Ich war so gerne Aktionär, sang 1996 Manfred Krug in der millionenschweren Werbekampagne, die die Deutsche Telekom für ihr Börsendebüt geschaltet hatte. Die Deutschen, ein Volk von Sparbuchinhabern, sollten sich an der Privatisierung des Staatskonzerns beteiligen und zu einem Volk von Aktionären werden – mit Hilfe der Volksaktie Telekom. Begleitet wurde der spektakuläre globale Börsengang – die Aktien des größten deutschen Telekommunikationsunternehmens wurden gleichzeitig an allen großen Börsen der Welt eingeführt – von den ersten Adressen des internationalen Kapitalmarktes. Die deutschen Großbanken waren dabei und auch die international tätigen amerikanischen Investmenthäuser.
Zum ersten Mal in der deutschen Börsengeschichte wurde eine Aktienplazierung nach dem sogenannten Bookbuilding-Verfahren durchgeführt. Große internationale Investmentgesellschaften wie die US-Pensionsfonds, die über Milliarden von Anlegerkapital verfügen, geben dabei Gebote dafür ab, zu welchem Preis sie T-Aktien in ihre Portfolios nehmen würden.
Die Präsentationstour – im Börsenjargon Roadshow genannt – wurde von einem wahren Medienrummel begleitet, in Deutschland wurde das TV-Publikum allabendlich mit Werbespots berieselt – der Erfolg Heß nicht auf sich warten. Ads der Ausgabekurs von 14 Euro bekannt gegeben wurde, war die Volksaktie vielfach überzeichnet, der größte Teil ging an institutionelle Anleger wie Banken und Versicherungen. Dennoch kamen auch viele private Käufer zum Zuge und erhielten ihr magentafarbenes Wertpapier.
Heute wünscht sich so mancher Volksaktionär, er wäre bei der Aktienzuteilung nicht zum Zuge gekommen. Nach den anfänglichen Höhenflügen der T-Aktie und einer weiteren Aktienplazierung im Börsen-Boomjahr 2000 begann knapp zwölf Monate später der freie Fall des Kurses: Im Juli 2007 pendelte er mit um die 13 Euro immer noch unter dem Emissionskurs der ersten Tranche im Jahr 1996. Zeitweise hatte die T-Aktie sogar Mühe, über die 10-Euro-Marke zu kommen.
Der Streit um die Bewertung von Immobilien, die hohen Schulden durch die Ersteigerung der UMTS-Lizenzen, die künftige Handy-Generationen internetfähig machen sollten, sowie teure Unternehmensübernahmen und die harte Konkurrenz durch neue Wettbewerber auf dem Telefonmarkt haben kräftig am Wert des einstigen Börsenüberfliegers gezehrt.
Die Banken, die die T-Aktien an die Börse gebracht und am Handel mit den Papieren kräftig verdient haben, leisteten sich ebenfalls Pannen, die dem Kurs der Aktie zusätzlich schadeten. Der größte Fauxpas dieser Art unter Hefim Spätsommer 2001 der Deutschen Bank.
Am 6. August 2001 konnten T-Aktionäre vorsichtig Hoffnung schöpfen. Nach dem Sturzflug der vergangenen zwölf Monate schien das Papier wieder den Boden für einen neuen Aufstieg gefunden zu haben. Die Analysten der Deutschen Bank gaben eine nachdrückliche Kaufempfehlung ab. Mit Erfolg: Der Kurs legte an diesem Tag um 1,93 Prozent auf 24,26 Euro zu.
Einen Tag später, am Dienstag, dem 7. August, war jedoch schon wieder Heulen und Zähneklappern angesagt. Die T-Aktie sackte um 3,47 Prozent auf 23,37 Euro ab und führte die Liste der Verlierer im Deutschen Aktienindex DAX an.
Die Papiere werden von institutioneller Seite aggressiv um jeden Preis verkauft, versuchte ein Händler einer Frankfurter Großbank die unerwartete Trendwende zu erklären.
