Bevor Sie zu einem Bewerbungsgespräch gehen, sollten Sie wissen, welche Bedeutung dieses Gespräch für den neuen Arbeitgeber hat. Einige Punkte wurden eingangs bereits erwähnt. Die Erwartungshaltung der Arbeitgeber in Bezug auf das Vorstellungsgespräch ist sehr unterschiedlich, oft hängt das auch von der zu besetzenden Position ab. Bei einer sehr qualifizierten Position, für die neben Fachkenntnissen auch Persönlichkeit gefragt ist, wird der Stellenwert des Gespräches wesentlich höher sein als bei einer weniger qualifizierten Position. Immer aber müssen Sie davon ausgehen, dass der Arbeitgeber Ihrer Bewerbung bereits positiv gegenübersteht, denn sonst hätte er Sie ja nicht eingeladen. Für ihn kommt es jetzt darauf an zu erfahren, ob sich der gute schriftliche Eindruck auch persönlich bestätigt.
Das ist aber nur ein Punkt. Denn hinter dem Wunsch, Sie persönlich kennen zu lernen, steckt sehr viel mehr. Die wichtigsten Gründe in Kürze: Der Arbeitgeber möchte zunächst, bezogen auf die Position, wissen, ob Sie derjenige sind, der (auch) kraft seiner Persönlichkeit geeignet ist, die zu besetzende Position zu bekleiden. Orientieren wird er sich an den Anforderungen, die an die Position zu stellen sind, und ggf. auch an dem bisherigen Stelleninhaber. Wenn z. B. ein Außendienstmitarbeiter mit Vertriebs- oder Verkaufsaktivitäten gefragt ist, dann wird es darauf ankommen, ob der Bewerber neben einem ansprechenden Äußeren auch noch über die adäquate Ausdrucksweise verfugt und überzeugend argumentieren kann. Die Wichtigkeit des Erscheinungsbildes bzw. der Gesamtpersönlichkeit ist nicht zu unterschätzen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt:
Ein Verlag suchte für den Bereich Bayern einen erfahrenen Repräsentanten, der bestimmte Gebiete bereisen und Fachbücher verkaufen sollte. Er sollte auch im Zentrum der Reisegebiete wohnen bzw. bereit sein seinen Wohnsitz dorthin zu verlegen. Es wurde eine Stellenanzeige geschaltet, auf die sich fast hundert Bewerberinnen und Bewerber meldeten. Nur die wenigsten von ihnen hatten die nötigen Fachkenntnisse oder ausreichende Berufserfahrung oder sie kamen aus anderen Bundes-ländern und hatten demzufolge keine „bayernspezifischen“ Verkaufserfahrungen. Dennoch kam es zu insgesamt acht Bewerbungsgesprächen. Die Ergebnisse indes waren leider negativ, weil sich keiner der Bewerber so recht als Vollblutverkäufer herausstellte. – Noch während der Personalleiter, der Marketingchef und der Leiter der bayerischen Verlagsniederlassung miteinander diskutierten, was nun weiter zu tun sei, meldete sich im Büro ein Besucher, der sich für Fachbücher interessierte.
Im Gespräch mit der Kundenberaterin ließ er durchblicken, dass er vom Fach, aber derzeit leider arbeitslos sei, und fragte ganz nebenbei, ob es denn in der Firma eventuell Möglichkeiten einer Beschäftigung gäbe. Die Kundenberaterin wurde hellhörig, bat den Besucher um etwas Geduld und informierte rasch die noch beisammensitzenden leitenden Angestellten. Diese baten den Herrn zu sich. Es erschien ein Mann von markantem Äußeren, mit hoher Fachkenntnis und überzeugender Eloquenz. Nach den Enttäuschungen des Tages waren die Herren sehr angetan und verständigten sich mit Blicken: „Das ist er!“. Und so kam es, der Mann wurde auf der Stelle engagiert, wobei er noch das große Glück hatte, in der Region zu wohnen. Mit diesem ausführlichen Beispiel haben wir sicher einen ungewöhnlichen Einzelfall wiedergegeben. Aber so kommt es, wenn man das Glück hat zum rechten Zeitpunkt an die richtige Stelle bzw. an die richtigen Leute zu kommen.
