Wer zählt die Posten, wer kennt die Honorare, die deutsche Bankmanager in zahlreichen Unternehmen abkassieren. Die Ämterfülle der Banker führt entweder zu mangelnder Aufsicht oder zu einem gefährlichen Hineinregieren in die Unternehmensführung und manchmal zu Insiderwissen, das schamlos ausgenutzt wird. Die Folge sind immer mehr Unternehmensschieflagen, die bei besserem Management und sorgfältigerer Aufsichtsrattätigkeit hätten vermieden werden können. Die Zeche zahlen am Ende die Arbeiter und Angestellten, die durch Firmenpleiten ihren Arbeitsplatz verlieren.
Als der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer am 4. Februar 2002 in einem Interview des Börsensenders Bloomberg TV die deutsche Kreditwirtschaft warnte, weitere Kredite an den Münchner Medienmogul Leo Kirch zu geben, war es wieder einmal so weit: Der Primus im deutschen Kreditgewerbe hatte ein Tabu gebrochen, einen Skandal ausgelöst. Als in den Wochen danach die Kirch-Gruppe wie ein Kartenhaus einstürzte, erhielt die alte Diskussion über die Rolle der Banken in der deutschen Wirtschaft neue Nahrung.
Angesichts des Medienrummels erklärte Breuer, dass er missverstanden und das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen worden sei. Überdies habe er nicht in seiner Eigenschaft als Chef der Deutschen Bank gesprochen, sondern als Präsident des Bundesverbands deutscher Banken. Doch die nachgeschobenen Rechtfertigungen halfen nicht. Die Deutsche Bank war wieder einmal ins Fettnäpfchen getreten. Der Chef höchstpersönlich hatte das oberste Gebot im Geldgewerbe, absolute Diskretion über Kundenbeziehungen zu wahren – und Kirch war als Kreditnehmer nun einmal Kunde der Deutschen Bank – verletzt. Das war, darin bestand weitgehende Einigkeit in der deutschen Wirtschaft, ein grober Fehler, ein unverzeihlicher Fauxpas. So etwas kann einem erfahrenen Banker eigentlich nicht passieren. Schon gar nicht einem Spitzenmann wie Breuer, der nach dem Abschied aus dem aktiven Managerleben seine steile Karriere sogar mit dem Vorsitz im Aufsichtsrat von Deutschlands bedeutendstem Bankhaus krönen darf. Flugs unterstellten viele Kommentatoren dem Banker eine Absicht. Er habe Kirch vorsätzlich diskreditiert, um noch einmal ordnend in das deutsche Wirtschaftsgefüge einzugreifen, in diesem Fall um die Medienbranche von einem unsicheren Kantonisten zu befreien und die Medienmacht des konservativen Kirch zu brechen.
Eine waghalsige Theorie, die den Banker Breuer in die Rolle eines industriepolitischen Strategen manövriert. Doch wie die darauf folgenden Wochen zeigten, wollte keiner das überschuldete Kirch-Imperium zerschlagen oder gar retten. Weder der gefürchtete Kirchrivale Rupert Murdoch, dessen Konzern auch mit Morgan Grenfell, der Investmentbank-Tochter der Deutschen Bank, zusammenarbeitet, noch irgendein anderer erzkonservativer Potentat wie der italienische Staatspräsident und Medienmagnat Silvio Berlusconi. So war Breuers Fapsus doch nur eine Panne. Ein Fehltritt wie er eben passiert, wenn Manager großer Konzerne durch ihre Aufgabenfülle überfordert sind.
Gierige Postensammler
Dass es gerade im deutschen Bankgewerbe viele überforderte Manager gibt, daran besteht wohl kaum ein Zweifel. Denn Deutschlands Spitzenbanker regieren nicht nur ihre Konzerne mit Tausenden von Mitarbeitern in aller Welt, schieben Milliardensummen von Anlegerkapital rund um den Globus und reden auch sonst überall mit – mal über Aufsichts- oder Beiratsmandate, mal über verschleierte oder direkte Beteiligungen. Kaum ein Großunter nehmen, in dem sie nicht mit der mächtigen Versicherungswirtschaft im Hintergrund mitbestimmen, wer die Firma führen darf, in welche Bereiche investiert wird oder welche Zukunftstechnologien erforscht werden. Sie verdienen mit, wenn Kredite gebraucht oder Aktien ausgegeben werden. Nur zu gern sind sie dabei, wenn Firmen akquiriert oder verkauft werden.
