Hättest Du nur auf mich gehört! Wie oft haben wir das als Kind gehört! Und hat es was genutzt? Fällt es uns leicht, einen Rat anzunehmen? Wissen wir, wem wir vertrauen können und wem nicht? Im Grunde genommen nicht. Auf Vater und Mutter wollten wir nicht hören und haben es auch selten bereut. Soll man nun in Börsendingen auf andere hören? Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Urteilen Sie nach diesem Artikel selbst.
Was Börsianer bewegt
Brokershausen ist ein idyllisches Städtchen mit kaum mehr als 10 000 Einwohnern am Fuße eines kleinen Gebirgszuges. Viele Familien wohnen hier, die meisten pendeln täglich in die rund 50 km entfernte Finanzmetropole Stockhafen. Viele fahren mit dem Bus, weil man mit dem Auto überwiegend im Stau steht. Der Bus fährt ab 6 Uhr alle halbe Stunde und ist rund eine Stunde unterwegs. In Brokershausen wohnen auch viele Finanzleute, die an der Stockhafener Börse oder in den dort ansässigen Banken tätig sind. Am Mittwoch beginnt in Stockhafen eine Messe, die viele Besucher und Aussteller anlockt. Die Brokershausener wissen, dass auch bei ihnen Messegäste wohnen und nach Stockhafen mit dem Bus pendeln wollen.
Man kann also mit einem starken Andrang an der Haltestelle rechnen. Die Messegäste müssen meist gegen 9 Uhr dort sein. Viele Fahrgäste aus der Finanzbranche fahren mit dem Bus um 7.30 Uhr, damit sie inkl. Fußweg spätestens um 9 Uhr im Büro sind. Die Busse von 7 bis 9 Uhr sind gut ausgelastet, aber nicht überfüllt. Was passiert nun? Die Börsianer wissen, dass um 7.30 Uhr ein großer Andrang sein wird und dass sie möglicherweise nicht mehr in den Bus kommen. Also stehen sie lieber eine halbe Stunde früher auf. Das, so denken sie, werden die Kollegen auch machen und dann ist auch der 7-Uhr-Bus überfüllt. Also beschließen sie, noch früher zu fahren. So schlau werden aber die anderen auch sein, so dass jeder für sich auf die Idee kommt, mit dem ersten Bus um 6 Uhr zu fahren.
Da stehen dann alle Börsianer und nur mit viel Glück kommen alle nach Stockhafen. Um 6.30 Uhr können sie aber auch noch fahren, doch dann ist nichts mehr los.
Unrealistisch? Stimmt, die Leute würden nicht mit dem Bus, sondern mit dem Auto fahren. Aber auch früher und dann wäre das Gleiche auf der Straße los. Börsenprofis versuchen immer, schneller als andere zu sein. Nur wer die Entwicklung vorhersieht, kann die Konkurrenz ausstechen. Wer zu spät kommt, hat das Nachsehen, das heißt er kauft zu teuer oder verkauft zu billig. Oder steht an der Haltestelle und wartet und wartet und wartet…
Oft lohnt es sich, so schnell zu sein, manchmal allerdings auch nicht. Was wäre, wenn die Messe gar nicht stattfindet oder viel weniger Besucher kommen als gedacht? Dann wäre der Aufwand umsonst gewesen, man hätte länger schlafen und einen besseren Start in den Tag haben können. Aber viele Anleger können damit besser leben als mit einer Verspätung, wenn sie lange warten müssen, um in den Bus zu kommen. Das ist das Prinzip der Börse. Immer die Entwicklung vorhersehen und schneller als andere reagieren. Dazu muss man wissen, was passieren kann, welche Chancen und Gefahren für die Märkte bestehen.
Und dafür sind professionelle Investoren immer auf der Suche nach Indikatoren, die möglichst frühzeitig und möglichst zuverlässig anzeigen, was passieren wird. Das ist natürlich Wunschdenken. Kein Indikator wird Kursentwicklungen an den Börsen zuverlässig mehrere Wochen oder Monate im Voraus anzeigen können. Es wäre schon schön, wenn es so etwas mit wenigstens ein paar Stunden Vorlauf gäbe. Und so sind Heerscharen von Menschen auf der Suche nach Indikatoren und versuchen sie zu interpretieren beziehungsweise zu begründen, warum sie doch nicht funktioniert haben.
Wenn Wertpapiere, hier insbesondere Aktien, gekauft werden sollen, dann müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein:
1. Die Geldanlage muss attraktiv sein. Die Objekte dürfen nicht überteuert erscheinen, das Umfeld sollte wachsen, damit zusätzliche Gewinne der Unternehmen wahrscheinlich sind.
2 Die Anleger müssen Geld zur Verfügung haben. Dazu sollten die Zinsen niedrig sein, so dass auf Pump gekauft werden kann, zudem sollte der Immobilienmarkt stabil sein. Dies führt insbesondere in den U SA zu einem hohen verfügbaren Kapital. Die Akteure an den Börsen versuchen daher permanent, diese Faktoren zu beobachten und Anhaltspunkte für Veränderungen zu finden. Verschlechtert sich ein Faktor, verkaufen sie Aktien schnellstmöglich, um noch hohe Preise zu erzielen, verbessert sich etwas, kaufen sie schnellstmöglich zu.