Nebenbei beweist es auch, dass es nicht falsch ist sich in bestimmten Firmen einmal ganz unverbindlich nach Beschäftigungsmöglichkeiten zu erkundigen. Worauf es aber im Beispiel hauptsächlich ankommt, ist die Persönlichkeit des Bewerbers. Der Arbeitgeber suchte ganz gezielt einen Mann mit Verkaufs- und erfolgsorientiertem Auftreten. Diesen Eindruck kann nur das persönliche Gespräch vermitteln. Der zweite wichtige Grund für den Arbeitgeber, einen Bewerber oder eine Bewerberin persönlich kennen lernen zu wollen, ist interner Natur, nämlich sich ein Urteil darüber zu bilden, ob der Bewerber in die Mannschaft passt. Solche Arbeitgeberüberlegungen können einen ganz profanen Hintergrund haben: Wenn bislang ein Sachgebiet von zwei Mitarbeitern bearbeitet wurde und einer gekündigt hat, dann wird man sich fragen, ob der neue Mitarbeiter (Bewerber) zu dem verbliebenen passt. Beurteilungskriterien sind dabei Geschlecht, Arbeitszeitflexibilität, Alter oder persönliche Gewohnheiten (Rauchen z.B.). Auch dazu ein Beispiel:
In einem zeitintensiven Arbeitsgebiet (Telefonmarketing) bearbeiteten zwei Damen, beide Mitte 40, den Verkauf bestimmter Produkte einer Firma. Eine Mitarbeiterin hatte gekündigt, weil ihr Mann versetzt wurde. Bei den Bewerberinnen (man bevorzugte hier eindeutig eine Frau) wurde eine Vorauswahl getroffen. Man orientierte sich an betriebsbezogenen Gegebenheiten und nahm große Rücksicht darauf, dass die neue Mitarbeiterin auch zu der verbleibenden passen sollte. Wichtig
war – neben den Fachkenntnissen – personenbezogen – zunächst das Alter, das harmonieren sollte. Deshalb verzichtete man darauf, ganz junge Damen einzuladen (die, nebenbei sei es erwähnt, natürlich keine Ahnung hatten, warum ausgerechnet ihnen abgesagt wurde), sondern nur solche, die mindestens Mitte 30 waren. Sodann kam es auf zeitliche Flexibilität an, weil manche Kunden erst am späten Nachmittag erreichbar waren. Deshalb schieden Bewerberinnen aus, die zeitlich gebunden waren, z.B. weil sie aus persönlichen Gründen (häufig wurde Sport genannt!! oder Abholen der Kinder aus dem Kindergarten) zu einer bestimmten Zeit abkömmlich sein mussten. Und schließlich kam es noch auf eine angenehme Telefonstimme an. Das „Rennen“ machteallen Unkenrufen hinsichtlich älterer Arbeitnehmer zum Trotz – eine 53-jährige Dame, die sich persönlich wendig, flexibel und unternehmensorientiert zeigte.
Ähnlich wird ein Arbeitgeber denken, wenn er jemanden sucht, der in ein Team passen muss. Er wird bei der Bewerberauswahl im Vorstellungsgespräch in erster Linie die Persönlichkeiten des Teams im Auge haben und danach eine zusätzliche oder eine Ersatzkraft auswählen. Bei der Teamarbeit kommt es in erster Linie neben der Unternehmens- oder erfolgsspezifischen Vorgabe darauf an, dass jemand personenbezogen ins vorhandene Team passt, also kooperativ, hilfsbereit und sehr flexibel und auch in der Lage ist, für andere einzuspringen. Hier zählt nicht das eigene Arbeitsgebiet, sondern das der Gruppe. Bewerber z. B. mit einem ausgeprägten Geltungsbedürfnis oder Machtbewusstsein (das kann man als Arbeitgeber durch geschickte Fragen rasch herausbekommen, wenn sich die Bewerber im Gespräch nicht selbst schon offenbaren) sind da nicht geeignet. Auch hierbei können Alter und persönlicher Werdegang eine Rolle spielen.
