Viele Banken locken ihre Kunden mit bunten Kreditangeboten, die ein sorgloses Leben auf Pump ermöglichen sollen. Wer jedoch im Fall der Fälle dringend Geld braucht, wird schärfsten Kontrollen unterzogen und nicht selten übervorteilt.
Die Schuldenfalle
Da steht er, der Traumwagen. Jetzt können Sie sich ihn leisten: Mit easyCredit, unserem Sofortkredit bis 50.000 Euro. Mit einem festen günstigen Zinssatz ab 5,9 Prozent, gleich bleibenden Raten und flexibler Laufzeit. So umwirbt die HypoVereinsbank auf ihrer Homepage im Internet ihre Kunden. Dies bedeutet eine Aufforderung zum Leben auf Pump – frei nach dem Slogan der Kreditkartenorganisationen: Leben Sie jetzt, zahlen Sie später.
Die Münchner Großbank ist nicht das einzige Institut, das Ratenkredite wie Sauerbier anbietet. Auch andere Geldinstitute versuchen ihre Kundschaft zu großzügigem Umgang mit Geld zu animieren. Verfügungskredit, gurrt die Commerzbank auf ihrer Website, beim Einkaufsbummel entdecken Sie das elegante Kleid oder die Dolby-Suround-Anlage zum Schnäppchenpreis. Chancen, die Sie sich einfach nicht entgehen lassen sollten. Warum auch! Mit einem Betrag bis zur dreifachen Höhe Ihres Monatsgehalts sind Sie flexibel. Schließlich ist die Inanspruchnahme Ihres Verfügungskredits vom laufenden Girokonto kein Thema, sondern ein Stück Lebensfreiheit. Viele Verbraucher bezahlen ihren Konsumrausch auf Kredit mit einem jahrelangen Kater. Sie sind überschuldet, wissen nicht, wie sie ihren Verpflichtungen nachkommen können.
Statistisch gesehen hat jeder Bundesbürger – vom Säugling bis zum Greis – Konsumschulden in Höhe von 11.451 Euro, jeder vierte Haushalt ist überschuldet, das heißt er kann Tilgung und Zinszahlungen aus dem verfügbaren Einkommen nicht mehr begleichen. Gegen 1,2 Millionen private Schuldner wurden bereits Vollstreckungsverfahren eingeleitet – sie waren pleite.
Leben auf Pump
Sicher geht nicht jeder Privatkonkurs auf das Konto der Banken. Sicher ist aber, dass die Banken an dem Konsum auf Kredit gut verdienen. Zinssätze zwischen 9,5 bis 15 Prozent werden derzeit für die Überziehung eines Girokontos verlangt – oft mehr als das Doppelte des Zinssatzes für Ratenkredite und fast das Dreifache des Satzes, zu dem derzeit Hypothekenkredite vergeben werden. Die teuren Kontokorrentkredite werden üblicherweise bis zum Dreifachen der monatlichen Einkünfte gewährt.
Dass Banken selbst jugendlichen Kontoinhaber/! – Schülern, Lehrlingen und Studenten – schon teils erhebliche Überziehungsspielräume einräumen, wird immer wieder von Elternverbänden und Verbraucherschützern kritisiert. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums ergab, dass von 1988 bis 1999 bereits 20 Prozent der jugendlichen in Westdeutschland und 14 Prozent der jugendlichen in Ostdeutschland verschuldet waren. Kräftig mitgeholfen an der Finanzmisere der Kids haben die Kreditinstitute. Sogar Schülern wurden Dispositionskredite eingeräumt, die den jugendlichen Kontoinhabern die Überziehung um 100 bis 200 Euro gestatten – oft ein Mehrfaches des monatlichen Taschengelds. Für die jungen Kunden, die dem Lockruf der Banken erliegen, folgt meist ein böses Erwachen. Das Geld ist weg, ausgegeben für Handyrechnungen, schicke Klamotten und Discobesuche, und dann verlangt die Bank den Kredit zurück. Viele der jungen Kreditnehmer bezahlen ihren Leichtsinn mit jahrelanger Abhängigkeit von der Kreditwirtschaft, bis sie ihre Schulden abgestottert haben.
