Es war André Kostolany, der seinen Lesern und Zuhörern immer wieder aufs Eindringlichste nahe legte, dass die Psychologie mindestens 90 Prozent des Börsengeschehens bestimmt. Nicht die tatsächlichen Ereignisse oder die Fakten entscheiden über die Entwicklung der Kurse, sondern die Art und Weise, in der sie von der Mehrzahl der Aktionäre wahrgenommen, interpretiert und in Entscheidungen umgesetzt werden. Dieselbe Preis- Gewinn-Relation bei ein und demselben Unternehmen kann zum einen Zeitpunkt als zu niedrig beurteilt werden und zu einem anderen als zu hoch.
Man braucht wahrscheinlich wirklich die in Jahrzehnten gereifte Lebensweisheit Kostolanys und die Vielfalt der durchlebten Situationen, um diese Subjektivität der Massen in ihrer ganzen Bedeutung zu verstehen. Die Börsenkurse folgen keiner Logik, auch wenn es uns die Analysten und Chartfanatiker immer wieder glauben machen wollen. Wer mit Statistiken umgehen kann, wird fast jeden Zusammenhang, ob zwischen der Börse und den Sternen oder zwischen der Börse und der Damenmode, beweisen können. Doch diese Erklärungen beweisen nur, dass es keine Zusammenhänge geben kann. Wären sie vorhanden, so hätte man sie längst gefunden, und es gäbe keine Börse mehr, sondern nur noch Fixpreise.
Was die Wissenschaftler entdeckt haben, ist der Zusammenhang mit der Massenpsychologie. 60 Prozent der mittelfristigen Kursschwankungen sollen sich eindeutig darauf zurückführen lassen. Zwar sind massenpsychologische Phänomene so schwer zu erklären und noch schwerer vorherzusagen, dass es dafür bis heute keine Formeln gibt, aber man hat nicht aufgegeben, sie zu suchen.
Was jedoch vorhergesagt werden kann, ist in einem bestimmten Rahmen das Verhalten des einzelnen Kapitalanlegers. Damit hat man immerhin einen Ansatz und jeder kann sein eigenes Verhalten optimieren, wenn er in der Lage ist, sich zu ändern. Aber auch das fällt den meisten Menschen schwer. Erst recht, wenn es um ihr Verhältnis zum Geld geht.
Typologie der Kleinanleger
Nicht jeder, der Geld zur Verfügung hat, geht auch in gleicher Weise damit um, wenn es darum geht, Aktien zu kaufen. Fünf verschiedene
Anlegertypen soll es geben:
- Der Stille Teilhaber. Er möchte auch am verlockenden Börsengeschäft teilnehmen, allerdings nur aus sicherer Distanz. Dieser Anlegertyp besitzt in der Regel nur Fonds und ist zu einer kleinen Risikostreuung bereit.
- Der Klein-Absahner kommt etwas stärker aus der Deckung heraus. Er will nicht nur eine Beratung, sondern teilweise selbst seine Entscheidung treffen und nicht alles seinem Berater überlassen. Er schwankt ständig zwischen seiner Gewinngier und seinem Sicherheitsdenken und handelt entsprechend. Klein-Absahner investieren vor allem in Standardaktien mit eingebauter Sicherheitsdividende.
- Der Quartalsspekulant. Er weiß um das Risiko, dass er dem Börsenlaster und seiner Eigendynamik schnell verfallen könnte. So handelt er nur sporadisch, als wenn er eine Spielbank besuchte. Der Quartalsspekulant investiert meist kurzfristig, kauft und verkauft ebenso schnell. Seine Entscheidungen trifft er mehr aus dem Bauch heraus.
- Der Systemzocker. Er geht bewusst hohes Risiko ein und engagiert sich in Hot Stocks, Nebenwerten, Außenseitern, in Derivaten und Optionsscheinen. Standardaktien langweilen ihn. Er kennt sich gut aus, hat einige Krisen an den Börsen überwunden und kennt Überlebensstrategien wie Limits für den Ein- und Ausstieg.
- Der Schicksalshasardeur. Er ist berauscht vom gesamten Geschehen, taucht in die Börse ein wie in eine Droge, setzt alles aufs Spiel, versetzt sogar Haus, Hof, Katze und Hund. Wie ein Kasinobesucher, der sich kein Limit setzt. Auch ihn haben Anfangserfolge zum Weitermachen animiert. Ein Crash an der Börse wird bei ihm zum existenziellen Absturz.
Die Zahl der Schicksalshasardeure ist kräftig gestiegen: Man hängt seinen Menschenverstand an den Kleiderhaken, wenn man sieht, dass ein Freund schnell reich geworden ist. Da will man nicht zurückstehen und es ihm gleichtun. Schnell gehen alle Regeln über Bord, die man als relativ risikobewusster Mensch einmal hatte.
In der bekannten Zeitung mit vier Buchstaben rühmte sich ein Lehrer: Ich habe innerhalb von zwei Tagen ein Lehrer-Jahresgehalt gewonnen. Warum arbeite ich eigentlich noch? Muss ich das? Müssen überhaupt andere arbeiten? Ich kann doch viel schneller an der Börse Kohle machen. Gottlob ist diese Mentalität (Börse statt Arbeit!) weg und raus. Auch eine heilsame Lehre aus dem Schock am Neuen Markt.