Die Bankmanagers in Deutschland und ihre überforderten Honorare

Wer zählt die Posten, wer kennt die Honorare, die deutsche Bankmanager in zahlreichen Unternehmen abkassieren. Die Ämterfülle der Banker führt entweder zu mangelnder Aufsicht oder zu einem gefährlichen Hineinregieren in die Unternehmensführung und manchmal zu Insiderwissen, das schamlos ausgenutzt wird. Die Folge sind immer mehr Unternehmensschieflagen, die bei besserem Management und sorgfältigerer Aufsichtsrattätigkeit hätten vermieden werden können. Die Zeche zahlen am Ende die Arbeiter und Angestellten, die durch Firmenpleiten ihren Arbeitsplatz verlieren.

Als der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer am 4. Februar 2002 in einem Interview des Börsensenders Bloomberg TV die deutsche Kreditwirtschaft warnte, weitere Kredite an den Münchner Medienmogul Leo Kirch zu geben, war es wieder einmal so weit: Der Primus im deutschen Kreditgewerbe hatte ein Tabu gebrochen, einen Skandal ausgelöst. Als in den Wochen danach die Kirch-Gruppe wie ein Kartenhaus einstürzte, erhielt die alte Diskussion über die Rolle der Banken in der deutschen Wirtschaft neue Nahrung.

Angesichts des Medienrummels erklärte Breuer, dass er missverstanden und das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen worden sei. Überdies habe er nicht in seiner Eigenschaft als Chef der Deutschen Bank gesprochen, sondern als Präsident des Bundesverbands deutscher Banken. Doch die nachgeschobenen Rechtfertigungen halfen nicht. Die Deutsche Bank war wieder einmal ins Fettnäpfchen getreten. Der Chef höchstpersönlich hatte das oberste Gebot im Geldgewerbe, absolute Diskretion über Kundenbeziehungen zu wahren – und Kirch war als Kreditnehmer nun einmal Kunde der Deutschen Bank – verletzt. Das war, darin bestand weitgehende Einigkeit in der deutschen Wirtschaft, ein grober Fehler, ein unverzeihlicher Fauxpas. So etwas kann einem erfahrenen Banker eigentlich nicht passieren. Schon gar nicht einem Spitzenmann wie Breuer, der nach dem Abschied aus dem aktiven Managerleben seine steile Karriere sogar mit dem Vorsitz im Aufsichtsrat von Deutschlands bedeutendstem Bankhaus krönen darf. Flugs unterstellten viele Kommentatoren dem Banker eine Absicht. Er habe Kirch vorsätzlich diskreditiert, um noch einmal ordnend in das deutsche Wirtschaftsgefüge einzugreifen, in diesem Fall um die Medienbranche von einem unsicheren Kantonisten zu befreien und die Medienmacht des konservativen Kirch zu brechen.

Eine waghalsige Theorie, die den Banker Breuer in die Rolle eines industriepolitischen Strategen manövriert. Doch wie die darauf folgenden Wochen zeigten, wollte keiner das überschuldete Kirch-Imperium zerschlagen oder gar retten. Weder der gefürchtete Kirchrivale Rupert Murdoch, dessen Konzern auch mit Morgan Grenfell, der Investmentbank-Tochter der Deutschen Bank, zusammenarbeitet, noch irgendein anderer erzkonservativer Potentat wie der italienische Staatspräsident und Medienmagnat Silvio Berlusconi. So war Breuers Fapsus doch nur eine Panne. Ein Fehltritt wie er eben passiert, wenn Manager großer Konzerne durch ihre Aufgabenfülle überfordert sind.

Gierige Postensammler
Dass es gerade im deutschen Bankgewerbe viele überforderte Manager gibt, daran besteht wohl kaum ein Zweifel. Denn Deutschlands Spitzenbanker regieren nicht nur ihre Konzerne mit Tausenden von Mitarbeitern in aller Welt, schieben Milliardensummen von Anlegerkapital rund um den Globus und reden auch sonst überall mit – mal über Aufsichts- oder Beiratsmandate, mal über verschleierte oder direkte Beteiligungen. Kaum ein Großunter nehmen, in dem sie nicht mit der mächtigen Versicherungswirtschaft im Hintergrund mitbestimmen, wer die Firma führen darf, in welche Bereiche investiert wird oder welche Zukunftstechnologien erforscht werden. Sie verdienen mit, wenn Kredite gebraucht oder Aktien ausgegeben werden. Nur zu gern sind sie dabei, wenn Firmen akquiriert oder verkauft werden.

Weil sich diese Geschäfte so bequem und honorig aus der Position eines Aufsichtsrats heraus anbahnen lassen, sind alle Banker auf diese Posten erpicht. Besonders eifrig aber sammeln die Vorstände der Deutschen Bank die teilweise ansehnlich dotierten Kontrollmandate ein. Die Führungspitzen des größten deutschen Finanzinstituts sitzen in mehr als 500 Aufsichts- und Beiräten. Das Spektrum reicht von Daimler-Benz und Volkswagen über Siemens, Lufthansa, Thyssen und Krupp-Hoesch bis hin zu Linde oder der Metallgesellschaft (MG). Breuers Vorgänger Hilmar Köpper hatte sogar gelegentlich Mühe, sich seine einzelnen Verpflichtungen zu merken. Nicht nur der frühere Chef der Deutschen Bank war bisweilen mit dem Behalten und Verwalten seiner Mandate überlastet. Auch seine Kollegen waren gut beschäftigt mit ihren Kontrollaufgaben in der Industrie – zusätzlich zu ihren Aufgaben in der Bank. Als den Duisburger Handelskonzern Klöckner 8t Co. Riskante Ölspekulationsgeschäfte in die Schieflage trieben, saß der damalige Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri im Aufsichtsrat. Als die Stahlfirma Klöckner-Werke AG vor dem Konkurs stand, war sein Kollege Rolf-E. Breuer im Kontrollorgan.

Unheimliche Aufgabenfülle
Neben seinen Aufgaben als Vorstandssprecher der Deutschen Bank leitete das CDU-Mitglied Breuer auch den Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG, kontrollierte den Energieversorger e.on AG, Europas größten Medienkonzern, die Bertelsmann AG, die Siemens AG, die Deutsche Lufthansa AG sowie die Münchner Rück- Versicherungsgesellschaft AG. Zudem ist er Mitglied im Board of Trustees der internationalen Unternehmensvereinigung The Conference Board und Präsident des Bundesverbands deutscher Banken.

Doch mit der Kontrolle geben sich die Banker nicht zufrieden. So richtig in ihrem Element sind sie erst, wenn sie über Beteiligungen im großen Stil Industriepolitik betreiben können. Zu den Stars in dieser Sparte gehörte auch der frühere WestLB-Chef Friedei Neuber, der einst die Chartergesellschaft LTU, die Kaufhaus-Tochter ITS und den größten europäischen Reiseveranstalter TUI kontrolliert hatte. In der Wachstumsbranche Tourismus ging nichts mehr ohne ihn.

Insgesamt hielten deutsche Kreditinstitute Ende der 90er Jahre bei 4.310 branchenfremden Unternehmen Beteiligungen von zehn Prozent und mehr. Die Versicherungen beteiligten sich an rund 1.000 Firmen. Um das Machtgefüge dicht und die Zahl der Beteiligten klein zu halten, sind Überkreuzverbindungen die Regel. Schon vor der Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz waren die personellen Verflechtung eng. So saß der ehemalige Allianz-Chef Wolfgang Schieren im Aufsichtsrat der Dresdner Bank. Ex-Dresdner-Boss und MG-Aufsichtsratsvorsitzer Wolfgang Roller kontrollierte Europas größten Versicherungskonzern mit. Die Allianz war an der Bank beteiligt.

Geschlossene Deutschland AG
Gegen solche Klammergriffe muckt die deutsche Großindustrie nicht auf – im Gegenteil: Zwischen der deutschen Industrie und der Kreditwirtschaft hat sich ganz überwiegend eine fruchtbare Zusammenarbeit und Machtbalance herausgebildet1, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Doch welcher Topmanager, Unternehmer oder Verbandspräsident kann es sich schon leisten, gegen die Götter des Geldes zu opponieren? Beteiligte wie Betroffene wissen, dass Schweigen Gold, Reden aber schnell das Ende einer Karriere bedeutet. Kritik an dem Kuschelclub der Kontrolleure kam in den vergangenen Jahren dagegen aus Politik, Medien, von Aktionärsschützern und Wirtschaftswissenschaftlern sowie aus dem Ausland: Das undurchschaubare Netz zwischen Wirtschaft, Banken und Versicherungen schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt, fürchtet etwa der Hamburger Professor Michael Adams. Im Ausland gibt es längst einen Namen für die allzu engen Verflechtungen zwischen Geldgewerbe und Industrie. Das wenig schmeichelhafte Wort von der geschlossenen Gesellschaft oder der Deutschland AG hat vor allem im Ausland einen bitteren Beigeschmack.

Dass der Einfluss der Banken auch im Inland keine segensreiche Wirkung entfaltet, zeigen die großen Pleiten, Beinahekonkurse und Pannen der vergangenen zehn Jahre: Die Namen Holzmann, Deutsche Börse AG (DBAG), Metallgesellschaft, Schneider und Thyssen/Krupp stehen für die Schattenseiten der von den Banken dominierten Deutschland AG.

Die Schieflage der Metallgesellschaft richtig verstehen – detailliertere Information

Erstklassige Ausbildung, Promotion, Lehr- und Wanderjahre bei den ersten Adressen in den USA, von Kindesbeinen an vertraut mit dem Geschäftsleben, auf jedem Parkett zu Hause, rhetorisch gewandt, analytisch begabt, kommunikativ, jung, dynamisch, mit langjähriger Führungserfahrung … Solche Kräfte braucht die Wirtschaft. Sie sind rar wie weiße Raben. Ihre Karrieren und Einkommen kennen nur eine Richtung: aufwärts – in immer mächtigeren Schritten. Sie bewerben sich nicht. Sie werden umworben. Kopfjäger kassieren für ihre Vermittlung Höchstprämien. Diesen Stars traut man alles zu. Sie kennen die Welt, die Märkte, die Restaurants, die wichtigen Clubs und ihresgleichen. Die Rede ist von Männern wie Ronaldo Schmitz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und Aufsichtsrat der Metallgesellschaft, Henning Schulte-Noelle, Chef von Europas größter Versicherung, der Allianz AG, und ebenfalls Aufseher bei MG, sowie von Heinz Schimmelbusch, Aufsichtsrat bei Schulte-Noelles Allianz AG und Chef der Metallgesellschaft. So war es noch im Frühjahr 1993.

Damals war Heinz Schimmelbusch noch ein gefragter Mann. Der eitle wie ehrgeizige Mann beriet die rassische Regierung und den österreichischen Bundeskanzler. Mit dem deutschen Regierungschef fuhr er im Frühjahr 1993 noch nach Fernost. Nur zu gern nahm er für seine Leistungen Preise, Ehrungen und Ämter entgegen. 1991 wurde er zum Manager des Jahres gekürt. In der Jury des Münchner Magazins Top-Business – früher Industriemagazin – saßen die Chefredakteure und Ressortleiter von renommierten Blättern wie Capital, Der Spiegel, Stern und Die Zeit. Die Meinungsmacher ehrten den unkonventionellen Schimmelbusch für die grüne Neuausrichtung der Metallgesellschaft. Seine herausragende unternehmerische Leistung besteht darin, den einstigen Rohstoffhändler konsequent zu einem hervorragenden Umweltspezialisten herauszuputzen, schrieb das Magazin in der Laudatio.

