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Behavioral Finance – die verhaltensorientierte Kapitalmarktforschung

Inzwischen sind nicht nur die Gesellschaftswissenschaftler, sondern auch die Bankmanager zu der Überzeugung gelangt, dass das, was gelegentlich als irrationale Abweichung einzuordnen war, letztlich das Normale und in vieler Hinsicht das wirksamere Element bei Anlageentscheidungen ist: das emotionale und irrationale Verhalten vieler Anleger.

Die Kurse an den Börsen unterliegen eben der kollektiven Psyche der Marktteilnehmer viel stärker, als man es noch vor wenigen Jahren vermutete oder wahrhaben wollte. Deshalb wird das Verhalten der Anleger auch zu einem ständig wachsenden Forschungsgegenstand, und in der Deutschen Bank gibt es sogar schon eine eigene Abteilung für Technical Analysis and Behavioral Finance. In Amerika existieren bereits mehr als 20 Professuren für die verhaltensorientierte Kapitalmarktforschung, und auch in Deutschland wächst die Nachfrage nach solchen Forschungs- und Beratungsleistungen. Professor Rüdiger von Nitzsch an der RW TH Aachen gilt als einer der profiliertesten Vertreter dieser Forschungsrichtung in Deutschland.

Nach seiner Meinung ist zwar jeder Investor anders, aber alle, ob Profi oder Privatanleger, machen die gleichen Fehler. Zu diesen typischen Fehlern gehört, dass Verluste zu spät und Gewinne zu früh in tatsächliches Handeln umgesetzt werden. Bei den Verlusten spielt die Hoffnung eine Rolle, dass sich der Trend doch noch umkehren möge, ohne dass man selbst aktiv wird, und bei den Gewinnen ist man bereit, lieber den Spatz in der Hand mitzunehmen als auf die Taube auf dem Dach zu warten. Ein besonderes Problem ist, dass Verluste emotional viel schwerer wiegen als Gewinne. Die meisten Anleger, ob Profis oder Privatleute, überschätzen ihre

Fähigkeit, Kurse zu prognostizieren. Dabei sind die Profis sogar noch schlimmer dran als die Privatinvestoren.

Weil jeder Profi auf die gleichen professionellen Informationen zurückgreift wie alle anderen Profis auch, kommen sie alle auch in ihren Entscheidungen zu den gleichen Ergebnissen, zu den gleich falschen, kann man sogar sagen. Die Trefferquote der Vorhersagen professioneller Anleger liegt nach verschiedenen Studien so ungefähr bei 40 Prozent. Privatanleger, denen nicht so viele Informationen zur Verfügung stehen und die emotional an die Sache herangehen, haben eine Trefferquote von etwas über 50 Prozent. Gleich gute Ergebnisse lassen sich auch durch das Werfen einer Münze erreichen.

Aber da man seinen eigenen Fähigkeiten ja viel zutraut, ist man auch bereit, Risiken einzugehen, die in Wirklichkeit kaum zu kalkulieren sind. Außerdem neigt der Mensch dazu, seine eigenen Entscheidungen und Meinungen zu rechtfertigen und sie im Zweifelsfall auch schönzureden.

Erschwerend kommt hinzu, dass man, wenn man einmal eine Meinung gefasst hat, auch nur nach Informationen Ausschau hält, die genau diese Meinung bestätigen und untermauern, gegensätzliche Informationen jedoch ignoriert. Im Ergebnis sieht es dann oft so aus, dass die Verlierer sagen: Meine Prognose war richtig, nur der Markt hat sich falsch verhalten.

In diesem Zusammenhang weist Nitzsch auch darauf hin, dass die Mehrzahl der Menschen viel zu verliebt in die eigenen Entscheidungen ist, um diese aufzugeben, selbst wenn sie sich als falsch erwiesen haben. Man bleibt dabei und basta! Verluste nimmt man trotzig in Kauf und frägt sie stolz, wie Studenten der schlagenden Verbindungen in der Vergangenheit ihre Narben zur Schau trugen.

Ebenfalls eine menschliche Eigenschaft scheint es zu sein, dass man nach Verlustphasen ängstlich reagiert und vor lauter Vorsicht selbst offensichtliche Gewinnchancen in den Wind schlägt, während man nach einigen Gewinnen sofort übermütig wird, über die Stränge schlägt und noch größere Risiken eingeht, bis das Gewonnene wieder zerronnen ist.

Nach verschiedenen Untersuchungen schaffen es tatsächlich nur 5 Prozent der Investoren, auf Dauer besser abzuschneiden als die normale Marktentwicklung.

In den USA ist man zu der Erkenntnis gelangt, dass dort die durchschnittlichen Anleger ihre Aktien viel zu häufig kaufen und verkaufen. Der typische amerikanische Anleger schichtet sein Portfolio pro Jahr zu 70 Prozent um. Kostolany und seine Schlaftabletten sind dort bis heute wohl unbekannt geblieben. Es ist eigentlich erstaunlich, dass Verluste viel mehr schmerzen, als Gewinne glücklich machen. Um die Verluste nicht sichtbar werden zu lassen, behält man eben einfach die Verliereraktien und verkauft die Gewinner mit kleinem Profit.

Und was macht man dann mit dem Geld? Man kauft erneut Aktien, bloß, wie die Statistiken zeigen, bringen die im Schnitt noch 6 Prozent weniger als die, die man verkauft hat, um die neuen kaufen zu können. Wohin geht dabei der Trend? Ganz klar nach unten! Die Portfolios der Anleger füllen sich mit Verliereraktien, aber irgendwo müssen natürlich auch die Gewinner bleiben. Und wo? Bei den Leuten, die mit kühlem Sachverstand und möglichst noch einer Checkliste an die Aktien heran- gehen.

