Die erwarteten Folgen eines Risikos hängen davon ab. welche Auswirkungen es hat, wenn es ein- tritt. und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es eintritt. Überlegen Sie, was die erwarteten Folgen der verschiedenen Risiken sind, um zu entscheiden, welche Risiken Sie aktiv managen wollen und um welche Sie sich nicht kümmern wollen. In diesem Abschnitt erfahren Sie, wie man die Wahrscheinlichkeit ermittelt, mit der ein bestimmtes Risikoereignis eintritt.
Die Eintrittswahrscheinlichkeit einschätzen
Wenn der Wetterfrosch im Fernsehen vorhersagt, dass es möglicherweise schneit, ist das kein Grund loszugehen und für 1.000 Euro eine Schneefräse zu kaufen. Zunächst müssen Sie wissen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es schneit und zweitens müssen Sie wissen, wie viel Schnee wahrscheinlich fallen wird. Wenn der Meteorologe sicher ist. dass die Schneehöhe insgesamt auf jeden Fall einen halben Meter betragen wird, die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt schneit aber nur bei eins zu eintausend liegt, beschließen Sie vielleicht, bei einer so unwahrscheinlichen Situation die 1.000 Euro zu sparen. Bevor Sie entscheiden, ob Sie ein Risiko aktiv managen wollen, müssen Sie zunächst seine Eintrittswahrscheinlichkeit ermitteln.
Um zu entscheiden, ob Sie Maßnahmen gegen ein bestimmtes Risiko ergreifen wollen, müssen Sie als Erstes die Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Risikos ermitteln. Eine der folgenden Methoden sollten Sie nutzen, um zu beschreiben, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Risiko eintritt:
✓ Die Eintrittswahrscheinlichkeit: Sie können das Risiko, dass ein bestimmter Fall eintritt, als Wahrscheinlichkeit ausdrücken. Die Wahrscheinlichkeit wird als Zahl zwischen 0 und 1 ausgedrückt. Eine Wahrscheinlichkeit von 0 bedeutet. dass eine Situation auf keinen Fall eintritt. und eine Wahrscheinlichkeit von 1, dass sie immer eintritt. (Man kann die Wahrscheinlichkeit auch in Prozent ausdrücken. In diesem Fall bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent, dass eine bestimmte Situation immer eintritt.)
✓ Klassifizierung: Ordnen Sie Risiken nach Kategorien, die für die Wahrscheinlichkeit stehen, mit der eine Situation eintritt. Man könnte diese Risikokategorien beispielsweise hoch, mittel und niedrig benennen oder auch immer, häufig, manchmal, selten und nie.
✓ Reihenfolge: Sortieren Sie die Risiken so, dass das erste dasjenige ist, das am wahrscheinlichsten eintritt. und das zweite das nächstwahrscheinliche und so weiter.
✓ Relative Eintrittswahrscheinlichkeit: Wenn Sie es mit zwei möglichen Risiken zu tun haben, können Sie beispielsweise aussagen, dass das erste doppelt so wahrscheinlich ist wie das zweite.
Sich auf objektive Informationen verlassen
Sie können die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses schätzen, indem Sie herausfinden, wie häufig das Ereignis in vergleichbaren Projekten eingetreten ist. Sie haben im vergangenen Jahr 20 computergenerierte Berichte für Kunden erstellt, mit denen Sie vorher noch nie zusammengearbeitet haben. Bei acht Kunden mussten Sie hinterher noch Änderungen einarbeiten. Wenn Sie wieder planen, einen computergenerierten Bericht für einen Kunden zu erstellen, mit dem Sie noch nie zusammengearbeitet haben, können Sie davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sie bei Vorlage der ersten Version noch Änderungen einarbeiten müssen, bei 40 Prozent liegt.
Wenn Sie objektive Informationen heranziehen, um abzuschätzen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass bestimmte Risiken eintreten, bedenken Sie folgende Punkte:
✓ Ziehen Sie Erfahrungen aus ähnlichen Projekten mit hinzu.
✓ Ziehen Sie so viele vergleichbare Situationen wie möglich hinzu.
Bedenken Sie, dass Ihre Schlussfolgerungen nur dann berechtigt sind, wenn Sie ausreichend Erfahrungswerte zur Verfügung haben.
Sich auf persönliche Meinungen verlassen
Falls Sie keine objektiven Daten zur Verfügung haben, holen Sie die Meinung von Fachleuten und Personen ein, die bereits an ähnlichen Projekten gearbeitet haben. Sie können die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Risiko abschätzen. wenn Sie die Meinung von zehn Personen einholen, die bereits an ähnlichen Projekten gearbeitet haben. Sie können sie beispielsweise bitten, die Eintrittswahrscheinlichkeit in den Kategorien hoch, mittel oder niedrig abzuschätzen. Angenommen, sechs entscheiden sich für die Kategorie hoch, zwei für mittel und zwei für niedrig. Dann können Sie die Eintrittswahrscheinlichkeit errechnen, indem Sie hoch, mittel oder niedrig die Werte 3, 2 oder 1 zuordnen. Der gewichtete Durchschnitt der Antworten würde dann folgendermaßen bestimmt:
(6 x 3 + 2 x 2 + 2 x 1)/10 = (18 + 4 + 2) –r 10 = 2,4
Das bedeutet, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit zwischen mittel und hoch liegt.