Die Verhältnisse an Aktien-, Rohstoff-, Renten- und Immobilienmärkten unterscheiden sich mehr oder weniger stark. Wir werden hier versuchen, den relevanten Faktoren und Indikatoren näher zu kommen, so dass Sie eine realistische Einschätzung des Marktes vornehmen können. Sie sollten dabei aber nicht aus den Augen verlieren, dass Akteure sich auch unsinnig verhalten können, das heißt psychologische Faktoren überwiegen. Diese sind nicht immer nachvollziehbar, so dass ein gewisses Restrisiko bleibt. Nehmen wir an, in einem Land gibt es Wirtschaftswachstum und die Unternehmen rechnen mit Gewinnsteigerungen. Zudem sind die Kapitalkosten niedrig und bleiben konstant oder sinken sogar. Dann sind Aktien attraktiv, Anleger können mit Kurssteigerungen rechnen und haben auch gute Möglichkeiten, ihre Investitionen zu finanzieren. Gleichzeitig sind für Unternehmen die Kapitalkosten niedrig, so dass sie billig investieren können.
Nehmen wir nunmehr an, die Wirtschaft schrumpft, die Unternehmen rechnen mit zurückgehenden Gewinnen. Gleichzeitig sinken die Kapitalkosten, weil zum Beispiel die Notenbanken die Zinsen senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. In dieser Situation steigen die Anleihenkurse, weil alte Anleihen mit höheren Zinsen wertvoller werden und Gelder aus Aktien in Anleihen umgeschichtet werden. Es ist also attraktiver, in Anleihen als in Aktien zu investieren.
Die gezeigten Fälle sind ziemlich eindeutig. Nun wäre es zu schön, wenn es denn immer so wäre. Vielmehr ist die Realität oft anders, denn das Umfeld sendet keine eindeutigen, sondern gemischte Signale. Wenn die Wirtschaft nämlich boomt, werden die Kapitalkosten nicht sinken, weil in aller Regel die Zinsen angehoben werden. Die Frage ist dann, welcher Faktor überwiegt: Ziehen sich die Aktienkäufer zurück, weil sie Angst vor steigenden Zinsen haben oder kaufen sie fleißig, weil sie den Wachstumseffekt interessanter finden?
Diese Situation ist typisch für die Jahre 2004 bis 2006. Parallel zu einem deutlichen Wachstum der Weltwirtschaft wurden die Zinsen kontinuierlich angehoben. So wurden in manchen Phasen kräftig Aktien gekauft (mit deutlichen Kurssprüngen), in anderen überwog die Skepsis und es gab deutliche Einbrüche. Immer kam es zu Überreaktionen. So sind Kurssteigerungen von 30 Prozent in einem Jahr in einem entwickelten Markt als ausgesprochen hoch (zu hoch) zu bezeichnen, während aber auch Kurseinbrüche von 15 Prozent innerhalb von zwei Wochen nicht als vernünftig bezeichnet werden können. So entlud sich an den Aktienmärkten im Mai 2006 die aufgestaute kleine Kursblase (vielfach konnten Anleger 30 bis 40 Prozent Rendite mit europäischen Aktien in zwölf Monaten erzielen) und führte die Renditen auf verträgliche 10 bis 20 Prozent zurück. Für eine Aufschwungsituation typisch sind Wachstum und steigende Zinsen, die zumindest auf Anleiheseite klar zu Einbußen bei den Kursen führen:
Professionelle Anleger achten bei ihren Entscheidungen auf beide Seiten. Dabei beobachten sie eine mehr oder weniger große Zahl von Indikatoren, wobei meist jeder seine eigene Vorgehensweise hat. Man sollte allerdings auch nicht glauben, dass sich auf nahezu mathematischem Wege daraus Anlageentscheidungen ableiten ließen. Die Daten sind, wie gesagt, oft widersprüchlich, so dass sich die Frage stellt, welche ignoriert werden sollen. Da jeder diese Frage anders entscheidet, gibt es ständig Kursschwankungen. Bestünde Einigkeit, wäre an der Börse nichts los.Insofern ist es leider auch vergebens, den Hinweis auf einen zentralen Indikator zu erwarten.
Gäbe es ihn, würden sich sofort alle Kurse an die neue Situation anpassen und es gäbe bis zu den neuen Daten nichts mehr zu handeln. Stillstand an der Börse. Das ist glücklicherweise nicht vorstellbar und so gibt es gerade deswegen Chancen für Gewinne und Verluste, weil die Eignung von Indikatoren mal gegeben und mal nicht gegeben ist. Selbst Profis vertrauen oft auf die falschen Daten. Mal funktioniert nämlich der Ölpreis, mal nicht. Ein steigender Ölpreis kann nämlich Kostenfaktor für Unternehmen sein, aber auch Indikator einer wachsenden Weltwirtschaft. Mal interpretiert man so und mal so …