Enteignung auf Raten: Kombikredite
Ein erhebliches Maß an Kreativität beweisen die Banken auch bei der Kreditvergabe. Neben den üblichen Ratenkrediten, die für eine Laufzeit von einem bis fünf Jahren abgeschlossen werden und bei denen der Schuldner einen monatlichen Festbetrag, der sich aus Zinsen und Tilgung zusammensetzt, an die Bank zahlt, werden bei größeren Summen auch gerne Kombikredite angeboten. Bei dieser Variante wird das Darlehen nach einer mehljährigen Laufzeit durch einen auf diese Frist abgeschlossenen Sparplan oder eine Lebensversicherung getilgt. Der Schuldner muss dabei zwei Verträge erfüllen, einmal die Zinsen für den Kredit bezahlen und obendrein die monatlichen Prämien für die Versicherung oder den Sparplan aufbringen. Für die Bank sind diese Verträge, die vor allem für Hypotheken zum Hausbau und Immobilienerwerb abgeschlossen werden, ein lohnendes Geschäft. Sie kann auf Jahre hinaus mit festen Einnahmen aus beiden Verträgen rechnen.
Für den Kreditnehmer birgt diese Konstruktion jedoch ein erhebliches Risiko: Sollte er nicht mehr in der Lage sein, den Sparbetrag zu bedienen, sitzt er nicht nur auf dem Schuldenberg in alter Höhe, sondern muss auch noch mit erheblichen Einbußen bei seinem Sparguthaben rechnen, weil er bei einer vorzeitigen Kündigung dieser Prämienverträge auch die Sonderleistungen verliert.
Auf Kundenfang im Elsass
Wie schnell eine solche Kreditkonstruktion in den Ruin führen kann, beschrieb ein Beitrag der ZDF-Sendung Frontal 21 vom 29. Mai 2001, der unter dem Titel Schuldenfalle Commerzbank ausgestrahlt wurde. Dem Bericht zufolge ist die Commerzbank in Frankreich auf Kundenfang gegangen und hat vor allem im grenznahen Elsass reiche Beute gemacht.
Kreditvermittler, die im Auftrag der Commerzbank unterwegs waren, drehten ahnungslosen Immobilienbesitzern und Bauherren Lebensversicherungshypotheken an. Weil es diese Kreditform bisher in Frankreich nicht gab, waren die neuen Commerzbank- Kunden sehr angetan von den niedrigen Zinsen, die ihnen die Kundenberater anboten. Die Risiken dieser Kombikredite hingegen blieben ihnen verborgen. Den Haken bei dieser Konstruktion, bei der der Kreditnehmer eine Lebensversicherung abschließen und dafür die Beiträge leisten, gleichzeitig aber auch die Zinsen für den Kredit über die gesamte Versicherungsdauer begleichen muss, haben die meisten der Betroffenen nicht erkannt.
Kommt der Kunde während der Versicherungsdauer durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder andere Schicksalsschläge in finanzielle Nöte und kann seine Beiträge nicht mehr aufbringen, droht der Zusammenbruch der Finanzierung. Die Versicherung kündigt den Vertrag, die Bank stellt das Darlehen fällig.
Wie ein Rentnerehepaar sein Haus verlor
So geschah es – wie Frontal-21 -Autor Stefan Härtig berichtete – im Fall der Commerzbank-Kunden Albert und Louise W.: Das französische Rentnerehepaar verlor sein Haus, weil es sich auf die Lebensversicherungshypothek der Commerzbank verließ.
