Mehr Freiraum für die Banken geben – die Finanzmarktförderungsgesetze

Das vierte Finanzmarktförderungsgesetz fügt sich nahtlos in die Reihe seiner Vorgänger, die den Börsen, Banken und Unternehmen mehr Freiheiten verschafften, ohne die Position des Anlegers zu stärken. In der Börsennovelle 1989 wurde der Computerhandel zugelassen, die Rechte der Kurs- und Freimakler erweitert und der Börsenterminhandel mit Wertpapieren und Edelmetallen liberalisiert. Das erste Finanzmarktförderungsgesetz von 1990 schaffte die Börsenumsatzsteuer ab und führte zur Senkung von Wechsel- und Gesellschaftssteuer. Gleichzeitig wurden den Kapitalanlagegesellschaften mehr Geschäftsfelder eröffnet. Dadurch sanken die Transaktion kosten für die Banken und in geringerem Maße auch die der Anleger, gleichzeitig konnten die Kapitalanlagegesellschaften in neue, riskantere Bereiche vorstoßen. Das zweite Finanzmarktförderungsgesetz schuf 1994 das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel. Zudem wurde der Insiderhandel – bis dahin eher ein Kavaliersdelikt und eine gute Gelegenheit zum Abzocken – nicht zuletzt auf Druck großer internationaler Fondsgesellschaften nun endlich verboten. Wie die zahlreichen Beispiele gezeigt haben, zeigte auch dieses Verbot keine große Wirkung, weil der Nachweis, dass Insiderhandel stattgefunden hat, offenbar kaum von den Gerichten anerkannt wird.

Auch das 3. Finanzmarktförderungsgesetz von 1998 eröffnete vor allem Großanlegern, Fondsgesellschaften und Banken neue Möglichkeiten zur Geldvernichtung: Investmentgesellschaften wurde gestattet mit Terminanlagen zu handeln und Fondsgesellschaften durften neue Fondstypen auflegen. Selbst die Mitteilungspflicht für Emittenten, die ebenfalls 1998 geregelt wurde, erwies sich als Bumerang für die Anleger. Die Verschärfung der Publizitätspflicht führte zu einer Flut von irrelevanten oder bewusst falschen Meldungen, die eher verwirrten als Klarheit schafften.

In einem Punkt haben sich die Väter des vierten Finanzmarktförderungsgesetzes dann doch ein wenig nach vorne gewagt: Seit 1. Juli 2002 darf das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel bei Insiderhandel und bewusster Herbeiführung von Kursschwankungen, selber Sanktionen gegen die Täter verhängen. Dies gilt allerdings nur für kleine Delikte‘ die mit Bußgeld bestraft werden. Die großen Fälle muss das BAWe dann an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterleiten. Doch trotz dieses Kompetenzzuwachses wirkt das BAWe im Vergleich zur großen Schwester in den USA, der Securities and Exchange Commission, noch immer wie ein zahnloser Tiger: Die SEC darf Bußgelder bis zu einer Milliarde US-Dollar verhängen und hat auch deutlich mehr Kompetenzen bei der Ermittlung von Straftatbeständen im amerikanischen Wertpapierhandel. Bei Verdachtsfällen kann sie zum Beispiel Telefone abhören und gezielt Konten überprüfen.

Wie wenig selbst strenge Strafen und großzügige Ermittlungskompetenzen gegen die Gier und den Raubtierkapitalismus ausrichten können, der seit dem Beginn der Börsenbaisse im Sommer 2000 das Geschehen auf den Weltkapitalmärkten beherrscht, zeigten die Vorgänge im Sommer 2002 in den USA.

Die Schattenmänner und Steuersünder in den deutschen Banken – hilfreiche Information

Bevor 1993 in Deutschland die Zinsabschlagsteuer eingeführt wurde, halfen deutsche Banken zahlreichen Steuerzahlern bei der Kapitalflucht in nahe liegende Steueroasen wie Luxemburg, die Schweiz oder Liechtenstein. Sogar öffentlich-rechtliche Banken, die vom Staat protegiert werden, haben sich nicht davor gescheut, den Fiskus um dreistellige Millionenbeträge zu bringen. Aber auch bei der Versteuerung ihrer eigenen üppigen Gehälter nahmen es manche Bankmanager nicht so genau.

Die Steuersünder
Für mich ist es Ökonomie im Kopfstand, wenn den Banken der Vorwurf gemacht wird, sie seien zu einem Teil für den Kapitalexport deutscher Anleger ins Ausland verantwortlich. Die Mobilität des Kapitals hat zugenommen, der Kunde ist zum Grenzgänger geworden, erklärte der frühere Dresdner-Bank-Chef Wolfgang Roller 1989.

Als der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel zum 1. Januar 1993 die Zinsabschlagsteuer von 30 Prozent auf alle Kapitaleinkünfte einführen ließ, nahm die Zahl dieser Grenzgänger dramatisch zu. Um fast jeden Preis versuchten Sparer und Kapitalanleger zu verhindern, dass ihnen die Bank bei jeder Zinsgutschrift 10 Prozent der Erträge abzieht und diesen Obolus dem Finanzamt überweist. Erst später bei der Einkommenssteuererklärung hätten sie diese Abgabe mit dem tatsächlich anfallenden Steuersatz verrechnen können. Bleibt der Steuersatz des Anlegers am Jahresende unter 30 Prozent, bekommt er Geld vom Finanzamt zurück, liegt er darüber, muss er die Differenz nachzahlen. Steuerfrei waren damals nur Zinseinkünfte bis 6.100 € für Ledige und 12.200 € bei Ehepaaren. Mittlerweile wurden auch diese Sätze noch halbiert. Um einen Abzug durch die Bank zu vermeiden, müssen die Steuerzahler ihrem Kreditinstitut aber einen entsprechenden Freistellungsauftrag erteilen.

Hilfe bei der Steuerflucht
Schon im November 1991, bei der Ankündigung der in Fachkreisen kurz Zast genannten Zinsabschlagsteuer, begannen die ersten Steuermuffel ihr Erspartes über die deutschen Grenzen zu schaffen. Im Laufe des Jahres 1992 schwoll der Geldstrom immer weiter an. Liquide Werte, vor allem Aktien- und Geldvermögen, wurden eilends in Steuerparadiese ausquartiert. Steueroasen gab es zu Beginn der 90er Jahre mehr als genug. Zahlreiche Broschüren und Bücher gaben den Steuermüden Orientierungshilfe und zeigten die Vor- und Nachteile der einzelnen Länder und Inseln auf.

Auf den Cayman-Inseln, drei flachen Koralleninseln in der Karibik, mussten Einheimische wie Ausländer überhaupt keine Steuern zahlen. Dort registrierte Firmen, die aber keine Geschäftstätigkeit im Land ausübten, entrichteten nur eine jährliche Gebühr von umgerechnet 430 €. Auf den Niederländischen Antillen vor der Küste Venezuelas kamen Ausländer mit einer Einkommensteuer zwischen 2,4 und drei Prozent weg, Kapitalerträge waren völlig steuerfrei. Investmentgesellschaften, Finanzierungsunternehmen oder Reedereien wurden mit einer reduzierten Gewinnsteuer von ebenfalls zwischen 2,4 und drei Prozent belastet. Auf den vor der französischen Küste gelegenen britischen Kanalinseln Guernsey, Aldemey und Jersey konnten Ausländer ihr Vermögen in einen Trust oder eine Stiftung nach liechtensteinischem Recht einbringen und dann die Erträge steuerfrei kassieren. Einkünfte aus dem Ausland sowie Geschäftsführergehälter an Ausländer waren steuerfrei.

In der Schweiz erhoben zwar Bund, Kanton und Gemeinde von den ansässigen Eidgenossen Einkommensteuern von 18 bis 33 Prozent auf Kapitalerträge. Reiche Ausländer, die in der Schweiz leben, konnten aber eine Pauschalsteuer aushandeln. Auf Gibraltar mussten sehr wohlhabende Ausländer, so genannte High Net Worth Individuals maximal 19.500 Pfund Einkommensteuer zahlen, wenn sie einen Wohnsitz auf dem Felsen vor der spanischen Küste hatten und sich dort mindestens 30 Tage im Jahr aufhielten. In der britischen Kronkolonie waren Mitte der 90er Jahre noch rund 55.000 Briefkastenfirmen registriert, deren Gewinne sowie Geschäftsführergehälter steuerfrei waren. Im Großherzogtum Luxemburg waren Kapitalerträge von Ausländern ohne Wohnsitz in dem Zwergstaat steuerfrei. Obendrein konnten sich die Anleger auf das Bankgeheimnis verlassen, das nur in besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung, wie Urkundenfälschung und Betrug, aufgehoben wurde.

Im Fürstentum Monaco mussten nur Franzosen und Monegassen Steuern zahlen, andere wohlhabende Zeitgenossen, die sich dort niederließen, konnten ihre Einkünfte so gut wie steuerfrei einstecken. Selbst in Österreich kamen die Piefkes besser weg als daheim in Deutschland. In der Alpenrepublik wurde Ausländern nur eine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent abgeknüpft, andere Abgaben wie Einkommensteuer auf Erträge oder Vermögen und Erbschaftsteuer fielen dann nicht mehr an. Neben den bekannten Fluchtorten boten sich den Steuervermeidern aber auch Belgien und Dänemark als Steuerhäfen an – auch dort konnten Ausländer ihre Zinserträge steuerfrei kassieren. Sogar in Schottland kamen deutsche Anleger besser weg. Die Bank of Scotland umwarb deutsche Kunden mit der Anzeigenschlagzeile Wanna be my Schotterboy? und 7,15 Prozent Zinsen auf €-Einlagen – natürlich ohne Zinsabschlag.

Die meisten Deutschen wollten bei ihrer Flucht vor dem Fiskus aber nicht auf das vertraute Ambiente ihrer heimischen Kreditkonzerne verzichten. Nur zu gern waren die Geldkonzerne ihren Kunden bei der Ausreise in die einschlägig bekannten Steueroasen behilflich. Sie scheuten sich auch nicht mit dem speziellen Service zu werben: Reisen bildet – Kapital, lockte beispielsweise die Deutsche Bank. Ihre Tafelpapiere können Sie uns gern zur Verwahrung übergeben. Wir informieren Sie über Ablauf und Vorteile, informierte die Landesbank Rheinland-Pfalz aus Luxemburg. Die drohende Einführung der Zinsabschlagsteuer wirkte 1992 auf das deutsche Bankengewerbe wie ein Konjunkturprogramm.

Alle größeren Geldinstitute Deutschlands – darunter auch öffentlich-rechtliche Landesbanken sowie Regionalbanken – wollten von dem Kapitaltransfer profitieren. Wer noch keine Niederlassung in Luxemburg, der damals beliebtesten Steueroase, hatte, beeilte sich den Rückstand schleunigst aufzuholen, um die vermögende Kundschaft nicht an die Konkurrenz abgeben zu müssen. Allein im Jahr 1992 gründeten deutsche Kreditinstitute – darunter waren sogar einzelne Sparkassen und Volksbanken – 23 neue Dependancen in Luxemburg. In dem Kleinstaat brach ein regelrechter Bauboom aus. Die Banker versuchten sich gegenseitig mit prunkvollen Glaspalästen und gediegenen Geschäftsräumen zu übertrumpfen.

Den Steuerflüchtigen boten die deutschen Kreditinstitute vielfältigen Service, den sie sich über deftige Gebühren gut bezahlen ließen. So wurden vermögende Kunden, die sich auf der Flucht vor dem deutschen Fiskus an die Banken wandten, von den Kunden-beratern mit zahlreichen Tipps und Ratschlägen für den sicheren Transfer ihrer Vermögen versorgt.

Die Vermögensberater der Schweizer Tochtergesellschaft der Deutschen Bank beruhigten manche ängstliche Geldanleger aus Deutschland schon am Telefon: In Zürich, so die Botschaft, ruhen Ihre Anlagen sicher wie in einem Safe. Geschulte Verkäufer rieten Bankkunden, die über größere Bargeldbestände oder Wertpapiere im Schließfach verfügten, ihre Habe einfach in einen Koffer zu packen und sie bei der nächsten Reise in die Schweiz oder nach Luxemburg bei der Bank ihres Vertrauens abzugeben.

Bedenken, dass dieser Kapitaltransfer möglicherweise nicht ganz legal sei, zerstreute so mancher Kundenberater mit dem Hinweis auf die Steuerquote, die in Deutschland einfach viel zu hoch sei. Daher wäre es nur legitim, wenn viele Bundesbürger ihr hart erarbeitetes Geld durch geschickte Kapitalanlage im Ausland vor dem Zugriff des gierigen Finanzministers retten würden. Nach so viel einfühlsamer Bestätigung ihres Tuns hatten die meisten Steuersünder auch kein Unrechtsbewusstsein mehr. Ihre Welt war wieder in Ordnung.

Und die € rollte: Allein die Berliner Bank International SA in Luxemburg registrierte einen Zuwachs bei ihrem Anlagekapital von mehr als zwei Milliarden €. Die Dresdner Bank im Großherzogtum konnte sechs Milliarden € für Direktanlagen einsammeln.

Die große Zahl der Bareinzahler unter den Kapitalflüchtlingen verursachte den Luxemburger Banken allerdings auch erhebliche Probleme – die Kreditinstitute mussten schließlich für den Rücktransport der angelieferten Bargeldmengen sorgen. In den ersten Monaten nach der Steuereinführung zum 1. Januar 1993, als sich vor allem in Bankgeschäften weniger versierte Zahnärzte, Schlächtermeister und Klempner auf den Weg in die Steueroase machten, verkehrten regelmäßig Geldtransporter im kleinen Grenzverkehr, die die €-Exporte in die nächste Filiale des jeweiligen Geldkonzerns zurückbringen mussten.

Zu den privaten Steuerhinterziehern kamen noch die Unternehmen – auch dort suchte so mancher Finanzchef nach Möglichkeiten, die deutsche Steuer zu umgehen. Trotz aller Anstrengungen waren die deutschen Kreditinstitute weder personell noch technisch auf den Ansturm vorbereitet. Bei manchen Instituten hatte sich die Zahl der Depots innerhalb eines knappen Jahres fast verzehnfacht. Jeden Monat kamen weit über 1.000 Kunden dazu.

Nachdem der erste Ansturm der Kunden, die persönlich in Augenschein nehmen wollten, wo ihr Geld verwaltet wurde, vor bei war, stiegen viele Steuersünder auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr um. Auch hier kamen die Banken ihrer Kundschaft entgegen. In vielen Zweigstellen gab es Formulare für die Eröffnung eines Kontos oder Depots bei einer Tochtergesellschaft oder einer Partnerbank in den Steuerparadiesen. Unter der Anleitung ihrer Kundenberater zahlten die Steuerflüchtlinge dann ihr Anlagekapital ein, das auf ihre jeweiligen Auslandskonten überwiesen wurde. Damit bei möglichen Steuerprüfungen die Beamten nicht auf den Namen des Steuersünders stoßen, wurde überdies empfohlen, auf die Banküberweisung nur die Kontonummer, nicht aber den Namen des Kunden zu schreiben.

Das erleichterte auch den Banken die Verwaltung des anvertrauten Geldes. Per Computerstandleitung wurde das Kapital virtuell ins Ausland transferiert und dort ebenso virtuell investiert. Gekauft wurden die Wertpapiere nämlich in Deutschland, im Namen der ausländischen Tochter, die auch die Depotauszüge – je nach Kundenwunsch – versandte oder aufbewahrte. Nur die Schweizer Banken bevorzugten weiterhin die bewährte Bareinzahlung an ihren Schaltern. Notfalls auch per Kurierdienst – für 500 bis 1.000 € pro Sendung. Wem das zu viel war, konnte seine Ersparnisse als so genannten Wertbrief auch mit der Post schicken. Wer richtig viel Geld ins Ausland transferieren wollte, konnte sich an private Vermögensberater wenden, die bei Anlagevolumen ab einer Million € auch einen Hausbesuch abstatteten und dabei das Schwarzgeld gleich mitnahmen.

Das Ergebnis der neuen Steuer war für den Finanzminister ein Jahr nach ihrer Einführung verheerend: Rund 300 Milliarden € hatten seit November 1991, als die Zast angekündigt wurde, das Land verlassen. Selbst die Bundesbank hatte das Ausmaß der Kapitalflucht überrascht. Dass so viel Geld noch in Küchenschränken, unter Matratzen und in privaten Safes aufbewahrt und am Fiskus vorbei geschmuggelt worden war, hatten die obersten Währungshüter offenbar nicht erwartet.

Offiziell gingen den Finanzämtern allein im Jahr 1993 rund zehn Milliarden € verloren. Nach Schätzungen des Münchner Ifo-Instituts wurden dem Fiskus jedoch Kapitalerträge von etwa 30 bis 40 Milliarden € verheimlicht. Das entsprach – so berichtete Die Woche – bei einer sechsprozentigen Verzinsung etwa 650 Milliarden € Schwarzgeld.Als die Zast-Pleite nicht mehr zu verheimlichen war, begannen Waigels Truppen damit zurückzuschlagen.

Die Banken im Visier der Steuerfahnder
Von 1994 an fanden sich bei den Banken immer häufiger ungebetene Besucher ein, die nicht nur die Aktenablagen der Kreditinstitute durcheinander brachten, sondern bei den Mitarbeitern Existenzängste auslösten und Tausende von Anlegern in Angst und Schrecken versetzten: Die Banken waren ins Visier der Steuerfahnder geraten. Den Anfang machte im Januar 1994 die Dresdner Bank: Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft leitete eine spektakuläre Durchsuchung der Hauptstelle der Dresdner Bank in der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt ein. Der Verdacht: Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Anfang 1996 gibt die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie in 112 Fällen gegen Kunden und Mitarbeiter Ermittlungen aufgenommen hat.

Im Februar 1994 fielen über 100 Steuerfahnder in elf Büros der Hypo-Bank-Tochter Hypo Capital Management ein. Auch in diesem Fall ging es um den Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Ein Jahr später, im Juni 1995, beschlagnahmten 25 Fahnder bei der Deutschen Bank in Saarbrücken die Daten von rund 10.000 Kunden. Dabei sollen, wie später bekannt wurde, 30 so genannte steuerauffällige Delikte aufgedeckt worden sein. Gegen sechs Mitarbeiter der Bank wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt.

Im Februar 1996 filzen knapp 200 Steuerfahnder die Filialen und die Zentrale der Commerzbank, einschließlich der Vorstandsetage. Ausgelöst wurde diese Razzia durch eine Datenliste von 1.600 Kunden der Luxemburger Commerzbank-Tochter Cisal, die ihnen bei einem ganz anderen Delikt in die Hände gefallen war. Mit diesen Aufstellungen hatte ein ehemaliger Commerzbank- Mitarbeiter versucht, fünf Millionen € von seinem ehemaligen Arbeitgeber zu erpressen. Doch die Unterlagensammlung, die die Steuerfahnder mit- nahmen, enthielt noch wesentlich brisanteres Material. Kurze Zeit später erhielt das Frankfurter Finanzamt ein Schreiben aus der Vorstandsetage, in dem Unrichtigkeiten in den Jahresabschlüssen der viertgrößten deutschen Bank seit 1984 korrigiert werden sollten. Mit dieser Korrektur, die nicht ganz einer Selbstanzeige entsprach, versuchte der Commerzbank-Vorstand noch einen Ausweg aus einem peinlichen Verfahren zu finden. Denn aus den Dokumenten, die die Fahnder einkassiert hatten, ging auch hervor, dass die Bank bei den Wertberichtigungen gemogelt und falsche Steuererklärungen abgegeben hatte.

