Google schlägt Alarm: „Das EU-Digitalgesetz schadet Europas Nutzern und Unternehmen“
Brüssel – Es ist ein bemerkenswerter Moment in der Beziehung zwischen einem der mächtigsten Technologieunternehmen der Welt und der Europäischen Union: Google, Tochter des US-Konzerns Alphabet, wird am Dienstag auf einem offiziellen Workshop der EU-Kommission mit scharfer Kritik an den neuen Digitalregeln der Union auftreten. Die Botschaft ist eindeutig – und brisant: Die Regeln zur Begrenzung von Marktmacht führen laut Google nicht zu mehr Fairness, sondern zu einem Rückschritt für Innovation, Wettbewerb und Nutzerfreundlichkeit in Europa.
Regulierung mit Nebenwirkungen?
Im Zentrum steht der Digital Markets Act (DMA) – ein Gesetzespaket, das seit März in Kraft ist und gezielt sogenannte „Gatekeeper“ unter die Lupe nimmt: Unternehmen, die in bestimmten digitalen Märkten eine besonders dominante Rolle spielen. Google gehört dazu. Die EU untersucht derzeit, ob der Tech-Gigant eigene Angebote wie Google Shopping, Google Hotels oder Google Flights in seinen Suchergebnissen bevorzugt – auf Kosten kleinerer Wettbewerber.
Sollten die Vorwürfe bestätigt werden, könnte es für Google teuer werden. Der DMA sieht Geldstrafen von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes vor. Bei einem Unternehmen wie Alphabet würde das Milliarden bedeuten.
Google verteidigt sich – und warnt vor negativen Effekten
Google wehrt sich. Die Unternehmensjuristin Clare Kelly wird in ihrer Rede am Dienstag vor Kommissionsvertretern und Kritikern ein düsteres Bild zeichnen: Die bisher umgesetzten Änderungen im Zuge der Regulierung hätten in der Praxis nicht mehr Wettbewerb geschaffen – sondern Nachteile für europäische Nutzer und Anbieter.
Ein Beispiel: Reisende, die früher über Google schnell und direkt zu den Webseiten von Fluggesellschaften gelangen konnten, müssen sich nun umständlich durchklicken. Das Ergebnis laut Google: höhere Ticketpreise, weniger Transparenz – und Frust bei den Nutzern.
Auch Anbieter seien betroffen. Kelly zitiert europäische Airlines, Hotels und Restaurants, die von massiven Einbrüchen bei Direktbuchungen berichten – bis zu 30 % weniger, seit Google seine Darstellung umgestellt hat. Gleichzeitig würden sich Nutzer über „umständliche, verwirrende Umwege“ beklagen.
Was fordert Google konkret?
Google stellt dabei nicht das Grundprinzip des DMA infrage, sondern fordert mehr Klarheit und Zusammenarbeit. Unternehmensanwalt Oliver Bethell wird die EU-Kommission dazu aufrufen, präzisere Vorgaben zu machen. „Wir brauchen eine genaue Vorstellung davon, wie Compliance konkret aussieht – nicht nur theoretisch, sondern mit Blick auf die reale Anwendung“, so Bethell. Nur so könne man Dienste anbieten, die sowohl rechtskonform als auch funktional und benutzerfreundlich seien.
Zugleich richtet sich Bethell an Googles Kritiker – mit einem klaren Appell: „Bringt Beweise.“ Wer behaupte, dass Googles Vormachtstellung schädlich sei, müsse auch Daten liefern, die tatsächliche Kosten und Nutzen belegen. „Wir wollen wissen, wo wir den Hebel ansetzen können – aber dafür brauchen wir Fakten, keine Behauptungen.“
Zwischen politischem Willen und technischer Realität
Die Brisanz dieses Dialogs liegt auf der Hand. Die EU will mit dem DMA ein Zeichen setzen – gegen übermächtige Tech-Konzerne, für einen faireren digitalen Binnenmarkt. Doch die Umsetzung zeigt, wie schwierig die Balance zwischen Regulierung und Innovation ist.
Google steht dabei exemplarisch für eine größere Debatte: Wie kann man digitale Märkte so gestalten, dass sie sowohl offen für Wettbewerb als auch nützlich für Verbraucher bleiben? Wann wird Regulierung zum Fortschritt – und wann zur Bremse?
Ein Workshop als Bühne für offene Fragen
Der Workshop der EU-Kommission, der am Dienstag um 08:00 Uhr (MEZ) beginnt, soll nicht nur Google Gehör verschaffen, sondern auch Kritiker zu Wort kommen lassen. Der Tag ist als Diskussionsplattform gedacht, auf der Unklarheiten, Widersprüche und konkrete Umsetzungsprobleme besprochen werden können.
Es ist ein Format, das zeigt: Die EU ist bereit, zuzuhören – aber sie erwartet auch, dass sich Google und andere betroffene Unternehmen ernsthaft mit den Anforderungen auseinandersetzen.
Mehr Dialog – aber auch mehr Verantwortung
Der Fall Google zeigt beispielhaft, wie komplex die Regulierung digitaler Plattformen im 21. Jahrhundert geworden ist. Es reicht nicht, Gesetze zu erlassen – man muss sie lebbar machen, für Unternehmen wie für Nutzer.
Ob der DMA wirklich hält, was er verspricht, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Doch dass Unternehmen wie Google den Dialog suchen, ist ein erster, notwendiger Schritt. Denn am Ende sollte es nicht um Machtspiele gehen – sondern um bessere digitale Lebenswelten für alle Europäerinnen und Europäer.
FAQ
Was ist der Digital Markets Act (DMA)?
Ein neues EU-Gesetz, das große Digitalkonzerne verpflichtet, fairere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und ihre Dienste für andere Anbieter zu öffnen.
Warum kritisiert Google das Gesetz?
Google befürchtet, dass die Regeln Innovation behindern und die Nutzererfahrung verschlechtern – etwa durch kompliziertere Suchergebnisse oder weniger direkte Zugänge zu Angeboten.
Was fordert Google konkret?
Mehr Klarheit, detaillierte Vorgaben zur Umsetzung – und dass Kritiker ihre Vorwürfe mit konkreten Daten untermauern.
Wird Google bestraft?
Das ist noch offen. Die EU ermittelt aktuell wegen möglicher Verstöße. Im schlimmsten Fall drohen Milliardenstrafen.