Vorstandschef im Kaufrausch
Ein dickes Extralob gab es sogar für einen Deal, der Schimmelbusch ausgerechnet von dem Institut angetragen wurde, dessen Repräsentanten ihn drei Jahre später mit Schimpf und Schande vom Hof jagten: den Kauf der Rest-Feldmühle-Nobel-AG, zu der die Heizkesselfirma Buderus, der Sprengstoffhersteller Dynamit Nobel und die Feldmühle-Keramiksparte gehörten. Diesen Coup, der den Umsatz der Metallgesellschaft auf einen Schlag von 20 auf 25 Milliarden € puschte, fädelte Deutsche-Bank-Chef Hilmar Köpper höchstpersönlich ein. Deutsche-Bank-Vorstand und MG-Aufsichtsrat Ronaldo Schmitz leitete die Verhandlungen.

Ein Superdeal – einmalig in der deutschen Geschichte von Firmenübernahmen, feierten die Beteiligten die Akquisition, allen voran die Deutsche Bank, die an der Übernahme gut verdient hatte. Schimmelbusch kaufte, was ihm in den Weg kam, steckte ungeheure Summen in den Umweltschutz bestehender Werke.Einen Mischkonzern von 258 teils lose verknüpften, teils miteinander verschachtelten Firmen hatte er zusammengekauft, rund 60.000 Arbeitsplätze und etwa neun Milliarden € Schulden angehäuft. Doch gleichzeitig steuerte er die Metallgesellschaft immer tiefer in die Miesen: Mit einem Minus von 1,8 Milliarden €, die – wie sich später zeigte – allein 1993 aufgelaufen waren, stand die Metallgesellschaft in einer schweren Liquiditätskrise. Die Erfolge von Schimmelbuschs Einkaufspolitik, die viel beschworenen Synergieeffekte, hatten sich nicht eingestellt. Der Superstar war gezwungen, bereits im März 1993 für das Vorjahr einen herben Umsatzeinbruch und deutlich geschrumpfte Gewinne zu verkünden.

Riskante Ölgeschäfte
Wenigstens den MG-Anteilseignern und Hausbanken hätte zu diesem Zeitpunkt auffallen müssen, dass viele, viel zu viele Zukäufe mit Verkäufen von Aktienpaketen finanziert worden waren ,die Konzernstruktur windig, das ganze Gebäude ziemlich brüchig war. Gewinne hatte bis Mitte 1993 allein die Tochtergesellschaft MG Corporation in New York erzielt.

Die US-Firma war in kurzer Zeit zu einem der bedeutendsten Ölgroßhändler aufgestiegen. Von Oktober 1992 bis Ende 1993 wurde der Umfang der Ölkontrakte von 19 Millionen auf 160 Millionen Barrel katapultiert. Der Preis für das rasante Wachstum waren ungewöhnlich riskante Verträge, die das amerikanische Unternehmen abgeschlossen hatte. MG Corporation hatte fünf- bis zehnjährige Liefervereinbarungen zu festen Preisen abgeschlossen und dabei sogar einigen Abnehmern gestattet neu zu verhandeln, falls der aktuelle Preis unter den vereinbarten Betrag von 17 Dollar pro Barrel sinken würde. Diese Klausel würde zwar den Gewinn für die MG Corporation schmälern, doch gemessen am Profit, den die Gesellschaft einstreichen könnte, wenn der aktuelle Marktpreis für kurzfristige Kontrakte stifg, schien das ein vertretbares Risiko zu sein. Wegen der ungewöhnlich langen Vertragsdauer musste die MG Corporation ihre Geschäfte an der Warenterminbörse durch kurzfristige Kontrakte absichern. Diese Positionen wurden kurz vor Fälligkeit auf Kontrakte mit späteren Terminen überschrieben. Solange der Preis für kurzfristige Verträge stieg, verdiente die MG Corporation gut. Doch im Herbst 1993 fiel der Ölpreis auf 14 Dollar pro Barrel und damit begann der Absturz. Der Wert der revolvierenden Terminkontrakte sank und deckte nicht mehr die langfristigen Positionen. Die Aufsicht der Warenterminbörse Nymex verlangte zusätzliche Sicherheiten. Schimmelbusch brauchte Geld.

Die größten Einzelaktionäre der Metallgesellschaft, Deutsche Bank und Dresdner Bank, eröffneten eine zusätzliche Kreditlinie von 1,5 Milliarden €. Als Sicherheit ließen sich die beiden Banken für diesen Dienst die Firmen Dynamit Nobel und Buderus übereignen – die besten Unternehmen der Metallgesellschaft, von deren Verkauf die Deutsche Bank schon einmal profitiert hatte. Dennoch machten in New York und Frankfurt Gerüchte die Runde, die Metallgesellschaft habe Liquiditätsprobleme. Am 7. Dezember versuchten Deutsche-Bank-Chef Hilmar Köpper und sein Vorstandskollege Ronaldo Schmitz, der den Aufsichtsrat bei der Metallgesellschaft leitete, die Finanzspritze zu rechtfertigen und das Vertrauen in die Metallgesellschaft zu stärken. Köpper erklärte den Eingriff mit einem plötzlich aufgetretenen, technisch bedingten Liquiditätsproblem, Schmitz versicherte, dass man die Probleme im Griff habe und dass sein Vertrauen in MG-Chef Schimmelbusch ungebrochen sei.

Milliardenverluste realisiert
Auf der außerordentlichen Aufsichtsratsversammlung am 17. Dezember 1993 war davon keine Rede mehr. Dem Kontrollgremium führte Schmitz seinen Duzfreund Schimmelbusch als Sündenbock vor. Der MG-Chef und sein Finanzchef Meinhard Förster wurden, so erklärte es Schmitz den Räten, fristlos gefeuert. Schimmelbusch war der Versager, der Blender. Seine früheren Kollegen ließen kein gutes Haar an ihm. Hatte er nicht seine Dienstvilla auf Firmenkosten zum Luxusdomizil ausbauen, sogar mehrfach die Badezimmer umgestalten lassen? Hatte der Zögling von Ex-Metallgesellschaftschef Karl-Gustaf Ratjen, der von vielen ebenfalls zu den Missmanagern gerechnet wird, nicht nur aus Selbstsucht das viel zu große Rad gedreht?

Überhaupt, wurde der Jesuitenschüler nicht schon früher wegen seiner rabiaten, arroganten Auftritte der Rasputin vom Reuterweg, wo das Hauptquartier der Metallgesellschaft lag, genannt? Schimmelbusch setzte sich nach seinem Rausschmiss mit Frau und Kindern nach New York ab und begann an seiner Rechtfertigung zu arbeiten. In Frankfurt rief die Deutsche Bank derweil den Mann, den sie immer holt, wenn es in ihrem unmittelbaren Einflussbereich brennt: Kajo Neukirchen, der bei Hoesch und KHD bewährte Ausputzer der deutschen Industrie, übernahm das Kommando bei der Metallgesellschaft. Zusammen mit dem Oberkontrolleur Ronaldo Schmitz sollte Kajo Neukirchen retten, was noch zu retten ist.

Für das schwer durchschaubare, hoch komplizierte Ölgeschäft wurde die Ölhändlerin Nancy Kropp angeheuert, die der Deutschen Bank bereits früher, bei der Schieflage des Handelshauses Klöckner ft Co, aus der Patsche geholfen hatte. Kropp löste zügig die Absicherungspositionen auf. Diese Strategie hatte sie zuvor mit dem Aufsichtsrat der Metallgesellschaft abgesprochen. Die Folgen waren fatal: Durch die Liquidierung wurde der Buchverlust von 770 Millionen € realisiert, der kurze Zeit später auf 1,5 Milliarden € hochschnellte. Neukirchen deckte noch weitere faule Geschäfte auf: Rund eine Milliarde € hatte der Konzernchef Schimmelbusch im Industriegeschäft in den Sand gesetzt.

Ein scheinbar geniales Geschäft
Am 5. Januar 1994 kam es zum Aufstand der Gläubigerbanken. Im Hauptquartier der Metallgesellschaft fand das entscheidende Treffen der 120 Kreditinstitute statt, die dem Konzern Geld geliehen hatten. Neukirchen präsentierte die Horrorbilanz und das Sanierungskonzept. Die Großaktionäre Deutsche Bank und Dresdner Bank legten das Finanzierungskonzept vor. Danach sollte die dringend benötigte Finanzspritze von 3,4 Milliarden € durch eine Kapitalerhöhung von nominal 280 Millionen € aufgebracht werden. Die neuen Aktien im Nennwert von 50 € sollten für 250 € emittiert werden.

Als Zeichnungsberechtigte sollten die Großaktionäre Deutsche Bank, Dresdner Bank, die Allianz, Daimler-Benz sowie das Scheichtum Kuwait gelten – entsprechend der Höhe ihrer Anteile. Die übrigen Gläubigerbanken sollten neue MG-Papiere in Höhe ihrer Forderungen übernehmen und alle Großkreditgeber ihre Forderungen in Genussscheinkapital umwandeln, das ab 1996 in Aktien der Metallgesellschaft umgewandelt werden sollte. Zudem sollten weitere 700 Millionen € in Form neuer Kredite von den Gläubigerbanken zur Verfügung gestellt werden, dabei würden die Aktionäre außen vor bleiben. Ein geniales Geschäft für Deutsche Bank und Dresdner Bank – sie hatten zwar als Großaktionäre und Aufsichtsratsmitglieder die Schieflage mitverantwortet, doch an der Sanierung wollten sie mit möglichst geringem Risiko davon kommen. Eine Woche Bedenkzeit wollten die MG-Großaktionäre den Gläubigern gewähren, wenn dann keine Einigung erzielt worden sei, würden sie die MG in den Konkurs fallen lassen.

Als dann auch noch bekannt wurde, dass sich die beiden Großbanken schon für ihre Finanzspritze im Dezember von 1,5 Milliarden € unter den Firmen der MG bedient hatten und sich zwei der profitablen Töchter als Sicherheit übereignen ließen, brach ein Sturm der Empörung los.

Ein banküblicher Sanierungsvorschlag
Als Erster protestierte Manfred Bodin, Chef der Norddeutschen Landesbank Nord/LB, gegen das Diktat der Frankfurter Geldindustrie. Er sei nicht derjenige, der die Metallgesellschaft in den Konkurs treiben wolle, erklärte der Landesbanker aus Hannover, wir wollen einen Beitrag leisten, nicht aber in diktierter Form. Bodin schlug stattdessen vor, der Gesellschaft durch einen Kapitalschnitt und gleichzeitige Kapitalerhöhung neues Geld zukommen zu lassen. Die Abschreibung des Aktienkapitals auf zehn Prozent, und die Heraufsetzung auf den alten Wert durch eine Zahlung von 250 € pro Aktie würde der Metallgesellschaft sogar rund zwei Milliarden € einbringen und die Beteiligung der großen Kreditbanken erheblich verringern. Doch genau diese in Sanierungsfällen durchaus übliche Finanzoperation wollten die Großaktionäre verhindern, weil dann nur sie belastet worden wären und die Gläubigerbanken ihre Darlehen hätten zurückbekommen können.