Die Woche schilderte den Fall in der Ausgabe vom 15. März 1996 ausführlich: In den 70er Jahren hatte die Commerzbank Kredite von mindestens fünf Milliarden € an lateinamerikanische Staaten, vor allem an Argentinien, vergeben. Im Zuge der Schuldenkrise Mitte der 80er Jahre wurden diese Kredite notleidend, die Banken hätten ihre Forderungen eigentlich in den Bilanzen abschreiben müssen.

Das war nicht einfach, weil die Commerzbank die Darlehen sowohl aus Frankfurt als auch aus New York vergeben hatte. Die New Yorker Filiale, die eine eigene Bilanz erstellt und amerikanischem Steuerrecht untersteht, konnte die notwendigen Wertberichtigungen damals noch nicht vornehmen, weil die US-Steuerbehörden zur fraglichen Zeit Wertberichtigungen auf Lateinamerika-Kredite noch nicht anerkannten. Im Gegensatz zum deutschen Recht, das eine Wertberichtigung erlaubt, wenn der Kredit gefährdet erscheint, gestatten die amerikanischen Steuer behörden die Abschreibung erst dann, wenn der Ausfall von Zins und Tilgung fast unabwendbar ist.

Die Commerzbanker unter dem damaligen Vorstandschef und späteren Aufsichtsratsvorsitzenden Walter Seipp übernahmen die Wertberichtigungen aus den USA direkt in ihre Frankfurter Bilanz. Damit umgingen sie die Anerkennungsschwierigkeiten und konnten dadurch die in Deutschland zu versteuernde Gewinne mindern.

Nach deutschem Steuerrecht war dieser Trick allerdings nicht zulässig: Forderungen dürfen nicht über Ländergrenzen hinweg verschoben werden, sondern müssen dort abgeschrieben werden, wo sie bestehen. Die von New York vergebenen Kredite hätten also in den USA wertberichtigt werden müssen.

Das wäre aber nicht so lukrativ gewesen: 100 Millionen € Kreditausfall brachten damals in Deutschland 57 Millionen € Steuerersparnis, in den USA aber nur 32 Millionen €. Den Steuervorteil nutzte die Bank: Über fünf Jahre hinweg – von 1984 bis 1988 – wurden durch steigende Wertberichtigungen auf die notleidenden Darlehen stille Reserven gebildet. Die Länderrisiken sollten über die Jahre voll abgeschrieben werden.

Nach 1988 hat die Commerzbank – wie ihr Sprecher Ulrich Ramm 1996 gegenüber der Flamburger Wochenzeitung Die Woche erklärte – die Wertberichtigungen wieder nach New York transferiert. Die stillen Reserven im Inland wurden also wieder aufgelöst und in New York neu gebildet. Damit stieg der zu versteuernde Gewinn im Inland entsprechend, so Ramm. Der wirtschaftliche Effekt der zu wenig gezahlten Steuern sei weitgehend ausgeglichen worden.

Die Frankfurter Finanzbehörden sahen das anders. Schließlich einigte man sich 1998 auf einen Kompromiss: Die Commerzbank zahlte mehr als eine halbe Milliarde € an Steuern sowie Flinterziehungszinsen nach. Aufsichtsratschef Seipp und zwei ehemalige Führungskräfte überwiesen 1,2 Millionen € an gemeinnützige Hinrichtungen und die Bank bekam noch eine Geldbuße von sechs Millionen € aufgebrummt. Dafür wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Im September 1996 nahmen sich Steuerfahnder und Staatsanwälte die WestLB vor. Obwohl die Fahnder nach ihrem Eindruck damals in eine chemisch gereinigte Landesbank kamen, beschlagnahmten sie kistenweise Akten und Kontounterlagen, die – wie sich später herausstellte – genügend Indizien für den Vorwurf der organisierten Steuerhinterziehung brachten. Kundenkapital in dreistelliger Millionenhöhe wurde zu den WestLB-Töchtern in der Schweiz und nach Luxemburg transferiert, um das Geld dem Fiskus vorzuenthalten.

Mit Hilfe von Decknamen und Zahlencodes seien die Vermögen getarnt und die Geldbewegungen verschleiert worden. Unter allen Umständen sollte verhindert werden, berichtete damals Die Woche, dass die vermögende Kundschaft zu anderen Geldinstituten abwandert. So schaltete die Landesbank – wie andere Banken auch – vor Inkrafttreten des Zinsabschlagsteuergesetzes großflächige Anzeigen, in denen ungeniert mit Geldanlagen in Steuerparadiesen geworben wurde. Die Anlageberater der WestLB wurden auf Seminaren in Zürich eigens für die dubiosen Transaktionen geschult.

Nach Ansicht des Oberstaatsanwalts Johannes Pütz sei ein System der Steuerhinterziehung entwickelt worden, das erheblicher krimineller Energie bis hinauf in den Vorstand bedurft hätte. Im März 1997 begannen die Ermittlungen gegen die DG Bank wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Ein Jahr später gingen Staatsanwälte in einer umfassenden Durchsuchungsaktion landesweit gegen Volks- und Raiffeisenbanken vor, die im Verdacht standen, über die Frankfurter DG-Bank Kundengelder ins Ausland, vor allem nach Luxemburg, transferiert zu haben.

Fast als letztes der großen Bankhäuser ist im Juni 1998 auch die Deutsche Bank an der Reihe. An der Razzia nahmen 300 Steuerfahnder und sieben Staatsanwälte teil, durchsucht wurden aufgrund des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt sowie die Filialen in Freiburg, Düsseldorf, Kassel und das Rechenzentrum in Eschborn. Die Bank hatte allerdings Vorkehrungen für diesen Fall getroffen, mit dem Besuch des Staatsanwalts musste sie schließlich seit 1995 rechnen. In Freiburg etwa erschienen die Arbeitsplätze den Ermittlern am Montag gründlich präpariert. Die Hüllen kamen einem furchtbar neu vor, grummelt ein Beamter, so ein Bericht des Magazins Der Spiegel. Weiter schrieb das Hamburger Wochenmagazin: Die Rechtsabteilung hatte eine mehrseitige Checkliste Durchsuchung verteilt. Punkt 1: Pforte vorbereiten, die unverzüglich die vorgesehenen Kontaktpersonen informiert. Auch auf gegenseitiges Einvernehmen legen die Bankjuristen Wert – die Fahnder sollen ordentliche Verpflegung sowie Kopierer und Lesegeräte für verfilmte Dokumente erhalten. In einer am Montag ausgegebenen Mitarbeiterinformation heißt es: Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass keine Unterlagen vernichtet werden dürfen – auch dann nicht, wenn die gesetzliche Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist.7 Dennoch war das beschlagnahmte Material so ausführlich, dass die Staatsanwaltschaft ein Jahr später gegen den Chef des Konzerns, Rolf-E. Breuer, und fünf weitere Vorstandsmitglieder – darunter auch ehemalige Mitglieder der obersten Konzernführung – Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung von Kunden der Bank einleitete. Nach Auskunft der Presseabteilung der Deutschen Bank war das Verfahren im Sommer 2002 noch nicht abgeschlossen.

Dennoch konnten die Fahnder in diesem Fall einen Erfolg verbuchen. 100 Mitarbeiter der Bank und 400 Kunden erstatteten Selbstanzeige wegen Beihilfe zum Steuerbetrug beziehungsweise wegen dieses Delikts. Zum Zeitpunkt der Razzia hatten auch clevere Sparkassenmitarbeiter in Monheim bereits ein Modell entwickelt, das Kunden und Mitarbeiter mit einigermaßen heiler Haut der Rache des Fiskus entkommen ließ: Die zwischen Bankberater und Kunde koordinierte Selbstanzeige. Nachdem die Steuerfahnder bereits die Räume und Büros der Sparkasse durchsucht hatten, überredete die Bank ihre steuermüde Kundschaft, ihrerseits über eine Selbstanzeige nachzudenken, um großen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig versprachen die Mitarbeiter gegenüber den Steuerbehörden Fehler bei der Kundenberatung einzuräumen. Als sich 150 Kunden und 29 Mitarbeiter bei den Steuerbehörden gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen gegen die Bankmitarbeiter eingestellt. Die Kunden kamen mit Steuernachzahlungen und Strafzinsen davon.

In einem Gespräch mit der Zeitung Die Woche erklärte der Sparkassenchef Wolfgang Ufers die Aktion: Wir mussten schnell was tun: Hier sind 38 Leute von der Steuerfahndung reinmarschiert. Für sie ist das ein Riesenevent, vergleichbar nur mit einem Betriebsausflug. Da kann man hinterher keine defensive Verteidigungsstrategie fahren. Und unsere Kunden kommen dabei ohne Anklage und ohne Strafzuschlag weg.

Wir haben damals bloß unseren Job gemacht. Schuld an der Kapitalflucht war die mangelnde Informationspolitik der Bundesregierung. Sie hat mit der Zinsabschlagsteuer den Eindruck erweckt, dass den Steuerpflichtigen ein Teil ihres Vermögens weggenommen werden sollte. Da darf man sich dann auch nicht wundern, wenn die Betroffenen ihr Geld nehmen und damit wie die Lemminge ins Ausland rennen.

Im Frühjahr 1999 einigte sich die Dresdner Bank mit Staatsanwaltschaft und Steuerbehörden: Sechs leitende Mitarbeiter übernahmen die Verantwortung für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Gegen den ehemaligen Vorstandssprecher des Bankkonzerns, Jürgen Sarrazin, und den Leiter der Luxemburger Tochter Friedrich Otto Wendt wurden einjährige Haftstrafen auf Bewährung verhängt. Sarrazin musste eine Geldbuße von 1,5 Millionen € akzeptieren, Wendt 500.000 € Strafe zahlen. Gegen die damals noch amtierenden Vorstandsmitglieder Hans-Jörg Platzek und Gerhard Eberstadt sowie den ehemaligen Vorstand Hans-Günther Adenauer und den früheren Bankchef Wolfgang Roller wurde das Verfahren gegen Geldauflagen von je 500.000 € eingestellt. Die Bank bekam eine Geldbuße von 37 Millionen € aufgebrummt. Selbstverständlich übernahm der Konzern auch die Bußgelder für seine leitenden Angestellten. Sarrazin, der sein Amt bereits Ende 1997 niedergelegt und die Bank verlassen hatte, machte seine Einwilligung in den Deal zudem von der Zahlung mehrerer Millionen € Entschädigung abhängig. Erst als ihm auch dieses äußerst großzügige Dankeschön nach langen Verhandlungen fest zugesagt worden war, stimmte der ehemalige Bankchef dem Befreiungsschlag für den Bankkonzern und seine Mitarbeiter zu. Im Gegenzug hatte die Staatsanwaltschaft versprochen die Ermittlungen einzustellen, rund 500 Mitarbeiter der Bank, die nach der Aktenlage bei den Ermittlungsbehörden mit Anklagen hätten rechnen müssen, konnten endlich aufatmen.

Die Bank kam so mit einem blauen Auge davon, denn nach Schätzungen der Steuerfahndung wurden zwischen 1992 bis 1996 Zinseinkünfte auf 5,1 Milliarden € angelegtes Vermögen nicht der Besteuerung zugeführt. Allein durch Kunden der Dresdner Bank habe sich hierdurch ein Steuerausfall bei der Einkommensteuer von schätzungsweise mehreren hundert Millionen € ergeben.

Im September 1999 durchsuchten die Fahnder, die den Steuervergehen bei der WestLB nachgingen, schließlich sogar die Privatwohnung des damaligen Bankchefs Friedei Neuber und beschlagnahmten dort Akten, Unterlagen und Dokumente als Beweismaterial. Bei einem anderen Weggefährten Neubers waren die Ermittler ebenfalls fündig geworden. Gegen den ehemaligen Düsseldorfer CDU-Finanzexperten Theodor Schwefer hatte die Staatsanwaltschaft bereits Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben. Mit Unterstützung eines Anlageberaters der WestLB soll Schwefer Kapital in Höhe von 2,2 Millionen € unter dem Codewort Dompfaff am Finanzamt vorbei in die Schweiz überwiesen haben. Dem deutschen Fiskus sollen dabei rund 1,4 Millionen € an Einkommensteuer entgangen sein. Im Juli 2001 konnte auch die WestLB und ihr damaliger Chef Friedei Neuber einen Schlussstrich unter die Steueraffäre ziehen: Gegen die Manager der größten deutschen öffentlich-rechtlichen Bank wurden Geldbußen von insgesamt 15 Millionen € verhängt.
An seinem 65. Geburtstag im Oktober 1994 war Dresdner-Bank-Aufsichtsratschef Wolfgang Roller bester Dinge. Nun könne er auch einräumen, plauderte der Jubilar damals leutselig, dass er seinerzeit nur zur Dresdner Bank gekommen sei, weil er Geld gebraucht habe, um Schulden aus seiner Studentenzeit zurückzahlen zu können. Der Entschluss sei aber ein Glücksfall für ihn gewesen.

Sicher hatte der frühere Chef der zweitgrößten deutschen Bank im Laufe seiner steilen Karriere nicht nur alte Schulden begleichen können, sondern mit seinen Bezügen auch so manche Wohnung und ein schmuckes Heim finanziert und sicher auch noch ein paar Millionen fürs Alter zurücklegen können.

Die Herren des Geldes zählen zu den Wohlhabenderen in diesem Lande. Der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer gab sein Einkommen auf der Hauptversammlung des Geldkonzerns im Mai 2002 bekannt: Bezüge von acht Millionen Euro habe er 2001 erhalten. Eine stolze Summe für einen Bankchef in einem Jahr, das den Aktienbesitzern unter seinen Bankkunden als Horrorjahr in Erinnerung bleiben wird. So üppig dürften Rollers Bezüge zu seiner Amtszeit noch nicht ausgefallen sein. Aber auf zwei Millionen € per annum dürfte nach Recherchen des Magazins Der Spiegel auch Wolfgang Roller gekommen sein. Danach haben seine beiden Vorstandskollegen bei der Dresdner Bank, Hans- Günther Adenauer und Hansgeorg Hofmann auch schon 1,5 Millionen € pro Jahr kassiert. Und natürlich hatten Roller, Hofmann und Adenauer alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die das Bankhaus seinen Kunden bietet, um ihre Einkommensmillionen gewinnbringend anzulegen.

Warum auch nicht: Ein Bankier, der seine eigenen Finanzen nicht zu mehren weiß, ist auch kein kompetenter Gesprächspartner für seine Kundschaft. Doch die Herren waren in eigener Sache wohl allzu geschäftstüchtig.

Als Erster bekam der Großneffe des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland kalte Füße. Ende 1996, nachdem die Steuerfahnder längst die Dresdner Bank gefilzt hatten, erstattete Adenauer Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung und bot freiwillig eine Nachzahlung von 400.000 € an. Die übrigen Vorstandskollegen machten mit dem Steuervermeider kurzen Prozess: Um Schaden von der Bank abzuwenden, wurde Adenauer zum Rücktritt gedrängt, widerstrebend leistete der Banker dieser unmissverständlichen Aufforderung Folge und schied Ende 1997 aus. Gegen Wolfgang Roller ermittelte die Steuerfahndung 1997 nach einer anonymen Anzeige. Darin wurde der frühere Vorstandssprecher der Dresdner Bank beschuldigt, mehrere Millionen € über Liechtensteiner Stiftungen am Fiskus vorbeigemogelt zu haben. Behilflich soll ihm dabei der prominenteste Treuhänder des Fürstentums, Herbert Batliner, gewesen sein. Der Mann mit der feinen Nase für Steuerschlupflöcher hatte vielen Prominenten die Türen zur Steuerfreiheit geöffnet. Er hatte es aber auch immer verstanden, mit den Regierenden des Staates, den er um seine Einnahmen brachte, gut Freund zu sein. Den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, unter dessen Parteivorsitz die CDU Konten im Steuerparadies führte, schätzte der Helfershelfer der deutschen Steuersünder als Wanderkamerad. Batliner selbst trat auch als Spender für die Stiftung von Hannelore Kohl zugunsten von Patienten und Unfallopfern mit schwersten Schädigungen des zentralen Nervensystems auf. Das Verhältnis zwischen dem Helfershelfer der deutschen Steuersünder und dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl wurde später, als auch die CDU ihre Konten im Steuerparadies nicht mehr verheimlichen konnte, als durchaus freundschaftlich beschrieben.

Im Fall Roller blieb die deutsche Öffentlichkeit noch von den delikaten Details gekonnter Steuerflucht verschont. Zwar gab es Hinweise auf Immobilien in den USA und andere Investments, deren Erträge der Bankchef dem deutschen Fiskus nicht vollständig angegeben haben soll. Bevor aber diese pikanten Gerüchte sich zur Gewissheit verdichten konnten, trat Roller von seinem Amt als oberster Kontrolleur der Bank zurück und bot der Finanzbehörde eine stattliche Nachzahlung von zwei Millionen € an. Die Bank nahm die Schadensbegrenzung ihres langjährigen Chefs dankbar an und ernannte ihn zum Ehrenaufsichtsrat.

Hansgeorg Hofmann, der damals noch Chef der Investment- Banking-Sparte und daher schon aus Berufsgründen für die Anlage der ganz großen Vermögen zuständig war, hatte bei der Verwaltung seines eigenen Vermögens den Überblick über die Einkünfte verloren, die er der Steuer hätte melden müssen. Wie Der Spiegel berichtete, erstattete der Banker 1997 Selbstanzeige im Finanzamt von Bad Homburg.

Als die Deutsche Bank von den peinlichen Offenbarungen bei der Konkurrenz erfuhr, verfügte Bankchef Hilmar Köpper, dass jeder seiner Vorstandskollegen darauf vorbereitet sein müsste, seine privaten Vermögensverhältnisse innerhalb von 15 Minuten umfassend und vollständig offen zu legen. Wer das nicht schaffe, habe ein ernstes Problem. Ein Skandal wegen persönlicher Steuerhinterziehung ist den Vorständen bei der Deutschen Bank bisher erspart geblieben.

Das vierte Finanzmarktförderungsgesetz richtig verstehen – detailliertere Information

Von solch schnellen Entscheidungen, wie sie in den USA herbeigeführt werden, können Investoren deutscher Firmen nur träumen. Anlegerschützer und Anwälte drängen deshalb darauf, dass auch in Deutschland die Umkehr der Beweislast eingeführt wird, die Unternehmen und Banken zwingen würde, ihre Bücher zu öffnen. Diese Forderungen wurden schon bei der Vorbereitung des vierten Finanzmarktförderungsgesetzes laut, doch dazu konnte sich das Bundesjustizministerium offenbar nicht durchringen. Im vierten Finanzmarktförderungsgesetz, das am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, wurde die rechtliche Position der Anleger kaum verbessert.