Daraufhin ging die Talfahrt weiter: Am folgenden Freitag hatte die Volksaktie fast 20 Prozent des Werts vom Montag verloren. Als Schlusskurs der schwarzen Börsenwoche für die Aktionäre des magentafarbenen Riesen wurden 19,37 Euro notiert, nachdem die T-Aktie zeitweise sogar auf 18,75 Euro abgestürzt war, damals der tiefste Stand seit drei Jahren. Die Aktionäre waren verärgert: Ron Sommer raubt mir meine Rente, schimpfte ein frustrierter Kleinaktionär auf den Telekom-Chef. Damit wandte er sich aber ausnahmsweise an die falsche Adresse.
Nach den Kursstürzen der vergangenen zwölf Monate erhielten die Kleinanleger eine weitere bittere Lektion – von der Deutschen Bank. Sie zeigte ihnen deutlich, wie kleine Leute im weltweiten Milliardenmonopoly von den großen Spielern abgezockt werden.
Der Hintergrund: Nur einen Tag nach der von der Bank her- ; ausgegebenen Kaufempfehlung hatten die Investmentbanker versucht, im Auftrag des Hongkonger Konzerns Hutchinson Whampoa 44 Millionen T-Aktien im Markt unterzubringen – zu einem vereinbarten Kurs von 23,60 Euro.
Sogenannte Blocktrades, Verkäufe großer Aktienpakete, sind keine Seltenheit an den internationalen Kapitalmärkten. Im Jahr 2000 wurden zum Beispiel solche Wertpapierdeals in der Größenordnung von knapp 40 Milliarden Dollar abgewickelt. Von Januar bis Anfang August 2001 wurden weitere Pakete für knapp 32 Milliarden Dollar verschoben, wie die britische Thomson Financial Securities Data ermittelt hat, die derartige Wertpapierver- kaufe erfasst. Allein 2001 wechselten Aktien des britischen Telekommunikationskonzerns Vodafone im Wert von 6,4 Milliarden
Dollar vom in mehreren Tranchen die Besitzer. Im März wurden weitere 420 Millionen Papiere dieses Konzerns veräußert, der im Jahr 2000 Mannesmann übernommen hatte, im Mai noch einmal 182,5 Millionen und im Juni weitere rund 6,65 Millionen Aktien. Gemessen an diesen Volumina nehmen sich die Telekom-Transaktionen mit einem Wert von knapp zwei Milliarden € fast bescheiden aus. Dass dieser Deal dennoch ein Kursdebakel der Sonderklasse verursachte, liegt an den groben Pannen, die den Investmentbankern der Deutschen Bank bei dem hochsensiblen Geschäft offenbar unterhefen.
Blocktrades müssen schnell, vertraulich und marktschonend abgewickelt werden, erklärte ein Börsenexperte. In den meisten Fällen gelingt es erfahrenen Aktienhändlern und Investmentbankern, selbst Millionen von Wertpapieren innerhalb weniger Stunden per Telefon, Fax oder E-Mail an institutionelle Anbieter zu veräußern. Die Papiere werden zu festen Preisen angeboten oder aber zu Kursen, die in einem beschleunigten Bookbuilding – Verfahren ermittelt werden. Dabei können die Investoren erklären, zu welchem Preis sie eine bestimmte Menge Aktien übernehmen wollen. Danach werden die Aufträge abgewickelt, und die Banker können sich über eine stattliche Provision freuen. Die Deutsche Bank zum Beispiel, die damals mit dem Slogan Vertrauen ist der Anfang von allem warb, hat an dem T-Aktien-Paket rund 150 Millionen € verdient. Viel Geld für ein schnelles Geschäft, das nachhaltig das Image der Bank beschädigt hat.
