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Gefahren der Vollfinanzierung richtig verstehen

Eine entscheidende Frage, die bei jeder Immobilienfinanzierung vorab geklärt werden sollte, ist die Höhe des Eigenkapitals, das zur Verfügung steht. Experten warnen auch Besserverdiener vor einem Kredit, der 100 Prozent des Immobilienwertes beträgt oder ihn sogar überschreitet, weil dann die Gefahr großer Vermögensverluste besteht, wenn das Objekt vorzeitig verkauft werden muss.
In jüngster Zeit überbieten sich Hypothekenbanken und Finanzierungsgesellschaften mit großzügigen Krediten, die den Kauf einer Immobilie mit bis zu 130 Prozent finanzieren.

Verbraucherschützer, aber auch Bausparkassen wie die LBS, die um ihre Pfründe und ihr Geschäft furchten müssen, warnen dagegen vor der Vollfmanzierung.
Entwicklungen in den USA, in Großbritannien und auch Skandinavien hätten gezeigt, dass unvorhergesehene Belastungen oder Ereignisse nicht nur viele Hausbesitzer, sondern auch den gesamten Finanzsektor und die Immobilienbranche in schwere Turbulenzen fuhren können.

Auslöser einer schweren Finanzkrise, die von den USA im Sommer 2007 bis nach Deutschland schwappte, waren Kredite in Flöhe von bis zu 100 Prozent des Kaufpreises (oder darüber), die auch Kunden bekamen, bei denen von Anfang an zweifelhaft war, ob sie die Finanzierung überhaupt würden bedienen können.
Steigen die Zinsen oder fallen die Hauspreise, wird daraus ein hochgefährliches Gemisch, kommentiert LBS-Verbandsdirektor Hartwig Hamm diese Modelle.
Leider würden Lehren aus Erfahrungen der Vergangenheit immer wieder in den Wind geschlagen. Denn schon Anfang der 1990er Jahre seien solche Finanzierungen bei Immobilienkrisen in Großbritannien und Skandinavien reihenweise gescheitert.
In Deutschland wird die Debatte aktuell meist nur aus Sicht der Banken oder Anleger geführt – verbunden mit der bangen Frage, ob gesamtwirtschaftliche Probleme aus den USA zu uns herüberschwappen können. Weniger gesehen wird, dass es zunächst einmal die Hauseigentümer sind, die Probleme haben, bevor bei den Banken Ausfälle von Krediten zum Thema werden. Der drohende Verlust der eigenen vier Wände darf aber Politik und Öffentlichkeit nicht kaltlassen, warnt Hamm.
Einkommensschwächeren Erwerbern rät Hamm sogar, eher mehr als weniger Eigenkapital anzusparen, sonst könnten sie die Abzahlung des Kredits nicht in jedem Fall sicherstellen – zumal dann, wenn die Zinskurve wieder nach oben zeigt.
Trotz dieser Risiken werde immer wieder die Lockerung der Kreditvergabe gefordert – von neuen Anbietern, die hierzulande für einen leichteren Zugang zu Wohnungsbaudarlehen eintreten. Dazu gehören auch Berater wie etwa London Economics (LE), die im Auftrag der EU-Kommission arbeiten und in Deutschland wegen angeblich zu konservativer Angebotspolitik verschenkte Marktpotenziale sehen.

Bisher hält sich die Begeisterung der potenziellen Häuslebauer und Wohnungseigentümer für die neuen Modelle noch in Grenzen. Sehr zur Beruhigung der Bausparkassen, die mit ihren Spar und Darlehensangeboten auf konservative Finanzierungsmodelle setzen. Großzügige Kreditangebote nach angelsächsischem Vorbild ließen, so LBS-Mann Hamm, auf dem hiesigen Markt zu Recht die Alarmglocken läuten, denn die Käufer würden auch bei den aktuell günstigen Rahmenbedingungen unverändert großen Wert auf Finanzierungssicherheit legen.
Mit gutem Grund haben die Bausparkassen bereits bei der Vorstellung der London-Economics-Studie Ende 2005 in Brüssel die EU-Kommission davor gewarnt, 100-Prozent-Finanzierungen zum Modell für Einkommensschwache in ganz Europa zu machen. Sie haben dabei mit Nachdruck auf die absehbaren Probleme hingewiesen, wenn Einkommen stagnieren, Immobilienpreise sinken oder die Zinsen steigen. Aber auch die ganz normalen Veränderungen im Lebensablauf des Kreditnehmers – die Versetzung in eine andere Stadt, Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit – können solche Finanzierungen ins Wanken bringen. Wegen der Überwertfinanzierung lassen sich im Fall eines Verkaufs meist nur Preise erzielen, die die Hypothek nicht abdecken. Das Haus ist verkauft, aber die Schulden bleiben und müssen weiterhin abgezahlt werden. Sinnvoll ist so eine Konstruktion nur, wenn zum Beispiel auch am neuen Wohnort ein gleichwertiges Haus gekauft wird und der Kredit darauf übertragen werden kann.

Wer in finanzielle Not gerät und sich die im Vergleich zu klassischen Immobilienkrediten höheren Zinsen nicht mehr leisten kann, läuft also Gefahr, nicht nur seine eigenen vier Wände zu verlieren, sondern auch auf einem hohen Schuldenberg sitzenzubleiben.

Als problematisch kann sich auch erweisen, dass die Banken für die Vollfmanzierung natürlich Sicherheiten verlangen: Wertpapierportfolios, aber auch Lebensversicherungen müssen dafür herhalten. Wer so etwas nicht zu bieten hat, muss eine kostspielige Restschuldversicherung abschließen, für die er dann auch noch Prämien zu bezahlen hat. So warnt denn auch der LBS-Direktor: Wenn jetzt etwa zur Absicherung solcher Finanzierungen Hypothekenversicherungen angeboten werden, so mag dies zwar ein Instrument zur Begrenzung von Bankenrisiken und zur Entlastung von Eigenkapitalanforderungen sein. Für Eigentümer, die in Schwierigkeiten geraten sind, wäre dies aber keinerlei Hilfe.
Für die Banken scheint die Vollfmanzierung in jedem Fall ein lukratives Geschäft zu sein. Wenn der Immobilienbesitzer seine Verpflichtungen einhält, hat die Bank einen deutlich höheren Profit kassiert als bei einem normalen Darlehen. Und wenn sie sich richtig absichern, ist ihr Risiko – im Gegensatz zu dem des Kunden -, einen Verlust zu erleiden, doch ziemlich gering.