekommunikations branche. Viele Anleger machen ohnehin einen großen Bogen um diesen Dienstleistungszweig, da seit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes viele dieser Unternehmen an Ansehen eingebüßt haben. Doch wie sieht das Geschäftsmodell aus? Im Prinzip leben diese Unternehmen von einer geringen Gewinnmarge; der Wettbewerb ist beträchtlich, denn Call-by-Call-Tarife und die zunehmend populären Flatrates sorgen für Dumpingpreise. Hinzu kommt noch ein unaufhaltsamer technischer Fortschritt, der zu immer höheren Geschwindigkeiten und Innovationen führt. Eines Tages wird möglicherweise das Festnetz veraltet sein und durch Mobilfunk ersetzt werden, oder es werden noch bessere Übertragungsraten durch eine neue Technik erzielt. Erschwerend kommt hinzu, dass viele große Telekommunikationsunternehmen aus privatisierten Staatsunternehmen mit allen entsprechenden Belastungen hervorgegangen sind. Würden Sie für diese Branche eine glorreiche Zukunft prognostizieren? Natürlich werden kleine Unternehmen von ihrer Flexibilität profitieren, doch insgesamt sieht die Situation eher verhalten aus. Obwohl kaum ein anderer Bereich die Zukunft der Menschen so sehr beeinflussen wird wie die Telekommunikation, ist dieser Markt derart umkämpft, dass er nur wenig gewinnbringend erscheint. Natürlich werden Kritiker einwenden, dafür seien die Aktien entsprechend niedrig bewertet und können umso höher steigen. Das ist zwar ein einleuchtendes Argument, doch seien Sie ehrlich: Würden Sie eine Aktie als interessant bewerten, die einst vollmundig als Volksaktie und als größte Emission Deutschlands an den Start ging, und nach zehn Jahren unter dem damaligen Einstandskurs notiert? Selbst wenn ganze Analystenscharen die Telekommunikationsbranche mit Engelszungen als den Highflyer anpriesen, wäre das Vertrauen erschüttert.
Betrachten wir als Kontrast die Maschinenbaubranche. Zwar herrscht auch dort ein enormer Konkurrenzdruck, und Schwellenländer wie China und Indien holen technologisch auf, aber wenn Sie in der Lage sind, weltweit einzigartige Produktionssysteme und Fertigungsanlagen herzustellen, werden Sie global auf eine ungebremste Nachfrage stoßen. Sie können für Ihre Maschinen die Preise kontinuierlich erhöhen, ohne einen Nachfragerückgang befürchten zu müssen. Durch technische Innovationen stellen Sie immer bessere Maschinen her, so dass Sie erneut Kunden gewinnen. Die Maschinenbaubranche ist in einer wesentlich besseren Verfassung. Natürlich müssen Sie sich auch hier jedes Unternehmen einzeln ansehen und die Ertragslage analysieren. Auch bei Maschinenbauunternehmen gibt es Nieten. Besondere Vorsicht ist bei spekulativen Branchen geboten. Ein typisches Beispiel dafür ist die Biotechnologie, der zwar eine glänzende Zukunft vorhergesagt wird, die aber nur langsam Fortschritte macht. Seitdem das Humangenom, d.h. der gesamte Erbsatz eines Menschen, entziffert wurde, herrschte in der Branche um das Jahr 2000 Aufbruchsstimmung. Doch schon bald begannen die Kurse mit der Krise der New Economy zu bröckeln, und seitdem notieren viele kleine Biotechnologieunternehmen auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch hier sollten Sie grundsätzliche Überlegungen zum Geschäftsmodell anstellen. Zwar gibt es in der Biotechnologie auch große Konzerne wie beispielsweise Genentech und Augen, die seit vielen Jahren etabliert sind und den Vergleich mit herkömmlichen Pharmakonzernen nicht zu scheuen brauchen, doch insgesamt wird die Branche von kleinen Unternehmen dominiert, die nur ein oder zwei Medikamente in der Pipeline haben, wie es im Branchenjargon heißt. Dabei sollten Sie als Anleger berücksichtigen, dass diese Medikamente noch keine Zulassung haben und dass das Verfahren allein mehrere Jahre dauern kann. Die Arzneimittelzulassungsbehörde – die Food and Drug Administration (FDA) – in den USA ist eine der strengsten der Welt; und bei Zwischenfällen können Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe auf das Unternehmen zukommen. Die neu entwickelten Medikamente müssen zudem in Vergleichsstudien beweisen, dass sie mindestens so wirksam und sicher sind wie bereits vorhandene Arzneimittel. Daher ist es nicht verwunderlich, dass neue Medikamente relativ selten auf den Markt kommen. Von den geschätzten 50.000 Präparaten, die auf dem Markt erhältlich sind, sind nur zirka 400 wirklich unentbehrliche Arzneimittel. Bei dem Rest handelt es sich um Kombinationspräparate. Spötter behaupten gerne, dass Apotheker und Ärzte nie Pharma- oder Biotechnologieaktien kaufen würden. Daran mag ein Quäntchen Wahrheit sein, man würde aber der Biotechnologiebranche Unrecht zufügen, wenn man die Erfolge außer Acht ließe. Tatsächlich gelang es einzelnen Unternehmen, neue Medikamente auf den Markt zu bringen; die Aktien dieser Biotechnologieunternehmen stießen wie Kursraketen in den Aktienhimmel empor. Die meisten Unternehmen jedoch forschen noch immer und sind gleichsam auf Kredit finanziert, ohne jemals auch nur ein einziges Medikament hervorgebracht zu haben. Die besonders lukrativen, gewinnbringenden Biotechnologieschmieden werden häufig kurz nach dem Bekanntwerden der Forschungsergebnisse von Pharmakonzernen übernommen. Anleger, die rechtzeitig einsteigen, profitieren natürlich von diesen Übernahmeangeboten. Insgesamt betrachtet ist es aber äußerst schwierig, ein aussichtsreiches Biotechnologieunternehmen aus der Vielzahl herauszupicken. Selbst hoch qualifizierte Pharmakologen entdecken oft erst im Endstadium die gefährlichen Nebenwirkungen eines Arzneimittels, was das sofortige Aus bedeutet. Da etliche Biotechnologieunternehmen keine breite finanzielle Basis haben, ist damit der Untergang des Unternehmens vorprogrammiert.