Von einem Blocktrade können – wenn er klug eingefädelt und geräuschlos abgewickelt wird – sogar Kleinaktionäre profitieren. Nicht selten führen solche Transaktionen dazu, dass der Kurs des heimlich in großen Stückzahlen gehandelten Papiers in den darauffolgenden Tagen im öffentlichen Handel steigt. So kletterte der Kurs der Sonera-Aktie zwei Tage nach der Transaktion von 15,6 Millionen Stück, die einen Erlös von 754 Millionen Euro brachte, von 51,10 Euro am 18. April 2000 auf 56,51 Euro am 20. April und lag damit sogar noch über dem Wert vom Vortag des Deals. Der französische Pharma- und Kosmetikkonzern Sanofi-Synthelabo konnte ebenfalls kurz nach der Plazierung von 15,69 Millionen Papieren einen Kursgewinn von 3,25 Euro pro Aktie verbuchen. Selbst bei dem grossten Deal der jüngsten Wirtschaftsgeschichte, dem Verkauf von 1 564 Millionen Aktien der Firma Vodafone Air Touch PLC, der am 22. März 2000 mehr als drei Milliarden Dollar einbrachte, stieg der Kurs der Vodafone-Aktie am 23. März zunächst um 2,50 Pfund.
Abstürze wie im Fall Telekom sind gerade beim Verkauf von Blue-Chip-Aktienpaketen außerordentlich selten. Und dennoch gelang der Deutschen Bank genau dies mit ihrem Alleingang. Die Käufer des Pakets hatten sich zwar auf einen Kurs von 23,60 Euro geeinigt. Weil die Researchabteilung der Deutschen Bank am Vortag jedoch eine Studie veröffentlicht hatte, in der die Telekom-Aktien zum Kauf empfohlen wurden, fand der Paketverkauf plötzlich nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf offener Bühne statt. Fondsmanager und Privatanleger fühlten sich genarrt, weil die Deutsche Bank wider ihre eigene Kaufempfehlung ebenfalls ihre Telekom-Aktien loszuwerden versuchte. Der Telekom- Kurs brach ein.
Die Banken müssen bestraft werden, wenn sie Interessenkonflikte in der Compliance-Abteilung nicht lösen können, kritisierte Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen der Universität Erlangen, den Vorfall. Den Begriff Compliance erklärt die Deutsche Bank auf ihrer Website wie folgt:
Die Kreditinstitute haben dafür zu sorgen, dass Geschäfte ihrer Mitarbeiter in Wertpapieren, Devisen, Edelmetallen und Derivaten nicht gegen Interessen der Bank/Sparkasse und deren Kunden verstoßen. Zum Schutze der Anleger und zur Vermeidung von Interessenskonflikten haben deshalb die Kreditinstitute unter Beachtung der Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte Regelungen über solche Geschäfte zu treffen und die Einhaltung der Leitsätze zu überwachen. Mit diesen Regeln soll Vertrauen in den jeweiligen Kapitalmarkt bzw. zu den Marktteilnehmern geschaffen bzw. erhalten werden. In vielen Banken gibt es mittlerweile Compliance-Abteilungen, die die vertrauliche Behandlung von Informationen in den relevanten Abteilungen überwachen sollen und insbesondere Insider-Verstößen vorbauen sollen.
Im Fall des T-Aktien-Pakets hätte die Deutsche Bank entweder den Bericht der Analysten vor der Veröffentlichung stoppen, oder aber auf den Verkauf des Pakets samt der Provision verzichten müssen.
Wir müssen verhindern, dass solche Konflikte in dieser Form auf uns Anleger zukommen, sagte Gerke.
Der Pressesprecher der Deutschen Telekom, die von dem Deal der Deutschen Bank völlig überrascht wurde, brachte das Kursdebakel der T-Aktie auf eine griffige Formel: Aktien für zwei Milliarden € verkauft, 100 bis 150 Millionen € verdient und 40 Milliarden € vernichtet. Die großen Investmentgesellschaften fürchteten schlimme Folgen für den Konzern und seine Aktie: Vielleicht war das sogar der Dammbruch für die Flucht aus der Aktie, orakelte damals einer der Chefmanager der Investmentfondsgesellschaft DWS. Der Mann hatte recht. Der Kurs fiel und fiel. Der Tiefpunkt lag bei 8,45 Euro. Bis 2007 hatte die T-Aktie nicht einmal den Emissionskurs der ersten Tranche erreicht.