Wie heißt es doch so schön unter den Börsianern: Hin und her macht Taschen leer. Ob long, ob short, das Geld ist fort! Auch dieser Spruch hat sich in der Praxis bestätigt. Frauen sind für dieses Hin und Her nicht so anfällig wie Männer und erst recht nicht so anfällig wie männliche Singles, die zu 67 Prozent häufiger ihre Aktien kaufen und verkaufen als die weiblichen Pendants.

Besonders riskant ist es, die Aktiengeschäffe übers Internet abzuwickeln, denn das animiert geradezu zum schnellen Kaufen und Verkaufen. Vergleicht man Onlinedepots mit traditionell geführten Aktiendepots, dann lässt sich sehr schnell beweisen, dass die Umschlaghäufigkeit im Internet auf bis zu 120 Prozent pro Jahr steigen kann. Dazu trägt nicht zuletzt auch die Informationsflut bei, die uns per Internet ins Haus kommt.

Die meisten Menschen glauben, je mehr Informationen sie hätten, desto besser wären sie in der Lage, Voraussagen zu treffen. Das ist jedoch nicht der Fall. Die meisten Informationen vernebeln nur das Gehirn. Die Börse funktioniert eben nur zu einem kleinen Teil aufgrund von Informationen und zu einem großen Teil aufgrund von Gefühlen.

Auch Rüdiger von Nitzsch hat fünf verschiedene Anlegertypen definiert und zudem entsprechende Tests entwickelt, mit denen jeder Anleger feststellen kann, zu welcher Kategorie er gehört. Ziel dieses Tests ist es aber nicht, nur die Selbsterkenntnis zu fördern, sondern auch die typbezogenen Fehler zu vermeiden und nach Möglichkeit sein Verhalten sogar zu ändern.

Der erste Typ ist der Einstandspreisorientierte. Er weiß immer genau, zu welchem Preis er eine bestimmte Aktie gekauft hat, und sein Ziel ist es, mit jeder Aktie Gewinn zu machen. Mit dieser Methode verliert er natürlich die Risikostreuung aus dem Auge und ist blind für die Erkenntnis, dass fast 50 Prozent aller Geschäfte nicht von Erfolg gekrönt werden.

Eine besonders originelle Idee ist die häufig gegebene Empfehlung, dass man weitere Aktien des gleichen Unternehmens kaufen sollte, wenn der Aktienkurs unter den gezahlten Einstandspreis fällt. So würde man rein statistisch die Verluste pro Aktie minimieren, da man ja die sinkenden Preise mit den höheren verrechnen könne. In der Konsequenz bedeutet dieser Ratschlag, der wirklich gar nicht so selten ist und in der Literatur immer wieder auftaucht, dass man bei fallenden Kursen immer mehr Verlustaktien kaufen soll, bis zum Schluss das ganze Portfolio nur noch aus Verlustbringern besteht, die nichts mehr wert sind. Aber wenigstens sind sie alle gleichmäßig nichts mehr wert.

Rüdiger von Nitzsch gibt den einstandspreisorientierten Anlegern den Tipp, sich immer wieder daran zu erinnern, dass es nicht wichtig ist, zu welchem Kurs man eine Aktie gekauft hat, sondern nur, welche Zukunftsaussichten sie hat.

Der nächste Anlegertyp ist derjenige, der vorschnell handelt. Er ist mit den Informationen zufrieden, die ihm gerade zur Hand sind, und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidungen. Der Tipp für diesen Anleger lautet: Auch wenn etwas sehr plausibel ist, muss es noch lange nicht stimmen. Diesem Typ sehr ähnlich sind die Anleger, die an ihren Entscheidungen hängen und sich nicht eingestehen mögen, etwas falsch gemacht zu haben.

Hier lautet ein weiterer Tipp: Wer keine Fehler zugeben kann, macht damit zwei neue. Erstens verpasst er die Chance, aus der Vergangenheit zu lernen, und zweitens läuft er Gefahr, dass auch die zukünftigen Entscheidungen ebenso unvernünftig ausfallen wie die vergangenen. Es geht nicht darum, die eigene Vergangenheit schönzureden, sondern für die Zukunft tragfähige Grundlagen zu schaffen.

Der zu vorsichtige Anleger möchte jedes Risiko vermeiden und alles unter Kontrolle haben. Deshalb verpasst er viele Chancen. Hier ist der Tipp: Wenn man nur deshalb so vorsichtig ist, weil man glaubt, zu wenig über die Börse zu wissen, dann sollte man sich auf den Hosenboden setzen und dazulernen.

Der unvorsichtige Anlegertyp neigt dazu, seine Fähigkeiten zu überschätzen und deshalb waghalsig zu agieren. Er setzt viel zu viel auf eine Karte, konzentriert sich auf nur wenige Unternehmen und versucht so, schnell reich zu werden. Wenn er es tatsächlich wird, hat das mehr mit Glück als mit Können zu tun.

Der Tipp für diesen Anleger lautet: Sich bewusst machen, dass es immer, wenn man eine Aktie zu einem bestimmten Preis kaufen möchte, auch jemanden geben muss, der diese Aktie für diesen Preis verkauft. Man sollte deshalb immer genau überlegen, ob man selbst wirklich über so viel bessere Informationen verfügt als derjenige, der zum Verkauf dieser Aktie bereit ist.