Deutsche-Bank-Vorstand Carl von Boehm-Bezing, der die Gläubigerbanken koordinieren sollte, reagierte auf den Widerstand der Nord/LB, dem sich auch die WestLB anschloss, mit äußerstem Befremden. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Auch die Repräsentanten der sechs französischen Banken unter der Führung der Credit Lyonnais forderten eine finanzielle Schadensbegrenzung für ihre Institute. Die beiden größten privaten Geldhäuser der Republik, die Deutsche Bank und die Dresdner Bank, sollten sich, wie alle anderen Gläubigerinstitute, an der 3,4 Milliarden € schweren Kapitalspritze für die ruinierte MG beteiligen. Als Anteilseigner, Kreditgeber und oberste Kontrolleure hätten sie das Desaster mit zu verantworten, zumal sie sich obendrein – so der Vorwurf der Franzosen – zusätzliche Sicherheiten zugeschanzt hätten. Besonders verärgert waren die Franzosen über die Germanrules, die in anderen Industriestaaten – vor allem in den USA – als unerträglicher Interessenkonflikt sogar strafbar wären, hierzulande aber legaler Bestandteil eines Systems sind, das dem Geld- und Kreditgewerbe auf vielfältige Weise Erträge, Einsicht und Einfluss sichert. Deshalb sollten sie nicht auch noch anderen Instituten, die ohne Vertretung im Aufsichtsrat mit in die Misere gezogen worden sind, rücksichtslos und rüde die Bedingungen diktieren.

Zehn Stunden tobte der Kampf der Banker. Der sonst eher distinguierte Banker von Boehm-Bezing verlor immer wieder die Contenance. Schließlich war klar, dass der Versuch der Deutschen Bank, andere für die eigenen Fehlleistungen zahlen zu lassen, gescheitert war. Mit rund 350 Millionen € mussten sich Dresdner Bank und Deutsche Bank an den Neukrediten beteiligen und auch einen höheren Anteil bei der Kapitalerhöhung übernehmen.

Schwere Managementfehler
Doch damit war der Fall nicht erledigt. Die Schieflage der Metallgesellschaft beschäftigte noch lange Rechtsanwälte und Gerichte. Die geschassten Manager Schimmelbusch, sein Finanzmann Förster, aber auch der Chef der MG Corporation, Arthur Benson, der die spekulativen Ölgeschäfte eingefädelt hatte, klagten gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber und dessen Aufsichtsratschef Schmitz. Die wiederum verklagten die Missmanager auf Schadensersatz.

Doch Schimmelbusch und seine ehemaligen Kollegen im Ölgeschäft bekamen Schützenhilfe von prominenten Experten. Amerikanische Wirtschaftswissenschaftler hatten die Ölgeschäfte der amerikanischen MG-Tochter untersucht. Ihr Fazit: Das Frankfurter Traditionsunternehmen sei im Februar nicht, wie die Aufsichtsräte immer behaupteten, durch spekulative Ölgeschäfte und kriminelle Machenschaften an den Rand des Konkurses manövriert worden. Für die Schieflage von 2,3 Milliarden € seien vielmehr Panikreaktionen, Dilettantismus und Fehlentscheidungen der Deutsche-Bank-Aufsichtsräte verantwortlich.

Statt im entscheidenden Augenblick durchzustarten und neues Geld nachzuschießen, hätten sie befohlen, ein im Prinzip profitables Geschäft vorzeitig abzubrechen. Sie hatten wohl den Überblick verloren, meinte in diesem Zusammenhang Merton Miller, emeritierter Professor der renommierten Chikagoer Universität und Nobelpreisträger. Auch wenn Millers Kritik in erster Linie den Aufsichtsratschef der MG und Deutsche-Bank-Vorstand Schmitz traf, es stand längst viel mehr auf dem Spiel als das Ansehen des ehemaligen Finanzchefs der BASF.

Was wusste der Aufsichtsratschef?
Schlimmer war, dass der Fall für Deutschlands größtes Geldhaus zu einem peinlichen Debakel zu werden drohte. Es passte – wie Hans Martin Buiy und Thomas Schmidt in ihrem Buch Bankenkartell beschrieben haben – vieles in der Geschichte der Metallgesellschaft nicht zusammen. Zweifel bestehen beispielsweise an der Unwissenheit des Aufsichtsratschefs und Deutsche-Bank- Vorstands Ronaldo Schmitz. Die Frage, was Schmitz wusste, trieb auch das Autorenteam um. Ihre Recherchen warfen neue Fragen auf. So habe das Vorstandsmitglied Schmitz nicht gewusst, dass die Deutsche Bank Research seit geraumer Zeit vor Bekanntwerden der Schieflage vom Kauf der Metallgesellschaftsaktie abgeraten habe, weil das Papier fundamental überteuert sei. Auch die dramatische Expansion der Öltermingeschäfte der New Yorker MG-Tochter sei den Bankern im MG-Aufsichtsrat nicht aufgefallen. Dabei sei sogar im Geschäftsbericht der MG von 1991/92 angekündigt worden, dass das Energiegeschäft in New York stark ausgebaut werden sollte. Anfang 1993 ließ die Deutsche Bank per Pressemitteilung erklären, dass sie beabsichtige, gemeinsam mit der Metallgesellschaft spezielle Dienstleistungen im Risikomanagement für Ölprodukte anzubieten.

Schwere Vorwürfe gegen den Aufsichtsratschef Schmutz und die Deutsche Bank habe auch der gefeuerte MG-Corporation-Chef Benson erhoben. Danach soll Schmitz durch seine hektischen Aktivitäten die Verluste im Ölgeschäft verursacht haben. Darüber hinaus hätten die Bank und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG auch Druck auf die Prüfer von Arthur Andersen, die die Bücher der US-Tochter kontrollierten, ausgeübt, damit zum 30. September 1993 statt eines Gewinns bereits ein Verlust von 291 Millionen Dollar ausgewiesen wurde. Dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt nach Ansicht von Bury und Schmidt auch die Ölpreisentwicklung im Jahr 1994. Im April 1994 stieg der Preis für ein Barrel Rohöl wieder über 16 Dollar, im Frühjahr 1995 lag er über 20 Dollar und im Sommer 1996 betrug er sogar 23 Dollar. Bensons Spekulationsgeschäfte hätten der MG ab 1995 satte Gewinne beschert.

Ein einträglicher Vergleich
Interessant ist, dass die Deutsche-Bank-Repräsentanz in New York offensichtlich mit dem Ex-Metallgesellschaftschef Schimmelbusch ins Gespräch und ins Geschäft kommen wollte, falls er bereit sei, ein Vertraulichkeitsabkommen zu schließen. Die Autoren Bury/Schmidt: Besonders pikant an der dubiosen Angelegenheit: Verantwortlich für das gesamte Nordamerika-Geschäft ist niemand anderes als Ronaldo Schmitz. Die Klage gegen den früheren Finanzchef Förster wurde fallen gelassen, weil er sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt hatte, verkündete Schmitz der Hauptversammlung der Metallgesellschaft 1996.

Auch mit Schimmelbusch wollte Schmitz Frieden schließen. Der Bankier versuchte den Aufsichtsräten die Zustimmung abzuringen, Schimmelbusch eine Abfindung und eine Pension zu zahlen sowie durch eine Ehrenerklärung seinen Ruf wiederherzustellen. Schmitz erweckte dadurch den Anschein, auf jeden Fall ein Gerichtsverfahren verhindern zu wollen. Um Druck auf die Deutsche Bank und Schmitz auszuüben, hatte Schimmelbusch auf mehr als 845 Seiten zu der Klage, die die Deutsche Bank und die Metallgesellschaft gegen ihn erhoben hatten, Stellung genommen und detailliert die Vorgänge in der Metallgesellschaft und die Einbindung des Aufsichtsratsvorsitzenden in den Entscheidungsprozess dargelegt. Die Bank wies alle Behauptungen als unwahr zurück.

Dennoch wurde einige Monate später ein Vergleich geschlossen – nach zweimaliger Ablehnung durch die Aufsichtsräte und einiger Nachbesserung wurde Schimmelbusch mit 1,5 Millionen € sowie einer Pensionszusage abgefunden. Auf die Ehrenerklärung musste er allerdings verzichten. Auch sonst haben einige aus dem Desaster ordentlich Profit geschlagen: Wie Der Spiegel berichtete, übernahmen die US-Investmentbank Morgan Stanley und die amerikanische Niederlassung des britischen Investmenthauses Morgan Grenfell zum Preis von Abteilung zentrale Baufinanzierung der Deutschen Bank berechnet hatte. Weil sich Banker nicht gerne von ihren Kunden über den Tisch ziehen lassen, wurde diese Abteilung aufgelöst – auch wegen dieser verheerenden Fehleinschätzung. Schneider hatte sich mit diesem Deal den Ruf erworben, einer der bedeutendsten Immobilienentwickler zu sein. Es gab keine interne Sitzung, die sich mit Projektentwicklungen auseinander setzte, die nicht in irgendeiner Form, zu irgendeinem Zeitpunkt auf den Vorzeigekunden der Bank, Dr. Jürgen Schneider, zu sprechen kam, erinnerte sich 1997 Joachim Plesser, damals noch Vorstandsmitglied bei Schneiders größtem Finanzier, der Tochtergesellschaft Deutsche Centralbodenkredit AG (DCB), als er als Zeuge im Prozess gegen Schneider aussagte.

In jenen Tagen, als alles noch gut schien, sah man schon mal über ein paar Eigenheiten wie den gemieteten Lear-Jet oder die nächtens taghell beleuchtete Königsteiner Villa hinweg, Wer, wie der damalige Commerzbank-Aufsichtsratschef Walter Seipp, Anstoß an Schneiders vergoldeten Zaunspitzen nahm, wurde von den international denkenden Geldmanagern als Kleingeist belächelt. Für solche Bedenkenträger war im globalen Geldgewerbe kein Platz mehr. Da waren schnelle Entscheidungen und Durchsetzungsfähigkeit gefragt, schließlich ging es täglich um Milliarden und der Wettbewerb unter den Banken wird immer härter, wie der damalige Deutsche-Bank-Chef Fiilmar Köpper immer wieder gern betonte.

Ein feines Managementteam
Schneider erschien als ein grundsolider Kunde, mit dem jeder gern ins Geschäft kommen wollte. Dass der Unternehmer sein Firmenimperium als Closed Shop nur um sich und seine Frau gruppiert hatte, wurde als typische Mittelständlerattitüde abgetan. Nur Claudia Schneider-Granzow war noch als Mitgesellschafterin in der alles entscheidenden Dr. Jürgen Schneider GbR, also einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, geduldet. Gemeinsam mit Schneiders Bruder Joachim und den beiden Kindern Ysabel und Nicolai gehörte ihnen die Dr. Jürgen Schneider AG für Immobilien und Grundbesitz, die mit zehn Millionen € atemberaubend unterkapitalisiert war – auch das schien das Kreditgewerbe nicht zu beunruhigen. Er ließ keinen Banker in den Aufsichtsrat und achtete bei seinem kleinen Managementteam auf feine Namen: Gabriele Eick, die ehemalige Chefin der Frankfurter Wirtschaftsförderung, gehörte ebenso dazu wie Ralf Graf Lambsdorff, ein Neffe des renommierten Wirtschaftspolitikers der FDP Otto Graf Lambsdorff. Die meisten Banker störte nicht einmal, dass Schneider eine drohende Pleite gerade noch mit einem Vergleich abgewendet hatte. Das war mindestens zehn Jahre her, wer konnte sich daran schon noch erinnern? Ein Geldhaus wusste es bestimmt, die Hessisch-Thüringische Landesbank: Sie hat sich aus allen Schneider-Engagements herausgehalten.