Dabei wollten die beiden Ruheständler nur einen neuen Kredit aufnehmen, um ihr Anwesen zu renovieren – für einen Ausbau von Garage und Dach, die Gartenanlage und eine neue Küche. Bei der Zeitungslektüre stießen sie auf eine Anzeige der Kreditvermittlung Cofia. Auf ihren Anruf bekamen sie Besuch von einem Vertreter der Commerzbank Saarbrücken. Er pries ihnen einen Kredit an, der mit einer Lebensversicherung abgezahlt werden sollte. Für die Tilgung des Kredits über 167.000 € sollten sie eine Lebensversicherung ansparen. Nach 22 Jahren würden sie dann 300.000 € ausgezahlt bekommen. Von dieser Summe sollte dann auch die ganze Schuld auf einmal getilgt werden.
Doch bis zur Auszahlung der Versicherung müssten sie den vollen Zinsbetrag auf die gesamte Summe leisten. Im Fall des Rentnerpaars W. beliefen sich die monatlichen Verpflichtung aus diesem Kombikredit auf 1.677 €: 460 € für die Lebensversicherung und 1.217 € an Zinsen. Als das Rentnerpaar nach zwei Jahren vorübergehend nicht die volle Monatsrate aufbringen konnte, platzte das Modell. Die Familie verlor ihre 300.000 € von der Versicherung und ihr Haus, denn die Commerzbank forderte den Kredit zurück.
Gefährliche Kombination
Der Jurist Udo Reifner vom Institut für Finanzdienstleistungen kritisierte diese Konditionen mit folgenden Worten: Scheitern ist tödlich bei dieser Konstruktion, die eigentlich einen legalen Betrug darstellt. Von einer Kapitallebensversicherung wird bei vorzeitiger Kündigung nur ein ganz kleiner Bruchteil der eingezahlten Beträge zurückerstattet. Trotzdem muss der Kredit von dem Betroffenen in voller Höhe bedient werden. Die meisten not- leidenden Kreditnehmer landen dann unausweichlich in einer Schuldenfalle.
So erging es auch dem Ehepaar W.: Die Bank teilte ihren Kunden mit, wenn sie nicht bezahlen können, würde eben das Haus versteigert, sie könnten es aber auch selbst verkaufen. Unter Zeitdruck erzielte das Ehepaar für ihr Haus lediglich einen Preis in Höhe von 206.000 €. Die Commerzbank nahm sich die ganze Summe, obwohl sie nur einen Kredit über 167.000 € vergeben hatte.
Zusammen mit den bis dahin kassierten Zinsen und Prämien machten die Commerzbank und die Lebensversicherung ein Plus von 83.000 €. Das entspricht einem sagenhaften Zinssatz von jährlich 16 Prozent, berichtete Frontal-21-Autor Stefan Härtig. Das Schicksal der Familie W. teilten viele Franzosen, denn die Commerzbank war ausgesprochen rührig bei der Akquisition von Kreditkunden.
In diesem Zusammenhang sind jetzt zahlreiche Verfahren vor Gericht anhängig. Die Verbraucherschützerin Anke De Villepin von Euro-Info e. V. wirft der Commerzbank vor, dass sie nicht darüber aufgeklärt hat, welche Kosten und Belastungen auf die Kunden zukommen und welches Eigeneinkommen man haben muss, um solche Belastungen dauerhaft tragen zu können. Das war einfach Betrug.
23 Prozent Zinsen pro Jahr für eine Hypothek
Das ZDF-Magazin Frontal schilderte einen weiteren Fall: Eine Hausbesitzerin aus Lothringen hatte sich bei der Commerzbank 240.000€ für ein Haus geliehen. Nach zwei Jahren wollte sie den Kredit schnell zurückzahlen und verkaufte ihr Haus. Die Bank verlangte nun zusätzlich zur Kreditsumme noch weitere 105.000 €. Das entspräche – so der Bericht der Frontal-Autoren – bei zwei Jahren, die der Kredit lief, 23 Prozent Zinsen im Jahr.