Die Bundesregierung erklärte, dass mit dem Gesetz drei Hauptziele verfolgt werden: den Anlegerschutz durch Erhöhung der Marktintegrität und der Markttransparenz zu verbessern, die Handlungsmöglichkeiten der Marktteilnehmer zu erweitern und zu flexibilisieren sowie Lücken im Abwehrsystem gegen die Geldwäsche zu schließen und das Aufspüren von Geldern zu erleichtern, die der Finanzierung terroristischer Vereinigungen dienen. Auf diese Weise werden die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland gestärkt und die Funktion des Kapitalmarkts als Motor für Wachstum und Beschäftigung fortentwickelt.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass nicht die Schutzbedürfnisse der Kleinanleger den Inhalt des Gesetzes bestimmten, sondern die Interessen der Banken und Großinvestoren: Erreicht wurde zweifellos, dass die Börsen, Immobilienfonds und Hypothekenbanken jetzt flexibler handeln können. Die Börsen dürfen ihre Kurse jetzt auch nur elektronisch feststellen, Immobilienfonds praktisch unbegrenzt auch Objekte außerhalb der EU erwerben und Hypothekenbanken in den USA, Kanada und Japan Kredite vergeben. Gerade für Immobilienfonds werden damit angesichts der aktuell hohen Mittelzuflüsse dringend benötigte Anlagemöglichkeiten geschaffen, kommentierte die Börsenzeitung.

Wie die Banken ihr Revier verteidigen
Wie die Großfinanz die Debatte um das Gesetz bestimmte, zeigten die Anhörungen zum Entwurf des Gesetzes im Februar 2002. In der ursprünglichen Fassung wollte Bundesfinanzminister Hans Eichel auch Leerverkäufe von inländischen Aktien untersagen lassen, wenn eine erhebliche Marktstörung droht, die schwerwiegende Gefahren für die Gesamtwirtschaft oder das Finanzsystem erwarten lässt.

Bei Leerverkäufen werden Papiere veräußert, die der Verkäufer zum Zeitpunkt des Verkauf noch nicht besitzt oder geliehen hat, sondern die bis zur Übergabe zu einem späteren Zeitpunkt an den Käufer erst einkaufen muss. Fallen zwischen dem Verkauf und der Auslieferung die Kurse der Aktien, dann kann der Leerverkäufer die Wertpapiere zu einem günstigeren Preis einkaufen, als er sie vorher verkauft hat. Die Differenz ist sein Profit. Durch das Verbot von Leerverkäufen sollten diese spekulative Eingriffe von großen Hedge-Fonds unterbunden werden, die die Abwärtstrends an den Börsen durch derartige Aktienverkäufe auf Termin erheblich verstärken und beschleunigen können.

Außerdem wollte die Bundesregierung die Anti-Geldwäsche- Bestimmungen verschärfen sowie durch Kontenscreening und Zugriff auf die Kundendaten der Banken terroristische Organisationen leichter aufspüren können. Die Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wie das Verbot von Leerverkäufen stieß allerdings auf Widerstand bei der Kreditwirtschaft, die für ihre Anliegen auch den Bundesrat mobilisieren konnte. Darüber hinaus wollte die Kreditwirtschaft noch weitere Liberalisierungen durchsetzen: Im Hypothekenbankengesetz sollte das Geschäftsvolumen von Grundstücksbeleihungen in Japan, den USA und Kanada statt auf das Dreifache des haftenden Eigenkapitals auf das Fünffache ausgedehnt werden. Obendrein sollte der Einsatz von Derivaten im öffentlichen Pfandbriefgeschäft den Regelungen für Hypothekenbanken angeglichen werden.
Gegen die Leerverkäufe wehrten sich die Banker mit dem Hinweis, dass diese Geschäfte dann verstärkt im Ausland abgewickelt würden und der Börsenplatz Deutschland geschwächt würde, erklärte der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB).’Auch der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) warnte, dass bei einer deutschen Insellösung die Marktteilnehmer auswichen. Der Bankenexperte Professor Wolfgang Gerke von der Universität Nürnberg hielt das Verbot von Leerverkäufen als Steuerungsinstrument für untauglich und wandte ein, dass die Börsen in der kritischen Situationen die Kurse aussetzen, den Handel unterbrechen könnten.

Noch heftiger erregten die geplanten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung die Branche. Kontenabruf und Kontenscreening seien bedenkliche Eingriffe in die Kreditinstitute und deren Kundendaten, erklärte das geschäftsführende Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Holger Berndt. Die Kreditwirtschaft dürfe nicht zum Hilfssheriff der Strafverfolgungsbehörden werden.

Der Zentrale Kreditausschuss (ZKA), in dem die Verbände der Kreditwirtschaft zusammengeschlossen sind, lehnte es ab, immer neue Daten liefern zu müssen, die den Strafverfolgungsbehörden keine brauchbaren Ergebnisse liefern würden, aber den Banken zusätzliche Kosten aufbürdeten. Nach Schätzungen des ZKA würde der automatische Kontenabruf durch die Aufsichtsbehörden die Kreditwirtschaft rund zwei Milliarden Euro kosten. Billiger wäre es, wenn die Banken auf Anfragen von Aufsichtsamt oder den Strafverfolgungsbehörden reagieren könnten.

Jochen Sanio, der Präsident des Bundeaufsichtsamtes für das Kreditwesen, hielt die Kostenkalkulationen für viel zu hoch. Schätzungen anderer Experten hatten Mehrkosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro für die gesamte Branche ergeben. Sanio begründete seine Forderung nach den von der Bundesregierung geplanten Überwachungsmaßnahmen mit der bisher nur wenig erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Geldinstituten. Nach dem 11. September 2001 hätte sich herausgestellt, dass die Banken Anfragen von Aufsichtsamt und BKA bisweilen nur zögerlich bearbeiteten. Manche Kreditinstitute verfügten nicht einmal über entsprechende Datenbanken. Aber auch Landeszentralbanken ließen derartige Anfragen schon einmal liegen. Ein Abfragesystem für die Aufsichtsbehörde sichere zudem Vertraulichkeit und biete höchstmöglichen Grundrechtsschutz.

Sieg der Banken im Vermittlungsausschuss
Das Gesetz passierte zwar den Bundestag, doch der Bundesrat verweigerte die Zustimmung. Ein Vermittlungsausschuss wurde eingesetzt, dies war zum ersten Mal bei der Verabschiedung von Finanzmarktförderungsgesetzen der Fall. Die ersten drei Gesetze von 1990, 1994 und 1998 gingen in beiden Häusern des Parlaments glatt durch. Der Vermittlungsausschuss folgte dem Anrufungsbegehren des Bundesrates, die im Gesetz vorgesehene Untersagungsmöglichkeit von Leerverkäufen zu streichen. Wegen des Sachzusammenhangs soll darüber hinaus auch die Regelung über die Meldepflicht von Leerverkäufen entfallen, da die Aufsicht durch das Entfallen der Untersagungsmöglichkeit keine Eingriffsmöglichkeiten bezüglich getätigter Leergeschäfte mehr hat.

Auch bei anderen Punkten folgte der Vermittlungsausschuss bei seiner Entscheidung den Einwänden der Banken und des Bundesrates: Das Pfandbriefgesetz soll an die Änderungen des Hypothekenbankgesetzes hinsichtlich der Möglichkeiten der Durchführung von derivativen Geschäften angepasst werden, wobei die Kreditinstitute die Funktion des Treuhänders übernehmen würden. Die Beschränkung des Geschäftsvolumens von Grundstücksbeleihungen durch Hypothekenbanken in Japan, Kanada und den USA wird vom bisher vorgesehenen Dreifachen des haftenden Eigenkapitals für die USA und Kanada auf das Fünffache angehoben, während das Geschäftsvolumen für Japan auf das Dreifache beschränkt bleibt.

Anlegerschutz kommt zu kurz
Bei den Maßnahmen, die gegen Geldwäsche und Schattenbanking eingesetzt werden sollen, konnte die Kreditwirtschaft allerdings nur einen Teilerfolg erzielen: Das im Kreditwesengesetz neu geregelte Datenabrufsystem zur Bekämpfung des Terrorismus, der Geldwäsche und des Untergrundbankenwesens soll beibehalten werden. Die bei den Banken für den Abruf im Online-System bereitzuhaltenden Kontostammdaten werden auf das zur Identifizierung und Zuordnung von Konten Unerlässliche reduziert. Deshalb sieht die vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagene Neufassung vor, auf die Aufnahme des Geburtsorts des Kontoinhabers in diesen bankinternen Dateien vollständig zu verzichten.

Durchsetzen konnte sich die Bundesregierung lediglich bei dem Kontenscreening, dabei sollen mit den Methoden der Rasterfahndung ungewöhnliche Kontenbewegungen erfasst werden. Diese Überwachung müssen die Banken selbst organisieren und Abweichungen den Aufsichtsbehörden melden.

Die Kreditwirtschaft war mit dem Ergebnis zufrieden: Der Finanzplatz ist gut aufgestellt, sagte Thomas Weisgerber, Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbandes deutscher Banken der Börsen-Zeitung.

Verärgert waren nur Anlegerschützer und Verbraucherverbände. Der vorgelegte Regierungsentwurf bleibt hinter den Erfordernissen eines verbesserten Anlegerschutzes weit zurück, so Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. Das Heraufsetzen der sechsmonatigen Verjährungsfrist um ein halbes Jahr sei halbherzig und im Hinblick auf das Vertrauen des Verbrauchers als Anleger in den Kapitalmarkt nicht zielführend. Gefordert hatten die Anlegerschützer eine Frist von drei Jahren. So viel Zeit ist auch nötig, um bei Kapitalanlagedelikten die notwendigen Ermittlungen und Recherchen vornehmen zu können. Denn auch die von Aktionärsschützern immer wieder geforderte Beweisumkehr zugunsten geschädigter Anleger wurde in diesem Gesetz nicht berücksichtigt. Tatsächlich wurden nur die Vorschriften für Ad-hoc-Mitteilungen verschärft. Unternehmen, deren Manager künftig falsche oder unvollständige Angaben zur Geschäftsentwicklung machen, müssen mit Geldbußen bis zu 500.000 Euro rechnen und obendrein den geprellten Anlegern den Schaden ersetzen. Auch dies ist nach Ansicht von Anlegerschützern eine höchst unbefriedigende Regelung. Danach müssten sich die Anteilseigner ihren Schaden von den Firmen, an denen sie beteiligt sind, erstatten lassen. Die Manager hingegen, die den Schaden angerichtet haben, kommen ungeschoren davon. Schadensersatzansprüche müssten sich vielmehr gegen Vorstände und Aufsichtsräte richten, kritisierte Klaus Nieding, Präsident des Deutschen Anleger-Schutzbundes (DASB) und Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Schleuderkurs bei DaimlerChrysler richtig versehen – detailliertere Information

Am 22. Mai 1996 ging es für Daimler-Chef Jürgen Schrempp sowie für den Aufsichtsratsvorsitzenden des Schwäbischen Traditionskonzerns, Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Hilmar Köpper, ums Ganze. Auf der Hauptversammlung des Daimler Konzerns mussten sie den Aktionären den schlechtesten Jahresabschluss sowie den höchsten Verlust in der Unternehmensgeschichte verkünden. Bei einem Umsatz von 103,5 Milliarden € hatte Daimler-Benz 1995 den Rekordverlust von 5,7 Milliarden € eingefahren. Die Luft- und Raumfahrttochter DASA kam auf ein Minus von 4,2 Milliarden € und die AEG auf ein Defizit von 2,3 Milliarden €. Die Belegschaft war um sechs Prozent auf 311.000 Beschäftigte gesunken.

Sturz aus der Gewinnzone
Wie auf diesen Jahrestreffen üblich, durften die Anteilseigner über die Entlastung des Vorstands abstimmen. Im Fall Daimler- Benz war das im Mai 1996 allerdings keine Routineangelegenheit. Denn der Krach war programmiert: Kleinaktionärsvertreter hatten schon vor der Versammlung gedroht, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. Die drei Großbanken – Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank – hatten darauf verzichtet, den Kleinaktionären eine Empfehlung zur Stimmabgabe auszusprechen. Die Depotkunden sollten ihren Banken vielmehr konkrete Anweisungen geben, ob sie der Entlastung des Vorstands zustimmen wollten. Im Klartext: Ob sie mit der Art und Weise, wie der Vorstand die Geschäfte im Jahr 1995 geführt hat, einverstanden waren.

Schon dieser Verzicht der Banken auf die Ausübung des Depotstimmrechts galt als höchst ungewöhnlich. Würde dem Vorstand die Entlastung verweigert, wäre die Daimler-Führung verwundbar – enttäuschte Aktionäre könnten beispielsweise Schadensersatzforderungen gegen sie anstrengen.

Grund für massiven Ärger gab es allemal. Für die Anteilseigner glich das vergangene Geschäftsjahr einer Achterbahnfahrt: Erst hatte ihnen der scheidende Vorstandsvorsitzende Edzard Reuter für 1995 strahlende Gewinne von einer Milliarde € und eine glänzende Zukunft versprochen, dann sorgte Reuters Nachfolger und Ziehsohn Schrempp dafür, dass die Hoffnungen der Aktionäre auf üppige Dividenden und steigende Aktienkurse wie Seifenblasen zerplatzten. Nur sechs Wochen nach seinem Amtsantritt revidierte er die Ergebnisprognose seines Vorgängers: Statt hoher Gewinne wurde ein Verlust von 300 Millionen € in Aussicht gestellt, der im Laufe des Jahres immer größere Dimensionen annahm, bis schließlich ein Jahr nach der frohen Botschaft von Reuter der Megaverlust von 5,7 Milliarden € in den Büchern ausgewiesen wurde.

Wo waren die Kontrolleure?
Spätestens da fragten sich viele: Wer ist der neue Daimler-Chef? Was treibt den Vorstandsvorsitzenden zu einer so brutalen Abrechnung mit seinem Mentor? Wo waren die Aufsichtsräte, als die fatalen Beschlüsse gefasst wurden, die dem Konzern Milliardenverluste bescherten? War Schrempp nicht selbst bis zu seinem Aufstieg an die Spitze des Industriekonglomerats für den hochdefizitären Luft-und-Raumfahrt-Bereich zuständig? Hatte er sich nicht höchstpersönlich für die Mehrheitsbeteiligung des Daimler- Konzerns am maroden niederländischen Flugzeugbauer Fokker, seinem Love-Baby eingesetzt?

Auf solche Fragen pflegte Schrempp schlichte, allzu einfache Antworten zu geben: Der Einstieg bei Fokker sei sicher sein Fehler gewesen, den er zwar spät erkannt, dann aber unverzüglich korrigiert habe. Doch bis zum Mai 1995 sei Reuter der Chef gewesen – da hatte er, der Nachfolger, nichts zu sagen. Erst danach habe er seinen eigenen Kurs einschlagen können.

Der Aufsichtsratschef Köpper, der auch den mit einem Anteil von damals noch 22 Prozent größten Einzelaktionär des Konzerns – die Deutsche Bank – repräsentierte, hatte vorgezogen zu den Vorgängen bei Daimler-Benz im Sommer 1995 zu schweigen. Köppers Position wurde aber unerfreulicher, als sich im Laufe des Schreckensjahres die Hinweise verdichteten, dass die Finanzabteilung bei Daimler die aus dem Februar 1995 erstellte Prognose schon Mitte Mai 1995, also deutlich vor Reuters Auftritt auf der Hauptversammlung, bei der er noch einen Milliardengewinn prognostizierte, nach unten korrigiert hatte. In einem internen Papier wurde schon frühzeitig vor einem Verlust von 300 Millionen € gewarnt. Dies warf unangenehme Fragen für den neuen Chef und seinen Kontrolleur auf. Wie konnte es passieren, dass keiner Reuter in den Arm gefallen war, als er die glänzenden Gewinne in Aussicht stellte?

Der Aufsichtsratsvorsitzende rückte immer mehr ins Schussfeld der Kritik. Immerhin hatte er Reuters Vertrag über die Pensionsgrenze hinaus verlängert, obwohl dessen Politik, den Autokonzern durch die Übernahmen von AEG, MBB, Dornier und Fokker in einen Hightechkonzern zu verwandeln, von Anfang an umstritten und seit Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands zum Scheitern verurteilt war.

Köppers Vorgänger Alfred Herrhausen, der im November 1989 von der RAF ermordet wurde, hatte Reuter 1987 noch vor der Übernahme des maroden Luft- und Raumfahrtkonzerns MBB gewarnt, sich aber trotzdem von dem eloquenten Daimler-Chef die Zustimmung abringen lassen. Warum also hatte dann nicht wenigstens Köpper früher interveniert und die horrende Wertvernichtung beendet?

Flucht nach vorn
Im Mai 1996 versuchten Schrempp und Köpper einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und das Interesse der erbosten Aktionäre auf die Zukunft zu richten. Die würde, wie Schrempp immer wieder betonte, so glänzend sein, dass die Anteilseigner wieder mit Stolz auf ihr Unternehmen blicken könnten. Überhaupt sollte künftig der Gewinn für den Aktionär – neudeutsch als Shareholder Value bezeichnet – die oberste Handlungsmaxime im Konzern sein.

Um den zukünftigen Profit zu sichern wurden unter Schrempps Führung bereits Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut, alte Werke im Inland geschlossen und neue Fabriken im Ausland aufgemacht. So wurde ein neues Mercedes-Werk in Brasilien gebaut, weil dort – so rechnete der Hausherr in der Möhringer Konzernzentrale vor – die Montage der Autos um 30 Prozent billiger sei. Für Schrempp zählten damals nur noch die harten Fakten. Mit übergeordneten Zielen – wie der Verantwortung für Arbeitsplätze in Deutschland, dem Erhalt des sozialen Friedens oder der Zukunft des Industriestandorts Deutschland – durfte ihm keiner mehr kommen. Beim Presseempfang im Mercedes-Museum am Abend vor der Bilanzpressekonferenz im April wurde er fast rabiat: Mit Deutschland habe ich sowieso nicht mehr viel am Hut, bekannte der Chef des Konzerns, der damals der größte Subventionsempfänger der deutschen Industrie war.

Und weil der Daimler-Chef an jenem Abend so richtig in Fahrt war, setzte er noch eins drauf: Die Deutschen würden sich noch umgucken, in zwei, drei Jahren gibt es nicht mehr vier Millionen Arbeitslose, sondern sieben Millionen. Schneidig fügte er hinzu: Mit Evolution sei Deutschland nicht zu retten, es müsse einen ganz harten Schnitt geben. So einen wie er ihn bei Daimler-Benz vollzogen hatte?

Ein kongeniales Duo
Ganz cool, pragmatisch vom Scheitel bis zur Sohle – so sieht sich Jürgen Schrempp am liebsten: Als ein standfester Wirtschaftslenker, der jeder Situation auf dem glatten Parkett des internationalen Business gewachsen ist. Ein bisweilen hemdsärmeliger Industriestratege, der auch handfeste Auseinandersetzungen nicht scheut. So gefiel er auch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden. Köpper hatte schon früh auf Schrempp gesetzt und dessen Aufstieg an die Spitze des Konzerns stets gefördert und verteidigt. Er kam mit dem Praktiker Schrempp besser aus als mit dem intellektuellen Visionär Reuter.

