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Vom Nischenanbieter zur Hausbank

Dass die Direktbanken gerade auf dem deutschen Markt reüssieren konnten, lässt sich jedoch nicht allein mit den unbestritten günstigeren Kostenstrukturen dieser filiallosen Geldinstitute erklären. Zumal Direktbanken einerseits zwar Miete und Mitarbeitergehälter für die Geschäftsstellen vor Ort sparen, auf der anderen Seite aber erhebliche Summen ins Marketing investieren müssen, um Neukunden zu gewinnen oder Bestandskunden für das sogenannte Cross Selling-Geschäft zu aktivieren, sprich: ihnen weitere Bankprodukte zu verkaufen. Ein zusätzlicher, nicht minder wichtiger Grund für das starke Wachstum der filiallosen Kreditinstitute war die offene Flanke der etablierten Konkurrenz. Tatsächlich hatten die Banken häufig ein äußerst ambivalentes Verhältnis gegenüber ihren Privatkunden. Bis in die 1980er-Jahre hinein erschienen die Institute wie behördenähnliche Einrichtungen, in denen „Bankbeamte“ mehr oder minder motiviert ihren Dienst verrichteten. Viele Kunden liebten ihre Bank daher fast mit derselben Inbrunst wie das Finanzamt.

Ende der 1990er-Jahre konzentrierten sich die Geldinstitute mehr und mehr auf das margenstarke Investmentbanking Geschäft. Sie brachten Unternehmen an die boomende Börse, organisierten Unternehmensverkäufe und Fusionen, was in einer Zeit, da manche an ein immerwährendes Wirtschaftswunder glaubten, ein außerordentlich einträgliches Geschäft war. Das Privatkundengeschäft fokussierte sich zunehmend auf die einkommensstarke private Banking-Klientel mit einem Anlagevolumen mindestens im sechsstelligen Bereich. Die privaten Großbanken gingen in dieser Zeit dazu über, weniger lukrative Privatkunden in Tochtergesellschaften auszugliedern.
Für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken blieben die Privatkunden neben kleinen und mittelständischen Unternehmen zwar die wichtigste Säule ihres Geschäfts, doch die Konditionen überzeugten nur selten. Guthaben auf den Girokonten blieben verzinst, weil man mit diesem „Bodensatz-Kontokorrekt“, wie es im Bankerjargon bisweilen heißt, recht gut verdienen konnte. Selbst den treuesten Sparern bot man nur Magerzinsen. Und wer um Konditionen feilschte, kam sich schon vor wie ein Bittsteller. Irgendwann in dieser Zeit spotteten die Medien über die „3-6-3-Banker“:
3 Prozent geben sie auf Spareinlagen, 6 Prozent verlangen sie für Kredite und um 3 Uhr gehen sie Golf spielen. Zumindest im Geschäft mit den Privatkunden waren die Strukturen reichlich verkrustet, als die ersten Direktbanken in Deutschland auf den Markt kamen. Sie zielten genau auf die Achillesfersen der etablierten Konkurrenz. Die empfand das zwar als ärgerlich, schenkte den Jeans und Baseballmützen-Bankern, wie es ein Sparkassenvorstand einmal formulierte, jedoch wenig Aufmerksamkeit. Die Direktbanken agierten als Nischenbanker, boten einfachste Sparprodukte (wie etwa Tagesgeldkonten) und Konsumentendarlehen. Keiner der Verantwortlichen in den Vorstandsetagen der Filialbanken hätte damals geglaubt, dass diese „Aldi-Banken“ einmal zu einer sehr ernsten Konkurrenz aufsteigen könnten. Obgleich der unübersehbare Erfolg des Lebensmittel-Discounters „Aldi“ eigentlich hätte zu denken geben müssen.

Während sich die privaten Großbanken auf das lukrative Investmentbanking konzentrierten und die Sparkassen sowie die Genossenschaftsbanken nicht an den wirklich nachhaltigen Erfolg der filiallosen Kreditinstitute glaubten, liefen die Kunden massenweise zu den Direktbanken über. Dennoch geriet nicht jedes Geschäftsmodell der damals am Markt befindlichen Direktbanken zum Erfolg. Einige Anbieter verschwanden wieder, wurden von ihren Muttergesellschaften reintegriert oder sie fusionierten mit anderen Instituten. Trotzdem hatte die etablierte Konkurrenz in starkem Umfang Privatkunden verloren, was umso mehr schmerzte, als nach dem Börsencrash zwischen 2001 und 2003 das Investmentbanking kollabierte, da sich in diesem negativen Umfeld kein Unternehmen an die Börse traute. Plötzlich waren Privatkunden wieder gern gesehen, doch die meisten hatten sich aufgrund der wenig erfreulichen Erfahrungen mit ihren früheren Hausbanken schon dauerhaft für eine Geschäftsbeziehung mit Direktbanken entschieden. Längst verfügten diese Kunden über einschlägige Praxiserfahrungen und wussten, dass Direktbanking wirklich funktioniert – auch ohne den persönlichen Kontakt in der Filiale.
Keine Frage, die etablierten Banken haben die Konkurrenz durch die filiallosen Geldinstitute zunächst unterschätzt und zu spät reagiert. Begünstigt wurde der Erfolg der neuen Herausforderer ferner durch die schnelle Verbreitung des Internet sowie die zunehmende Bereitschaft der Kunden, die vielfältigen Informationsangebote rund um die Geldgeschäfte zu nutzen und sich ein eigenes Bild zu machen. Dank einschlägiger Bücher, Fachmagazine und vor allem der zahlreichen Angebote im Internet bedarf es in vielen Fällen keiner Berater mehr. Der Kunde ist autonom, besonders ehrgeizige Zeitgenossen sind mitunter sogar besser informiert als der Bankberater