Als Fazit kann man festhalten: Prüfen Sie das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens. Überlegen Sie, ob es jemals profitabel sein kann. Sie müssen nicht unbedingt wissen, was ein Cashflow, ein Return on Investment oder eine Gesamtkapitalrentabilität ist. Wenn Sie aber das Gefühl haben, dass diese Branche nicht wirklich Gewinne erzielt, dann lassen Sie es sein.
Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, dass sich schon zu Lebzeiten ein Museum errichtet. Vielleicht mag die Architektur gar mit dem Guggenheim-Museum in New York wetteifern und das Gebäude entfernt an eine etwas zerdrückte Hutschachtel erinnern, aber zehrt dieses Unternehmen nicht von den Meriten einer glorreichen Vergangenheit, die allmählich zu verblassen beginnen? Eine große Vergangenheit kann durchaus ein Vorteil sein, aber wenn das Unternehmen in seiner Innovationskraft nachlässt und den Kundendienst vernachlässigt, wird sich dies früher oder später im Aktienkurs niederschlagen.
Als erfolgreicher Anleger sollten Sie daher immer Folgendes beherzigen:
• Wählen Sie nur Unternehmen aus, die Sie persönlich überzeugen und mit denen Sie sich identifizieren können. Eine Aktie
ist kein Stück Papier, sondern eine Unternehmensbeteiligung. Wenn Sie keine Unternehmen mögen, in denen die Investor- Relations-Abteilung Ihnen keine Antwort zukommen lässt, in denen Sekretärinnen sich mehr ihrem Frühstück widmen als Ihrem Anliegen, dann kaufen Sie keine solchen Aktien.
• Wenn Sie Vorbehalte haben und ethische Bedenken hegen, sollten Sie keine Rüstungsunternehmen erwerben oder Gesellschaften kaufen, die mit Tabakwaren handeln oder Geschäfte in Ländern betreiben, in denen Kinderarbeit oder schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind.
• Das Unternehmen, das Sie kaufen, sollte Ihnen rundum Zusagen. Schließlich kaufen Sie auch kein Auto mit violetten und erdbeerroten Tupfen oder ein Fahrzeug, dessen Bremsen vielleicht nur noch fünf Kilometer funktionieren und dessen Boden völlig verrostet ist. Der Kauf eines Unternehmens ist nur dann sinnvoll, wenn es auch in fünf oder zehn Jahren noch steigende Gewinne erwirtschaften wird.
• Lassen Sie sich Zeit und prüfen Sie sorgfältig. Es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Aktien auf der ganzen Welt. Sie haben eine riesige Auswahl; und jederzeit ergeben sich neue Chancen. Die meisten Menschen widmen dem Kauf eines Autos oder der Buchung einer Urlaubsreise mehr Zeit als dem Kauf von Wertpapieren. Dabei hängen von dieser Entscheidung Ihre Zukunft und Ihre finanziellen Chancen ab.
• Lassen Sie sich auf keinen Fall von dubiosen Tipps, heißen Empfehlungen oder anderen Hinweisen leiten. Prüfen Sie selbst nach. Im Zeitalter des Internets ist es ein Leichtes, Geschäftsberichte und ausführliches Material von den Unternehmensseiten herunterzuladen. Auch wenn die merkwürdige Fachsprache und die vielen Zahlen Sie anfangs abschrecken mögen; nachdem Sie dieses Finanzportals durchgearbeitet haben, werden Sie die wichtigsten Zusammenhänge und Kennzahlen verstehen. Scheuen Sie sich nicht, in der Investor-Relations-Abteilung des Unternehmens per E-Mail oder telefonisch nachzufragen, wenn Sie etwas nicht verstehen oder aktuelle Informationen haben wollen.
• Wenn das Unternehmen in Ihrer Nähe ist, sollten Sie an einer Betriebsbesichtigung teilnehmen. Dadurch erhalten Sie bessere
Eindrücke und können sich selbst ein Bild machen. Wenn Sie wollen, können Sie auch das Produkt oder die Dienstleistung unter die Lupe nehmen. Fragen Sie Kunden, was sie von dem Produkt oder der Dienstleistung halten.