Wenn z. B. jemand 15 Jahre in einer Firma allein in einem Sachgebiet gearbeitet hat, wird es ihm oder ihr sicherlich nicht leicht fallen, sich plötzlich einem Team einzuordnen. Ganz besondere Anforderungen sind an Führungskräfte zu stellen. Hierbei kommt es natürlich sehr auf die Persönlichkeit des Bewerbers an. Der Arbeitgeber möchte im persönlichen Gespräch herausfinden, ob und inwieweit ein Bewerber oder eine Bewerberin geeignet ist, zu führen, zu motivieren und Verantwortung für andere Mitarbeiter zu übernehmen. Bewerber mit Führungserfahrung haben es hier im Gespräch sehr viel leichter, als sie lediglich über Erfahrungswerte zu berichten haben, während man bei Bewerbern ohne Führungserfahrung häufig unrealistische Wunschvorstellungen vorfindet. Nicht selten lassen sich solche Bewerber aufs berühmte Glatteis führen, wenn im Vorstellungsgespräch ein Fall konstruiert wird, zu dem sie als Führungsperson eine Einschätzung geben sollen. Beispiel:
Ein Personalleiter fragte eine Bewerberin (ausgeschriebene Position: Abteilungsleiter/in Fertigung in einem Mikroelektronikbereich), die nach qualifizierter technischer Ausbildung Berufsanfängerin war, wie sie denn reagieren würde, wenn zwei oder drei Mitarbeiter permanent gegen die Unternehmensvorgaben kritisierend angehen würden. Die verblüffende Antwort war: „Ich würde versuchen, diese Leute schnellstens in die Schranken zu weisen und zur Not auch zu entlassen.“
Sie merken rasch, dass hier oberflächlich versucht wurde, arbeitgeberfreundlich zu reagieren, doch war die Antwort von Unkenntnis und auch Unreife geprägt. Besser wäre es gewesen, zu sagen, dass man sich erst einmal die Kritik anhören, sie analysieren und dann versuchen wolle, die Mitarbeiter einzuschätzen, um dann zu einem Ergebnis zu kommen. Wichtig wäre natürlich auch gewesen zu sagen, dass man die Vorgesetzten in solch einem Konfliktfall einbezieht. Der dritte Grund für einen Arbeitgeber, einen Bewerber persönlich kennen zu lernen, ist innovativer Natur. Anders gesagt: Der Arbeitgeber hat aufgrund der schriftlichen Bewerbung einen sehr guten Eindruck gewonnen und kann sich durchaus vorstellen den Bewerber zu engagieren. Ebenso gut könnte er sich aber auch für andere Bewerber mit etwa gleichen Voraussetzungen entscheiden. Nun möchte er aber wissen, wie speziell dieser oder jener Bewerber ihm für sein Unternehmen von Nutzen sein könnte oder was an besonderem Know-how und vor allem an Neuerungen er einbringt.
In diesem speziellen Fall wird das Bewerbungsgespräch in der Regel so ablaufen, dass man sich nicht lange mit den üblichen Höflichkeiten aufhält (z. B. was haben Sie bisher gemacht, warum wollen Sie sich verändern, was wissen Sie von uns?), sondern gleich zur Sache kommt und fragt, was der Bewerber kraft seiner Berufserfahrungen und Kenntnisse in einem bestimmten Bereich ändern oder anders gewichten würde. Das ist dann die große Stunde der Fachleute, die aber leicht auch zur Bewerberfalle werden kann, nämlich, wenn jemand nur von der Vergangenheit redet, statt die Chance zu erkennen, sich motivierend „zu verkaufen“ und in die Zukunft zu blicken. Für den Arbeitgeber steht in diesem Fall eines fest: Er will einen tüchtigen Mann oder eine tüchtige Frau gewinnen, der oder die bereit ist, sein spezifisches Unternehmensziel erfolgreich voranzubringen. Wer hier als Bewerber Pluspunkte sammeln will, muss sich nicht nur ausführlich auf das Vorstellungsgespräch vorbereiten, sondern sich auch mit dem Unternehmen, seinen Zielen und etwaigen Schwierigkeiten auseinandersetzen.
