Für die Aktionäre waren Schrempps Abenteuer in den USA und in Japan eine herbe Enttäuschung. Der Kurs der Aktie war von einem Höchststand von über 100 Euro im Frühjahr 1998 auf rund 46 Euro im Frühjahr 2002 abgerutscht. Im Herbst 2001, nach den Terroranschlägen von New York und Washington, war der Wertverlust noch dramatischer ausgefallen: Das Daimler- Chrysler-Papier war auf 29 Euro durchgesackt. Und die Talfahrt ging schier unaufhaltsam weiter. Im März 2002 erreichte der Kurs mit 23,82 Euro einen Tiefpunkt.
Seit der Chrysler-Übernahme hatte der Konzern mehr als zwei Drittel seines Börsenwerts eingebüßt. Der mächtige Konzern war vom Jäger zum Gejagten geworden, die Welt AG selbst drohte zur Beute profitlüsterner Akquisiteure zu werden, die sich von der Zerschlagung von Schrempps Imperium satte Profite versprachen.
Während Daimler Chryslers Großaktionär, die Deutsche Bank, den Wertverfall ihres Aktienpakets in den 1990er Jahren noch ohne offene Kritik hingenommen hatte, rührte sich nun Widerstand. Vor allem die Investmentbanker von Europas größtem Geldhaus wollten die DaimlerChrysler-Papiere hebend gerne loswerden.
Die Kapitalverbindung zwischen der Bank und Europas größtem Autokonzern wurde im Ausland – vor allem in den USA – stets mit Argwohn betrachtet, weil Interessenkonflikte programmiert schienen und die Bank durch ihre privilegierte Stellung als Finanzinstitut und Großaktionär des Konzerns auch Zugang zu privilegierten Informationen hat. Das stärkte nicht gerade die Position der Deutschen Bank im internationalen Investment Banking, wo die wirklich großen Deals eingefädelt werden.
Deshalb hat Köppers Nachfolger Breuer immer wieder erklärt, dass sich die Bank aus den Industriebeteiligungen zurückziehen wolle. Erst lag es an der Steuerpolitik der jeweiligen Bundesregierung, die einen Verkauf des Pakets wegen der hohen Abgaben wenig lukrativ erscheinen ließ. Dann stellte der Aktienkurs das Hindernis für die Abgabe des Pakets dar: Die Bank würde beim gegenwärtigen Wert des Papiers auf Hunderte Millionen Euro verzichten müssen.
Die Banker arbeiteten dabei durchaus mit an dem fortschreitenden Wertverlust. Auf der Bilanzpressekonferenz 2001 stand Breuer den Journalisten auch nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung noch Rede und Antwort.
Auf Fragen, die nach einer neuen Aufgabe der Bank bei DaimlerChrysler gestellt wurden, sagte der Deutsche-Bank-Chef forsch: Ich kann bestätigen, dass die Deutsche Bank ein Mandat hat, DaimlerChrysler bei seiner Verteidigungsstrategie zu beraten, und sorgte für Schlagzeilen in der Tagespresse.
Von der Süddeutschen Zeitung bis zur Bild war Breuers Aussage die Spitzenmeldung des nächsten Tages. Hatte der erste Mann in Deutschlands größtem Geldkonzern doch die schlimmsten Befürchtungen über den Zustand des Konzerns mit seinem Hinweis erst öffentlich gemacht. Schlimmer noch: Breuer hatte mit seinem Statement gegen ein ehernes Gesetz im Bankbetrieb verstoßen – über Kundenbeziehungen wird in der Öffentlichkeit nicht geredet.
Breuers Verhalten warf wieder einmal viele Fragen auf: Was war nur in den Bankchef gefahren? Wollte er dem Daimler- , Chef gezielt eins auswischen oder nur die Bedeutung, die die Deutsche Bank im internationalen Investmentgeschäft einnahm, demonstrieren – eine Rolle, die sie bis zu jenem Zeitpunkt nicht oft spielen durfte?
Breuer schwieg über seine Motive, fühlte sich wie üblich in solchen Situationen nur gründlich missverstanden, Über den Medienrummel soll er sich nur gewundert haben, wie Der Spiegel in der Woche darauf süffisant berichtete.
DaimlerChrysler soll die Geschäftsbeziehungen zur Deutschen Bank seit der verbalen Entgleisung ihres Chefs auf ein Minimum beschränkt und die wirklich lukrativen Aufträge, wie die Platzierung von Anleihen oder Aktienpaketen, fast ausschließlich an Goldman Sachs vergeben haben.