Nicht so die anderen, wie die Dresdner Bank, bei der Schneider immerhin mit 600 Millionen € in der Kreide stand – von der Deutschen Bank ganz zu schweigen. Wenn Schneider Geld brauchte, musste er nur mit den Auszügen seiner Festgeldkonten wedeln. Guthaben von über 500 Millionen €, wie er sie vorweisen konnte, sind bei Immobilien-Developern – wie sich die Projektentwickler heutzutage nennen – so selten wie die Chance, einen zweiten Hope-Diamant zu finden. Wenn die anderen gerade einmal eine Million auf dem Konto haben, fangen sie schon das nächste Projekt an, erklärte ein Investmentbanker. Verzückt über so viel Geld, das jedoch bei den Instituten geparkt wurde, bei denen Schneider keine Kredite laufen hatte, vergaßen die vom Wettbewerb gestressten Finanzmanager sogar die einfachsten Sicherheitsbarrieren, die im Kreditgeschäft zu beachten sind.

Die Banken als Geldvernichter und der große Crash am Neuen Markt

Die Banken haben sich am Börsenboom der vergangenen Jahre eine goldene Nase verdient und dabei zahlreiche Unternehmen aufs Parkett geführt, die heute kurz vor dem Konkurs stehen oder schon pleite sind. Die Aktienkurse sind im Keiler und zahlreiche Anleger können ihre Investments abschreiben, während die Banken auf fetten Einnahmen an Emissions- und Depotgebühren sitzen. Frage: Wie verdient man an der Börse ein kleines Vermögen? Die Antwort: Indem man seinem Anlageberater ein großes Vermögen anvertraut!

Es gibt Menschen, die über diesen Witz überhaupt nicht mehr lachen können. Vielen Aktionären des einstigen Börsenlieblings EM.TV beispielsweise ist das passiert: Wer erst im Frühjahr 2000 Aktien des damaligen Überfliegers gekauft hat, kann sein Kapital mittlerweile zu 99 Prozent abschreiben. Vom Höchststand im März 2000 von 115 Euro rauschte die Aktie des 1996 gegründeten Merchandising-Unternehmens in die Tiefe. Im Mai 2002 kostete sie gerade mal 1,40 Euro.

Die EM.TV-Geschädigten sind keineswegs die einzigen Opfer des brutalen Börsenspiels am Neuen Markt. Sie befinden sich in bester Gesellschaft: Auch den Aktionären von Infomatec, Intershop, Kabel New Media, Metabox, Comroad und vielen, vielen anderen Firmen geht es nicht besser. Selbst die Anteilseigner des Moorhuhn-Erfinders Phenomedia haben kürzlich einen finanziellen Blattschuss bekommen. Die Firma, die das wohl populärste Computerspiel der vergangenen Jahre entwickelt hat, ist pleite.

Fassungslos mussten die Anleger Zusehen, wie innerhalb weniger Monate ihr Vermögen, ihre Ersparnisse dahinschmolzen, ln enger Kooperation mit ihren Banken haben sich die Infomatec- Gründer Gerhard Harlos und Alexander Häfele, der Hamburger Medienunternehmer Peter Kabel, Internet-Pionier Stephan Schambach, der Metabox-Gründer Stefan Domeyer und viele andere als wahre Meister im Abkassieren von Privatkapital erwiesen. Insgesamt 200 Milliarden Euro wurden seit dem Frühjahr 2000 bis zum selben Zeitpunkt 2001 an der deutschen Wachstumsbörse verbrannt, das ergab eine Studie der Unternehmensberatung Accenture.

Das Milliardenfeuer hat viele Brandstifter. Die Banken haben glänzend verdient – an den Provisionen, die sie beim Aktienkaufrausch ihrer Kundschaft einstreichen konnten und besser noch an den Börsendebüts von jungen Unternehmen. Für die Vorbereitungen des Börsengangs und bei der Aktienemission wurden Millionenbeträge kassiert. Für die Kreditinstitute wurde der Neue Markt zum Goldesel.

Fondsverwalter haben ihre Kunden mit hochspekulativen Anlagen in immer riskantere Engagements gelockt. Allein im Jahr. 1999 flössen 110 Milliarden € in Fonds – mehr als im Jahr 1994 in diesem Segment insgesamt angelegt war, schreibt der ehemalige Fondsmanager Bruno Wagner in seinem Buch Burn Rate. Analysten lieferten immer gewagtere Empfehlungen und Prognosen, die von den zahlreichen neuen Börsenmagazinen und Finanzmarktpostillen begierig verbreitet wurden. Wer im März 2000 seine Spargroschen nicht in Aktien oder wenigstens in Fonds investiert hatte, galt als hoffnungsloser Versager.

Der große Crash am Neuen Markt
Bei dieser Börsenmania hatten die Kundenberater der Banken leichtes Spiel. Der alte Grundsatz, dass hohe Kursgewinne und Zinsen eine Entschädigung für hohe Risiken sind, geriet angesichts der rasanten Höhenflüge an den Börsen schnell in Vergessenheit. Genauso fix wurden bewährte Kennziffern der Unternehmensbewertung als Ballast der verschlafenen Old Economy über Bord geworfen: In der New Economy, bei den Internet-Start-ups und E-Business-Firmen, waren Gewinne spießig, Umsatzsprünge hipp und Verluste keine Schande, sondern Ausweis von dynamischem Wachstum. Die so genannte Cash-Burn-Rate – die Zeitspanne, in der ein Unternehmen eine Million Euro Anlegerkapital vernichten kann – wurde zur internen Messlatte der jungen Unternehmer. Die eingespielten Seilschaften zwischen Banken, Fondsgesellschaften und Brokern lieferten schließlich bei Bedarf immer wieder frisches Geld.

Im Geldrausch wurden auch Richtlinien im Bankgewerbe großzügig ausgelegt. So sind die Kundenberater von Sparkassen, Banken und Brokern eigentlich per Gesetz verpflichtet, den Anleger genau über die Risiken von Geldanlagen aufzuklären und auch seine finanzielle Lage, die Vermögensverhältnisse und die längerfristigen Anlageziele zu erkunden. Für jeden Kunden in diesem Segment soll ein möglichst detailliertes Risikoprofil erstellt werden. Dabei werden die Anleger einer von fünf Kategorien zugeordnet, die dann auch die Anlagestrategie für den speziellen Kunden bestimmt. Darum scherten sich die Anlageberater in der Boomphase hingegen nicht, sondern empfahlen bedenkenlos die gewagtesten Aktien zum Kauf.

Die fünf Risikoklassen bei Geldanlagen
In der Risikoklasse 1 geht es vor allem darum, das investierte Vermögen zu sichern. Dem Kunden werden Bundesschatzbriefe, Geldmarktfonds und festverzinsliche Unternehmensanleihen angeboten. In der Risikoklasse 2 kann auch in Rentenfonds, offene Immobilienfonds und Anleihen investiert werden.

Risikoklasse 3 verheißt dem Anleger höhere Gewinne, aber auch größere Gefahren. Es dürfen international gestreute Rentenfonds, spekulative Eurorentenfonds, internationale Standardaktienfonds geordert werden und der Kunde darf selber bei einem Online-Broker europäische Standardaktien kaufen.

Risikoklasse 4 gewährt fast alle Freiheiten, Geld am Aktienmarkt einschließlich europäischer Nebenwerte und internationaler Standardaktien zu investieren. Nur Rentenfonds und Aktien von Schwellenländern müssen außen vor bleiben.

Risikoklasse 5 schließlich ist die eigentliche Lizenz zum Zocken. Wer diese Kategorie wählt, muss damit rechnen, dass sein Geld in allen Börsensegmenten angelegt werden kann. Spekulative Geschäfte mit Massenprodukten auf Termin sind ebenso erlaubt wie Optionen und Futures, Anleihen auf Indexzertifikate. Das gesamte Arsenal der schnellen Geldvermehrung und Vermögensvernichtung steht diesen Kunden offen.

In der Praxis dürfte sich die Aufklärung über die Risiken allerdings vor allem auf die schlichte Frage konzentriert haben, ob der Kunde mehr am Einkommen interessiert sei oder am Wachstum seines Investments. Für die meisten Börsenanfänger war diese Gretchenfrage des Geldgewerbes schnell beantwortet. Wachstum klang gut für die unerfahrenen Erstaktionäre, deutlich besser als Einkommen. Schließlich ist immer von Wachstum die Rede, wenn es um Wirtschaft, Arbeitsplätze, Bruttosozialprodukt und Konjunktur geht. Was für die Unternehmen gut ist, kann für die eigene Geldanlage nicht schlecht sein. Einkommen – Risikoklasse 1 und 2 – roch für viele vom Börsenfieber Infizierte hingegen nach Mittelmaß, Steuern, Sozialabgaben und anderen unerfreulichen Dingen. Also lieber in die Vollen gehen und in Klasse 4 oder gar 5 einsteigen.

Blind ins Risiko
Eine intensive Belehrung über die Risiken, die bei den wachstumsstarken Titeln, die meistens von jungen Unternehmen stammen, viel größer ist als bei soliden Unternehmenswerten fand in den meisten Fällen nicht statt. Geblendet von den Kurssprüngen der vergangenen zwölf Monate waren im Frühjahr 2000, als die Boomphase an den Aktienmärkten ihren Höhepunkt erreicht hatte, viele Anleger blind für die Gefahren ihrer Engagements. Jetzt stehen die Schlauen von einst dumm
da – und sind aufgebracht.

Der Diplombetriebswirt Jürgen K. ist Mitglied eines privaten Investmentclubs, der ebenfalls vom Crash gebeutelt wurde: Man könnte weinen, wenn man die Kurse anschaut. Wir hatten in unserem Aktienclub überall Verluste, bei Technologiewerten, aber auch DaimlerChrysler, LVMH oder Biotech. Und man versteht es alles nicht, diese ganzen Sprünge in den Kursen sind überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, und dass die Unternehmen am Neuen Markt nun nur noch Pennys wert sein sollen, begreift man auch nicht.

Der Verlagsmanager Frank B. aus Essen, der ebenfalls zu den Opfern des Börsendebakels zählte, ist nach den erheblichen Vermögensschäden klüger geworden und fasst seine Erkenntnis so zusammen: Mit dem Neuen Markt ist eine ganz gute Sache ins Leben gerufen worden, aber die haben das nicht zu Ende gedacht. Denn es gibt keine richtige Haftung für Falschinformationen. Da werden von Banken und Unternehmen Umsatzprognosen und Gewinnmöglichkeiten genannt, und das auf reine Geschäftsmodelle. Die Geschäfte laufen ja noch gar nicht. Und einen Monat, nachdem so eine Firma an der Börse ist, wird alles wieder zurückgenommen. Wo bleibt da die Seriosität? Es gibt keine Rechtssicherheit für Kleinanleger.

Erfolglose Fondsmanager feuern Anleger
Eine besonders dreiste Geschichte erlebte der Hamburger Pensionär Jürgen H. mit der Hamburger Niederlassung der Credit Suisse. Der Diplomvolkswirt wollte mit den Renditen aus seinen Aktienanlagen sein Alterseinkommen aufbessern. Davon kann nun jedoch keine Rede mehr sein. H. wurde von seiner Bank nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen. Der frühere EU-Beamte ist wütend: Ich habe von der Börse die Nase voll. Im Dezember 1998 habe ich 735.000 € angelegt – mit äußerst mangelhaftem Erfolg: Allein im Jahr 2000 habe ich 26 Prozent meines Investments verloren.

