Das ganze Analystengequatsche im letzten Jahr war kompletter Schwachsinn, da hat ja nichts gestimmt, erkannte Peter K., gebeutelter Aktienbesitzer und Geschäftsführer einer Vermögensberatung in München, im Januar des Jahres 2001 – zu spät. Es nützt nämlich nichts, wenn einer zehn Jahre Analyst ist und 18 Jahre studiert hat: Der weiß auch nicht, wie es werden wird an der Börse. Wenn so einer Recht behält mit seiner Prognose, ist er der Guru, und wenn er falsch lag, hat er nächste Woche eine andere Meinung. Die Banken gaukeln den Anlegern vor, die Börse sei eine Gelddruckmaschine, die werben aggressiv und bescheißen die Leute. Das Geld, das man in Aktien steckt, kann sofort weg sein, da braucht man Reserven, um die Verluste wieder reinzuholen. Und selbst wenn man wie ich neun Jahre im Geschäft ist, kann man Pech haben: Ich habe in meinem privaten Depot jetzt auch 70 Prozent minus (vor allem durch Internetfirmen). Der amerikanische Broker, mit dem ich zusammenarbeite, hat dieses Mal von mir das Buch Club der Diebe für 19,80 € zu Weihnachten gekriegt, im Jahr davor gab es noch ein goldenes Feuerzeug für
1.000 €.
Unfähige Analysten
Ks. Kritik an der Professionalität der Experten trifft ziemlich ins Schwarze. Viele der jüngeren Analysten sind von den Horrorbotschaften, die seit Mitte des Jahres 2000 in schier endloser Serie auf sie hereinprasseln, ebenso überfordert wie sie es in der Hausse waren. Die meisten von ihnen haben in ihrem Beruf bisher nur steigende Kurse und boomende Kapitalmärkte kennen gelernt und in der Endphase des Aktienbooms wie die Anleger den Kopf verloren. Abweichungen von der Ideallinie der mehr als zehnjährigen Hausse und die Orientierung an realen Daten der Unternehmen wurden entweder zu spät erkannt oder Schlichtweg vernachlässigt, wie die Pleiten der Unternehmen am Neuen Markt zeigen.
Jetzt sind viele genauso frustriert wie viele ihrer Kunden, von denen die meisten erst nach dem Kursverlust ihrer Wertpapiere begonnen haben, sich überhaupt für fundamentale Zusammenhänge von Unternehmensführung und Börse zu interessieren. Die Empfehlungen und Warnungen der Analysten können sie jetzt so wenig einordnen wie in der Boomphase. Wie ahnungslos in der Jahrhunderthausse Analysten zu Werke gingen, zeigt auch der Fall EM.TV
Geblendete Banker
Zu den Investoren, die der flamboyante Chef des Münchner Film- rechte- und Merchandisingunternehmens EM.TV, Thomas Haffa, abgezockt hat, gehören auch Profis. Die Investmentbank Morgan Grenfell, eine Tochterfirma der Deutschen Bank, ist wie viele tausend Kleinanleger auf die überzogenen Gewinnprognosen des Münchner Unternehmers und seines Bruders Florian, der als Finanzchef des einstigen Börsendarlings fungierte, hereingefallen. Die Bank hat Millionenverluste durch die Machenschaften der Haffa Brüder erlitten.
Ins Geschäft mit den Haffas kam Morgan Grenfell im März 2000, als der Kauf von 50 Prozent des Formel-1-Renngeschäfts abgewickelt wurde. Zusammen mit der US-Investmentbank Hellmann 8t Friedman hatte Morgan Grenfell dieses Aktienpaket im Wert von 1,7 Milliarden Dollar von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone übernommen und an EM.TV weiterverkauft. Bezahlt hatte Haffa die Banken aber nicht nur in bar, sondern vor allem mit Aktien seines Unternehmens. Während die Amerikaner ihre EM.TV-Papiere schleunigst weiterverkauften, nahm Morgan Grenfell die damals so hoch bewerteten Aktien auf eigene Rechnung ins Depot. Nach dem Kursverfall um 90 Prozent steht EM.TV nun als satter Verlust von fast einer Milliarde € in den Büchern der düpierten Banker.
