Was wäre wenn sich die implizite Volatilität in den nächsten Wochen verringert oder der Kurs der Basisaktie sinkt? Welche Auswirkungen hat dies auf den Wert einer Option? Oder wie passt sich der Kurs der Option an, wenn sich mehrere Einflussgrößen gleichzeitig verändern? Diese und ähnliche Fragen sind Gegenstand sogenannter Szenario-Analysen. Unter einem Szenario versteht man in diesem Zusammenhang eine bestimmte Konstellation der Preiseinflussgrößen, die vom Anleger entsprechend seinen eigenen Vorstellungen vorgegeben werden kann. Ein Szenario könnte zum Beispiel so aussehen: Innerhalb der nächsten drei Tage Anstieg der impliziten Volatilität um fünf Prozentpunkte, Rückgang des Zinsniveaus um 20 Basispunkte (0,2 Prozentpunkte), während die übrigen Preisfaktoren unverändert bleiben. Auf der Basis solcher oder beliebiger anderer Szenarien lässt sich nun der Wert einer Option bestimmen. Man gibt die Daten des jeweiligen Szenarios in einen Optionsrechner ein und schaut, welchen Kurs die Option bei dieser Konstellation der preisbestimmenden Faktoren annimmt. Vergleicht man den aktuellen mit dem berechneten Preis, dann lässt sich erkennen, wie sich der Optionswert verändert, wenn das entsprechende Szenario in der Zukunft tatsächlich eintritt.
Griechen sind spezielle Formen von Szenario-Analysen
Eine spezielle Form von Szenarien haben wir bereits im letzten Artikel kennengelernt. Auch die Griechen sind im Grunde Szenario-Analysen. Allerdings werden nicht mehrere Faktoren gleichzeitig abgewandelt, sondern stets nur ein einzelner Wert. Zwar kann man im Prinzip beliebige Szenarios bilden und als Kalkulationsbasis verwenden. In der Praxis weit verbreitet ist jedoch eine Vorgehensweise, bei der man drei Szenarios ableitet, ein optimistisches, ein pessimistisches und ein realistisches. Der Anleger soll so einen Eindruck davon gewinnen, mit welchen Erträgen unter normalen Bedingungen zu rechnen ist (realistisches Szenario), was bei schlechter Entwicklung passieren kann (pessimistisches Szenario) und welche Gewinne unter optimistischen Bedingungen zu erwarten sind. Schwierig zu beurteilen ist allerdings, wann ein Szenario realistisch, pessimistisch oder optimistisch ist. Dies muss jeder Anleger selbst entscheiden. Mitunter ist es hilfreich, sich an Vergangenheits- daten zu orientieren und daran abzuschätzen, welche Szenarien in Zukunft mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten konnten.
Fallbeispiel
Typisch für eine Szenario-Analyse ist zum Beispiel folgende Vorgehensweise. Ein Anleger beobachtet seit einiger Zeit, dass zwei Aktiengesellschaften (A und B) derselben Branche in engen Verhandlungen miteinander stehen. Er hält deshalb eine Fusion für möglich. Da A das größere Unternehmen von beiden ist, wird B – im Falle einer Übernahme – höchstwahrscheinlich von A geschluckt. Dies hätte einen deutlichen Kursanstieg der B-Aktien zur Folge. Eine Entscheidung über den Zusammenschluss der beiden Unternehmen erwartet der Anleger innerhalb der nächsten sechs Monate. Deshalb sucht er im Internet gezielt – zum Beispiel mit dem Finanztool von OnVista – Optionsscheine auf B-Aktien, deren Laufzeiten in etwa bei sechs Monaten liegen. Ausgewählt werden schließlich mehrere Calls, die jeweils einen unterschiedlichen Zustand haben. Einige notieren aus, einige am und die restlichen im Geld. Den Anleger interessiert nun, welche Wertänderungen die jeweiligen Scheine beim Eintreffen unterschiedlicher Szenarien haben werden. Auf Basis seiner Informationen bildet er drei Szenarien, denen er zusätzlich noch eine von ihm persönlich angenommene Eintrittswahrscheinlichkeit zuordnet.
Szenario | Beschreibung | Marktreaktion | Wahrscheinlichkeit |
1 | Vermutungen über Fusion erweisen sich als falsch. A und B schließen sich nicht zusammen. | • Kurs der B-Aktie sinkt um 10 Prozent • Volatilität sinkt um 5 Prozentpunkte | 30 Prozent |
II | A und B schließen sich zwar nicht zusammen, vereinbaren aber eine strategische Zusammenarbeit. | • Kurs der B-Aktie bleibt unverändert • Volatilität geht leicht zurück (minus 1 Punkt) | 35 Prozent |
III | A und B beschließen die Fusion. | • Aktienkursanstieg um 20 Prozent • Volatilität steigt um 3 Punkte | 35 Prozent |
Der Anleger könnte nun für jeden Schein – getrennt nach Szenarien – den Zukunftswert berechnen. Nehmen wir als Beispiel einen Call, der beim Eintritt des ersten Szenarios 25 Prozent und beim zweiten Szenario 5 Prozent an Wert verliert, jedoch einen Gewinn von 30 Prozent beim Dritten Szenario aufweist. Gewichtet man die Wertänderungen mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten, ergibt sich der sogenannte Erwartungswert, also der Wert, mit dem man in Zukunft im Durchschnitt rechnen darf – vorausgesetzt die Prognosen sind realistisch. Für unseren Call erhalten wir einen Erwartungswert von 1,25 Prozent. Diese Rechnung kann der Anleger für jeden einzelnen Optionsschein vornehmen und schließlich den Warrant mit dem größten Erwartungswert auswählen. Dank des Internet ist inzwischen jeder in der Lage, einfach und schnell Szenario-Analysen durchzuführen. Es gibt mehrere verschiedene Wege. So besteht die Möglichkeit, die Daten eines Szenarios in einen Optionsrechner einzugeben, den Kurs zu berechnen und ihn anschließend mit dem Ursprungskurs zu vergleichen. Dieser Weg ist ziemlich umständlich und nicht so komfortabel wie spezielle Tools, die von einigen Anbietern ins Netz eingestellt werden. Wir wollen den Szenario-Rechner für Optionsscheine von OnVista, den Szenario-Rechner von Börse Now, den Optionsschein-Rechner der Comdirect Bank und den von Wallstreet-online vorstellen.