Zu den größten Flops gehörten die Aktien eines kanadischen Softwareunternehmens, dessen Namen ich nie vorher gehört hatte, dessen Aktien mir aber von meinem Berater bei der Credit Suisse wärmstens empfohlen wurden. Ich stieg mit knapp 42.000 € im Dezember 1999 ein und Ende 2000 mit rund 1.900 € wieder aus. Drei Wochen nach dem Aktienkauf war der Kurs um 50 Prozent abgesackt, als er später für einen Tag um 50 Prozent nach oben schnellte, verpasste mein Berater den Ausstieg. Natürlich war ich auch Besitzer von Katastrophenpapieren wie Micrologica oder Freenet, die ich Ende 2000 mit Verlusten von 88 oder 98 Prozent abgestoßen habe. Da hatte mein Berater sogar wohlfeilen Rat parat: Zehn Jahre lang könnte ich die Verluste gegen Gewinne aufrechnen lassen und so Steuern sparen. Der Mann hat wirklich Humor! Ich bin fast 70 Jahre alt. Als H. seine Erfahrungen mit Bank und Börse in der Hamburger Wochenzeitung Die Woche veröffentlicht und wegen eines verlustreichen Optionsverkaufs Schadensersatz gefordert hatte, erhielt er Post von der Bank. Der Brief enthielt nicht etwa eine Entschuldigung der Banker für die schlechten Leistungen des Kundenberaters, sondern die Kündigung.

Die Credit Suisse eröffnete ihrem geschröpften Kunden, er möge sich nach einer neuen Bankverbindung Umsehen. Begründet wurde der Rausschmiss mit dem Vertrauensbruch, den H. begangen habe, als er seine Erlebnisse als Bankkunde in einer Zeitung veröffentlicht habe und wegen seines Begehrens auf Entschädigung.

Aktien auf Pump
In vielen Fällen sind nur die Ersparnisse dahin, doch so mancher Aktionär steht jetzt zudem bei der Bank, die ihn so eilfertig in den Abenteuerpark Börse mitgenommen hat, tief in der Kreide. Weil die Gewinne so sicher schienen, haben sich Anleger für ihre Aktienkäufe verschuldet und müssen nun auch noch Kredite abstottern. Viele der Geschröpften trauen sich nicht einmal, über ihre Verluste zu reden. Der Gastwirt aus einem bayerischen Dorf fürchtet den Spott seiner Kundschaft, wenn bekannt wird, dass er eine sechsstellige Summe mit EM.TV-Aktien in den Sand gesetzt hat. Der Gerichtsvollzieher aus einer westdeutschen Kleinstadt hat Angst vor beruflichen Konsequenzen, wenn herauskommt, dass er die Ersparnisse seiner Eltern nicht – wie versprochen – durch Aktienkäufe zur Aufbesserung der schmalen Renten vermehrt, sondern am Neuen Markt schlicht versenkt hat.

Der Börsencrash hat mittlerweile so manchen Aktionär an den Rand seiner Existenz getrieben. Ein solcher Härtefall ist der Fleischermeister Frank P. aus Dortmund. Wegen schwerer Allergien kann der Vierzigjährige seinen Beruf nicht mehr ausüben. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, hat er seit 1996 sein Erspartes am Aktienmarkt investiert und Papiere der Deutschen Telekom, Aktien von VW, DaimlerChrysler und Schering gekauft, nichts Exotisches, sondern konservative Standardwerte. Im Mai 1999 wurde er dann durch einen Börsenbericht des Nachrichtensenders ntv auf die Firma Infomatec aufmerksam. Die Augsburger IT- Firma hatte gerade einen 55-Millionen-€-Auftrag des Telekommunikationsanbieters Mobilcom bekannt gegeben.

P. begann sich für den kleinen Anbieter von Software zur Vernetzung von TV und Computer zu interessieren. Er studierte die einschlägigen Finanzmarktmagazine und holte Informationen bei seiner Sparkasse und der Dresdner Bank ein. Anlageberater und Medienberichte bescheinigten der Firma eine glänzende Zukunft. Im Juli 1999 – nach weiteren Jubelmeldungen von Infomatec – orderte P schließlich 230 Aktien der Firma – zum Gesamtbetrag von 90.945,70 €. Weil seine Ersparnisse fest angelegt waren, erwarb er die Aktien auf Pump, und zwar mit einem Kredit der Bank, die ihm auch die Infomatec-Anlage vermittelte.

Eigentlich hätten bei dem Kreditinstitut alle Alarmglocken läuten müssen, denn Aktienspekulation auf Pump gilt als äußerst riskant – noch dazu bei Papieren von jungen Unternehmen, die am Neuen Markt notiert sind. Doch im Sommer 1999 waren auch bei den Kundenberatern schon die Sicherungen durchgebrannt, das Warnsystem funktionierte nicht.

P. geriet mitten hinein in den Schlamassel: Im Juli 2000 begann der Kurs zu fallen, im November stürzte er ab. Sein Kapital war fast weg, der Kredit nicht. Die Schulden musste er weiter bedienen. Erst ein Urteil des Augsburger Landgerichts im September 2001 linderte den größten Verlust. Die Richter der 3. Zivilkammer sprachen ihm im September 2001 Schadensersatz von 100.000 € zu. Das Urteil war allerdings im Sommer 2002 noch nicht rechtskräftig, weil die Herren Harlos und Häfele gegen die Entscheidung des Augsburger Landgerichts Berufung eingelegt hatten.

Die Finanzkrisen weltweit im 20. Jahrhundert – hilfreiche Information

Als die russische Wirtschaft im Herbst 1998 ihrem Kollaps entgegentaumelte, brannte es in einer anderen Region der Welt schon lichterloh. Auch Thailand, Malaysia, Indonesien und Südkorea waren in eine schwere Krise gestürzt worden. Zu Beginn der 90er Jahre hatten viele Politiker der westlichen Industriestaaten sehnsüchtig auf diese ostasiatischen Schwellenländer geblickt. In den so genannten Tigerstaaten hatte sich ein beeindruckender wirtschaftlicher Wandel vollzogen. Mit zweistelligen Wachstumsraten, Preisstabilität, niedrigen Löhnen und hohen Exportüberschüssen schienen die asiatischen Musterknaben in dieser Zeit auf dem besten Wege zu sein, zu den Industriestaaten aufzuschließen.

Aus der Sicht der westlichen Finanzinstitutionen und der US- Regierung hatten die ostasiatischen Emerging Markets Ende der 80er Jahre nur einen Makel: Ihre Kapitalmärkte waren streng kontrolliert, ausländische Banken hatten keine Chance an dem Wirtschaftswunder dieser Region zu partizipieren.

Deshalb wurde der Druck auf die Regierungen der Schwellenländer erhöht, den Kapitalverkehr zu liberalisieren und auch Ausländern den Handel mit Wertpapieren an den Börsen der aufstrebenden Tigerstaaten zu gestatten. Als zu Beginn der 90er Jahre ausländische Investoren endlich Zugang zu den begehrten Finanzmärkten erhielten, wurden die Länder mit ausländischem Kapital überschwemmt, obwohl die Staaten dank der hohen Sparquote eigentlich kein zusätzliches Geld für ihre Infrastrukturinvestitionen brauchten. Ihre Notenbanken hielten die Wirtschaft an der kurzen Leine, um eine Überhitzung der Konjunktur zu verhindern. Das Geld für Investitionen war absichtlich knapp, die Zinsen wurden weiterhin hochgehalten.

Für die ausländischen Finanzkonzerne waren das ideale Bedingungen. Sie kamen in Scharen, allen voran die deutschen Kreditinstitute Dresdner Bank, Commerzbank und die öffentlich-rechtliehen Banken wie die WestLB. Wichtigste Anlaufstelle war von 1994 an zunächst Südkorea. Das Land hatte die größten Fortschritte in der Industrialisierung gemacht. Die großen Chaebol, die Industrie-Konglomerate Südkoreas, konkurrierten bereits erfolgreich mit den westlichen Unternehmen – beispielsweise im Schiffbau und in der Stahlerzeugung. Wie in anderen Tigerstaaten war auch die koreanische Notenbank der Politik des knappen Geldes gefolgt und hatte versucht, mit hohen Zinsen das Wachstumstempo zu zügeln und die Inflationsraten niedrig zu halten.

Expansion mit westlichem Geld
Doch nun kamen die ausländischen Finanzinstitute und lockten die knapp gehaltenen Unternehmer mit Krediten, die gerade mal 0,3 Prozent über den in Europa üblichen Sätzen und damit deutlich unter den koreanischen Raten lagen. Pro Monat lenkten die westlichen Finanzkonzerne zwei Milliarden Dollar nach Korea. Bereits 1996 waren mehr Dollars im Land, als die Wirtschaft überhaupt investieren konnte. Die Westdeutsche Landesbank allein hatte bis zum Jahr 1997 zwei Milliarden US-Dollar in Korea investiert.

Die meisten Kredite wurden nur mit kurzen Laufzeiten von ein bis drei Monaten vergeben, wurden aber automatisch verlängert. Deshalb glaubten die koreanischen Unternehmen das billige Geld auch für langfristige Projekte, den Bau neuer Fabriken oder den Kauf teurer Anlagen verwenden zu können. Was in Korea begann, passierte bald auch in Thailand, Indonesien und Malaysia. Die Ausländer drängten uns Kredite geradezu auf, zitierte Der Spiegel die Vizepräsidentin der Bangkok Bank, Vongthip Chumpani.

Der westliche, billige Geldsegen verführte die Unternehmen zur massiven Expansion auf Pump, jedes Projekt wurde finanziert ohne Prüfung auf seine Rentabilität. So wurden riesige Immobilienanlagen gebaut, Bürotürme, Industriekomplexe – alles teure Prestigeobjekte, die vielleicht den Bauherren eines Tages Ehre machen könnten, aber eigentlich nicht wirklich gebraucht wurden. Die ausländischen Kreditinstitute machten alles mit. Allein an indonesische Unternehmen liehen die deutschen Banken 16 Milliarden € aus. Insgesamt sollen deutsche Banken rund 100 Milliarden € in die Tigerstaaten gepumpt haben.

Die großzügige Kreditvergabe an die ostasiatischen Schwellenländer gestaltete sich allerdings schon Mitte der 90er Jahre viel riskanter als die Finanzkonzerne in Europa und in den USA dies wahrhaben wollten. Als China 1994 seine Landeswährung Yuan um ein Drittel abwertete, um die wachsenden Handelsbilanzdefizite auszugleichen, begannen die Exportüberschüsse der vier Schwellenländer zu schrumpfen.

Weil ihre Währungen bei der Öffnung der Kapitalmärkte an den US-Dollar gekoppelt worden waren, um die Ängste der ausländischen Investoren vor Währungsverlusten zu zerstreuen, konnten die Zentralbanken der Tigerstaaten die Kurse ihrer Währungen nun nicht abwerten – was aber zur Stützung ihrer Exportwirtschaft dringend notwendig gewesen wäre. Dadurch wurden ihre Erzeugnisse auf den Weltmärkten zu teuer, Preissenkungen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, gingen zu Lasten der Produzenten. Gleichzeitig entstand neue Konkurrenz in Vietnam, China und auf den Philippinen, wo T-Shirts und Turnschuhe billiger produziert werden konnten als in den bereits höher entwickelten, aber nun auch hoch verschuldeten Schwellenländern.
Anfang 1997 warnte die US-Investmentbank Goldman Sachs in einer Länderstudie vor den Währungsrisiken in Thailand. Der Bäht müsse abgewertet werden, weil die Wirtschaftsleistung des Landes rückläufig sei. Viele der mit Dollar-Krediten finanzierten Immobilienprojekte und Infrastrukturmaßnahmen seien nicht rentabel.