Das Führungsduo verband neben den gemeinsamen Zielen auch eine ähnliche Karriere. Beide hatten ihr Handwerk von der Pike auf gelernt, als Lehrlinge, der eine bei der Bank, der andere bei Daimler. Theoretische Diskurse, politische Ambitionen oder auch nur eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Macht und dem Einfluss, den beide Institutionen schon aufgrund ihrer Größe ausübten, waren beiden gleichermaßen fremd. Köpper beendete solche Diskussionen gern mit dem Hinweis, dass er beim Thema Macht schon die Bartwickelmaschine im Keller höre. Am Ende zählte sowieso nur, davon waren die beiden Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft überzeugt, was unter dem Strich herauskommt.

Das war an jenem Maitag wenig genug. Wer beim Amtsantritt von Edzard Reuter eine Daimler-Aktie im Wert von 1.100 € gekauft hatte, musste bis 1995 bei dessen Abschied von der Konzernspitze einen Verlust von 400 € hinnehmen. Gemessen an der Entwicklung des Deutschen Aktien Index in diesem Zeitraum betrug der Wertverlust aller Daimler-Aktionäre sogar 36 Milliarden €.

Geschönte Wahlergebnisse
Viele der geprellten Anteilseigner erinnerten sich noch an die Worte des Aufsichtsratschefs Köpper zum Abschied von Reuter im Mai 1995. Damals hatte der Deutsche-Bank-Chef den Daimler- Vorstandsvorsitzenden, der in der Wirtschaftspresse längst zum Minus-Mann diskreditiert worden war, noch als treibende Kraft für die Modernisierung des Konzerns gepriesen und Reuters Wechsel in den Aufsichtsrat des Technologiekonzerns befürwortet.

Auf der Jahreshauptversammlung 1996 verkündete Köpper zu Beginn seiner Rede, was alle Aktionäre längst wussten – dass Reuter den Aufsichtsrat bereits im Februar 1996 verlassen habe. Doch um die gebeutelten Aktionäre zu beruhigen und einen Aufstand der wütenden Kleinanleger zu verhindern, war Köpper kein Trick zu billig. Rund 60 Wortmeldungen lagen vor, doch Köpper verstand es, die kritischen Beiträge unabhängiger Redner und die rhetorisch geschickten, konstruktiven Appelle von Managern aus Konzerntochtergesellschaften der Deutschen Bank wohl zu koordinieren. Das Ergebnis der Abstimmung, die wegen der vielen Anträge erst gegen 23 Uhr stattfand, bescheinigte ihm, wie erfolgreich sein Versammlungsmanagement war: 98 Prozent der Anwesenden hatten Vorstand und Aufsichtsrat entlastet.

Allerdings hat Köpper auch bei diesem Ergebnis, das an Wahlgänge im real existierenden Sozialismus oder im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erinnerte, ein wenig nachgeholfen: Die Stimmenthaltungen lagen bei 20 Prozent. Doch bei der Abstimmung über die Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat wurden diese Voten nicht berücksichtigt. Dabei handelte es sich zumeist um Vertreter der Banken, die von ihren Depotkunden keine Anweisung für die Stimmabgabe erhalten hatten.

Machtkampf um Mercedes
Mit der Hauptversammlung war allerdings die Feuerprobe noch nicht zu Ende. Schon bevor sich die Aktionäre über den Jahresabschluss 1995 echauffieren konnten, hatte Schrempp begonnen, den Konzern umzukrempeln. Die Holdingstruktur mit der Dachgesellschaft Daimler-Benz AG, die von Reuter eingeführt worden war, um den integrierten Technologiekonzern, dessen Produktpalette vom Airbus bis zur Kaffeemaschine reichte, führen zu können, wurde zurückgenommen. Schrempp wollte das Konglomerat wieder auf den Kernbereich, die Produktion von Autos und Nutzfahrzeugen zurückführen. Denn dort wurden, wie das Jahresergebnis 1995 zeigte, die Gewinne erzielt, während die AEG und der gesamte Luft- und Raumfahrtbereich dem Konzern nur Verluste und schlechte Presse bescherten.

Der Auflösung der Mercedes-Benz AG stand allerdings Helmut Werner, Chef der Fahrzeugsparte, im Wege. Werner wollte die Selbstständigkeit dieses Bereichs und seinen Posten wahren. Er versuchte sich mit seinen Vorstandskollegen bei Mercedes der Integration der Mercedes-Benz AG zu widersetzen.

Doch er hatte Schrempp, der sein erstes Jahr als Daimler-Benz – Chef nur mit erheblichen Blessuren überstanden hatte, unterschätzt. Trotz seiner Eskapaden wie dem nächtlichen Renkontre mit der römischen Polizei – auf dem Weg zur Spanischen Treppe war Schrempp nach einer kleinen Geburtstagsfeier zusammen mit seiner Büroleiterin und seinem Assistenten sowie einer Flasche Rotwein von Polizisten angehalten und, nachdem die Gruppe sich mit Verbalattacken heftig gegen den unfreiwilligen Zwischenstopp wehrte, zur Feststellung der Personalien auf das Revier begleitet worden – und trotz des Fokker-Debakels – erfreute sich der Daimler-Chef noch immer des ungeteilten Wohlwollens seines Aufsichtsratschefs Köpper. Überdies hatte Schrempp seinen Coup geschickt eingefädelt. Er hatte die wichtigsten Männer bei Mercedes, Jürgen Hubbert und Dieter Zetsche, auf seine Seite gezogen. Bereits im Winter 1996 hatten die beiden Spitzenkräfte eindeutige Angebote bekommen: Beide sollten in den neuen Zentralvorstand der Daimler-Benz AG aufrücken, Hubbert als Verantwortlicher für das gesamte PKW-Geschäft, Zetsche als Chef des Vertriebs. Auch den Chef der Nutzfahrzeugsparte Kurt J. Lauk, den Personalvorstand Heiner Tropitzsch und den Topentwickler Klaus-Dieter Vöhringer holte Schrempp in den neuen zehnköpfigen Verstand der Daimler-Benz AG.

Aufsichtsratschef Köpper eilt zu Hilfe
Aufsichtsratschef Köpper sorgte inzwischen dafür, dass die Umstrukturierung, die monatelang den Flurfunk und die Gerüchteküche im Konzern belebt hatte, im obersten Kontrollgremium keinen Schiffbruch erlitt. Am 23. Januar 1997 sollte der Aufsichtsrat über den neuen Vorstand befinden. Am 17. Januar informierte Köpper die Aufsichtsräte vorab schriftlich, dass der Präsidialausschuss die fünf neuen Vorstandsmitglieder zur Zustimmung empfiehlt.

Damit hatte sich der Aufsichtsrat gegen den bisherigen Mercedes-Chef Werner entschieden. Zwar versuchte Schrempp noch – so stellt es zumindest Jürgen Grässlin, Sprecher der Kritischen Aktionär/Innen bei Daimler-Benz und Autor des Buches Jürgen E. Schrempp dar – den erfolgreichen Automanager zu halten und bot Werner den eigens geschaffenen Posten des Koordinators des Automobilbereichs an. Damit wäre Werner immerhin der zweite Mann an der Daimler-Spitze gewesen, doch der Mercedes-Chef ging lieber. Die neue Struktur ließ nur Platz für einen Spitzenmanager, der das Sagen hat. Und Werner, der ebenfalls nur Erster sein wollte, sah keine Chance für sich – unter Schrempp wären Führungskonflikte vorprogrammiert gewesen. Ohne Köpper in seinem Rücken hätte Schrempp die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit kaum überstanden: Er ist ein unglaublicher Gentleman – er regiert nicht in meine Geschichte rein und ist da, wenn ich ihn brauche, lobte der Daimler-Chef seinen obersten Kontrolleur.

Die Fusion mit Chrysler wird eingefädelt Das blieb auch so, als Köpper im Mai 1997 in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank wechselte und dort den Vorsitz übernahm. Sein Nachfolger Rolf-E. Breuer verzichtete auf das Daimler-Mandat. So konnte sich Schrempp, als er im Frühjahr 1998 die Hand nach Chrysler ausstreckte, ganz auf Köpper verlassen. Offiziell eingeweiht wurde der Aufsichtsratschef in die Mission Gamma – wie die Fusion von Daimler und Chrysler intern genannt wurde als das Projekt kurz vor dem Abschluss stand. Der Entschluss, mit Chrysler über eine Partnerschaft zu sprechen, wurde bereits im August 1997 gefasst, als die US-Investmentbank Goldman Sachs ein erstes Konzept vorgelegt hatte. Während der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt im September 1997 suchte Schrempp den Kontakt zu Bob Lutz, damals noch stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats bei Chrysler. Am 12. Januar 1998 unterbreitete Schrempp dem Chrysler-Chef Bob Eaton seinen Plan, die beiden Unternehmen zu fusionieren. Das legendäre Gespräch, das im Firmensitz von Chrysler stattfand, soll nur 17 Minuten gedauert haben. Ende Januar 1998 erklärte Eaton per Telefon sein Einverständnis, mit den Verhandlungen zu beginnen. Am 5. Februar informierte der Chrysler-Chef sogar sein Board, das Kontrollgremium des Autokonzerns, über die Fusionsgespräche mit Daimler.

Schrempp hingegen zog die Mission alleine durch. Erst am 19. April 1998 stattete er zusammen mit Chrysler-Chef Eaton dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Köpper in dessen Privathaus einen Besuch ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein kleiner Kreis von Spitzenmanagern, die das besondere Vertrauen der jeweiligen Konzernherrn besaßen, alle wesentlichen Fragen der Verschmelzung – die Führung des Konzerns durch eine Doppelspitze, Bewertungsfragen und Firmensitz – geklärt. Dazu zählten auch ausgesuchte Teams von Investmentbankern von Goldman Sachs für Daimler, von der Credit Suisse First Boston (CSFB) für Chrysler sowie Anwälte renommierter Kanzleien Die übrigen Vorstandsmitglieder der beiden beteiligten Konzerne hatten zumindest Hinweise auf das bevorstehende Großereignis erhalten, als endlich auch der oberste Kontrolleur von Daimler und der Repräsentant des Großaktionärs ins Vertrauen gezogen wurde.

Schweigen ist Gold
Dennoch spielte Köpper in den letzten drei Wochen vor der öffentlichen Bekanntmachung der Megafusion eine bedeutende Rolle, berichten die FAZ-Journalisten Holger Appel und Christoph Hein in ihrem Buch Der Daimler-Chrysler-Deal; Er hat uns immer vorangetrieben und Mut gemacht, wenn alles zu scheitern drohte, zitieren die beiden Autoren ein Mitglied aus der Projekt-Gamma-Truppe. Sein Meisterstück legte Köpper jedoch hin, als die Verhandlungen kurz vor der Unterzeichnung zu kippen drohten. Eaton verlangte eine Absicherung von der deutschen Kapitalseite. Köpper gelang es, Zusagen von den Anteilseignern der Daimler- Benz AG noch vor dem 6. Mai bei zu bringen. Ohne Köpper wäre der Deal gescheitert, er hat sich sensationell verhaltern, sagten Gamma-Projekt-Mitarbeiter.35 Köpper wurde für sein Engagement mit dem Aufsichtsratsvorsitz der neuen DaimlerChrysler AG belohnt.

Köpper sorgte aber auch dafür, dass die Deutsche Bank bei diesem Superprojekt doch noch zum Zuge kam. Sozusagen im letzten Augenblick wurden Investmentbanker der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell ins Team geholt. Immerhin sollen sie für ihren kurzen Einsatz 60 Millionen Dollar erhalten haben. Insgesamt dürften die Investmentbanken knapp 250 Millionen € für ihre Arbeit kassiert haben.

Dafür wurde aber auch nicht getratscht. Anders als bei Thyssen und Krupp wurde das Zusammengehen der beiden Autokonzerne, das – wie sich später herausstellte – eine Übernahme der Amerikaner durch die Deutschen war, unbemerkt von Presse und Öffentlichkeit bis zur Unterschriftsreife verhandelt. Keiner der 25 beteiligten Daimler- und Chiysler-Manager, der Investmentbanker von Goldman Sachs und Morgan Grenfell hat sich in diesen Monaten zu Indiskretionen verführen lassen. Schrempp und Köpper hatten offenbar die überzeugenderen Argumente als ein Jahr zuvor Krupp-Chef Cromme: Wer beim Quatschen erwischt wird, fliegt, habe beispielsweise der Daimler-Boss seinen Mitarbeitern gedroht.

Katerstimmung nach der Elefantenhochzeit
In den ersten Monaten nach dem spektakulären Deal, der am 7. Mai 1998 unterschrieben wurde, schwärmten die Akteure von ihrem Werk nur in den höchsten Tönen. Als Hochzeit im Himmel feierte Daimler-Chef Jürgen Schrempp die Fusion mit Amerikas drittgrößtem Autokonzern. Durch das Zusammengehen von Daimler und Chrysler war der drittgrößte Automobilkonzern der Welt entstanden. Er produzierte mit 421.000 Beschäftigten 4,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr und erzielte einen Umsatz von mehr als 132 Milliarden Dollar.

Die Partnerschaft begeisterte auch die Analysten: Die beiden Konzerne würden sich gut ergänzen. Mercedes hat einen Marktanteil von gut ein Prozent in den USA, etwas mehr als Chrysler in Europa, sagte Peter Soliman, Automobilexperte bei der Unternehmensberatung Booz Allen ft Hamilton. Die Stuttgarter seien in der Oberklasse zu Hause, aus Detroit werde der Massenmarkt beliefert. Daimler könnte die Türen für Chrysler in Europa und Lateinamerika öffnen und die Amerikaner den Schwaben in ihrem Heimmarkt helfen. Wenn wir Zusammengehen, wer soll uns dann noch schlagen?“, prahlte damals auch Chrysler-Vizepräsident Shamel Rushwin siegessicher.
Schrempp ließ gelegentlich – wenn auch eher rhetorisch – etwas Skepsis anklingen: Der Faktor Mensch könnte den erfolgreichen Bestand der Elefantenhochzeit noch gefährden. Bewähren musste sich der himmlische Bund schließlich auf der Erde, und da lauerten viele Gefahren. In den Unternehmen begannen die unteren Führungskader gleich nach der Verkündung des Coups um Posten und Pfründe zu rangeln, statt sich, wie vom Vorstandschef gewünscht, um die Integration der Mitarbeiter in das neue deutsch-amerikanische Unternehmen zu kümmern.

Als der erste Jubel verhallt war, begannen auch Experten aus der Autobranche den Megadeal zwischen Daimler und Chrysler, mit dem sich die beiden Unternehmen für die künftigen Herausforderungen in der Automobilbranche wappnen wollten, kritischer zu sehen und als Auftakt für einen tief greifenden Umbruch im weltweiten Automarkt zu begreifen. Die Fusion hat die Gesetze der Branche weltweit total verändert, sagte Daniel T. Jones, britischer Autor mehrerer Bücher über die Automobilindustrie. Weitere Fusionen und Übernahmen werden die Zahl der Konzerne in diesem Bereich reduzieren. Die Konzentration werde sich erhöhen. Das war keine leere Prophezeiung: Damals buhlten gerade BMW und VW um den britischen Autokonzern Rolls Royce. Renault hatte die Mehrheit bei Nissan übernommen und Ford baute um die Luxusmarke Jaguar die Premier Auto Group auf.

Vorstoß nach Asien
Schrempp bereitete ebenfalls seinen nächsten Coup vor. Im Herbst 2000 verkündete er die Übernahme von 37,3 Prozent an der Mitsubishi Motor Company. Obwohl die Chrysler-Übernahme noch nicht verdaut war, schickten Köpper und Schrempp den Konzern in ein neues Abenteuer. Mit Mitsubishi sollten nun auch die asiatischen Märkte aufgerollt werden.

Auch dieser Akquisition stimmte der Aufsichtsrat offenbar ohne Zögern zu, obwohl Daimler schon einmal – noch zu Reuters Zeiten – einen Versuch unternommen hatte, mit diesem japanischen Industriekonglomerat zu kooperieren und schließlich gescheitert war. Warum also waren sich Vorstand und Aufsichtsrat im Herbst 2000 so sicher, dass DaimlerChrysler mit Mitsubishi Zusammenarbeiten könnte? Schrempp hatte darauf nur eine Antwort: Er beschwor immer wieder seine Vision von einer Welt AG, die in allen Märkten dieser Welt zu Hause ist. Vor allem ging es ihm um die Absicherung der Luxus-Marke Mercedes gegen das Vordringen von Massenherstellern wie VW und Ford in die Oberklasse. Gleichzeitig sollte der Konzern auch im Massensegment Fuß fassen, ohne das Markenimage zu beschädigen.

Spätestens seit der Elchtest-Panne bei der Einführung der A- Klasse war allen Daimler-Managern klar, dass der Massenmarkt mit der Marke Mercedes allein nicht zu erobern war. Die Kunden erwarteten Qualität und technische Perfektion der S-Klasse zu Preisen eines Astras oder Golfs. Ein rentables Geschäft war das schon wegen der hohen Entwicklungskosten nicht, jedenfalls nicht auf kurze Sicht. Da schien es doch günstiger, Hersteller zu übernehmen, die eine Modellpalette für den Massenmarkt entwickelt hatten. Zudem hatte Chrysler mit seinen Jeeps und Minivans ein attraktives Segment besetzt, dessen Bedeutung die europäischen Hersteller, mit Ausnahme von Renault, viel zu spät erkannt hatten. Von der Beteiligung an Mitsubishi versprach sich der Daimler-Manager die Öffnung der Märkte in Japan und Ostasien.

Vom Jäger zum Gejagten
Die Frage, ob Mercedes überhaupt in den Volumenmarkt einsteigen müsste, war seit der Einführung der A-Klasse und des Kleinstwagens Smart beantwortet. Doch seine Wunschträume erfüllten sich nicht. Mit Vollgas startete DaimlerChrysler in die Krise. Statt wachsender Umsätze und glänzender Gewinne bescherten die neuen Töchter Schrempps Welt AG Milliardenverluste und unausgelastete, veraltete Fabriken, die an den stattlichen Profiten zehrten, die der Kembereich Mercedes-Benz erzielte.

Für die Aktionäre waren Schrempps Abenteuer in den USA und in Japan eine herbe Enttäuschung. Der Kurs der Aktie war von einem Höchststand von über 100 Euro im Frühjahr 1998 auf rund 46 Euro im Frühjahr 2002 abgerutscht. Im Herbst 2001, nach den Terroranschlägen von New York und Washington, war der Wertverlust noch dramatischer ausgefallen: Das DaimlerChrysler-Papier war auf 29 Euro durchgesackt. Seit der Chrysler-Übernahme hatte der Konzern im Frühjahr 2002 mehr als die Hälfte seines Börsenwerts eingebüßt und die Marktkapitalisierung betrug nur noch knapp 50 Milliarden Euro. Der mächtige Konzern war vom Jäger zum Gejagten geworden, die Welt AG selbst drohte letztlich zur Beute profitlüsterner Akquisiteure zu werden, die sich von der Zerschlagung von Schrempps Imperium stattliche Profite versprachen.

Doch während Daimler Chryslers Großaktionär, die Deutsche Bank, den Wertverfall ihres Aktienpakets in den 90er Jahren noch ohne offene Kritik hingenommen hatte, rührte sich nun Widerstand. Vor allem die Investmentbanker von Europas größtem Geldhaus wollten die DaimlerChrysler-Papiere liebend gerne loswerden. Die Kapitalverbindung zwischen der Bank und Europas größtem Autokonzern wurde im Ausland – vor allem in den USA – stets mit Argwohn betrachtet, weil Interessenkonflikte programmiert sind und die Bank durch ihre privilegierte Stellung als Finanzinstitut und Großaktionär des Konzerns auch Zugang zu privilegierten Informationen hat. Das stärkt nicht gerade die Position der Deutschen Bank im internationalen Investment Banking, wo die wirklich großen Deals eingefädelt werden.