ln einem internen vertraulichen Bericht vom 15. August 2001 gibt die Compliance-Abteilung der Deutschen Bank die Schuld an dem Kursabsturz den amerikanischen Investmentbanken Goldman Sachs und Merrill Lynch. Beide Häuser hätten am 8. August 2001 das Kursziel für die T-Aktie deutlich nach unten korrigiert: Goldman Sachs habe Marktgerüchten zufolge das Kursziel bei 17 Euro gesehen, und Merrill Lynch sei in einer ausführlichen Analystenstudie zu einem Kursziel von 18 Euro zum Jahresende 2001 gekommen und habe den Verkauf dieser Aktien empfohlen. An diesem und den folgenden Tagen gaben im Übrigen auch die Kurse praktisch aller anderen europäischen Telekommunikationswerte erheblich nach, so der Bericht.
Wie der Deutsche Bank-Analyst Stuart Bird zu einem so deutlich positiveren Kursziel kam, das er in seiner Studie mit 31 Euro angegeben hatte, wird sein Geheimnis bleiben. Auch in dieser Hinsicht vermittelt der oben genannte Bericht interessante Einblicke in die Arbeitsweise der Analyse- und Research-Abteilung der Deutschen Bank:
Der die DT [Deutsche Telekom] beobachtende Analyst verfasste seine Studien ausschließlich unter Verwendung öffentlich zugänglicher Informationen und war deshalb kein Insider. Von der Geschäftsabteilung wurde er zuweilen gebeten, bei diesen Kundengesprächen seine Einschätzung zur DT-Aktie zu erläutern. Bevor diese Gespräche sich dann möglichen Geschäften zuwandten, wurde der Analyst ausgeschlossen. An den Gesprächen mit Hutchison Whampoa hat er nie teilgenommen. Von der bevorstehenden Transaktion wurde er erst im Rahmen der Unterrichtung am 07.08.2001, um 7.15 Uhr ins Bild gesetzt. So beschreibt der Brief der Compliance-Abteilung die Aufgabe des Analysten und seine Beteiligung an dem Fall.
Interessant ist aber auch, dass der Aktiendeal nicht nur von Deutsche-Bank-Mitarbeitern der Abteilung Equity Capital Markets aus unseren Filialen in London und Hongkong, die am 3.August 2001 zu einem Kundengespräch bei Hutchinson Whampoa zu Gast waren, besprochen wurde, sondern dass dieses Treffen an eine Begegnung hochrangiger Vertreter beider Häuser im Juni d.J. in Frankfurt anknüpfte. In dem Gespräch wurde eine Reihe unterschiedlicher Themen diskutiert, wie die Finanzierung des Hafengeschäfts von Hutchinson Whampoa durch eine Aktienemission und die Möglichkeiten, die Rendite der im Besitz von Hutchinson Whampoa befindlichen Pakete an Vodafone – und DT-Aktien zu erhöhen, z.B. als Absicherung von Umtauschanleihen. Zu diesen Themen wurden Präsentationen unter Verwendung unverbindlicher Preisindikationen gegeben. Im Zusammenhang mit dem DT-Paket wurde noch das von dem Analysten in der Kurzstudie vom 24.07.2001 formulierte Preisziel 32 Euro und nicht die im späteren Verlauf dieses Tages veröffentlichten 31 Euro erwähnt.
Soweit der Rechtfertigungsbrief der Compliance-Abteilung.
Wie gut, dass der Analyst, der von nichts wusste – erst recht nicht von dem Treffen hochrangiger Vertreter beider Firmen in Frankfurt-, bei seiner im Juli 2001 begonnenen umfassenden T-Aktien- Studie, völlig unabhängig natürlich, zu einem so überaus positiven Ergebnis kam. Dass der Bank-Analyst nur ein ganz leicht abweichendes Kursziel von 31 Euro zum Ende des Jahres 2001 prognostizierte statt 32 Euro und die Aktie zum Kauf empfahl, dürfte dem Zustandekommen des Deals sicher geholfen haben.
Ob es sich nun um einen Fall von ziemlich unprofessioneller Naivität handelt, oder aber von besonders raffinierter Kursmanipulation – darf jeder für sich selbst entscheiden.