Die Stunde der Spekulanten
Wegen der hohen Abhängigkeit von den ausländischen Krediten wagte die thailändische Notenbank nicht den notwendigen Währungsschnitt vorzunehmen. Im Rückblick war das einer der schweren Fehler, den sich die Regierungen Thailands, Indonesiens und Malaysias anrechnen lassen müssen. Denn genau diese Unterlassung zog eine neue Klientel an: Devisenspekulanten und so genannte Hedgefonds-Manager, die wissen, wie an einer drohenden Wirtschaftskrise Geld zu verdienen ist. Die Methode klingt einfach: Die Spekulanten verkaufen Devisen, Aktien oder andere Wertpapiere, die sie zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses nicht besitzen, sondern sich bei anderen Investmentgesellschaften borgen. Wenn dann die Kurse fallen, können sie sich die Papiere an der Börse zu einem für sie günstigeren Kurs besorgen und an den ursprünglichen Besitzer zum vorher vereinbarten höheren Preis zurückgeben. Die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem niedrigen Kaufkurs stecken die Zocker als Profit ein. So wird aus dem an und für sich sinnvollen Instrument des Hedgefonds, mit dem unter anderem Währungsrisiken im Außenhandel eingegrenzt werden sollen, ein reines Spekulationsgeschäft. Sinken die Kurse, profitiert der Spekulant, steigen die Kurse, verliert er. Bei einer drohenden Krise, wie in Asien am Ende der 90er Jahre, waren Hedgefonds ein bombensicheres Geschäft.

Zu den erfolgreichsten Spielern der Hedgefonds-Szene gehörte in jenen Jahren der Anglo-Amerikaner George Soros, der sich seit Ende der 60er Jahre mit seinen Hedgefonds-Gesellschaften Quantum und Quota ein Milliarden-Vermögen zusammenspekuliert hatte. Berühmt wurde Soros 1992 als er gegen die Bank von England antrat und den Kurs des britischen Pfunds so unter Druck setzte, dass Großbritannien aus dem Europäischen Währungssystem ausscheiden musste, weil die Notenbank nicht mehr in der Lage war, die britische Währung in der von den EU-Währungshütern vorgeschriebenen Bandbreite zu halten. Soros hatte indes sein Ziel erreicht: Sein Profit aus dem Angriff betrug eine Milliarde Dollar – gewonnen in nur einer Woche.

Als am 14. und 15. Mai 1997 der Run auf die thailändische Währung begann, war auch Soros’ Quantum-Fonds mit dabei. Insgesamt zwei Milliarden Dollar soll der gebürtige Ungar eingesetzt haben. Um den Angriff der Zocker abzuwehren, warf die Notenbank mehrere Milliarden Dollar auf den Markt, um die eigene Währung aufzukaufen und den Verfall zu stoppen. Doch damit war die Schlacht noch nicht vorbei, der scheinbar erfolglose erste Angriff lockte weitere Spekulanten an: Selbst eine deutsche Bank setzte 200 Millionen Dollar auf einen Kursverfall der thailändischen Währung.

Während die Banken wie Haie das bereits angeschlagene Land umkreisten, versuchte die thailändische Notenbank durch Zinserhöhungen die Kapitalflucht der Investoren aus den westlichen Industriestaaten, denen sich die einheimische Geldelite eilig angeschlossen hatte, zu stoppen. Ohne Erfolg: Am 2. Juli 1997 musste der Kurs des Bäht freigegeben werden, die Dollarreserven der Zentralbank hatten sich erschöpft. Die Folgen waren verheerend, bis zum Abend jenes Tages war der Wert der Währung um 20 Prozent gefallen.

Nach diesem Blutbad zog die Karawane der Devisenhändler und Hedgefonds-Manager weiter, als Nächstes wurde gegen die malaysische, die indonesische und die koreanische Währung spekuliert. Binnen weniger Wochen waren die Dollarreserven der jeweiligen Zentralbanken vernichtet, die Kurse der heimischen Wertpapiere an den Aktienbörsen im freien Fall, die ausländischen Kredite gekündigt, 15 bis 20 Jahre erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung fast ausgelöscht.

Die Regierungen Thailands, Indonesiens und Südkoreas waren wie gelähmt, nur Malaysias Staatschef Mahathir Mohamad begehrte auf, Schuld an der asiatischen Krise seien die internationalen Spekulanten, allen voran George Soros: Der Devisenhandel ist unnötig, unproduktiv und unmoralisch, er sollte gestoppt und illegal gemacht werden, zitierte Der Spiegel den Regierungschef. In späteren Interviews bestritt der Topspekulant allerdings, dass er mit Leerverkäufen gegen die malaysische Währung spekuliert hätte.

Im Würgegriff des IWF
Dann schritt der IWF ein – mit insgesamt 95 Milliarden Dollar versuchten der Währungsfonds und die G7-Staaten den Wechselkurs-Verfall zu stoppen. Thailand erhielt 17 Milliarden Dollar, Indonesien 33 Milliarden Dollar und Südkorea 55 Milliarden Dollar. Nur Malaysia ging wegen der unbotmäßigen Haltung seines Regierungschefs den ausländischen Kreditinstituten gegenüber leer aus.

Mit diesen Finanzhilfen sollte auf den internationalen Märkten Vertrauen in die bereits abgewerteten Währungen geschaffen und den Spekulanten suggeriert werden, dass sich weitere Angriffe auf die bereits abgewerteten Währungen nicht lohnen würde, weil die Staaten wieder genug Geld in den Kassen hätten, um sich erfolgreich zu verteidigen, erklärte der frühere Vizepräsident der Weltbank Joseph Stiglitz das Vorgehen des Währungsfonds. Doch das Kalkül ging nicht auf: Die unter Druck geratenen Staaten gaben das Geld des Währungsfonds an ihre Unternehmen weiter, damit sie die Kredite der ausländischen Banken zurückzahlen konnten. Außerdem nutzten reiche Inländer den Dollarzufluss, um ihre Vermögen in Dollar zu tauschen und außer Landes zu bringen. Innerhalb kürzester Zeit war der Geldsegen des IWF wieder dort, wo er hergekommen war: in den reichen Industriestaaten.

Dann bekamen die nachhaltig geplünderten Tigerstaaten die harte Hand der IWF-Ökonomen zu spüren, denn die so schnell und zweckwidrig verbrauchten Milliardenbeträge waren nur gegen strengste Auflagen gewährt worden. Die Staaten mussten sich verpflichten, die Privatisierung der staatlichen Unternehmen energisch voranzutreiben, die am schwersten überschuldeten Banken zu schließen, die Märkte für ausländische Investoren zu öffnen. Zudem wurden Zinserhöhungen und strikte Ausgabendisziplin der öffentlichen Haushalte verordnet sowie Steuererhöhungen.

Um zu verhindern, dass auch andere Schwellenländer eine ähnlich zügellose Schuldenpolitik mit dem Geld der Großfinanz aus den Industriestaaten betreiben könnten, wurden – im Sinne einer Abschreckung gemäß des viel zitierten moralhazard – noch weitere Auflagen erlassen. Die Beamten des Fonds verlangten grundlegende Reformen, eine bessere Regulierung der Finanzmärkte sowie Offenheit und Transparenz der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es ging darum, so scheinen es die Notenbank-Chefs der westlichen Industriestaaten zu wollen, ein Exempel zu statuieren, eine Abschreckung für andere Staaten aufzubauen, um sie von zügelloser Schuldenpolitik abzuhalten.

Das Ergebnis dieser Rosskur ist bekannt, die einst prosperierenden Tigerstaaten verarmten zusehends. Die Folgen schildert Stiglitz: Die Arbeitslosenrate vervierfachte sich in Südkorea, verdreifachte sich in Thailand und verzehnfachte sich in Indonesien. Vor allem im indonesischen Inselstaat führte die Schließung überschuldeter Banken zu Volksaufständen und Unruhen. Die Regierung des Diktators Suharto stürzte zwar, doch auch seine mehr oder weniger demokratisch gewählten Nachfolger konnten der ruinierten Wirtschaft des Landes keinen neuen Auftrieb geben. Nur Malaysia, wo sich der Autokrat Mahathir gegen den Rat und die Drohung aller westlichen Wirtschaftsexperten die Einmischung des IWFs verbeten hatte und, statt den Kapitalmarkt weiter zu liberalisieren, strikte Kapitalverkehrskontrollen eingeführt hatte, konnte die verheerende Krise besser durchstehen. Anders als von den Finanzexperten des IWF prophezeit, kamen sogar ausländische Investoren in das Land zurück. Drei Monate nach der Finanzkatastrophe konnte Malaysia wieder eine Milliarde Dollar an Auslandsinvestitionen verbuchen. Und lange vor den Nachbarn wies Malaysia wieder Wachstumsraten auf – wenn auch sehr bescheidene. Dort, wo der IWF jedoch sein hartes Regime hatte ausüben können, entstand, so Stiglitz, der Eindruck – den ich teile -, dass der IWF, statt an der Lösung mitzuwirken, selbst zu einem Teil des Problems der Länder geworden war.

Diese Meinung teilen seither immer mehr Wirtschaftswissenschaftler, auch in den USA. So kritisierte der Harvard-Professor Jeffrey Sachs, dass der IWF durch seine Politik der wirtschaftlichen Enthaltsamkeit die Panik in den Tigerstaaten vergrößert und der Region insgesamt mehr geschadet als genutzt habe.

Ehrgeizige Zukunftsvisionen von der Deutschen Bank zum Allfinanzinstitut

Fusionen und Übernahmen haben auch die deutsche Bankenlandschaft verändert. Mit welchem Dilettantismus man hierbei oft ans Werk ging, zeigen die Vorgänge bei der Entstehung der HypoVereinsbank oder der versuchten Fusion zwischen Deutscher Bank und Dresdner Bank. Gleichzeitig rücken öffentlich-rechtliche Banken ins Zwielicht, weil sie zusammen mit Politikern einen wirtschaftlich-politischen Filz bilden, der einerseits den Instituten und ihren Kunden, andererseits aber auch dem Steuerzahler schweren Schaden zufügt. Die Bank steht in Ihrer Wohnung und ist ein sprachgesteuerter Computer. Bis zu 90 Prozent aller Standardgeschäfte werden dann über so ein Gerät abgewickelt. Wenn Sie abends nach Hause kommen, fragen Sie zum Beispiel: Hallo SEB, was gibt’s Neues? Und der Computer antwortet: Sie haben Rechnungen von den Stadtwerken und der Telekom. – Ist mein Konto gedeckt? – Ja. – Okay, dann überweise das Geld.

Mit diesem fiktiven Dialog antwortete SEB-Chef Lars Lundquist in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit auf die Frage, wie eine typische SEB-Filiale im Jahr 2010 aussehen könnte. Visionen vom automatisierten Bankgeschäft haben Konjunktur im deutschen Bankgewerbe: Die größte Industrienation Europas gilt seit langem als overbanked. Rund 43.800 Bankstellen gibt es in Deutschland, dazu kommen noch einmal 12.800 Postbank- Schalter in den Ämtern des gelben Logistikkonzerns. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit knapp sechs Bankfilialen auf 10.000 Einwohnern in der Spitzengruppe. Manfred Weber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, weist immer wieder daraufhin, dass es in Deutschland mehr Bankfilialen als Metzgereien, Bäckereien oder Tankstellen gäbe. Nur in Österreich und der Schweiz ist die Banken dichte noch größer. In den Niederlanden und in Schweden kommen weniger als drei Filialen auf 10.000 Einwohner.