Deshalb hat Köppers Nachfolger Breuer immer wieder erklärt, dass sich die Bank aus den Industriebeteiligungen zurückziehen wolle. Doch passiert ist bis Frühjahr 2002 nichts. Erst lag es an der Steuerpolitik der jeweiligen Bundesregierung, die einen Verkauf des Pakets wegen der hohen Abgaben wenig lukrativ erscheinen ließ. Doch seit Januar 2002 sticht dieses Argument nicht mehr. Durch die Steuerreform von Bundeswirtschaftsminister Hans Eichel sind die Veräußerungsgewinne bei Beteiligungsgesellschaften steuerlich begünstigt – Banken und Versicherungen können ihre Industriebeteiligungen ohne steuerliche Einbußen abstoßen.
Deshalb stellt nun der Aktienkurs das Hindernis für die Abgabe des Pakets dar: Die Bank würde beim gegenwärtigen Wert des Papiers auf Hunderte Millionen Euro verzichten müssen.

Gestörte Beziehungen
Die Banker arbeiteten durchaus mit an dem fortschreitenden Wertverlust. Der größte Fauxpas unterlief dabei dem im Mai 2002 zum Aufsichtsratschef gekürten Rolf-E. Breuer. Auf der Bilanzpressekonferenz vom 1. Februar 2002 stand Breuer den Journalisten auch nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung noch Rede und Antwort.

Und weil sich der Deutsche-Bank-Chef in der Rolle des kommunikativen, weltoffenen und modernen Konzernführers rheinischer Provenienz so gut gefällt, zuckte er auch nicht zurück, als Fragen nach einer neuen Aufgabe der Bank bei DaimlerChrysler gestellt wurden. Ich kann bestätigen, dass die Deutsche Bank ein Mandat hat, DaimlerChrysler bei seiner Verteidigungsstrategie zu beraten10, sagte er ohne Zögern auf die Frage eines Journalisten – und hatte wieder einmal für Schlagzeilen in der Tagespresse gesorgt.

Von der Süddeutschen Zeitung bis zur Bild war Breuers Aus sage die Spitzenmeldung des nächsten Tages. Hatte der erste Mann in Deutschlands größtem Geldkonzern doch die schlimmsten Befürchtungen über den Zustand des Konzerns mit seinem Hinweis erst öffentlich gemacht. Schlimmer noch: Breuer hatte mit seinem Statement gegen ein ehernes Gesetz im Bankbetrieb verstoßen – über Kundenbeziehungen wird in der Öffentlichkeit nicht geredet. Breuers Verhalten warf wieder einmal viele Fragen auf: Was war nur in den Bankchef gefahren? Wollte er dem Daimler-Chef wirklich gezielt eins auswischen oder nur die Bedeutung, die die Deutsche Bank im internationalen Investmentgeschäft einnahm, demonstrieren – eine Rolle, die sie bis zu jenem Zeitpunkt nicht oft spielen durfte? Breuer schwieg über seine Motive, fühlte sich wie üblich in solchen Situationen nur gründlich missverstanden. Über den Medienrummel soll er sich nur gewundert haben, wie Der Spiegel in der Woche darauf süffisant berichtete.41 Schrempp soll den Banker, als die Nachricht über die Agenturen verbreitet wurde, umgehend per Telefon zur Rede gestellt haben.

Insider berichten, das DaimlerChrysler die Geschäftsbeziehungen zur Bank seit der verbalen Entgleisung auf ein Minimum beschränke und die wirklich lukrativen Aufträge, wie die Platzierung von Anleihen oder Aktienpaketen, fast ausschließlich an Goldman Sachs vergebe. Dass die Chemie zwischen dem ehemaligen Deutsche-Bank- Chef Breuer und dem DaimlerChrysler-Boss Schrempp nicht mehr stimmt, zeigte sich im Februar 2002. Schrempp gab überraschend eine Gewinnwarnung für das laufende Geschäftsjahr heraus und schockte die Börse: Der Kurs der DaimlerChrysler-Aktie gab innerhalb weniger Minuten um sieben Prozent nach. Breuer war nach Angaben einiger Vertrauter stinksauer über Schrempps Ankündigung: Im Februar 2001 hatte der DaimlerChrysler-Chef für 2002 noch einen Gewinn von 5,5 bis 6,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Jetzt soll es nur ein Überschuss von deutlich über 2,6 Milliarden Euro werden. Unerwartet kam die neue Prognose vor allem auch deshalb, weil die Manager der drei großen Bereiche Mercedes-Benz, Chrysler und Nutzfahrzeuge kurz zu vor erklärt hatten, sie würden ihre Ziele für 2002 erreichen.

Der Clou an der Geschichte: Die Deutsche Bank würde ihren Anteil von zwölf Prozent an DaimlerChrysler gern verringern – doch allein durch den Kurssturz nach Schrempps jüngster Beichte verlor das Paket fast weitere 240 Millionen Euro an Wert.

Wie die Banken Ostdeutschland plünderten – Geschichte der Banken

Zwischen den Bildern liegen Welten: Berlin im November des Jahres 1989 – jubelnde Menschenmassen am Brandenburger Tor, Bananen, Rotkäppchen Sekt und Freudentränen. Vier Jahre später in Bischofferode – verbitterte Mienen, Protestmärsche, Hungerstreik, Trauer und Wut. So hatte sich keiner der Kumpel sein Leben im gelobten Land, im vereinten Deutschland, vorgestellt. Und bis heute hat sich die Wirtschaft in Ostdeutschland nicht von dem Schock nach der Wende erholt.

Mit dem Zusammenbruch des Zeppelin-Bauers Cargolifter ist im Sommer 2002 wieder ein Hoffnungsträger im industrieschwachen Osten ausgefallen. Der Niedergang des jungen ostdeutschen Unternehmers Stephan Schambach, dessen Unternehmen Intershop binnen eines Jahres vom Börsenliebling zum Schmuddelkind des Neuen Marktes mutierte, bestärkt die Menschen dort nur in ihrer Überzeugung, dass sie kaum Chancen haben, im Haifischbecken der westdeutschen Industriegesellschaft mitzuschwimmen.

Das verkaufte Land
Viele Ostdeutsche haben mittlerweile begriffen, dass sie heute in einem verkauften Land leben, dass ihre Fabriken entweder geschlossen wurden oder aber westdeutschen Unternehmern und Banken gehören, dass ihre Wohnungen von westdeutschen Besserverdienern mittels Steuerabschreibungen finanziert werden, dass sie strampeln müssen, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Gerade mal 26 Prozent der Ostdeutschen leben in den eigenen vier Wänden – im Westen sind es 44 Prozent.

Zu den finsteren Kapiteln der deutschen Wiedervereinigung zählt die Abwicklung der maroden DDR-Wirtschaft durch die eigens für diesen Zweck geschaffene Treuhandanstalt. Von Oktober 1990 bis Dezember 1994, als das offizielle Ende der Privatisierungsbehörde gekommen war, wurden 75 Prozent der volkseigenen Betriebe und Kombinate zerschlagen, verscherbelt oder platt gemacht.

Insgesamt 40.000 Vereinbarungen zur Privatisierung von ganzen Unternehmen oder Betriebsteilen wurden abgeschlossen, 3.700 Betriebe abgewickelt oder liquidiert. Viele mussten sterben, weil die westdeutsche Industrie keine neue Konkurrenz wünschte oder die Banken kurzen Prozess machten.

Kahlschlag im Osten
Die Zahl der Beschäftigten in den Unternehmen, die die Treuhand übernommen hatte, war zwischen Ende 1990 und Ende 1993 von über drei Millionen auf unter 380.000 gefallen – ein Rückgang um knapp 90 Prozent. Wenn alle ausgegliederten, umstrukturierten und neu geschaffenen Arbeitsplätze in privatisierten und neu gegründeten Firmen gegengerechnet werden, bleibt immer noch ein Beschäftigungsdefizit von 40 Prozent. Von den Unternehmen, die die Radikalkur der Treuhandprivatisierung überlebt haben, gehörten Ende der 90er Jahre gerade mal sechs Prozent ostdeutschen Unternehmern, etwa 85 Prozent gingen an westdeutsche und gut neun Prozent an ausländische Investoren – vor allem an Europäer: Franzosen, Schweizer, Briten, Österreicher und Niederländer. Aber auch US-Firmen haben sich im Osten eingekauft.

Im Rückblick gilt der Abbruch der ostdeutschen Volkswirtschaft bei Unionspolitikern, Liberalen und der Wirtschaft im Westen als beispiellose Erfolgsgeschichte. Für den Münchner Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn hingegen war die Privatisierung der maroden DDR-Betriebe die größte Demontage einer Industrienation in Friedenszeiten. Die Industrieproduktion in Ostdeutschland wurde auf ein Drittel reduziert, das Sozialprodukt fast halbiert.

Die Währungsunion im Juni 1990 und die Last der Altschulden minderten die Attraktivität der Ost-Betriebe. Einer Gesamtentschuldung aller Unternehmen mochte die Bundesregierung Anfang der 90er Jahre nicht zustimmen – trotz heftiger Kritik von Wirtschaftsexperten wie dem FDP-Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff. Der wollte verhindern, dass den Betrieben der DDR eine gewaltige Verschuldung von 400 Milliarden € aufgeladen wurde, die ihre Wettbewerbsfähigkeit nur weiter verschlechterte. Doch Finanzminister Theo Waigel blieb bei seinem Veto, um eine stärkere Anpassung an die Wettbewerbsfähigkeit rechtzeitig herbeizuführen. So trug die kompromisslose Haltung der Bundesregierung dazu bei, dass die ostdeutschen Arbeitnehmer von ihrer 40-jährigen Aufbauarbeit gar nicht profitieren konnten, und genau genommen ein zweites Mal enteignet wurden.

Ausverkauf im großen Stil
Nur 2.800 Firmen aus dem Treuhandbesitz wurden im Rahmen eines Management-Buy-outs (MBO) von den heimischen Führungskräften übernommen. Die Ostdeutschen sind doch nicht in der Lage, die Investments aufzubringen, befand der liberale Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt 1994. Kapital gab es nur im Westen, erklärte Manfred Schüler in seiner Funktion als Verwaltungsratspräsident der Bundesbehörde für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS), die das Erbe der Treuhandanstalt übernommen hat.

Dabei war an Geld kein Mangel – wenigstens nicht zu Hochzeiten der Treuhandanstalt. Zwischen 1990 und 1993 wurden pro Tag 170 Millionen € für Sanierung und Abwicklung ausgegeben. Die Einnahmen beliefen sich hingegen im Schnitt auf 25 Millionen €, wie der damalige Finanzchef Heinrich Hornef seinen Vorstandskollegen vorrechnete. Westdeutsche und ausländische Investoren konnten bei ihren Vorhaben von ansehnlichen Staatszuschüssen profitieren.

Ostdeutsche Bewerber durften die 22.000 Kleinbetriebe, Gaststätten und Einzelhandelsgeschäfte übernehmen, wenn es jedoch um die großen Brocken ging, hatten sie kaum eine Chance. Die frisch gebackenen Unternehmer scheiterten oft schon an der ersten Krise, weil ihnen Reserven fehlten. Nach Angaben der Deutschen Ausgleichsbank hatte fast ein Viertel der ostdeutschen Unternehmen 1994 eine ständig existenzgefährdende Eigenkapitalquote von ein bis neun Prozent, jeder zweite dieser Betriebe sei überfordert.

Raubzug der Banken
Den größten Gewinn aus der Wiedervereinigung zogen allerdings die westdeutschen Banken. Eine fettere Beute gab es wohl nie zuvor in der deutschen Nachkriegswirtschaftsgeschichte: Das komplette Bankensystem eines ganzen Staates – rund 180 Milliarden Ostmark Spareinlagen und die Schulden der Deutschen Staatsbank in Höhe von 233 Milliarden Ostmark – war im Schnäppchenmarkt der Deutschen Einheit im Angebot. Die westdeutschen Kreditinstitute ließen sich nicht lange bitten. Die Staatsbank-Nachfolgerin Deutsche Kreditbank teilten sich Deutsche Bank und Dresdner Bank. Um die Berliner Bank nicht zu benachteiligen, wurde das Hauptstadtgeschäft der einstigen DDR-Zentralbank dem Berliner Institut zugeschanzt. Die Provinzbank mutierte von einem Tag zum andern zur Großbank. Für zwölf Milliarden € Bilanzsumme mussten die Berliner die lächerlich geringe Summe von 49 Millionen € bezahlen. Der Kaufpreis war in wenigen Wochen wieder eingespielt.

Die WestLB brachte die DDR-Außenhandelsbank Daba in ihre neue Tochtergesellschaft, die Deutsche Industrie- und Handelsbank, ein. Schon in den ersten sechs Monaten der Währungsunion kassierte die junge Banktochter über 20 Millionen € an Zins- und Provisionsüberschuss.

Die ehemalige gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft, die mittlerweile vom Skandinavischen Geldkonzern SEB übernommen wurde, durfte über 60 Prozent der Deutschen Handelsbank mit einer Bilanzsumme von 14 Milliarden € nebst Beteiligungen einheimsen – zum Spottpreis von 225 Millionen €.

Unglaubliche Geschäfte
Wie derartige Übernahmen dann abliefen, schilderte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel am Beispiel der DG Bank. Schon zu Jahresanfang 1990 hatte die Frankfurter Großbank, Spitzeninstitut der westdeutschen Volks- und Raiffeisenbanken, ihren Fang geortet: die frisch umgetaufte Genossenschaftsbank Berlin (GBB), bis dahin als Bank für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft im deutschen Osten aktiv.

In bester Eintracht wurde damals ein positiver Saldo der GBB von rund 700 Millionen € bilanziert. Das sollte der Kaufpreis sein. Davon zahlten die Frankfurter 100 Millionen € in bar. Für den Rest schoben sie Anteile am Eigenkapital über den Tisch. Die Papiere, Nennwert 120 Millionen €, wurden auf einen Marktwert von 600 Millionen € geschätzt. Alle Aktiva und Passiva, die 14 Bezirksdirektionen und etwa 800 Mitarbeiter der GBB waren damit bezahlt.

Wegen unseres Förderauftrags zugunsten der Landwirtschaft, behauptete DG-Bank-Vorstandsmitglied Heiko Bruns im Spiegel, gewissermaßen aus Menschlichkeit, habe man das Ganze übernommen. In Wahrheit war es ein unglaubliches Geschäft. 16 Milliarden € an Forderungen gingen an die DG Bank, für die sie ab sofort (Ziffer 2 des Übernahmevertrags: Mitabgetreten werden sämtliche Zinsansprüche) zehn bis elf Prozent Zinsen kassieren konnte. Die Spareinlagen auf der anderen Seite der Bilanz wurden mit fünf Prozent abgefunden.

Bereicherung auf Staatskosten
Die westdeutschen Kreditinstitute haben die Banken der ehemaligen DDR nicht nur zu allerbesten Konditionen geschluckt, der wirkliche Reibach lag in der Übernahme der Kreditforderungen der Institute gegenüber den alten Kombinaten und Betrieben in Milliardenhöhe. Die Forderungen, die die westdeutsche Kreditwirtschaft von den Nachkommen der sozialistischen Planwirtschaft eintreiben konnte, bewegten sich in der beträchtlichen Größenordnung zwischen 150 und 200 Milliarden €.

Diese Kredite versuchten die Banken einzufordern oder sie zu marktüblichen Zinsen weiterlaufen zu lassen. Ein glänzendes Geschäft: Bei einem Kreditzinssatz von damals zehn Prozent brachten 150 Milliarden € Altschulden, bei Refinanzierungskosten von sechs bis sieben Prozent einen Zinsüberschuss von mehr als fünf Milliarden € im Jahr. Das Risiko war gleich null, weil Forderungsausfälle – wenn etwa der Kreditnehmer den Schuldendienst nicht mehr leisten konnte – die Bundesregierung übernahm. Diese Garantie musste der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel den westdeutschen Geldhäusern einräumen, um die Banken von der Sorge vor faulen Krediten zu befreien. Den Banken wurde die Bezahlung der Außenstände samt aufgelaufener Zinsen über den Ausgleichsfonds des Bundes zugesichert. Die Banken hatten mit der Übernahme der DDR-Altlasten eine Lizenz zum Gelddrucken erhalten, wie Der Spiegel süffisant anmerkte.

Mängel im Einigungsvertrag ausgenutzt
Nach Ansicht vieler westdeutscher Kritiker war dies einer der schwerwiegendsten Fehler im Einigungsvertrag: Westdeutsche Banken wurden begünstigt, die ostdeutschen Betriebe hingegen abgezockt.

Im Nachhinein ist vielen Beteiligten klar geworden, dass die Ost-Schulden nicht mit den West-Schulden vergleichbar waren und deshalb auch anders hätten behandelt werden müssen. In der sozialistischen Planwirtschaft waren Kredite Steuerungsinstrumente der Regierung. Staatsbankkredite wurden auf die Konten von Industriekombinaten verbucht. Die ehemalige DDR-Regierung kassierte die erwirtschafteten Gewinne der Staatsbetriebe, Rücklagen für Investitionen waren nicht gestattet. Wenn die Kombinate neue Maschinen brauchten, mussten sie Kredite aufnehmen, oft mussten sie sich aber auch verschulden, obwohl sie keinen Kapitalbedarf hatten. So konnte sich der Finanzminister im real existierenden Sozialismus direkt am Volksvermögen bedienen, wenn er Geld brauchte. Nach der Währungsunion wurden Kredite, die eigentlich Staatsschulden waren, zu Lasten der Betriebe verbucht, weil die westdeutsche Bundesregierung ihre offizielle Schuldenlast klein halten wollte.

Ein gigantischer Schuldenberg
Nach diesem Prinzip wurde auch im ostdeutschen Wohnungsbau verfahren: Nur ein Fünftel der Kosten kam über die staatlich fixierten Mieten herein. Die Differenz wurde über Zuschüsse aus dem DDR-Haushalt und Kredite bei der Staatsbank ausgeglichen. Zins und Tilgung für diese Schulden übernahm – bis auf ein Prozent – der Staat.

Bis zur Wende mussten sich die kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen nicht um ihre Schulden kümmern – zuletzt waren insgesamt 72 Milliarden DDR-Mark aufgelaufen. Doch nach der Währungsumstellung wurden diese Lasten im Verhältnis eins zu zwei in harte € umgetauscht. Die ostdeutsche Wohnungswirtschaft stand auf einmal mit 36 Milliarden € bei der Deutschen Kreditbank und der Berliner Stadtbank in der Kreide. Die verlangten nun die damals üblichen Marktzinsen – über zehn Prozent. Für die betroffenen Unternehmen war das ein kaum zu verkraftender Schock, im real existierenden Sozialismus waren nur 2,5 Prozent berechnet worden.

Die Folge: Viele Betriebe in den neuen Ländern hatten wegen der alten Schulden keine Chance, die westdeutschen Banken dagegen konnten satte Gewinne vorweisen: So konnte die DG Bank ihren Zinsüberschuss von 362 Millionen € im Jahr 1990 binnen zweier Jahre bis 1992 auf 692 Millionen fast verdoppeln.