Um die Genauigkeit einer Wahrscheinlichkeitsberechnung, die auf der Grundlage der Aussagen anderer beruht, zu verbessern, können Sie Folgendes tun:
✓ Legen Sie so genau wie möglich fest, was die Kategoriebezeichnungen bedeuten. So könnte niedrig beispielsweise bedeuten, dass das Risiko mit einer Wahrscheinlichkeit von 0 bis 33 Prozent eintritt, mittel bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von 33 bis 66 Prozent und bei hoch liegt sie zwischen 66 und 100 Prozent.
✓ Holen Sie die Meinung von so vielen Personen wie möglich ein. Je mehr Daten Sie haben, desto verlässlicher die Schätzung.
✓ Achten Sie darauf, dass die Projekte, aus denen die befragten Personen ihre Erfahrungen schöpfen, und die äußeren Umstände wirklich Ihrer jetzigen Situation ähneln. Andernfalls gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Sie deren Fachwissen nutzen können, um vorherzusagen, was in Ihrem Projekt passieren wird.
✓ Achten Sie darauf, dass die befragten Personen nicht miteinander über ihre Einschätzung reden, bevor sie sie Ihnen mitgeteilt haben. Schließlich brauchen Sie individuelle Meinungen und nicht einen Gruppenkonsens.
✓ Wenn sie Ihnen ihre ursprünglichen Schätzungen übermittelt haben, sollten Sie möglicherweise die Beteiligten dazu ermuntern, über die Gründe für ihre Schätzungen zu reden und ihre Meinung noch einmal zu überdenken.
Manche wollen ihre ursprüngliche Schatzung vielleicht modifizieren, wenn sie feststellen, dass sie bestimmte, wichtige Überlegungen nicht mit einbezogen hatten. Präzision ist etwas anderes als Genauigkeit. Mit Präzision bezeichnet man, in welchem Detaillierungsgrad eine Zahl angegeben wird (zum Beispiel mit wie vielen Stellen hinter dem Komma). Mit Genauigkeit bezeichnet man, wie zutreffend die Zahl ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Risiko eintritt, kann beispielsweise 67,23 Prozent betragen. Aber obwohl Sie den Risikofaktor auf zwei Stellen hinter dem Komma angeben, ist Ihre Schätzung ungenau, wenn Sie nicht schon Erfahrungen mit ähnlichen Projekten gesammelt haben.
Leider glauben viele Menschen, dass Zahlen, die mit einer großen Genauigkeit angegeben werden, auch präzise sind. Sie können solche Missverständnisse vermeiden, wenn Sie Ihre Wahrscheinlichkeitsschätzungen in ganzen Zahlen, Kategorien oder Reihenfolgen ausdrücken.
Je mehr Faktoren darauf hindeuten, dass ein bestimmtes Risiko eintritt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es eintritt. Wenn Sie etwas bei einem Lieferanten bestellen, bei dem Sie noch nie etwas bestellt haben, steigt dadurch das Risiko, dass die Lieferzeit länger ist als ursprünglich angenommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lieferzeit länger ist, ist noch größer, wenn es sich außerdem um einen Sonderartikel handelt und Sie in einer Phase bestellen, in der der Lieferant sehr viel zu tun hat, oder wenn der Lieferant mehrere Teile bestellen muss, um Ihren Artikel liefern zu können.
Den Umfang der Auswirkungen einschätzen
Vor nicht allzu langer Zeit saß ich im Wartezimmer meines Arztes als die Arzthelferin herauskam und sagte, dass der Arzt sich um einen Notfall kümmern müsste und ich erst ein bisschen später dran käme. Sie können sich vorstellen, wie schockiert ich war, als ich, nachdem ich bereits drei Stunden gewartet hatte, erfuhr, dass der Arzt schon vor mehreren Stunden ins Krankenhaus gefahren war, das eine Stunde weit weg war, und sich jetzt mitten in einer Notoperation befand! Wenn ich gewusst hätte, dass der Arzt mehrere Stunden weg sein würde, hätte ich mir einen neuen Termin geben lassen. Stattdessen habe ich. weil ich nicht wusste, wie lange die Verspätung dauern würde, drei Stunden vergeudet. Und wenn ich nicht den restlichen Nachmittag auch noch mit Warten verbringen wollte, musste ich mir sowieso einen neuen Termin geben lassen.