Weil sich diese Geschäfte so bequem und honorig aus der Position eines Aufsichtsrats heraus anbahnen lassen, sind alle Banker auf diese Posten erpicht. Besonders eifrig aber sammeln die Vorstände der Deutschen Bank die teilweise ansehnlich dotierten Kontrollmandate ein. Die Führungspitzen des größten deutschen Finanzinstituts sitzen in mehr als 500 Aufsichts- und Beiräten. Das Spektrum reicht von Daimler-Benz und Volkswagen über Siemens, Lufthansa, Thyssen und Krupp-Hoesch bis hin zu Linde oder der Metallgesellschaft (MG). Breuers Vorgänger Hilmar Köpper hatte sogar gelegentlich Mühe, sich seine einzelnen Verpflichtungen zu merken. Nicht nur der frühere Chef der Deutschen Bank war bisweilen mit dem Behalten und Verwalten seiner Mandate überlastet. Auch seine Kollegen waren gut beschäftigt mit ihren Kontrollaufgaben in der Industrie – zusätzlich zu ihren Aufgaben in der Bank. Als den Duisburger Handelskonzern Klöckner 8t Co. Riskante Ölspekulationsgeschäfte in die Schieflage trieben, saß der damalige Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri im Aufsichtsrat. Als die Stahlfirma Klöckner-Werke AG vor dem Konkurs stand, war sein Kollege Rolf-E. Breuer im Kontrollorgan.
Unheimliche Aufgabenfülle
Neben seinen Aufgaben als Vorstandssprecher der Deutschen Bank leitete das CDU-Mitglied Breuer auch den Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG, kontrollierte den Energieversorger e.on AG, Europas größten Medienkonzern, die Bertelsmann AG, die Siemens AG, die Deutsche Lufthansa AG sowie die Münchner Rück- Versicherungsgesellschaft AG. Zudem ist er Mitglied im Board of Trustees der internationalen Unternehmensvereinigung The Conference Board und Präsident des Bundesverbands deutscher Banken.
Doch mit der Kontrolle geben sich die Banker nicht zufrieden. So richtig in ihrem Element sind sie erst, wenn sie über Beteiligungen im großen Stil Industriepolitik betreiben können. Zu den Stars in dieser Sparte gehörte auch der frühere WestLB-Chef Friedei Neuber, der einst die Chartergesellschaft LTU, die Kaufhaus-Tochter ITS und den größten europäischen Reiseveranstalter TUI kontrolliert hatte. In der Wachstumsbranche Tourismus ging nichts mehr ohne ihn.
Insgesamt hielten deutsche Kreditinstitute Ende der 90er Jahre bei 4.310 branchenfremden Unternehmen Beteiligungen von zehn Prozent und mehr. Die Versicherungen beteiligten sich an rund 1.000 Firmen. Um das Machtgefüge dicht und die Zahl der Beteiligten klein zu halten, sind Überkreuzverbindungen die Regel. Schon vor der Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz waren die personellen Verflechtung eng. So saß der ehemalige Allianz-Chef Wolfgang Schieren im Aufsichtsrat der Dresdner Bank. Ex-Dresdner-Boss und MG-Aufsichtsratsvorsitzer Wolfgang Roller kontrollierte Europas größten Versicherungskonzern mit. Die Allianz war an der Bank beteiligt.
Geschlossene Deutschland AG
Gegen solche Klammergriffe muckt die deutsche Großindustrie nicht auf – im Gegenteil: Zwischen der deutschen Industrie und der Kreditwirtschaft hat sich ganz überwiegend eine fruchtbare Zusammenarbeit und Machtbalance herausgebildet1, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Doch welcher Topmanager, Unternehmer oder Verbandspräsident kann es sich schon leisten, gegen die Götter des Geldes zu opponieren? Beteiligte wie Betroffene wissen, dass Schweigen Gold, Reden aber schnell das Ende einer Karriere bedeutet. Kritik an dem Kuschelclub der Kontrolleure kam in den vergangenen Jahren dagegen aus Politik, Medien, von Aktionärsschützern und Wirtschaftswissenschaftlern sowie aus dem Ausland: Das undurchschaubare Netz zwischen Wirtschaft, Banken und Versicherungen schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt, fürchtet etwa der Hamburger Professor Michael Adams. Im Ausland gibt es längst einen Namen für die allzu engen Verflechtungen zwischen Geldgewerbe und Industrie. Das wenig schmeichelhafte Wort von der geschlossenen Gesellschaft oder der Deutschland AG hat vor allem im Ausland einen bitteren Beigeschmack.
Dass der Einfluss der Banken auch im Inland keine segensreiche Wirkung entfaltet, zeigen die großen Pleiten, Beinahekonkurse und Pannen der vergangenen zehn Jahre: Die Namen Holzmann, Deutsche Börse AG (DBAG), Metallgesellschaft, Schneider und Thyssen/Krupp stehen für die Schattenseiten der von den Banken dominierten Deutschland AG.