Der ausgewiesene Zinsüberschuss der Dresdner Bank kletterte in den Jahren von 1990 bis 1992 um über eine Milliarde €, bei der Branchenführerin Deutsche Bank gar um mehr als zwei Milliarden €.

Solidaritätszuschlag für die Banken
Im Osten wuchsen derweil die Schulden. Wer zahlungsunfähig war, konnte seine Schulden stunden lassen, da verhielten sich die Banken großzügig. Schließlich erhöhten sich ihre Forderungen durch die laufenden Zinsen stetig und der Staat garantierte zudem noch die Rückzahlung. Die Lage der Schuldner wurde immer trostloser. Abgezockt wurden allerdings nicht nur die Ost-Unternehmen, sondern auch die Steuerzahler. Was die westlichen Kreditinstitute bei einem Pleitebetrieb der Ex-DDR nicht mehr herausholen konnten, wurde ihnen aus der Staatskasse, das heißt dem Steueraufkommen, erstattet. So alimentierten die Deutschen nach der Einführung des Solidaritätszuschlags mit dieser Sondersteuer weniger die Wirtschaft in Ostdeutschland als die Gewinne der Großbanken.

An der Rechtmäßigkeit dieses Systems gab es zumindest juristisch keine Zweifel, der Bundesgerichtshof stellte Ende Oktober 1993 fest: Es sei Sache des Gesetzgebers gewesen, grundsätzlich darüber zu entscheiden, welchen Einfluss der Wechsel des Wirtschaftssystems auf die Verbindlichkeiten aus DDR-Zeiten haben sollte.

Ein Jahr später, im Wahljahr 1994, dämmerte es sogar dem in Wirtschaftsfragen wenig bewanderten Bundeskanzler Helmut Kohl, wie gnadenlos die Bundesregierung vom westdeutschen Kreditgewerbe über den Tisch gezogen worden war. Bei einem Treffen der westdeutschen Konzernbosse mit Kanzler und Ministern griff Kohl die Herren aus der Geldwirtschaft frontal an: Sie sollten sich auf ihre Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen besinnen und sich stärker in Ostdeutschland engagieren, forderte Kohl. Gegenüber der Deutschen Bank wurde er noch deutlicher: Das gelte vor allem für die Bank, die den Namen unseres Volkes trägt. Genützt hat die Kanzler-Schelte herzlich wenig.

Pleitewelle im Osten
Die Lage der jungen ostdeutschen Firmen ist noch heute fragiler als im Westen. Viele der rund 500.000 Neuunternehmer, die sich nach der Wende mit viel Idealismus, großen Hoffnungen und wenig Eigenkapital selbstständig gemacht haben, gibt es nicht mehr. Die Pleitewelle erfasste alle Bereiche, doch am härtesten schlug sie über der Bauwirtschaft zusammen. Darlehen für ostdeutsche Baufirmen gelten als sehr riskant und werden offenbar nur noch in Ausnahmefällen gewährt.

Unternehmensberatern sowie Industrie- und Handelskammern bereitet die restriktive Kreditvergabe des Bankgewerbes erhebliche Sorgen: Da gehen unter Umständen mehr Unternehmen als nötig kaputt.

Nachdem viele Kredite notleidend geworden und viele Baufinanzierungen zusammengebrochen sind, rücken die Banken nicht nur weniger Kredite heraus, immer häufiger werden auch Umschuldungen verweigert. Viele Institute haben sogar noch an der Notsituation ihrer Kunden verdient – und zwar mit immer neuen Erfindungen bei der Kreditvergabe. Eine davon heißt Tilgungsstreckungskonto.

Dieses Folterinstrument wurde Mitte der 90er Jahre erfunden, als viele öffentliche Darlehen wie die ERP-Kredite, für die in den ersten zehn Jahren fast nur Zinsen zu zahlen und wenig Tilgung zu leisten war, mit hohen Tilgungsraten zurückgezahlt werden mussten. Die ursprüngliche Annahme, dass sich die Gewerbetreibenden nach zehn Jahren etabliert hätten und dann auch die hohen Tilgungsraten leichter verkraften könnten, hatte sich nicht erfüllt. Die meisten Betriebe im Osten konnten sich Ende der 90er Jahre nur mit Mühe über Wasser halten. Damit sie nicht sofort Pleite gingen, boten ihnen die Banken an, die Tilgung ganz oder teilweise zu übernehmen. Dafür freilich häufen sich wiederum neue Schulden inklusive Zinsen an – auf dem so genannten Tilgungsstreckungskonto. Die Zinsknechtschaft – wie der Finanzwissenschaftler Wilhelm Hankel das Geschäftsgebaren der westdeutschen Banken einst nannte – wird dadurch fortgesetzt – bis der Insolvenzverwalter sie eines Tages dann doch beendet.

Der Fall mit Thyssen-Krupp und die neue Fakten – detailliertere Information

Nach der Hauptversammlung der Thyssen AG am 14. März 1997 bat der nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer (SPD), der auch im Aufsichtsrat des größten deutschen Stahl- und Anlagenkonzerns saß, den Chef des Kontrollgremiums, Heinz Kriwet um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. Krupp bereite eine feindliche Übernahme des Thyssen Konzerns vor, raunte der altgediente Politiker dem Topmanager zu. Mit dieser Nachricht brachte Schleußer nicht nur den Aufsichtsratschef in Rage, sondern wenige Tage später auch die Deutschland AG ins Wanken.

Der Konzern, dem Kriwet seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen gedient hatte, sollte von dem kleineren Rivalen im Revier, der Krupp-Hoesch-Gruppe übernommen werden. Unfassbar. Ein Kampf wie David gegen Goliath – mit einem Unterschied: Der Düsseldorfer Riese zog in Topform ohne überflüssiges Fett und mit modernen Anlagen in den Kampf, der Essener David war ausgepowert, mit schlaffen Muskeln und altem Gerät angetreten. Im Klartext: Thyssen erwirtschaftete mit 123.746 Mitarbeitern einen Umsatz von 38,67 Milliarden € und erzielte dabei durch geschickte Produktstrategie Gewinne, Krupp kam mit 66.300 Mitarbeiter zwar auf einen Umsatz von 24 Milliarden €, doch der Profit der Gesamtgruppe wurde von den Verlusten der höchst unrentablen Stahlsparte aufgezehrt.

Die Übernahmeschlacht beginnt
Am Mittag des 15. März 1997, einem Samstag, alarmierte Kriwet per Telefon den Vorstandschef der Thyssen AG, Dieter Vogel. Beide mochten das Unglaubliche nicht so recht begreifen. Sollte der Krupp-Hoesch-Chef Gerhard Cromme tatsächlich einen so tollkühnen Plan im Schilde führen? Noch unvorstellbarer war für die beiden Spitzenkräfte des Konzerns, dass sich möglicherweise deutsche Banken an einem derart verwegenen Abenteuer beteiligen würden.

Andererseits wäre ein Übernahmeversuch eine Erklärung für den Höhenflug der Thyssen-Aktie, die seit Januar jenes Jahres unaufhörlich gestiegen war. Und der Zeitpunkt für einen Überraschungsangriff, den Schleußer genannt hatte, die Woche vor dem Osterfest, war nicht schlecht gewählt. Dann würden sich viele Manager, Banker und Wirtschaftsanwälte bereits in Urlaub verabschiedet haben. In vielen Unternehmen, Banken und Kanzleien wäre nur die Stallwache auf dem Posten, eine Abwehrschlacht wäre nur schwer zu organisieren. Thyssen-Chef Vogel informierte seine engsten Mitarbeiter. Schnell war der Entschluss gefasst, dem Angreifer durch eine Vorwärtsstrategie die Tour zu vermasseln. Das restliche Wochenende verbrachten die Manager damit, befreundete Banker, Aufsichtsräte und Journalisten anzurufen und durch geschicktes Fragen auf den drohenden Übernahmekampf aufmerksam zu machen.

Operation Hammer und Thor
Am Montag, den 17. März, brach über den Börsenplätzen Frankfurt und Düsseldorf ein Sturm von Gerüchten, Spekulationen und Halbwahrheiten über die beiden Unternehmen los. Erst am Abend konkretisierten sich die Vermutungen, dass Krupp-Hoesch tatsächlich Thyssen übernehmen wolle. Doch noch immer fehlte eine offizielle Erklärung des Krupp-Plans.

Am Dienstag, den 18. März, konnte auch Krupp den Nachfragen nicht mehr standhalten. Krupp-Chef Cromme ließ öffentlich erklären, dass ein Übernahmeangebot vorbereitet werde. Thyssen-Chef Dieter Vogel ließ sofort eine Pressekonferenz einberufen und ging wieder in die Offensive: Vor den anwesenden Journalisten bezeichnete er das Vorgehen von Krupp als Wildwest-Methoden. Vogel alarmierte die Düsseldorfer Landesregierung und telefonierte mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl.

Währenddessen wurde im Thyssen-Hauptquartier die Verteidigung organisiert. Vogels engste Mitarbeiter hatten keine Mühe Bundesgenossen zu finden. Krupps Angriff wurde nur von zwei deutschen Banken, allerdings den damals größten Instituten im Lande, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank, sowie den Investmenthäusern Goldman Sachs, der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell und der Dresdner Kleinwort Benson geführt. Seit Dezember des Jahres 1996 hatten sie an dem Plan, der unter dem Codenamen Hammer und Thor geführt wurde, gearbeitet. Besonders pikant an der Situation war, dass im Thyssen-Aufsichtsrat mit Ulrich Cartellieri ein Vorstandsmitglied der Deutschen Baiik und mit Wolfgang Roller der Aufsichtsratschef der Dresdner Bank saßen. Cartellieri hatte zudem seine Teilnahme an der Thyssen-Hauptversammlung abgesagt – wegen einer Darmgrippe. Beide beeilten sich zu beteuern, dass sie von dem Geheimplan, der von beiden Banken maßgeblich mitentwickelt wurde, nichts gewusst hätten. Glaubhaft war das nicht. Vor allem Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri geriet unter Druck. Der Banker hatte zu jenem Zeitpunkt mehrere Hüte auf.

Die Investmentbanker des Krupp-Lagers waren ohnehin schon in die Bredouille gekommen. Weil der Plan zur feindlichen Übernahme durch Schleußers Intervention vorzeitig bekannt geworden war, lief ihnen die Zeit davon. Eilig mussten sie nun das Übernahmeangebot Zusammenzimmern. Der Übernahmekurs wurde auf 435 € pro Thyssen-Aktie festgesetzt. Danach hätte Krupp-Hoesch für die 31,2 Millionen Aktien rund 13,6 Milliarden € aufbringen müssen, dazu wären noch 3,5 Milliarden € für die Übernahme der Thyssen-Schulden gekommen. Der Gesamtpreis hätte somit bei 17,1 Milliarden € gelegen.

Banken wollen Thyssen zerschlagen
In ihrem Plan sahen Deutsche Bank und Dresdner Bank, die die Finanzierung übernehmen wollten, eine Rückzahlung der hohen Schulden durch die Zerschlagung des Thyssen-Konzerns vor. Etwa zwei bis vier Milliarden € hätte der Essener Konzern wieder hereinholen können durch den Verkauf der 40.000 Thyssen- Wohnungen und Gebäude sowie durch die Veräußerung des 30- Prozent-Pakets am E-Plus-Mobilfunk-Netz. Der E-Plus-Partner Vebacom, der zusammen mit dem Stromgiganten RWE die Telekommunikationsgesellschaft Otelo gegründet hatte, hätte auch gern den Thyssen-Anteil für drei Milliarden € übernommen. Nach Abzug von Krediten und Steuern brächte die Telekom-Sparte nach Einschätzung von Branchenkennern noch 2,5 Milliarden €. Weitere 1,5 Milliarden € würden Verkäufe von anderen Thyssen-Bereichen einschließlich des Hochhauses abwerfen, in dem die Hauptverwaltung des Düsseldorfer Konzerns saß. Für die restlichen neun bis elf Milliarden € müsste Krupp-Hoesch Kredite aufnehmen. Die Zinszahlungen ließen sich aber leicht aus den Gewinnen von Thyssen bedienen. Branchenkenner rechneten bereits mit einem Gewinnüberschuss von mindestens 330 Millionen €, der Krupp-Hoesch jährlich aus der Thyssen-Gruppe zuflösse. Das wäre deutlich mehr als die 208 Millionen, die Cromme 1997 mit seinem eigenen Konzern hätte erwirtschaften können.

Der Krupp-Hoesch-Chef würde zudem von der umfangreichen Rationalisierung profitieren, die der Thyssen-Konzern-Chef Dieter Vogel bereits eingeleitet hatte. Dabei wurde die Belegschaft um 9,3 Prozent abgebaut, Geschäftsbereiche wurden gestrafft, unrentable Firmen für den Verkauf aussortiert.

Eine Fusion würde zudem Spielraum für weitere Kostenreduzierung schaffen. Krupp-Hoesch-Chef Cromme war sicher, dass sich 70 Prozent der Produkte der beiden Konzerne ergänzen. Im Klartext hieß das: Die restlichen 30 Prozent müssten bereinigt werden, Arbeitsplätze abgebaut, Betriebe verkauft oder stillgelegt werden. Ein Kahlschlag von 30.000 Stellen, wie ihn Arbeitnehmer und Betriebsräte beider Konzerne befürchteten, schien keine irreale Größe zu sein. Bereits vor der Übernahmeschlacht hatte Thyssen für 1997 den Abbau von 6.000 Jobs angekündigt; bei Krupp sollten 2.200 Stellen gestrichen werden.

Der Widerstand bei Thyssen formiert sieh Obwohl eine Fusion der beiden Konzerne betriebswirtschaftlich sinnvoll war, weil kostspielige Überkapazitäten beseitigt würden, war sie 1997 politisch kaum zu verkraften. Im Revier brodelte es ohnehin: Die Kumpel aus den Steinkohlezechen hatten bereits lautstark vor der Landesregierung in Düsseldorf und im Bonner Regierungsviertel gegen Subventionsabbau und Arbeitsplatzverluste protestiert, einen Aufstand der Stahlkocher wollten Landes- und Bundespolitiker daher unter allen Umständen vermeiden. Selbst der damalige Regierungschef Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau (SPD), der als ein Mitglied der Friedrich-Krupp- Stiftung – wenn auch erst spät – in den Deal eingeweiht worden war, zeigte sich nicht nur überrascht, er artikulierte auch offen seinen Unmut über das Vorgehen des Krupp-Chefs und seiner Bankiers. Auch Finanzminister Heinz Schleußer und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sparten nicht mit Kritik an Crommes Coup.

Die Bedenken der Politiker und die Wut der Thyssen-Belegschaft, die sich nicht vom Erzrivalen schlucken lassen wollten, wusste Konzernchef Vogel geschickt zu nutzen. Der Topmanager kündigte schärfsten Widerstand gegen die Übernahme an. Thyssen stand durch den Zeitgewinn ein ganzes Arsenal von Abwehrmaßnahmen zur Verfügung. Da gab es eine bereits genehmigte, aber noch nicht vollzogene Kapitalerhöhung um 500 Millionen €, die, wenn sie ausgeführt worden wäre, den Übernahmepreis für Krupp um weitere 2,5 bis 4,5 Milliarden € nach oben getrieben hätte. Poison pill nennen angelsächsische Unternehmer diese Waffe, deren Einsatz sich Vogel auf der für den Donnerstag der folgenden Woche einberufenen Hauptversammlung genehmigen lassen wollte.

Fusion statt feindlicher Übernahme
Vor dieser bedrohlichen Kulisse fand am 19. März 1997 ein Gespräch zwischen den beiden Kontrahenten bei Ministerpräsident Johannes Rau statt. Der nordrhein-westfälische Landesvater hatte die Aufsichtsratsvorsitzenden und die Vorstandschefs beider Konzerne in die Düsseldorfer Staatskanzlei einbestellt und versuchte nun Krupp-Chef Cromme die feindliche Thyssen-Übernahme auszureden. Stattdessen sollten Gespräche zur Fusion der Stahlbereiche beider Unternehmen aufgenommen werden. Am 20. März begannen die von der Landesregierung verordne- ten Sitzungen an geheimen Orten, meist im Thyssen-Gästehaus Schloss Landsberg in Essen-Kettwig. Moderatoren waren Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und der frühere Mercedes-Benz-Chef Helmut Werner. Beide waren für eine Stahlfusion: Nicht nur wegen der bestehenden Überkapazitäten in der Stahlbranche allgemein, sondern auch wegen der unrentablen Standorte und veralteten Produktionsanlagen bei Krupp, die dazu führten, dass die Kosten für jede Tonne Krupp-Stahl 60 € über denen der Thyssen-Erzeugnisse lagen. Pro Jahr fielen bei Krupp Verluste von 200 Millionen € allein im Stahlbereich an. Eine gemeinsame Fertigung könnte dieses Loch stopfen. So kommt die Stahlindustrie wieder in Form, begründete Werner seine Haltung. Auch Clement sprach sich für die Zusammenlegung aus: Die Stahlfusion ist längst überfällig. Sie dürfe aber nicht mit Methoden erkämpft werden, die das Land explodieren lassen.

Doch Cromme und Vogel, beide ehrgeizig, beide wegen vergangener Erfolge als Vertreter der neuen Wirtschaftselite gefeiert, mochten so schnell nicht nachgeben. In einem Gespräch unter vier Augen machte der sonst eher leise Vogel seinem Gegner lautstark klar, dass er erst zu Verhandlungen bereit sei, wenn das Übernahmeangebot zurückgezogen werde und Cromme sich schriftlich dazu verpflichte, auch keinen neuen Versuch zu wagen.

Die Fronten bröckeln
Vogel hatte die stärkeren Bataillone auf seiner Seite. Am 21. März fand eine Betriebsratsversammlung bei Thyssen statt, auf der die Arbeitnehmervertreter beschlossen, sich am 25. März auf den Marsch auf Frankfurt zur Deutschen Bank zu machen und die Banker unter Druck zu setzen. Diese Drohung löste im feinen Frankfurter Bankenviertel Panikstimmung aus. Die Aussicht auf Tausende wütender Stahlkocher vor den glänzenden Fassaden ihrer Geldtürme erfüllte die Bankmanager mit schierem Entsetzen. So hatten sie sich den Ausflug in die hohen Sphären des globalen Investment Banking, der neuen Königsdisziplin im Bankgewerbe, nicht vorgestellt.

Am darauf folgenden Wochenende bröckelte dann auch die Front der Banker: Die Commerzbank hatte von Anfang an abgewinkt, den Krupp-Angriff zu unterstützen. Seit Bekanntwerden des Plans koordinierte die damals noch drittgrößte private Bank sogar die finanzielle Seite der Thyssen-Verteidigung. Doch auch die Bayerische Hypobank, heute HypoVereinsbank, zog sich zurück. Und selbst bei der Dresdner Bank, die zusammen mit der Deutschen Bank von der Thyssen-Zerschlagung kräftig profitieren wollte, bekamen die Banker kalte Füße und wollten am liebsten die Fronten wechseln.