Dass die Chemie zwischen dem ehemaligen Deutsche-Bank- Chef Breuer und dem DaimlerChrysler-Boss Schrempp nicht mehr stimmte, zeigte sich im Februar 2002.
Schrempp gab überraschend eine Gewinnwarnung für das laufende Geschäftsjahr heraus und schockte die Börse: Der Kurs der DaimlerChrysler-Aktie gab um 4,3 Prozent nach. Breuer war nach Angaben von Vertrauten stinksauer über Schrempps Ankündigung: Im Februar 2001 hatte der DaimlerChrysler-Chef für 2002 noch einen Gewinn von 5,5 bis 6,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Jetzt soll es nur ein Überschuss von deutlich über 2,6 Milliarden Euro werden. Unerwartet kam die neue Prognose vor allem deshalb, weil die Manager der drei großen Bereiche Mercedes-Benz, Chrysler und Nutzfahrzeuge kurz zuvor erklärt hatten, sie würden ihre Ziele für 2002 erreichen. Die Deutsche Bank wartete seit langem darauf, ihren Anteil von zwölf Prozent an DaimlerChrysler zu verringern — doch allein durch den Kurssturz nach Schrempps jüngster Beichte verlor das Paket fast weitere 240 Millionen Euro an Wert.
Erholt hat sich die Aktie erst, als im Juli 2005 bekannt wurde, dass Schrempp Ende des Jahres sein Amt niederlegen wird. Da legte der Kurs innerhalb eines Tages um mehr als zehn Prozent zu und übersprang endlich wieder die 40-Euro-Marke.
Am 1 .Januar 2006 trat dann Dieter Zetsche an, der bis zu seiner Ernennung zum DaimlerChrysler-Chef für die Sanierung von Chrysler zuständig war.
Eine Aufgabe, die er offensichtlich nicht vollendet hatte. Denn die Aktionäre und die Deutsche Bank drängten auf eine nachhaltige Lösung für den Gesamtkonzern. Das konnte nur bedeuten, dass Chrysler und Daimler wieder getrennte Wege gehen. Diese Lösung stellte Zetsche den Aktionären auf der Hauptversammlung im April 2007 in Berlin in Aussicht. Nachdem sich Daimler und Cerberus über die Konditionen geeinigt hatten, stieg die Notierung der Aktie wieder über 70 Euro.
Seit Herbst 2007 ist Daimler wieder ein weitgehend lupenreiner deutscher Autokonzern, wenn man von der Beteiligung an dem europäischen Luftfahrtunternehmen und Airbus-Bauer EADS absieht.
Doch noch etwas wird die Zukunft des deutschen Industrieunternehmens bestimmen: Die Deutsche Bank, die so lange die Geschicke des Konzerns mitbestimmt, die Umwege und Irrfahrten geduldet oder sogar aktiv unterstützt hat, steht nicht mehr fest an der Seite des Vorstandschefs.
Hilmar Köpper, der 17 Jahre erst als Vorstandssprecher der Deutschen Bank, dann als ihr Aufsichtsratschef auch das oberste Kontrollgremium bei Daimler geführt und für Schrempp die Mehrheiten organisiert hatte, ist am 4. April 2007 ausgeschieden. Mit 72 Jahren ging Köpper in den Ruhestand – auch als Aufsichtsrat. Und sein Nachfolger als Chef des Aufsichtsrats wird nicht etwa ein Vorstand der Bank, sondern Manfred Bischoff, der frühere Chef der deutschen Luft- und Raumfahrttochter, die vor ihrer Integration in die EADS noch DASA hieß.
Zwar verabschiedet sich die Deutsche Bank nicht vollständig aus dem Kontroll- und Aufsichtsgremium, aber sie beansprucht auch keine privilegierte Funktion mehr. Der Aufsichtsratschef der Bank, Clemens Börsig, der zuvor im Vorstand der Deutschen Bank für Controlling zuständig war, nimmt die Funktionen eines einfachen Ratsmitglieds wahr.
Diese Besetzungspolitik demonstriert auch nach außen, wie sehr sich die Beziehungen zwischen Bank und Autokonzern gelockert haben. Die Deutsche Bank hat ihre Beteiligung in den vergangenen Jahren von mehr als 12 auf magere 4,4 Prozent abgebaut. Doch selbst dieser Rückzug auf Raten ging nicht ganz geräuschlos über die Bühne. Wieder einmal scheint die Bank ihr eigenes Wohl über das ihrer Kunden und ihrer Co-Aktionäre gestellt zu haben.