Das in Deutschland vertraute Bild, in jedem Zentrum, an jedem Marktplatz zwei bis drei Bankfilialen zu sehen, soll sich drastisch ändern. Statt Menschen sollen künftig nur noch Automaten die Kunden bedienen. Denn das weitläufige Filialnetz ist ein großer Kostenblock, den die Kreditinstitute kräftig ausdünnen wollen. Und selten war die Stimmung für das Filialsterben besser als jetzt. Der Börsencrash und die zahlreichen Großpleiten wie Kirch, Holzmann und Hetzel schlagen sich in den Bilanzen der Banken nieder. Die Gewinne schrumpfen dramatisch und selbst Großbanken wie die Commerzbank mussten bereits im Jahr 2001 Verluste melden.

Deutschlands Banken und Sparkassen befinden sich in einer schwierigen Situation, warnte gar Bundesbankpräsident Ernst Welteke, 2002 könnte für viele Institute ein kritisches Jahr werden. Der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer mahnte seine Kollegen bereits im Herbst 2001, das Finanzsystem befände sich in höchster Fragilität.3 Für einige der kleineren Geldhäuser kamen diese Warnungen allerdings zu spät. Im Frühjahr 2002 mussten gleich drei Banken dichtmachen, darunter war auch die altehrwürdige Gontard H Metallbank AG in Frankfurt. Andere Pleitekandidaten wie die Schmidt-Bank, die Volksbank Stuttgart und das Sorgenkind der Hauptstadt, die Berliner Bankgesellschaft, konnten gerade noch vor dem Untergang gerettet werden.

In ihrer Not griffen die Banken zu den altbekannten Rezepten, um die Kostenlast zu drücken: Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen. Mehr als 30.000 Stellen sollen in den nächsten Jahren gestrichen werden. Zum Spitzenreiter in dieser Disziplin dürfte wohl die Deutsche Bank aufsteigen: Knapp 13.000 Stellen will der Branchenführer eliminieren. Der neue Chef des Instituts, Josef Ackermann, will damit die Kosten bis 2003 um zwei Milliarden Euro senken. Bei der Commerzbank sollen 4.000 Arbeitsplätze wegfallen und der Beinahe Pleitier, die Berliner Bankgesellschaft, hat den bevorstehenden Abbau von ebenfalls 4.000 Stellen ankündigt. Mit diesen radikalen Einschnitten soll nun endlich nachgeholt werden, was die Banken schon seit Jahren versäumt haben: die gleitende Anpassung ihrer Strukturen an die herrschenden Marktverhältnisse. Schon zu Beginn der 90er Jahre schockte der damalige Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri seine Kollegen mit einem drastischen Vergleich: Die Banken werden die Stahlindustrie von morgen sein. Mitte der vergangenen Dekade warnten dann auch der damalige Commerzbank-Chef Martin Kohlhaussen und der ehemalige Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Hilmar Köpper vor einer Krise durch die Bankenschwemme und forderten einen durchgreifenden Strukturwandel.

Doch das waren damals eher Lippenbekenntnisse, geändert hat sich lange Zeit wenig. Gerade mal 3.000 Filialen wurden in den 90er Jahren geschlossen, die meisten davon waren Zweigstellen von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die Großbanken verschleppten die dringend erforderliche Bereinigung des Marktes, teils aus Angst vor öffentlichem Unmut und Kundenflucht, teils weil sie gerade andere, profitablere Märkte im Auge hatten und deshalb Unruhe im eigenem Haus um jeden Preis vermeiden wollten.

So erklärte Köpper im November 1996 in dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel: Wir selbst haben aber nicht vor, Filialen zu schließen. Wir sind dabei, unsere Standorte umzustrukturieren und besser auf die Kundschaft auszurichten. Das große Filial- sterben wird es bei uns nicht geben.

Neues Jagdrevier Versicherungswesen
Den Großbanken boten sich Ende des vergangenen Jahrhunderts viele Möglichkeiten, ihre Geschäftsfelder zu erweitern: Da lockten zum einen die lukrativen Margen, die sich im Investment Banking mit der Beratung von Konzernen bei großen Kapitaltransaktionen sowie dem Kauf und Verkauf von Unternehmen verdienen ließen. In dieser Sparte hatten die deutschen Banken bis Ende der 80er Jahre jedoch wenig vorzuweisen. Das Milliardengeschäft der feindlichen und freundlichen Übernahmen, der Zerschlagung ganzer Konzerne und der Fusionen wurde traditionell von amerikanischen und britischen Investmenthäusern dominiert. Zum anderen beobachteten die deutschen Geldkonzerne mit Sorge, wie ihre Kunden Ende der 80er Jahre immer mehr Kapital den Versicherungskonzernen als Beiträge für Lebensversicherungen und für die eigene Altersvorsorge zuschoben. Die Versicherungswirtschaft konnte immer größere Summen von Prämiengeldern verwalten.

Deshalb wurden bereits in den 80er Jahren in den deutschen Großbanken Pläne für die so genannten Allfinanzkonzerne geschmiedet. Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich die Zusammenfassung von Versicherungsangeboten und Bankdienstleistungen in einer Hand. Der Kunde sollte bei seiner Bank nicht nur seine Girokonten und sein Sparbuch haben sowie seine Wertpapiere ordern, sondern auch seine Versicherungen abschließen können. Durch eine solche Ausweitung der Finanzdienstleistungen in Richtung Versicherung und Vorsorge wollten die Banken an dem großen Kapitalreservoir teilhaben, das bis dahin nur den Versicherungskonzernen Vorbehalten war.

Doch dieser Markt war nicht einfach zu erobern. Zwar waren die großen deutschen Geldkonzerne – die Deutsche Bank, die Dresdner Bank sowie die beiden kleineren Institute Bayerische Hypobank und Bayerische Vereinsbank – durch gegenseitige Beteiligungen direkt oder über Kreuz mit dem deutschen Versicherungsriesen Allianz und dessen Schwestergesellschaft, der Münchner Rück, verhandelt, doch jetzt ging es um den direkten Einstieg in das Geschäft mit Lebensversicherungen und privater Altersvorsorge. Ein eigenes Engagement in diesem Bereich schien umso lohnender, je offenkundiger die Nöte der gesetzlichen Altersvorsorgekassen und je ungewisser die staatlichen Renten für die nächsten Generationen wurden.

Die Versicherungswirtschaft registrierte die Ambitionen der Banken mit Sorge, wachte sie doch eifersüchtig über ihre Territorien. Ein feindlicher Angriff auf einen größeren Konzern der Branche hätte schwerste Konsequenzen im fein gesponnenen Netzwerk der Deutschland AG, dem undurchdringbaren Dschungel von finanziellen Beteiligungen und personellen Verflechtungen des deutschen Topmanagements, zur Folge gehabt. Jeder branchenfremde Eindringling wäre an dem Versicherungsriesen Allianz gescheitert, der wiederum über Kapitalbeteiligungen und Aufsichtsratsmandate in allen wichtigen deutschen Bank- und Industriekonzernen mitreden kann. Gleichzeitig konnten auch die großen Versicherungskonzerne ihr Interesse an den direkten Kontakten der Banken zu ihren Kunden nicht verbergen. Die Allianz suchte nach kundennahen Vertriebswegen.

So kam Ende der 90er Jahre, als einige Banken ihre Wunschträume in Richtung Allfinanz und Investment Banking umzusetzen begannen, Bewegung in die starre Bankenlandschaft. Dieser Aufbruch ging jedoch nicht ohne Pannen ab. Auch hier boten die deutschen Banken immer wieder Anlass für Heiterkeit und Häme im internationalen Money Business. Ein dilettantischer Ausflug ins Investment Banking: Deutsche Bank und Morgan Grenfell Erste Schritte in Richtung internationales Investment Banking unternahm die Deutsche Bank bereits 1989. Für die damals stattliche Summe von rund einer Milliarde € kaufte das Kreditinstitut unter der Federführung des Vorstandsmitglieds Hilmar Köpper das Londoner Investmenthaus Morgan Grenfell. Doch mit der Integration der Investmentbanker in die Organisation der Muttergesellschaft taten sich die Banker schwer.

Nachdem einige Morgan-Grenfell-Topmanager nach dem Eigentümerwechsel die Firma verlassen hatten, musste sich die Frankfurter Zentrale wohl oder übel auf die Besonderheiten der neuen Mitarbeiter einstellen. Um die ebenso eitlen wie sensiblen Geschäftemacher bei der Stange zu halten und neue Teams anheuern zu können, wurde die Londoner Tochter an der langen Leine geführt. Ihre Spitzenkräfte wurden deutlich besser bezahlt als die Stammbelegschaft in Deutschland, die sich mit dem weniger rentablen Alltagsgeschäft mit Normalverdienern, Handwerksmeistern und mittelständischen Unternehmern abmühen musste. Auch als Vorstandschef der Bank hat Köpper den Sonderstatus der Morgan-Grenfell-Banker immer verteidigt: Die Bezüge sind erfolgsbezogen, und da mag es in einem guten Jahr viele Dutzend geben, die mehr verdienen als ich, sagte der Bankchef im Jahr 1996 im Interview mit dem Magazin Der Spiegel.

Die Gefahr, dass hohe Erfolgsprovisionen auch die Zocker des Gewerbes anlocken und dadurch Kunden und Aktionäre schädigen könnten, spielte Köpper gern herunter: Das größte Risiko ist mangelnde Integrität. Das wissen wir und deswegen haben wir Vorkehrungen getroffen, um mögliche Schäden durch Fehlverhalten von Einzelnen in engen Grenzen zu halten. Unsere internen Kontrollen sind umfassend und sehr streng.

Offenbar waren sie nicht streng genug, denn erst im September 1996 – wenige Wochen vor dem Spiegel-Gespräch, hatte einer der Superstars von Morgan Grenfell, der Investmentbanker Peter Young, mit betrügerischen Aktiengeschäften einen Schaden angerichtet, der die Bank rund 400 Millionen Pfund gekostet hat.

Insider ließen damals keinen Zweifel, dass diese Panne als Krönung der Serie von Patzern und Peinlichkeiten in Köppers Amtszeit zu dessen vorzeitigem Abgang beigetragen, wenn nicht gar den Ausschlag für die Demission gegeben hatte. Denn die Börse hatte den Dilettantismus der Bank im Ausland wie im Inland längst abgestraft: Der Börsenkurs dümpelte bei 40 Euro, der Börsenwert des gesamten Geldkonzerns war geringer als der Substanzwert oder wie Köpper es formulierte: Die Addition von ausgewiesenem Eigenkapital und Reserven nach Steuern lag um einige Milliarden über dem Marktwert. Was den Bankier im November 1996 aber nicht allzu sehr zu beunruhigen schien: Bankaktien waren offenbar nicht der Geschmack des Jahres.