Machtkampf in der Deutschen Bank
Im Vorstand der Deutschen Bank tobte ein Machtkampf, wie ihn der Geldkonzern wohl noch nie in seiner mehr als 100-jährigen Geschichte erlebt litte. Den Streit vom Zaun gebrochen hatte Deutsche-Bank Vorstand Cartellieri, der sich als Aufsichtsrat bei Thyssen und als Moderator der Stahlindustrie auch bei Krupp bestens auskannte.

Cartellieri fürchtete um seinen Ruf als unbescholtener Banker. Als Kenner des Thyssen-Konzerns durch seine Aufsichtsratstätigkeit und als Beteiligter durch seine Position als Vorstand des Instituts, dessen Tochtergesellschaft den umstrittenen Deal ausführte, stand er im Schussfeld öffentlicher Kritik. Als Cartellieri gegenüber dem Magazin Der Spiegel erklärte, er habe vor dem Übernahmeversuch gewarnt, wurde seine Aussage sofort von der Presseabteilung dementiert: Die Behauptungen zur Rolle von Herrn Cartellieri entsprechen absolut nicht den Tatsachen. Tatsächlich war der Vorstand der Bank, in dem alle Entscheidungen nach dem Konsensprinzip getroffen werden müssen, über den Übernahmeplan zerstritten. Die Fraktion der Investmentbanker, der damals noch designierte Nachfolger von Hilmar Köpper, Rolf-E. Breuer, der Chef der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell, Michael Dobson, und Bankvorstand Ronaldo Schmitz hatten den Coup zunächst stiekum ohne Wissen der anderen Vorstandsmitglieder ausgeheckt, und, als er nicht länger geheim gehalten werden konnte, ihren Kollegen im obersten Entscheidungsgremium immer wieder versichert, die Übernahme würde letztlich friedlich über die Bühne gehen.

Selbst als sich gegen das rabiate Vorgehen der Widerstand in der Politik, bei der Thyssen-Belegschaft und auch in anderen Unternehmen aufbaute, versuchten die Investmentbanker ihren Kurs zu halten. Mir liegt sehr daran, verkündete der künftige Banksprecher Breuer unerschrocken, dass dieser erste große Fall am Finanzplatz ein Exempel setzt. Es gehe darum, Investment Banking am Hochreck vorzuführen, versuchte er seine Kollegen zu überzeugen.

Interessenkollision bei Morgan Grenfell
Doch auch die Traditionalisten blieben stur. Sie hatten längst begriffen, dass die Personalunion von Cartellieri, der zugleich Thyssen und der Deutschen Bank diente, nicht der einzige Schönheitsfehler war. Auch die Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell spielte eine mehr als dubiose Rolle. Im Februar 1997 hatte sie für Thyssen noch eine Roadshow organisiert, mit der die Düsseldorfer in den USA Großinvestoren für ihre geplante Kapitalerhöhung gewinnen wollten. Dabei hatte die Investmentbank auch detailgenaue Kenntnisse über den aktuellen Geschäftsverlauf, über Zukunftspläne, Finanzlage, Investitionen und die Beteiligungspolitik des Konzerns erhalten.

Doch die Deutsche Bank bestritt, dass Krupp aus den Recherchen der Investmentbanker im Hause Thyssen Nutzen gezogen habe. Selbstverständlich habe ich keine Informationen über Thyssen an Krupp oder umgekehrt gegeben, schreibt Cartellieri in einer persönlichen Erklärung. Denn eine vorzeitige Unterrichtung des Thyssen-Vorstands wäre ein unzulässiger Umgang mit Geschäftsinformationen Dritter gewesen.

Die Behauptung von Morgan-Grenfell-Chef Michael Dobson, bei diesen Informationen handle es sich nur um Daten, die den Marktteilnehmer weitgehend bekannt gewesen seien, taugte nicht einmal als Schutzbehauptung. Warum, so fragte nicht nur Der Spiegel, gab es dann die Reisen rund um den Globus? Auch amerikanische Investmentbanker wunderten sich über das Vorgehen von Morgan Grenfell: Solche Interessenkollisionen müssen normalerweise offen gelegt werden. Doch das wollten die smarten Banker um jeden Preis verhindern. Thyssen sollte durch einen Überraschungsangriff überwältigt werden. In den Vorständen deutscher Konzerne ging die Angst um. Viele Topmanager fragten sich, wann sie wohl von ihrer Hausbank mit so einer linken Tour aufs Kreuz gelegt werden.

Erdnüsse für die Deutsche Bank
Am 24. März entzog die Deutsche Bank Krupp die Unterstützung für die Finanzierung der Thyssen-Übernahme. Damit war die Operation Hammer und Thor geplatzt. Nach langen Beratungen mit seinen Vorstandskollegen erklärte Krupp-Chef Cromme schriftlich, dass Krupp den Plan der feindlichen Übernahme aufgibt und auch in Zukunft keinen weiteren Versuch unternehmen werde.

Am Abend musste der künftige Chef der Deutschen Bank in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF Stellung nehmen. Schmallippig gab Breuer den Rückzug der Bank bekannt. Wieder einmal hatte sich der Branchenführer des deutschen Bankgewerbes gründlich blamiert. Trotz der Kapitulation machten sich am 25. März 12.000 Arbeitnehmer von Thyssen und anderen Konzerntöchtern auf den Weg nach Frankfurt. Gemeinsam mit der IG-Metall demonstrierten sie vor der Hauptverwaltung der Deutschen Bank. Vor das Portal der Deutschen Bank regnete es in Erinnerung an Hilmar Köppers Peanuts im Fall Schneider Erdnüsse. Außerdem entrollten die Stahlkocher Banner mit Parolen wie Aktien kann man nicht essen und Die Dealer von der Deutschen Bank machen die Gesellschaft krank. Auf diese Art und Weise brachten sie den Herren in den beiden Bürotürmen, die im Volksmund Soll und Haben genannt werden, ihre Interpretation des Vorfalls nahe. Auch IG-Metall-Chef Klaus Zwickel goss weiter Öl ins Feuer: Wir sind nicht in Las Vegas. Denn dort sind die Banditen einarmig, rief er den Zuhörern zu. Die Stahlarbeiter applaudierten und johlten, konnten sie doch endlich einmal ihrer Wut auf die vornehmen Geldmanager freien Lauf lassen.

Die Stahlsparten werden zusammengelegt Am 26. März 1997 Unterzeichneten Thyssen und Krupp ein Memorandum of Understanding zur Gründung der Thyssen-Krupp Stahl AG, Thyssen würde zu 60 Prozent an der neuen Gesellschaft beteiligt sein, Krupp zu 40 Prozent. Einen Tag später legte Thyssen-Aufsichtsrat Cartellieri sein Mandat nieder und reiste in den Urlaub. Am 21. August wurde der Vorstand der Thyssen-Krupp Stahl AG berufen: Thyssen besetzte fünf Vorstandsposten einschließlich den des Vorsitzenden, Krupp erhielt drei. Zwei Wochen später wurde Thyssen-Chef Vogel zum Vorsitzenden des neuen Aufsichtsrats der Thyssen-Krupp Stahl AG gewählt.

Obwohl sein ursprünglicher Plan im Desaster endete, fühlte sich Cromme als Sieger. Nachdem man sich auf die Gründung einer gemeinsamen Stahl AG geeignet hatte, wurden zwischen den Aufsichtsgremien beider Konzerne Gespräche über eine Vollfusion vereinbart. Die Verhandlungen über die Zusammenlegung der restlichen Unternehmensteile stockten jedoch schon nach kurzer Zeit. Thyssen-Chef Vogel und Krupp-Lenker Cromme verstrickten sich schließlich in einen über Monate hinweg erbittert geführten Machtkampf um die Vorherrschaft im neuen Konzern. Im Januar 1998 beschlossen die Thyssen-Aufsichtsräte Heinz Kriwet und Günter Vogelsang zusammen mit Krupp-Herrscher Berthold Beitz, den geschäftsschädigenden Streit der beiden Manager zu beenden – Vogel ging. Schulz und Cromme sollten die Fusion zum Abschluss bringen und den neuen Konzern gemeinsam führen. Ende 1998 stimmten die Anteilseigner von Krupp und Thyssen der Verschmelzung beider Unternehmen zu. Eine Thyssen-Aktionärsgruppe versuchte mit einer Anfechtungsklage die Fusion noch zu verhindern. Sie kritisierten, dass das Umtauschverhältnis der Aktien von zwei zu eins zugunsten Thyssens die tatsächlichen Größenverhältnisse nicht richtig wiedergäbe. Auch die aufwendige Verschmelzung wurde von den Klägern in Frage gestellt, eine Übernahme von Krupp durch die größere Thyssen AG wäre ihrer Meinung nach der bessere Weg gewesen.

Am 1. März 1999 erfolgte die Eintragung der Thyssen-Krupp Stahl AG ins Handelsregister. Geführt wird Deutschlands fünftgrößter Industriekonzern von einer Doppelspitze, dem Ingenieur Ekkehard Schulz, der bei Thyssen die Stahlsparte geleitet hatte, und dem Juristen und Volkswirt Gerhard Cromme, bisheriger Chef der Krupp AG. Mit der Fusion endete nun doch friedlich, was zwei Jahre zuvor als Versuch einer feindlichen Übernahme begonnen hatte.

Millionenkredite für die Frankfurter Zeil-Galerie – detailliertere Information

Bestes Beispiel für Schneiders Geschäftsprinzip und die Beihilfe der Banken ist die Zeil-Galerie in Frankfurt am Main. Les Facettes waren vom ersten Tag der Ausschreibung an umstritten. Immobilienexperten bezweifelten, dass sich das Gebäude mit Boutiquen, Fachgeschäften und Restaurants auf sieben Stockwerken überhaupt rechnen würde. Mehrgeschossige Ladengalerien ziehen keine Laufkundschaft an, das zeigten Beispiele aus anderen Großstädten. Wenn er das schafft, ist er der Größte, sagten die Skeptiker. Schneider steckte 250 Millionen € in den Luxusbau. Von der Deutschen Bank und ihrer Hypothekentochter Deutsche Centralboden AG bekam er gleichwohl 451 Millionen € Kredit auf das Objekt.

Dafür sorgte letztlich die Deutsche Bank. Hypothekenbanken dürfen nur Darlehen bis zu 60 Prozent des Objektwerts geben. Solche Hypotheken sichert die Bank mit festverzinslichen Pfandbriefen ab. Bis zu zehn Prozent ihrer gesamten Hypothekenkreditsumme darf sie dann noch als Zusatzfinanzierung auf von ihr ausgewählte Objekte draufschlagen. So können einige Projekte in voller Höhe finanziert werden. Gedeckt werden diese Darlehen durch ungesicherte Schuldverschreibungen, für die bei der Centralboden die Muttergesellschaft Deutsche Bank bürgen, im Bankjargon: eine Patronatserklärung abgeben muss.

Als Kaufpreis von Immobilien wie Einkaufspassagen und Bürohäusern in bester Lage galt Anfang der 90er Jahre, als die Planung der Zeil-Galerie begann, noch der 16 bis 17fache Satz der jährlichen Mieteinnahmen – 1994 lag der Multiplikator nur noch bei zwölf bis 13. Ursache dafür war die sinkende Nachfrage nach Laden- und Büroflächen, eine Folge der Wirtschaftskrise und auch des geänderten Steuerrechts. Skandinavier und Japaner hatten sich aus dem deutschen Immobilienmarkt zurückgezogen, nachdem sie seit Januar 1994 ihre in Deutschland erzielten Gewinne auch hier versteuern müssen. All das führte schließlich zu einem Überangebot an Gewerbeflächen und zu dramatischen Preiseinbrüchen.

Utopische Mieteinnahmen
Bei Les Facettes ging Schneider bei Baubeginn noch von einer Quadratmetermiete von 300 € aus. So viel mussten auch Besitzer von Boutiquen in der 300 Meter entfernten Goethestraße bezahlen. Im Frankfurter Flughafen wurden sogar bis zu 500 € pro Quadratmeter Ladenfläche verlangt. In Schneiders Galerie wurden aber nur etwa 75 € erzielt.

Die von Schneider für Les Facettes kalkulierten Mieteinnahmen waren aber nicht nur wegen der veränderten Marktlage reine Utopie. Zwar hatte die Galerie eine Bruttogebäudefläche von mehr als 20.000 Quadratmetern. Ohne Untergeschoss, Aufzüge, Lobby, Wege und sonstige Leerflächen blieben aber nur 9.000 Quadratmeter übrig. Wer das nicht erkannt hat, kann eben Bruttogebäudefläche und Nutzfläche nicht voneinander unterscheiden, sagte ein Manager der Deutschen Bank, als die Pannen offenkundig wurden. Denn die Kreditsumme wurde tatsächlich auf der Basis der Bruttogebäudefläche bewilligt. Zudem war die Lage der Galerie nicht gerade erstklassig. Die Frankfurter Zeil war zwar Deutschlands umsatzstärkste Einkaufsmeile, aber dort macht die Masse das Geschäft und nicht, wie etwa in der piekfeinen Goethe- Straße, die Klasse.
Diese Mängel hätten die Banker ohne große Mühe erkennen können, wenn sie sich je unters Einkaufsvolk gemischt hätten. Der kurze Spaziergang vom Bankenviertel zur Zeil-Galerie hätte sich möglicherweise ausgezahlt. 1994 war die Zeil-Galerie nur etwa 110 Millionen € wert. Wenn sich Schneiders 300-€-Mieten sowie der Multiplikator von 16 bis 17 aus Boomzeiten hätte realisieren lassen, würde der Verkaufspreis bei 550 Millionen € gelegen haben. Schneider und seine Finanziers haben darauf gesetzt, dass schnell eine Hausse kommt, und die Objekte dann in die beliehene Größenordnung hineinwachsen, meinte denn auch der Hamburger Immobilienunternehmer Robert Vogel.

Betrogene Banker
Weil die Baisse am Immobilienmarkt jedoch hartnäckig anhielt, musste Schneider das Rad immer schneller drehen. Er brauchte dringend neue Objekte, um an frisches Geld zu kommen und die alten Kredite bedienen zu können. So griff er in Leipzig, Hamburg und Berlin zu – immer nach seinem alten Grundsatz: nur beste Lage, nur mit dem Segen der Bürgermeister – und nur auf Pump.

Und weil das immer noch nicht reichte, wurde schließlich der Wert alter Immobilien nach oben korrigiert. Die Zeil-Galerie stand plötzlich mit knapp einer Milliarde € in Schneiders Bilanz. Solche Manipulationen erklären unbeteiligte Banker mit Panik. Wer in Not gerät, neigt auch zu Betrügereien, lautet ein goldenes Wort im Geldgewerbe. Bei der Deutschen Bank war es offenbar in Vergessenheit geraten. Vorstand Krupp sowie sein Kollege Ulrich Weiss, im Deutsche-Bank-Vorstand für die Mannheimer Filiale zuständig, die auch die Schneider-Kredite abwickelte, mussten sich die Frage gefallen lassen, ob sie wirklich getäuscht wurden oder ob sie sich nicht einfach verspekuliert haben.

Merkwürdig fand Hessens Generalstaatsanwalt Schaefer auch die ersten Reaktionen der Banker. Die Deutsche Bank, der Schneider in einem Abschiedsbrief vom 7. April 1994 sein Milliardenimperium anvertraut hatte, nahm den Schaden erst mal klammheimlich und vor allen anderen in Augenschein, filzte die Schneider-Büros in Königstein und erstattete erst eine knappe Woche später Anzeige wegen Betrugs. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Frankfurt reagierte auf diese Detektivarbeit des Kreditinstituts verärgert: Es ist nicht erfreulich, wenn derjenige, der Anzeige erstattet, nicht die Karten auf den Tisch legt.

Die eilige Razzia in Königstein mag zur bankinternen Schadensbegrenzung beigetragen haben – dem Ansehen des Instituts hat sie zweifellos geschadet. Das größte deutsche Kreditinstitut verhielt sich wie die Handwerker, die nach Bekanntwerden der Pleite hastig ihre Kabel, Waschbecken und Kloschüsseln von den Schneider-Baustellen geholt haben.

Das Unwort des Jahres: Hilmar Köppers Peanuts
Das war nicht der einzige Fauxpas, den sich die Herren der Deutschen Bank bei der Aufarbeitung des Falles Schneider geleistet haben. Den GAU im Hinblick auf Image und öffentliche Darstellung der Bank richtete der Vorstandssprecher Hilmar Köpper höchstpersönlich an. Auf einer Pressekonferenz am 21. April 1994, die ihn – wie er später bekannte – grässlich gelangweilt hatte, wischte er die Sorgen der Handwerker, die nach dem Konkurs von Schneiders Immobilienimperium um ihre Existenz bangten, weil sie massive Forderungsausfälle befürchteten, mit einer abfälligen Bemerkung weg. Das sind doch Peanuts, erklärte der Chef des milliardenschweren Geldhauses aufs Höchste gereizt. Den anwesenden Journalisten verschlug es ob dieser unerträglichen Arroganz fast die Sprache.

Die PR-Abteilung konnte den Schaden nicht mehr gutmachen. Selbst nachgeschobene Erklärungen zum Gemütszustand des Bankers halfen nicht: Er ist irritiert, berichteten Vertraute über den Zustand von Hilmar Köpper, Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Was den Herrn des Geldes aus der Fassung gebracht habe, sei die öffentliche Aufgeregtheit über einen Fall, der vom Umfang her für das größte deutsche Kreditinstitut eigentlich keiner sein dürfte. Schließlich ginge es nur um die Pleite eines Bauunternehmers, der bei deutschen Banken insgesamt mit rund sechs Milliarden € – bei der Deutschen Bank allein mit 1,3 Milliarden € in der Kreide stand und Handwerkern gut 250 Millionen € – 50 Millionen € davon entfielen auf die Deutsche Bank – schuldete.

Für den Banker mögen das in der Tat Petitessen gewesen sein: Bei einem gigantischen Kreditvolumen von 400 Milliarden € und einer Risikovorsorge von knapp 3,3 Milliarden € war das Schneider-Engagement des Instituts auf den ersten Blick wirklich kein Grund, kübelweise Häme – wie Hilmar Köpper auf der Pressekonferenz beklagte – auszuschütten. Aber wie schon bei der Metallgesellschaft reagierte die Bank auch im Fall Schneider zu spät, hilflos und – vor allem – beleidigt.

Der Fall Schneider vor Gericht
Was den Fall Schneider zum Fall Deutsche Bank werden ließ, war der Mangel an Professionalität auf allen Ebenen des größten deutschen Kreditinstituts. Deshalb war Schneider viel mehr als ein Patzer des Klassenprimus. Er weckte Zweifel an der Kompetenz und Führung des Vorstands. Er machte deutlich, dass Köpper und seine Kollegen längst out of touch, wie es ein amerikanischer Journalist formulierte, mit ihrem Institut und dem realen Leben geraten waren. Köpper konnte zwar das damals beste Jahresergebnis und den höchsten Gewinn, den das Geldhaus bis dahin je erzielt hatte, vorweisen. Aber noch nie hatte die Bank einen derartigen Imageverlust erlitten: Fast jeder zweite Bundesbürger gab damals an, das Vertrauen zu Instituten wie der Deutschen Bank verloren zu haben.

Deswegen wurde auch der Prozess gegen Jürgen Schneider, der am 30. Juni 1997 vor dem Frankfurter Landgericht eröffnet wurde, zu einem öffentlichen Spektakel. Journalisten aller Medien, aber auch die Kabarettisten und Spaßvögel dieser Republik konnten noch einmal aus dem Vollen schöpfen.