Viele Bewerber scheuen sich, aus Angst etwas falsch zu machen, davor, auch Kritik zu üben. Das ist grundfalsch; Voraussetzung ist natürlich, dass man die Situation und die Besonderheiten des Arbeitgebers genau einzuschätzen weiß. Und schließlich kommt es darauf an bei der Entwicklung seiner Vorstellungen moderat und adressatengerecht vorzugehen. Besinnen Sie sich als Bewerber darauf, was Sie können und was Sie zu leisten gewillt sind, und bringen Sie dies mit den aus dem Bewerbungsgespräch herausgehörten Erfordernissen geschickt in Einklang. Schließlich gibt es noch einen vierten Grund für den Arbeitgeber, Sie als Bewerber zu einem Gespräch einzuladen, der zwar nicht den gängigen Regeln der Fairness entspricht, aber häufig anzutreffen ist und deshalb angesprochen werden soll. Man möchte Sie nämlich persönlich kennen lernen, um herauszubekommen, welcher Art genau Ihre jetzige Tätigkeit ist, besonders dann, wenn Sie in einem konkurrierenden Unternehmen beschäftigt sind oder wenn Ihre Bewerbungsunterlagen durchblicken lassen, dass Sie ein gewisses Branchen- Know-how haben.
Das ist so etwas wie Konkurrenzanalyse auf dem Rücken des ahnungslosen Bewerbers, um es einmal ganz deutlich zu sagen. Das Trügerische an diesen Vorstellungsgesprächen ist, dass sie ganz harmlos eingeleitet werden und Sie sich in der Sicherheit eines scheinbaren Interesses wiegen können. Meistens steht dabei fest, dass Sie als neuer Mitarbeiter keinesfalls in Betracht kommen. Der Schwerpunkt des Arbeitgeberinteresses liegt eindeutig auf Ihrem jetzigen Arbeitsgebiet, das man aushorchen möchte. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass eine Stellenanzeige nur zum Schein für teures Geld ausgegeben wurde, wie auch die meisten Arbeitgeber ehrlich jemanden als Mitarbeiter suchen und auch dankbar sind, wenn sie von der Konkurrenz einen Fachmann oder eine Fachfrau bekommen. Doch die Furcht, dass kraft brancheninterner Kontakte firmenspezifische Besonderheiten „das Haus verlassen“ könnten, ist sehr ausgeprägt. Deshalb schaut man sich einen Bewerber von der Konkurrenz erstmal genau an und versucht, möglichst viele Interna herauszubekommen.
Auch liier verbirgt sich eine Bewerber falle. Denn wenn Sie als Bewerber zu viel erzählen, womöglich noch mit herber Kritik an Ihrem derzeitigen Arbeitgeber vermischt, dann setzen Sie sich dem Verdacht aus, dass Sie auch über den neuen Arbeitgeber unerwünscht freizügig reden werden. Achten Sie also darauf, wenn ein Arbeitgeber ein ausgeprägtes Interesse an Interna Ihres jetzigen Arbeitgebers zeigt, die für ein Vorstellungsgespräch unüblich sind, und erzählen Sie keine Einzelheiten. Es sei abschließend noch einmal in Erinnerung gerufen: Im Regelfall möchte der Arbeitgeber Sie nur persönlich kennen lernen, nachdem er anhand Ihrer Unterlagen bereits weiß, wen er vor sich hat. Deshalb sollen Sie beim Vorstellungsgespräch persönlich überzeugen durch angemessenes Auftreten, mit durchdachten Gesprächsbeiträgen und – ganz wichtig – auch dadurch, dass Sie sich auf einen ganz unüblichen Gesprächsablauf einstellen.