Nachdem Sie die Wahrscheinlichkeit ermittelt haben, mit der ein bestimmtes Ereignis Folgen für Ihr Projekt haben würde, müssen Sie jetzt den Grad der Auswirkungen feststellen. Stellen Sie fest, welche konkreten Auswirkungen jedes dieser Risiken auf das Projektprodukt, den Zeitplan und den Ressourcenverbrauch hat. Wenn Sie diese Auswirkungen abschätzen, tun Sie Folgendes:
✓ Denken Sie an die Auswirkungen auf das gesamte Projekt und nicht nur auf einen Teilbereich. Wenn man für einen Vorgang eine Woche länger als ursprünglich geplant braucht, kann das dazu führen, dass Zwischenziele nicht erreicht werden, sodass die Mitarbeiter, die auf die Ergebnisse dieses Vorgangs warten, untätig herumsitzen. Die Auswirkungen auf das Gesamtprojekt sind noch drastischer, wenn es sich um den kritischen Pfad handelt, was zur Folge hätte, dass eine Verspätung von einer Woche zu einer Verzögerung des Endtermins um eine Woche führt.
✓ Denken Sie auch an die Auswirkungen auf andere, verbundene Risiken, wenn Sie die Auswirkungen auf das Gesamtprojekt abschätzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie den Zeitplan nicht einhalten können, ist noch größer, wenn drei Vorgänge auf einem kritischen Pfad ein Risiko in sich bergen und nicht nur einer.
Risiken und die damit verbundenen Auswirkungen sollten Sie so genau wie möglich beschreiben. Nehmen wir an. Sie wären der Meinung, dass das Risiko besteht, dass ein wichtiges Teil der Anlage, die Sie für Ihr Projekt in Auftrag gegeben haben, später als erwartet eintrifft. Dieses Risiko kann man folgendermaßen ausdrücken: Die Lieferung kann sich verzögern oder Die Lieferung kann sich um zwei Wochen verzögern. Die Angabe alleine, dass sich die Lieferung verzögern kann, gibt Ihnen nicht genügend Informationen, um festzustellen, welche Auswirkungen die Verzögerung konkret auf den gesamten Zeit- und Ressourcenplan hat. Und es ist schwieriger festzustellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Risiko tatsächlich eintritt. Reden wir hier über eine Verzögerung von einem Tag oder einem Monat? Die Aussage, dass sich die Lieferung um zwei Wochen verzögert, gibt Ihnen die Möglichkeit, konkret die Auswirkungen auf den gesamten Zeit- und Ressourcenplan zu ermitteln. Außerdem fällt es Ihnen dann leichter, zu entscheiden, wie viel Sie bereit sind zu investieren, um diese Verzögerung zu vermeiden.
Es gibt viele Methoden, die Ihnen bei der Einschätzung des Risikos helfen können:
✓ Entscheidungsbäume: Diagramme, die die unterschiedlichen Situationen darstellen, die im Verlauf Ihres Projekts eintreten können, die Wahrscheinlichkeiten, mit denen die Situationen eintreten. und die Auswirkungen auf Ihr Projekt, falls diese Situationen eintreten.
In Abbildung 8.1 sehen Sie einen einfachen Entscheidungsbaum, mit dem Sie feststellen können, bei welchem von zwei Anbietern Sie einen bestimmten Ausrüstungsgegenstand kaufen sollten. Beide Anbieter haben ein Angebot über 50.000 Euro unterbreitet, wenn die Ausrüstung zu einem vereinbarten Termin geliefert wird. Beide Anbieter haben außerdem vorgeschlagen, dass Sie ihnen eine Prämie für eine frühzeitige Lieferung anbieten sollten und ihnen einen Strafabschlag berechnen können, wenn sie zu spät liefern, aber die angebotenen Beträge unterscheiden sich. Multipliziert man den Grundpreis plus der Prämie für frühzeitige Lieferung mit der Wahrscheinlichkeit einer frühzeitigen Lieferung, erhält man den Preis, den man zahlt, wenn frühzeitig geliefert wird. Man kann so den Gesamtpreis für Anbieter A und Anbieter B sowohl für eine frühzeitige, eine rechtzeitige oder eine verspätete Lieferung berechnen.
Bei dieser Analyse kommt heraus, dass Sie Anbieter A 45.000 Euro zahlen müssten und eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit haben, dass die Anlage rechtzeitig oder früher geliefert wird. Bei Anbieter B zahlen Sie 56.000 Euro und haben eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er rechtzeitig oder früher liefert. Sieht aus, als wäre Anbieter A die bessere Wahl!
✓ Fragebogen zur Risikoeinschätzung: Offizielle Datensammlungen als Grundlage für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Situation eintritt, und welche Auswirkung das auf Ihr Projekt haben kann.
✓ Automatisierte Einschätzung der Auswirkungen: Computergestützte Tabellen, die das Risiko, mit dem eine bestimmte Situation eintritt, und die Auswirkungen, die diese Situation haben kann, miteinander verknüpfen und berechnen.
Abbildung 8.1: Ein einfacher Entscheidungsbaum