Die wichtigste Möglichkeit der Aktionäre, auf die Aktiengesellschaft Einfluss zu nehmen, ist die einmal jährlich stattfindende Hauptversammlung, auf der jeder Aktionär ein umfassendes Auskunftsrecht hat. Selbst wenn Sie nur eine einzige Aktie des Unternehmens besitzen, dürfen Sie an der Hauptversammlung teilnehmen und Fragen einreichen. Die Aktiengesellschaft muss Ihre Fragen wahrheitsgemäß und ausführlich beantworten. Im Zuge der Internationalisierung hat sich die Bereitschaft der Unternehmen, eine transparente Unternehmenspolitik zu betreiben, erheblich verbessert, da in vielen anderen Ländern die Aktionäre im Mittelpunkt des Interesses stehen. Wurden die Anteilseigner früher noch recht stiefmütterlich behandelt, so hat sich dies in den letzten Jahren sichtlich geändert. Nur in wenigen Fällen, wenn essenzielle Interessen des Unternehmens gefährdet sind, kann das Unternehmen die Auskunft verweigern, was jedoch meist die Neugier der Öffentlichkeit erst weckt. Jeder Aktionär darf zudem auf der Hauptversammlung an der Aussprache teilnehmen; wegen der vielen Redebeiträge ist aber die Redezeit meist begrenzt.
In Deutschland ist die Aktienkultur noch weit unterentwickelt; selbst in Ländern wie Kanada oder Südafrika, die von der Bevölkerung kleiner sind als Deutschland, nehmen Aktien einen höheren Stellenwert ein. Die meisten Aktionäre unter den Privatanlegern findet man in Ländern wie Schweden und in den USA, wo selbst die Pensionen in Wertpapieren angelegt werden. In Deutschland hingegen ist der Anteil von Privatanlegern, die Aktien besitzen, gering ausgeprägt. Viele assoziieren mit dem Wort „Aktie“ Spekulation und Gefahr. Überhaupt beklagen manche Autoren, in Deutschland herrsche in vielen Bereichen ein Defizit an Fachkenntnissen im Finanzbereich, das dazu führe, dass immer noch Lebensversicherungen, Termingelder und Bausparverträge die Altersvorsorge bestimmten. Diese Sicherheitsorientierung, die sich auch darin widerspiegelt, dass es in Deutschland nur 8 Prozent Selbstständige gibt, während es in den USA fast ein Drittel ist, führt dazu, dass die meisten Menschen die Börse meiden. Auch in der Politik finden Versicherungen häufig mehr Gehör als die Interessen von Aktionären.
Dies zeigt sich in den Hauptversammlungen, in denen Banken und Versicherungen den Großteil der Aktien halten. Die Privatanleger sind nur eine verschwindend kleine Minderheit, die nur selten auf die Entscheidungen Einfluss zu nehmen vermag. In der Regel sind sich die Großaktionäre einig, so dass es auf Hauptversammlungen nur in äußerst seltenen Fällen zu einer Kampfabstimmung kommt. In den meisten Fällen werden die vorgeschlagenen Entscheidungen zu fast hundert Prozent gebilligt. Bisweilen konnten kritische Aktionäre in ihren Redebeiträgen oder durch gezielte Kampagnen auf Missstände und Fehlentwicklungen publikumswirksam aufmerksam machen, aber bei den eigentlichen Abstimmungen herrschte unter den Großaktionären Konsens. Allerdings war in der Vergangenheit häufiger zu beobachten, dass manche Hauptanteilseigner von ihrem Votum Gebrauch machten, das gilt insbesondere für die Hedgefonds, die als Investoren großen Wert auf solide Renditen legen. Mancher Vorstand musste unter dem massiven Druck dieser Anleger seinen Stuhl räumen.
Die Einladung zur Hauptversammlung wird von der jeweiligen Depotbank verschickt; dies gilt allerdings nur bei inländischen Aktien; bei ausländischen Aktien müssen Sie sich selbst um die Einladung bemühen, was eine umständliche Prozedur sein kann. In den seltensten Fällen werden Sie als Anleger ohnehin eigens in die USA oder nach Australien reisen, um dort an einer Hauptversammlung teilzunehmen. Auf der Einladung steht ein Textabschnitt, mit dem Sie Ihre Depotbank bevollmächtigen können, für Sie abzustimmen. In der Vergangenheit war dieses so genannte Depotstimmrecht der Bank umstritten, da viele Kreditinstitute es dazu nutzten, eigene Interessen noch besser durchzusetzen. Sie können aber Ihrer Bank eine Weisung erteilen, bei bestimmten Entscheidungen nach Ihren Vorgaben abzustimmen. Wenn Sie ohne jegliche Einschränkung der Bank die Vollmacht erteilen, wird sie allen Empfehlungen des Vorstandes zustimmen. Neuerdings ist es bei manchen Hauptversammlungen auch möglich, sich im Internet registrieren zu lassen und dann elektronisch abzustimmen.
Eine andere Möglichkeit, wenn Sie selbst sich nicht in die Materie einarbeiten, aber Ihr Stimmrecht trotzdem wahrnehmen wollen, ist es, eine Aktionärsvereinigung zu beauftragen. Diese Vereinigungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich kritisch und sachkundig mit der Agenda der Hauptversammlung und den Empfehlungen des Vorstandes auseinandersetzen. Im Zweifelsfall bringen sie Gegenanträge ein, üben öffentliche Kritik und reichen eine Klage ein, wenn sie den Eindruck haben, dass der Vorstand nicht die Interessen der Aktionäre wahrt oder unrechtmäßig Auskünfte verweigert. In Deutschland gibt es mehrere wichtige Aktionärsvereinigungen, die in der Vergangenheit viel Zuspruch gefunden haben: die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) und der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Aktionärsvereinigung | Internetadresse |
Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) | dsw-info*de |
Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) | Sdk*org |
Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre e.V. | kritischeaktionaere*de |
Um an der Hauptversammlung teilzunehmen, müssen Sie eine beigefügte Antwortkarte ausfüllen; Ihre Bank schickt Ihnen dann die Eintrittskarten rechtzeitig zu, die zugleich als Stimmkarten dienen. Sieben Tage vor dem Beginn der Hauptversammlung sperrt die Bank die betreffenden Aktien in Ihrem Depot, wenn Sie eine Eintrittskarte bestellt haben; diese Maßnahme wird deshalb durchgeführt, damit niemand die Aktien, über die er dann in der Hauptversammlung abstimmt, vorher verkaufen kann. Die Aktien werden einen Tag nach der Hauptversammlung im Depot wieder freigegeben.
Selbst wenn Sie es für nicht so wichtig halten, an einer Hauptversammlung teilzunehmen, sollten Sie sich dennoch überwinden – allein um die Atmosphäre bei einer solchen Veranstaltung kennen zu lernen. Zudem kann es amüsant sein zu sehen, wie manche Vorstände vor laufenden Kameras sich Statements und Erklärungen abringen. Bei solchen Veranstaltungen haben Sie zudem Gelegenheit, eine Vielzahl von Menschen kennen zu lernen, die sich professionell mit dem Aktiengeschäft befassen, oder mit anderen Privatanlegern Meinungen auszutauschen. Nutzen Sie diese Gelegenheit für das, was man auf Neudeutsch „Networking“ nennt, um Beziehungen zu knüpfen, die Ihnen später vielleicht beruflich von großem Nutzen sein können.