Wie lautet eine zeitgemäße Definition des fast schon inflationär verwendeten Begriffs „Kundennähe“? Die Frage erscheint berechtigt in einer Zeit, da fast 70 Prozent aller Deutschen regelmäßig das Internet nutzen. Die Onlinequote hat sich damit seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt – bei weiter steigender Tendenz. Entfernungen spielen keine entscheidende Rolle mehr bei der Auswahl eines Anbieters.
Von sehr personennahen Dienstleistungen abgesehen, lässt sich Kundennähe somit nicht mehr länger geografisch erklären. Denn letztlich ist keine Bankfiliale, keine Buchhandlung und kein Reisebüro näher als der eigene Computer mit Internetzugang, über den die Verbraucher Geldgeschäfte abwickeln, Lesestoff bestellen und die nächste Urlaubsreise buchen können. Dennoch wird der Faktor Nähe gerade von den Finanzdienstleistern gern ins Feld geführt, wenn es gilt, die Vorteile eines mehr oder minder engmaschigen Geschäftsstellennetzes zu preisen. Nähe statt Anonymität, Beratung statt reiner Transaktionen, Individualität statt Massenmanagement – so lauten die Argumente der Filialbanken im Wettbewerb mit den zentralisiert arbeitenden Direktbanken.
Das klingt zunächst einmal überzeugend, zumal das Bedürfnis der Menschen nach Individualität wächst. Doch wie sieht die tägliche Praxis aus? Die langjährige Mitarbeiterin einer großen deutschen Sparkasse brachte es vor einiger Zeit auf den Punkt. Nachdem ihr Vorstandsvorsitzender zuvor wortreich über Kundennähe und Kundenbegeisterung referiert hatte, die eben nur durch Geschäftsstellen vor Ort möglich seien, verblüffte die Bankerin ihren Chef mit einer einzigen Frage: „Wie sollen wir unsere Kunden in der Geschäftsstelle begeistern, wenn immer weniger kommen und diese wenigen oft genug von unseren Azubis bedient werden, weil wir uns im BackOffice um die Bürokratie und die Vorbereitung der nächsten Meetings kümmern müssen?“
Allein die Präsenz vor Ort ist somit kein Merkmal mehr für wirklich gelebte Kundennähe. Das mag vor 20 Jahren noch anders gewesen sein. Individualität als Ausdruck der Nähe wiederum würde zum Beispiel voraussetzen, den Kunden ganz persönlich und objektiv zu beraten. Doch genau an diesem Punkt offenbart sich ein weiteres Dilemma der Filialbanker. Ein Geschäftsstellennetz ist teuer, weshalb in den vergangenen Jahren zahlreiche Niederlassungen an wenig lukrativen Standorten geschlossen oder durch elektronische Zweigstellen mit automatischen Serviceterminals ersetzt wurden. Eine Filiale macht betriebswirtschaftlich nur dann Sinn, wenn sie sich als erfolgreicher Vertriebsstandort erweist. Das heißt, wenn die dort tätigen Mitarbeiter/innen nicht nur Standardleistungen erbringen, die im wahrsten Sinne des Wortes kundennäher am heimischen PC abgewickelt werden könnten, sondern wenn sie in nennenswertem Umfang Bankprodukte verkaufen. Doch daran mangelt es in der Praxis. Vielfach wird sogar das „V-Wort“ konsequent gemieden. Bankmitarbeiter sind Berater, keine Verkäufer. Berater klingt nach Objektivität, nach einer maßgeschneiderten Betreuung des Kunden. Doch letztlich geht es um den Verkauf von margenstarken – in der Regel bankeigenen – Produkten. Das ist zwar durchaus legitim, allerdings gerät der Berater bzw. Verkäufer in diesem Fall schnell in einen Interessenkonflikt. Er will einerseits natürlich seinen Kunden zufriedenstellen, andererseits muss er zum wirtschaftlichen Erfolg seines Arbeitgebers – eben der Bank – beitragen. Man stelle sich vor, ein Steuerberater würde vom Finanzamt bezahlt. Wer könnte in diesem Fall noch Mandantenorientierung erwarten?
Wirkliche Kundennähe lässt sich daher weder durch die Niederlassung vor Ort noch durch die heute in vielen Filialbanken übliche Beratung überzeugend begründen. Zielführender erscheint es allemal, den Bankkunden das zu geben, was sie brauchen. Zum einen fundierte Informationen möglichst aus neutralen Quellen und zum zweiten bedarfsgerechte Produkte zum Vermögensaufbau und -erhalt, zur privaten Vorsorge und zur Finanzierung, aus denen die Verbraucher frei wählen können. Selbstbestimmt handelnde Kunden – das ist die ideale Klientel für Direktbanken. Neben vielen anderen Faktoren hat zum Erfolg der filiallosen Geldinstitute sicher die Tatsache beigetragen, dass die Fülle von nutzwertigen Büchern sowie die zahlreichen Beiträge in den Printmedien sowie in Rundfunk, Fernsehen und nicht zuletzt im Internet die Bankkunden umfassend informieren. Allein das Internet öffnet den Menschen heute Nachrichtenkanäle, die noch vor wenigen Jahren allein den Profis Vorbehalten waren. Keine Frage, der Informationsvorsprung ist geringer geworden, Kunde und Bankberater kommunizieren heute vielfach schon auf gleicher Augenhöhe.
Ein Kunde, der weiß, was er will, kommt mit einer Direktbank sehr gut zurecht – und profitiert darüber hinaus von günstigen Konditionen. Doch ungeachtet des Erfolgs dieser Geldinstitute gibt es noch viele Verbraucher, die zögern, zu einer filiallosen Bank zu wechseln. Manche unterhalten dort zwar schon ein Spar- o der Tagesgeldkonto, doch eignen sich diese Finanzdienstleister auch als Hausbank?
Direktbanking, Internetbanking, Onlinebroker, Autobanken, dazu die vielen Offerten von branchenfremden Anbietern (von C&A bis Lidl) – wer soll sich da noch zurechtfinden? Und wie sicher ist das Geld bei diesen Instituten? Wie funktioniert die Baufinanzierung bei einer Direktbank? Ist die Versorgung mit Bargeld garantiert oder muss der Kunde bei Bedarf zehn Kilometer bis zum nächsten Geldausgabeautomaten fahren? Wie bekomme ich einen Kredit und lohnt es sich, bei einer Direktbank ein Wertpapierdepot zu eröffnen, oder sind die klassischen Discountbroker vorzuziehen? Vor allem aber: Wie kann ich mich vor der zunehmenden Internetkriminalität bestmöglich schützen?
Diese und zahlreiche weitere Fragen rund ums Direktbanking beantwortet der vorliegende Praxisratgeber. Die Leser profitieren von den Detailkenntnissen eines erfahrenen Insiders und der kritischen Distanz eines unabhängigen Finanzjournalisten. Dieses Geldanlageportal wendet sich nicht gegen Filialbanken, auch wenn es deren Achillesfersen thematisiert. Es geht ferner nicht darum, zufriedene Kunden von Filialbanken zu Direktbanken zu locken. Im Vordergrund steht das Ziel, Direktbanking transparent zu machen und für den Kunden nachvollziehbar darzustellen, wie das Geschäft der filiallosen Geldinstitute funktioniert. Ob er dann zu einer Direktbank wechselt oder nicht, entscheidet am Ende allein der Leser – als informierter und autonom handelnder Verbaucher.