Blamage für die Profis
Für die Profis stellte der Vorgang ein mehr als peinliches Debakel dar, mit dem sich die honorigen Londoner Banker, die in der größten deutschen Bank als die Koryphäen im Investment Banking gelten, gründlich blamiert haben. Die skandalösen Vorgänge im Hause EM.TV mochten vielleicht für unerfahrene Kleinanleger schwer zu durchschauen gewesen sein, professionelle Berater dagegen hätten die Fehlentscheidungen, die überteuerten Einkäufe und inflationären Umsatz- und Gewinnprognosen der Gebrüder Haffa eigentlich durchschauen müssen.
Schon die Übernahme der Henson Company, die EM.TV die Rechte an Sesamstraße und Muppetshow einbrachte, hätte die Aufmerksamkeit der Experten erregen müssen. Allein 1,2 Milliarden € (614 Millionen Euro) zahlte Thomas Haffa Mitte Februar 2000 für den Sesamstraße-Produzenten – ungefähr doppelt so viel, wie andere Interessenten für Kermit, Ernie und Miss Piggy ausgeben wollten.
Wenige Tage bevor dieser Deal bekannt wurde, hatte sich Haffa zudem erst rund 780 Millionen € (399 Millionen Euro) durch die Platzierung einer Anleihe beschafft. Dass der EM.TV-Chef zu diesem Zeitpunkt bereits über die Übernahme des Henson-Imperiums verhandelte, wurde in dem Prospekt, der für die Anleihe werben sollte, mit keinem Wort erwähnt. Für Analysten wäre es aber wohl ein Leichtes gewesen, die beiden Vorfälle zu entdecken und zu monieren.
Unseriöses Finanzgefahren
Auch die Art und Weise, wie Haffas kleiner Bruder Florian, der bei EM.TV als Finanzchef agierte, auf Konferenzen der Firmenleitung auftrat, bei denen Analysten die Chancen und Risiken des Unternehmen bewerten und Empfehlungen für die Vermögensberater und Aktionäre geben sollten, stärkte nicht gerade das Vertrauen in die Firma. So konnte Finanzmann Florian Haffa Anfang 2000 nicht einmal verhältnismäßig schlichte Fragen nach Abschreibungsmodalitäten und Cashflow-Entwicklung bei EM.TV beantworten. Es war klar, dass er nicht wusste, worum es eigentlich ging, sagte ein Analyst der französischen Bank Credit Lyonnais der renommierten US-Wirtschaftszeitung The Wall Street Journal nach dem Meeting.
Im Mai 2000, als der EM.TV-Kurs nach dem Kauf von Ecclestones Formel-1-Paket und der Übernahme der Henson Company erstmals zu bröckeln begann, luden die Haffas die Analysten sogar zu einer Sause nach Kitzbühel ein. In der grandiosen Show mit Frosch Kermit und per Video gezeigter Grußadresse von Ecclestone gingen die dürftigen Zahlen, die Florian Haffa den Aktienexperten zur Zukunft von EM.TV präsentierte, offenbar glatt unter. Die Zahlencracks gaben sich mit bloßen Prognosen zu Umsatz und Gewinnentwicklung zufrieden, berichtete The Wall Street Journal. Kritische Fragen nach der Liquidität der Firma sollen nicht gestellt worden sein: Zahlreiche Investmentbanken empfahlen weiterhin den Kauf der EM.TV-Aktien.