Die Gerichtsreporterin des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Gisela Friedrichsen, schildert Szenen aus der Vernehmung der Banker vor dem Landgericht: Der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke wundert sich bei jedem Zeugen aus dem Bankgewerbe, manchmal bissig, manchmal grimmig. Er sagt zum Beispiel: Also wenn ich eines hier gelernt habe, dann ist es die sehr untertreibende Ausdrucksweise von Bankern. Bis ein Banker mal ein klares Wort sagt! Ein Zeuge sollte seinerzeit prüfen, was es mit physisch möglicherweise mich existenten Mietverträgen auf sich habe. Der Zeuge, ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Centralboden, versichert, dass er nicht den geringsten Zweifel an der Existenz der Verträge gehabt habe. Aber im Klartext heißt das doch, man befürchtete, die Verträge gibt es nicht! – der Vorsitzende fasst sich an den Kopf. Ich ging davon aus, dass es sie gibt, selbstverständlich, sagt der Zeuge.

Hilmar Köpper im Zeugenstand
Der Auftritt von Deutsche-Bank-Chef Hilmar Köpper wurde zum besonderen Medienereignis, doch Richter Gehrke ersparte ihm nichts – wie Der Spiegel schilderte: Köpper wird etwas harsch gefragt: Wie stehen Sie zu Ihren Revisionsberichten? Nun ja, da sind wohl Dinge eingerissen, räumt er ein. Zum Teil habe man erschütternde Feststellungen treffen müssen, zum Teil aber auch menschlich verständliche. Im Übrigen sei die Diktion eines Revisionsberichts immer überzogen, das erwarte man, das müsse so sein. Wir lesen das mit anderen Augen, Herr Vorsitzender, als ein außenstehendere Welchen Eindruck er, Köpper, von Schneider gehabt habe? Das weiß ich nichts antwortet Köpper, bis auf einen Kollegen im Vorstand hat niemand Herrn Schneider gekannte Was? Niemand hatte einen Eindruck von dem Mann, der zum größten Kreditnehmer aufgestiegen war mit astronomischen Vermögenszuwächsen? Der in neun Monaten angeblich eine Milliarde € verdient haben soll? Nein, das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir nahmen wahr, wie Schneider in den Medien gesehen wurde. Man wundert sich ja manchmal über das Hochgejubelte. Und dann kommt der tiefe Fall. Aber was heißt das auch schon, einer ist ganz oben. Der Vorsitzende will es nicht fassen: Sie werden doch auf seine Vermögenslage aufmerksam gemacht worden sein! Es gibt jubelnde Bewertungen aus Ihrem Haus! Köpper bleibt gelassen: Die Person ist völlig uninteressant. Wichtig ist nur das Objekt, das Objekt, das Objekt. Von der Person haben Sie am Ende – wie hier – nichts zu erwarten. Er macht eine kurze Handbewegung hin zum Angeklagten, ohne diesen anzusehen. Es gibt eine Labilität der Marktes fährt Köpper fort, die nicht vorauszusagen ist. Mein Beruf beschäftigt sich mit der Zukunft. Wir müssen Jahre zuvor wissen, was Jahre später sein wird. Immer wenn ein Kind in den Brunnen gefallen ist, weiß man es bessere Es hätte trotz der kleinen Fehlen gutgehen können mit Schneider. Das wäre aber ein Wunder gewesen, protestiert der Vorsitzende. ►Auch Wunder gibt es manchmal, Köpper lächelt.

Pleite ohne Folgen
Konsequenzen für die im Fall Schneider letztlich Verantwortlichen, die Vorstände der Deutschen Bank, gab es nicht. Dafür sorgte schon der bankinterne Verhaltenskodex – Comment des Hauses genannt. Er verlangte bis zum Mai 2002 unter anderem einstimmige Vorstandsbeschlüsse. Auf diese Weise wurden Leistung wie Fehlleistung einzelner auf alle zwölf Mitglieder dieses Gremiums verteilt. Köppers Verweis auf den Aufsichtsrat des Instituts, der bei Entscheidungen über Vorstandsmitglieder das letzte Wort habe, klang schon damals nach Satire. Im obersten Kontrollrat saßen die Vorgänger und vom amtierenden Vorstand selbst handverlesene Repräsentanten befreundeter Unternehmen. Ernsthafte Opposition war da nicht zu befürchten.

Das Abkommen Basel II richtig verstehen – das Damoklesschwert über dem Mittelstand

Die Zahl der Firmenpleiten nimmt bisher ungekannte Ausmaße an und immer wieder sind die Banken im Spiel, wenn Unternehmen in den Ruin getrieben werden. Nahezu ungeprüft werden großzügig Millionenkredite vergeben, während mancher viel versprechende Mittelständler wegen 100.000 Euro in die Pleite gerissen wird. Doch nicht nur Unternehmen sind betroffen, nach der Deutschen Wiedervereinigung wurde ein ganzes Land gnadenlos geplündert. Die Pleite gehört nun einmal zur Marktwirtschaft‘, sagte Bernd Thiemann, damals noch der Vorstandsvorsitzende der DG Bank, in einem Interview mit der Zeitung Die Woche. Das war im Dezember 2000, als die Kurse an den deutschen Aktienmärkten bereits auf Talfahrt programmiert waren.

Die Dachorganisation der deutschen Genossenschaftsbanken hatte wie die privaten Großbanken und Landesbanken vielen Mittelständlern zu ihrem Debüt am Neuen Markt verholfen und an den Aktienplatzierungen wie am handeln kräftig verdient. Mit diesem Engagement wollte die Bank endlich das angestaubte Image der Bank des kleinen Mannes, der Landwirte und Handwerksmeister abschütteln und zum Kreis der Big Players aufschließen. Doch kaum hatte sie auf dem neuen Terrain Morgenluft geschnuppert, wurde sie wieder zu ihrem eigentlichen Geschäft, der Betreuung von kleinen und mittelständischen Betrieben, zurückgeholt.

Basel II: das Damoklesschwert über dem Mittelstand
Die schwache Konjunktur, scharfer Wettbewerbsdruck und knappe oder gar keine Reserven bringen viele kleine und mittlere Betriebe um ihre unternehmerische Existenz. Wenn sich die Lage nicht entspannt, dann steht dem Mittelstand in der Tat eine Pleitewelle ins Haus, erklärte der Vorstand der DZ Bank Friedrich- Leopold von Stechow.

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) rechnet mit 40.000 Unternehmenspleiten allein für das Jahr 2002. Zusammen mit einer wachsenden Zahl von Verbraucherinsolvenzen wird ein volkswirtschaftlicher Schaden von 32 Milliarden Euro erwartet. Jede Stunde macht ein Betrieb Pleite, bringt der Jurist des Verbands, Axel Nitschke, die traurige Prognose auf eine griffige Formel. Der Grund für die drohende Konkurswelle liegt in der schlechten Kapitalausstattung der kleinen und mittleren Betriebe. Kleinunternehmen bis zu 20 Beschäftigten verfügen durchschnittlich nur über zehn Prozent Eigenkapital. Bei Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten liegt die durchschnittliche Eigenkapitalquote nur wenig höher, beschreibt Nitschke die desolate Lage des deutschen Mittelstands.

Geringe Ertragskraft
Ein Grund für die hohe Abhängigkeit vieler Unternehmen von Bankkrediten besteht in der niedrigen Umsatzrendite. So haben deutsche Betriebe selbst im Boomjahr 1999 gerade mal eine Umsatzrendite von 3,1 Prozent erzielt, amerikanische Unternehmen schafften immerhin noch 4,4 Prozent, britische Firmen 5,5 Prozent und spanische Betriebe konnten mit 7,8 Prozent glänzen. Diese Daten sind vom Institut der Deutschen Wirtschaft ermittelt worden. In der derzeitigen Konjunkturflaute ist die Rendite noch einmal erheblich abgesackt. Dietrich Hoppenstedt, der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, warnt, dass fast ein Drittel der Betriebe ohne jeden Gewinn arbeite. Mehr als die Hälfte der mittelständischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu fünf Millionen Euro besitze überhaupt kein Eigenkapital.

Die in der Vergangenheit schon schwache Ertragskraft ist aber nicht nur ein Grund für das schlechte Abschneiden Deutschlands in der EU-weiten Wachstumsliste, schlimmer sind die Folgen für die Unternehmensfinanzierung: Bei so geringen Gewinnen bleibt kaum etwas übrig, um Reserven für schlechte Zeiten zu bilden und auf diese Weise auch den Eigenmittelanteil zu stärken.

Hohe Bankenabhängigkeit
Andere Wege zur Reduzierung des Fremdfinanzierungsanteils, etwa der Gang an die Börse, waren bis in die späten 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei Banken und Unternehmern der Old Economy wenig populär. Jetzt, nach dem Börsencrash, winken Anleger frustriert ab, wenn ihnen Aktien von Parkettneulingen angeboten werden. Den Unternehmern bleibt nur der Gang zur Bank. Der heiße Draht zu den Krediten der Hausbank entwickelt sich fast zur wichtigsten Nabelschnur für den Unternehmenserfolg, erklärt DSGV-Präsident Hoppenstedt, und immer mehr Unternehmer suchten in dieser Lage die Volksbank oder Sparkasse als sicheren Hafen.

Viele geraten allerdings auch dort in Seenot. Denn selbst die Volksbanken und Raiffeisenkassen sowie Genossenschaftsbanken und Sparkassenorganisationen geben sich mittlerweile eher zugeknöpft. Nach einer Studie der Universität Hamburg klagt jedes vierte Unternehmen über die rigiden Methoden bei der Kreditvergabe der Banken.

Der Mittelstand am kurzen Zügel
Tatsächlich haben die Geldhäuser die Zügel bei der Kreditvergabe gerade in jüngster Zeit kräftig angezogen. Die Banker fallen wie Rollkommandos über die kleinen und mittleren Unternehmen her. Die drei- bis vierköpfigen Teams der Kreditinstitute drehen in den Firmen jedes Blatt Papier um, wie Drogenfahnder nach Crack und Koks sind Bankbeamte in Werkstätten und Produktionsanlagen auf der Suche nach Schwachstellen und Mängeln. Im Anschluss daran wird die Geschäftsführung in einem mehrstündigen Verhör in die Mangel genommen. Die rigorose Suche nach potenziellen Krisenherden in den Betrieben begründen die Bankangestellten gern mit dem Hinweis auf die Folgen des Basel-II-Abkommens, das den Banken eine Neubewertung ihrer Kreditengagements auferlegt.

Basel II: Neubewertung der Kreditrisiken
I love the Mittelstand, erklärte der Vorsitzende des Basler Ausschusses William McDonough im Januar 2002 auf einer Konferenz der Deutschen Bundesbank. In diesem Gremium, dem sowohl Notenbanker als auch Regierungsvertreter der führenden Industriestaaten angehören, sollen die Sicherungsvorschriften innerhalb der Kreditwirtschaft verbessert werden. Bisher haben die deutschen mittelständischen Unternehmer jedoch große Zweifel an der Zuneigung des Kommissionschefs. Vielmehr argwöhnen sie, dass ihnen künftig der Geldhahn zugedreht werden soll.

Tatsächlich geht es beim Basel-II-Abkommen auch um neue Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute, um die Bewertung von Kreditrisiken der Banken durch externe Prüfer – so genannte Ratingagenturen – und um die Veröffentlichung der dabei erarbeiteten Ergebnisse. Derzeit müssen die Banken bei Firmenkrediten acht Prozent der verliehenen Summe mit eigenem Kapital besichern. Wenn also eine Bank einem Unternehmen einen Kredit von 100.000 Euro bewilligt, muss sie 8.000 Euro aus ihrem Eigenkapital dafür zurücklegen.

Kunden erster und zweiter Klasse
Künftig soll diese Eigenkapitalbeteiligung der Banken nicht mehr pauschal ermittelt werden, sondern nach dem Risiko des jeweiligen Kreditengagements. Für Kredite an solide, erfolgreiche Unternehmen müssten die Banken weniger Eigenmittel aufbringen als für Engagements bei Unternehmen mit schlechter Bonität. Für diese Kredite müssten dann deutlich mehr Sicherheiten hinterlegt werden.

Die unterschiedliche Risikobewertung schlägt sich natürlich auf die Konditionen nieder, die die kreditnehmenden Unternehmen hinnehmen müssen. Für die Bank sichere Ausleihungen an solide Unternehmer würden niedriger verzinst als riskante Kredite an unsichere Kantonisten. Obendrein sollen künftig langfristige Kredite mit einem höheren Risikoaufschlag bewertet werden. Für Kleinunternehmen soll allerdings weiterhin eine Art Pauschale bei der bankinternen Risikosicherung gelten. Sie sollen mit den Privatkunden in einem so genannten Retailportfolio gebündelt werden, für das es dann einen einheitlichen Prozentsatz gibt. Offen ist bisher noch, wie Kleinunternehmen definiert werden.

Krisenstimmung beim Mittelstand
Bisher ist zwar noch nichts entschieden, der Basler Ausschuss will erst in der zweiten Hälfte 2002 ein drittes Konsultationspapier vorlegen, über das dann in den beteiligten Ländern beraten wird. In Kraft treten könnte das Abkommen und das neue Regelwerk frühestens 2006. Dennoch sind die Unternehmer in Deutschland schon jetzt in Alarmstimmung. Sie fürchten, dass ihre Hausbanken sie künftig noch schneller abservieren, wenn sie in einer Absatzflaute finanzielle Unterstützung zum Weitermachen brauchen. Der DIHT und andere Unternehmerverbände versuchen deshalb ihre Mitglieder in Crashkursen in der Krisenprävention zu schulen, damit sie künftig rechtzeitig und möglichst noch vor den Prüfern der Banken die wahre Lage ihres Unternehmens erkennen und gegensteuern können.

Diese Nachhilfe kommt wahrlich nicht zu früh, denn die Banken haben voreilig ihre eigenen Schlüsse aus den Entwürfen zum Basel-II-Abkommen gezogen und suchen bereits den Mittelstand heim. Gute Unternehmensführung reicht nicht mehr, klagte der Geschäftsführer der alteingesessenen und erfolgreichen Armaturenfabrik Hans Grohe nach einem Verhör durch seine Hausbank gegenüber dem Magazin Der Spiegel.

Suche nach Schwachstellen
Die Verunsicherung, die die Kreditwirtschaft mit zahlreichen Razzien dieser Art ausgelöst hat, beunruhigt sogar Bundeswirtschaftsminister Werner Müller. Er warnte die Banken, die neuen Richtlinien für das Kreditgewerbe nicht zu eng auszulegen, zumal sie noch nicht einmal in Kraft gesetzt worden sind. Die Kreditwirtschaft hingegen, die schon vorher gern schnell und hart durch gegriffen hat, wenn es ihren Interessen diente und der Kunde sich nicht recht wehren konnte, lässt sich durch diese Appelle kaum bremsen.

Schwachstellen, die zur Kreditverweigerung führen können, finden sich gerade bei jungen Kleinbetrieben immer wieder. Rund die Hälfte aller Existenzgründer muss schon in den ersten fünf Jahren den Betrieb einstellen, klagen die Unternehmerverbände. Mal fehlen schon rudimentäre kaufmännische Kenntnisse, mal kippt die Konjunktur oder neue, größere Wettbewerber besetzen die Nische, die der Jungunternehmer für sein Geschäft erobern wollte. Immer aber sind es die Banken, die entweder keinen Kredit für die Gründung geben wollen oder aber schon bei ersten Turbulenzen oft ohne Vorwarnung plötzlich die Reißleine ziehen.

Am liebsten finanzieren Banken nur Sachen, die todsicher sind, klagt ein Unternehmensberater. Das seien dann langweilige Investitionen, die nur eine mäßige Rendite bringen. Auch da steigen die Banken jedoch nur ein, wenn sie den Kredit durch Sachwerte wie Immobilien absichern können. Wenn dann die Firma in Pleite geht, hat der Gründer alles verloren – oft bleibt ihm von seinem Traum vom freien Unternehmertum nur ein Berg Schulden.

Börsenflaute am Neuen Markt
Für Jungunternehmer in der Hightechindustrie ist es vor allem bitter, dass sie derzeit kaum eine Chance haben, der Abhängigkeit von ihren Kreditgebern zu entkommen. Nach dem Kursgemetzel und der Pleitewelle an der Wachstumsbörse Neuer Markt lassen sich dort kaum noch Aktien von Start-up-Unternehmen unterbringen. Gerade mal 26 neue Firmen hatten sich 2001 zum Debüt an der Börse angemeldet – im Jahr 2000 waren es noch 152, 1999 sogar 168.

Schlimmer noch ist allerdings, dass die Banken die heute in ihrer Existenz gefährdeten Unternehmen des Neuen Marktes schnöde fallen lassen. Diese rüde Behandlung der einstigen Börsenlieblinge kritisieren nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern auch Anlegerschützer. Die Institute hätten an den Provisionen für die Börsengänge gerne verdient und Firmen, die noch nicht börsenreif gewesen seien, zum Gang aufs Parkett ermutigt. Jetzt kommt es darauf an, den Unternehmen Liquidität zur Verfügung zu stellen, wenn man schon einmal dran verdient hat, sagte Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Häufig säßen Bankenvertreter schließlich auch im Aufsichtsrat der Firmen. Dennoch würden die Institute den Geldhahn oft einfach zudrehen und das Tafelsilber verkaufen, während die Aktionäre ihre Investments abschreiben können.

Düpierte Anleger
Besonders ärgerlich für Anleger und Mitarbeiter ist es, wenn die Banken gerade dann aussteigen, wenn ein Unternehmen auf gutem Wege ist, der drohenden Pleite zu entgehen. Zu den Opfern dieser rigorosen Stop-Loss-Politik der Banken zählt die Ufa-Theater GmbH. Die Münchner HypoVereinsbank drehte Deutschlands drittgrößter Kinokette den Geldhahn zu. Weitere Kredite will die HVB als Hausbank nicht mehr geben. Für das Unternehmen kommt das Veto von Deutschlands zweitgrößter Bank ziemlich überraschend, weil die Sanierung deutliche Fortschritte gezeigt hatte: 40 Kinos der Gruppe wurden geschlossen, die Kosten für Personal und Mieten sanken erheblich. Die operativen Verluste seien von 23 Millionen € (1999) und rund 21 Millionen € (2000) im vergangenen Jahr auf nur noch 536.000€ gesunken. In diesem Jahr sollte ein Gewinn von gut 300.000 Euro erzielt werden. Das Überleben der Kinokette scheiterte letztlich an einer Liquiditätsspritze von drei Millionen Euro. Diese Summe bräuchte die Firma, um die Einbußen, die aufgrund des flauen Sommergeschäfts entstanden waren, auszugleichen.

Erstaunlich für die düpierten Anleger dürfte sein, dass erst im Februar des Jahres 2002 die HypoVereinsbank zusammen mit Mercer Management Consulting die Medien-Studie 2006 herausgegeben hat: Darin wird der Kinobranche die Fortsetzung der fundamentalen Wachstumsphase bescheinigt. Die Ufa gehört nun wohl nicht mehr dazu – ihr droht ein Insolvenzverfahren, falls nicht noch andere Banken oder die Gesellschafter neues Geld nachschießen.