Für den deutschen Juristen Reifner handelt es sich um ein Beratungsverschulden, wenn man die Kreditnehmer nicht über die enormen Risiken aufklärt, dass sie hinterher mit wahnsinnigen Schulden dableiben, nur weil sie diese schwachsinnige Konstruktion gewählt haben.
Ein brisantes Urteil
Der XI. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sich dieser Geschäftsgebahren, die auch in Deutschland in vielen Fällen eingesetzt wurden, angenommen und im Dezember des Jahres 2001 ein für die Finanzwelt brisantes Urteil gefällt (AZ: BGH XI ZR 156/01).
Das oberste Zivilgericht entschied, dass Darlehen in derartigen Finanzierungskonstruktionen – Kredit plus daran gekoppelten Bausparvertrag oder Lebensversicherung – immer die Gesamtbelastung für den Kreditnehmer enthalten muss. Der Kreditvertrag muss sowohl die Kosten des Darlehens als auch die Kosten des Bausparvertrags beziehungsweise der Lebensversicherung wiedergeben. Dies haben die Kreditinstitute in den meisten Fällen jedoch aus gutem Grund vermieden.
Doch damit nicht genug: Der Bundesgerichtshof hat in weiteren Ausführungen ergänzt, dass – sofern die Gesamtbelastung für den Kreditnehmer nicht angegeben ist – Paragraph 4 des Verbraucherkreditgesetzes Anwendung findet. Dort wird geregelt, dass dem Darlehensgeber nur ein verminderter Zinssatz von vier Prozent zusteht (§ 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 b a. F., § 6 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG, § 246 BGB).
Das bedeutet, dass Kombikreditnehmer Anspruch auf Neuberechnung der Darlehenszinsen und Rückerstattung zu viel gezahlter Zinsen haben. Die Höhe einer derartigen Rückzahlung ergibt sich aus der Differenz des Vertragszinses zum gesetzlichen Zinssatz von vier Prozent.
Auch Immobilienkredite sind betroffen
Für die Kreditwirtschaft stellt dieses Urteil eine empfindliche Niederlage dar. Viele Konsumentenkreditverträge müssen nun überprüft werden, bei denen das Darlehen aus einem gekoppelten Bausparvertrag oder einer Lebensversicherung getilgt werden soll. Das betrifft den Kauf von Aktien oder Fondsanteilen auf Pump ebenso wie den Erwerb eines Autos, bei dem das Darlehen durch einen parallel abgeschlossenen Sparvertrag zurückgezahlt wird. Bisher gilt die Regelung zwar nur für Konsumentenkredite, Experten schließen allerdings nicht aus, dass dieses BGH-Urteil viel größere Kreise zieht und auch Hypothekendarlehen einschließt.
Dieser Auffassung ist auch Prof. Udo Reifner vom Institut für Finanzdienstleistungen in Hamburg (IFF): Die eigentliche Brisanz des Urteils liegt darin, dass das Urteil auch die Hypothekenkredite erfasst, die in Form der Lebensversicherungshypothek sowie der Bausparsofortfinanzierung vergeben werden. Dabei handelt es sich um einen Markt von rund 100 Milliarden Euro. Bei diesen Krediten muss zwar nicht der Gesamtbetrag angegeben werden, weil dies aus dem diesbezüglichen Gesetz gestrichen wurde, es muss jedoch ein repräsentativer Effektivzins angegeben werden.
Es ist dringend zu empfehlen, dass Schuldner mit Kombikrediten ihre Verträge von Verbraucherzentralen oder Rechtsanwälten überprüfen lassen. Fehlt der Hinweis auf die Gesamtbelastung, muss das Darlehen vom Kreditinstitut unter Anwendung des gesetzlichen Zinssatzes von vier Prozent neu berechnet werden. Daraus ergibt sich dann die Höhe der Rückforderung.