Erst als Haffa Ende August 2000 die Halbjahreszahlen vorlegen musste, begannen auch die Analysten aufzuwachen: Die Umsätze von EM.TV hatten gerade mal ein Drittel der Plandaten erreicht, der Gewinn sogar nur 25 Prozent. Im Spätsommer 2000 hat der damalige Controller der Firma den Finanzchef Florian Haffa auf die katastrophale Lage hingewiesen und gewarnt, die alten Prognosen weiter unkorrigiert zu verbreiten. Dennoch soll Florian Haffa noch im Herbst bei einer Präsentationstour durch die USA weiter die längst überholten Planzahlen als aktuelle Prognose vorgetragen haben. Selbst im Oktober 2000, als eine weitere Korrektur des Halbjahresergebnisses vorgenommen werden musste, blieb Finanzchef Haffa bei seinem optimistischen Jahresausblick. Am 1. Dezember ließen die beiden Superunternehmer die Katze endlich aus dem Sack: Der Jahresgewinn für 2000 werde nicht 302 Millionen Euro betragen, sondern nur 26 Millionen Euro. Erst jetzt reagierten die Aktiengurus mit Verkaufsempfehlungen auf breiter Front. Die Folge: Der EM.TV-Kurs sackte ab. Im April 2001 war aus der einst so glänzenden Prognose ein Riesenunternehmensverlust von 1,38 Milliarden Euro geworden.
Firmengründer rechtzeitig abgesprungen
Während die Anleger ihre Investments weitgehend abschreiben konnten, standen die Haffas glänzend da. Firmengründer Thomas hatte seine Millionen durch verschiedene Aktienverkäufe im Sack. So hatte der Unternehmer am 16. und 17. Februar 2000 still und heimlich jeweils 100.000 EM.TV-Aktien aus seinem eigenen Besitz verkauft, obwohl er dies zu diesem Zeitpunkt, während der Lock-up-Periode, nur mit Zustimmung der Emissionsbanken WestLB und Credit Suisse Group (CSG), die EM.TV im Oktober 1997 mit großem Gewinn an die Börse gebracht hatten, hätte tun dürfen. Die Institute wurden aber gar nicht erst gefragt, sondern nur nach dem Deal informiert. Dennoch sah keines der beiden Institute die Notwendigkeit, den nicht genehmigten Aktiendeal öffentlich zu kritisieren. Insgesamt haben die Haffa-Brüder über 70 Millionen € (35,8 Millionen Euro) in die eigene Tasche gescheffelt.
Auch ein anderes Risiko wussten die Unternehmer lange vor Analysten und Anlegern zu verbergen. Mit dem Einstieg in die Formel-1-Gesellschaft von Bemie Ecclestone waren die Haffas eine weitere Verpflichtung eingegangen. Neben dem astronomisch hohen Kaufpreis von 1,7 Milliarden Euro für 50 Prozent der SLEC übernahmen sie noch einige Zeitbomben24 – wie The Wall Street Journal berichtete. Dazu gehörte eine Call-Option, die EM.TV verpflichtete, bis 28. Februar 2001 für rund eine Milliarde Dollar einen weiteren 25-Prozent-Anteil an der Formel-1-Vermarktungsgesellschaft zu übernehmen. Zudem gab es eine Put-Option, mit der Ecclestone die Münchner zu einem späteren Zeitpunkt hätte zwingen können, diesen Anteil zu kaufen – und zwar zu einem Preis, der noch um 100 Millionen Dollar höher war als der für die Call-Option fixierte.
Zeit für die Ermittler
Bereits im Dezember des Jahres 2000 nahm die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I unter der Leitung von Staatsanwalt Stephen Kroner die Ermittlungen auf. Drei Tage vor Weihnachten 2000 statteten Staatsanwalt und zwei Polizisten der Medienfirma einen Besuch ab, vernahmen Zeugen und beschlagnahmten Unterlagen.
Im Herbst 2001 wurde vor der IV Strafkammer des Landgerichts München I Anklage erhoben. Die Vorsitzende Richterin Huberta Knöringer wird Mühe haben, das Milliarden-Monopoly von Ker- mit Haffa, wie sich Firmengründer Thomas gern von Freunden nennen lässt, auseinander zu fieseln. Und das noch unter den Augen der geprellten Anleger. Immerhin hat der einstige Vorzeigeunternehmer mittlerweile reichlich Zeit, sich auf seine neue Rolle als Angeklagter vorzubereiten. Seine frühere Firma wurde zerschlagen, er selbst musste im Sommer 2001 seinen Posten als Vorstandschef räumen.