Der damals auch in Deutschland populären Strategie der Optimierung des Shareholder Value schien Köpper plötzlich abgeschworen zu haben: Dieses Kriterium kann nicht im Ernst der alleinige Maßstab für die Bewertung eines Managements sein. Es gibt noch andere Bereiche, um die sich ein Unternehmen kümmern muss: Um Kunden und Mitarbeiter zum Beispiel. Sharehol- der-Value, zu deutsch Wertsteigerung für Aktionäre, wird nur durch eine mittelfristige Optimierung erzielt, nicht durch kurzfristiges, nur auf schnelle Gewinne fixiertes Denken. Den Kurs an der Börse macht nicht das Management. Es schafft nur die Voraussetzungen.

Doch der schlappe Börsenkurs war in jenen Tagen nicht das einzige Problem der Deutschen Bank: Auch in der Öffentlichkeit hatte ihr Ansehen nach den zahlreichen Pleiten gelitten. In der vom Manager Magazin geführten Imagerangliste rutschte Deutschlands Spitzeninstitut von Platz zwei auf Platz 63 ab.

Der Absturz der Börsen in 2001 – detailliertere Information

Immer mehr Betrugsfälle von Unternehmen und Managern, die mit gezielten Falschmeldungen die Aktienkurse in die Höhe trieben, beschäftigen die Gerichte. Doch der Weg durch alle Instanzen ist langwierig und so gibt es noch kein höchstrichterliches Urteil, das dem Schutz der Anleger Nachdruck verleiht. Und das vierte Finanzmarktförderungsgesetz verbessert den Anlegerschutz nur sehr geringfügig.

Ob Anleger nun durch internationale Schuldenkrisen, Pleiten an den deutschen Aktienmärkten oder Bilanzkosmetik krimineller Vorstände um ihr Vermögen gebracht wurden – die geschröpften Investoren beginnen sich zu wehren: Schadensersatzforderungen beschäftigen Anwälte und immer häufiger auch die Gerichte, in vielen Fällen ermitteln aber auch die Staatsanwälte. Vor allem gegen Unternehmen, die am Neuen Markt notiert sind oder waren, versuchen die geprellten Anteilseigner mit Hilfe der Justiz zu ihrem Recht zu kommen.

Die Liste der Firmen, die von Börsenaufsicht, Staatsanwaltschaft und oder von Anlegern verfolgt werden, liest sich wie der Kurszettel des Neuen Marktes – zu seinen besten Zeiten: Gegen das Allgäuer Unternehmen Amatech leitete das Bundesaufsichtsamt für Wertpapierhandel (BAWe) eine so genannte Marktanalyse ein, in der überprüft werden soll, warum das Handelsvolumen der Amatech-Papiere unmittelbar vor der Veröffentlichung der Gewinnwarnung vom 13. März 2002 so stark angestiegen war.

Eine Strafanzeige sowie Schadensersatzforderungen von Anlegern laufen gegen die Software-Firma Biodata. Den Grund lieferte eine Ad-hoc-Mitteilung des Unternehmens vom 24. August 2000, in der das Unternehmen einen Großauftrag aus Australien meldete. Danach sollte die Software-Firma, die sich auf Sicherheitslösungen für den elektronischen Datenverkehr spezialisiert hatte,

6.000 Firewalls gegen monatliche Pauschalen installieren. In der Endstufe bedeutet dies zusätzliche jährliche Umsätze von rund 20 Millionen Euro, erklärte Biodata in der Mitteilung. Doch der Deal wurde nie abgeschlossen. Am 5. Oktober 2001 musste Biodata eine Gewinnwarnung für das dritte Quartal und das gesamte Geschäftsjahr 2001 herausgeben.

Die Münchner Anwaltskanzlei Klaus Rotter hat im Auftrag einiger Anleger im Oktober 2001 Strafanzeige gegen Biodata erstattet, die Begründung: Kursmanipulation und falsche Angaben sowie Verstoß gegen die Publizitätspflicht von Aktiengesellschaften, die kursrelevante Tatsachen unverzüglich, wahrheitsgemäß und vollständig veröffentlichen müssen. Am 23. November 2001 stellte die Firma Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Die Aktie, die im Frühjahr 2000 noch Spitzenwerte von 130 Euro erreicht hatte, wurde im Juli 2002 nur noch mit 0,87 Euro gehandelt und wurde vom Neuen Markt ausgeschlossen.

Absturz der Börsenlieblinge
Bei dem Stuttgarter Spezialisten für Fahrzeugkommunikation und mobile Informationssysteme, der CAA AG, ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Peter Ladwig, der auch Vorstandsmitglied der Stuttgarter Börse ist, wegen Verdacht auf Insiderhandel. Ladwig hatte im Februar 2001 noch 1.000 CAA-Aktien aus seinem Bestand verkauft, am 6. April 2001 gab CAA eine Gewinnwarnung heraus: Der Umsatz im Jahr 2000 werde nicht 27 Millionen € betragen sondern nur 8,5 Millionen €. Der CAA-Oberkontrolleur verteidigte sich gegen den Verdacht auf Insiderhandel mit dem Hinweis, dass er seine Verkaufsabsichten dem BAWe frühzeitig mitgeteilt und außerdem erst im April unmittelbar vor der Gewinnwarnung von der Umsatzkorrektur erfahren habe. Das BAWe erstattete Strafanzeige, daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Auch die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre erstattete Strafanzeige, die sich allerdings gegen die zurückgetretenen Firmengründer, das Ehepaar Hans-Peter Schmidt und Gabriele Müller, richtet. Die Schutzgemeinschaft wirft den ehemaligen Chefs des Unternehmens Kursbetrug, Insiderhandel und Verstoß gegen die Vorschriften für Ad-hoc-Mitteilungen vor. Schmidt und Müller sollen noch im März 2001 jeder 7.500 CAA-Papiere zum Kurs von 28 Euro verkauft haben. Im Mai 2002 war die Aktie nicht einmal mehr einen Euro wert.

Arbeit für den Staatsanwalt gibt es auch bei dem insolventen Bielefelder Softwareproduzenten Ceyoniq AG. Den Vorständen des Spezialisten für Archivierungssoftware wird vorgeworfen, Lizenzverträge in der Höhe von vier Millionen Euro gefälscht zu haben. Die Firma soll Forderungen für die manipulierten Lizenzverträge gegenüber Kunden an eine Bank verkauft haben. Jürgen Brintrup und Thomas Wenzke wurden wegen Betrugsverdachts in Untersuchungshaft genommen. Noch im August 2001 hatte die Firma ihr neues Verwaltungsgebäude in Bielefeld bezogen, 14 Millionen Euro hatte der Firmensitz gekostet. Im Geschäftsjahr 2001 hatte das Unternehmen, das am Neuen Markt notiert ist, allein Verluste in Höhe von 90 Millionen Euro angehäuft, im Jahr 2000 gab es noch einen Gewinn von 8,7 Millionen Euro. Am 12. April 2002 musste die Firma, die weltweit 850 Mitarbeiter beschäftigte, das Insolvenzverfahren beantragen. Die Aktie war von einem Höchststand von 35 Euro im Sommer 2000 auf 0,022 Euro Mitte Juli 2002 gefallen. Am 14. Juli wurde sie vom Neuen Markt verbannt. Für die Anleger ein Totalverlust.

Gegen den Discount-Broker Consors wurden im Dezember 2001 beim Landgericht Nürnberg zwei Schadensersatzklagen über insgesamt 600.000 € eingereicht. Darin wird dem Discount-Broker vorgeworfen, zwei Kleinanlegern Wertpapierkredite eingeräumt zu haben, ohne sie über die besonderen Risiken informiert zu haben.

Der Gießener Rechtsanwalt Claus Schmidt, der die beiden Anleger vertritt, sieht darin einen Verstoß gegen Paragraph 31 des Wertpapierhandelsgesetzes. Consors sei bei der Vergabe von Wertpapierkrediten den Informationspflichten, die Wertpapierdienstleister gegenüber Kunden haben, nicht nachgekommen. Consors berufe sich dabei nach Angaben des Anwalts auf den so genannten Beratungsausschluss für Discount-Broker. Anwalt Schmidt verwies darauf, dass nur Vermittlungsgeschäfte von der Informationspflicht ausgenommen seien, nicht aber direkt vergebene Wertpapierkredite.

Betrugsverdacht bei Intershop
Gegen den einstigen Börsenliebling Intershop AG ermittelt der Staatsanwalt – die Softwarefirma soll gegen die gesetzlich vorgeschriebene Meldepflicht verstoßen haben. Gegen den Unternehmenschef Stephan Schambach läuft zudem ein Ermittlungsverfahren wegen Kurs- und Prospektbetrug. Untersucht werden die Vorgänge um die Gewinn- und Umsatzwarnung, die in der Nacht zum 2. Januar 2001 herausgegeben wurde. Darin reduzierte Intershop die Umsatz- und Ertragserwartungen für das vierte Quartal 2000. Gemäß der vorläufigen und ungeprüften Quartalsergebnisse wird jetzt ein Umsatz zwischen 28 und 30 Millionen Euro sowie ein Nettoverlust zwischen 30 und 32 Millionen Euro erwartet. Dies entspricht einem Nettoverlust je Aktie zwischen 0,36 und 0,38 Euro.

Die Meldung löste einen Kurssturz aus – vor allem in den USA, dort fiel das Papier von 15 Dollar auf unter fünf Dollar. Die Rechtsanwaltskanzlei Tilp Et Kälberer, die Anleger vertritt, wirft dem Management von Intershop vor, die Anleger zu spät über die Situation bei Intershop informiert zu haben. Außerdem sei eine Ad-hoc-Mitteilung vom Oktober 2000 nicht vollständig gewesen. Die Münchner Kanzlei Rotter geht über eine New Yorker Partner- Kanzlei gegen Intershop in den USA vor.

Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel, das die Vorgänge zunächst auch wegen des Verdachts auf Insiderhandel untersucht hatte, konnte bei einer ersten Prüfung kein gesetzwidriges Verhalten feststellen, doch eine weitere Prüfung verstärkte den Verdacht auf Verstoß gegen die Publizitätspflicht. Der Fall wurde schließlich an die Hamburger Staatsanwaltschaft weitergereicht. Dort werden auch zwei der vier bereits eingegangenen Strafanzeigen bearbeitet, die anderen beiden wurden an die Staatsanwaltschaft in Gera weitergeleitet.

Falsches Spiel mit dem Moorhuhn
Der Moorhuhn-Erfinder Phenomedia ist ebenfalls ins Visier von Staatsanwaltschaft und BAWe geraten. Der Quartalsbericht der Gesellschaft zum 30. September 2001 sowie der vorläufige Jahresabschluss 2001 sollen unrichtig sein. Dies erklärten die Erfinder eines der populärsten Computerspiele im April 2002 ihren Anlegern in einer Pflichtmitteilung. Noch am 27. März hatte Phenomedia eine Umsatzsteigerung von 58 Prozent auf 25,8 Millionen Euro für das zurückliegende Geschäftsjahr gemeldet. Das Ergebnis vor Steuern – so hatte die Firma gewarnt – würde mit 1,6 Millionen Euro (Voijahr: 6,2 Mio Euro) hinter den Erwartungen zurückbleiben. Schuld an dem Gewinnrückgang seien Zahlungsausfälle von zwei Kunden und Verzögerungen bei der Entwicklung neuer Spiele. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre vermutet indes, dass der Münchner Telematikanbieter nicht existierende Geschäfte verbucht und dadurch fast den kompletten Umsatz für 2001 nur vorgetäuscht habe.

Als Folge der Korrekturen vom April sackte der Kurs der Aktie zeitweise um mehr als 65 Prozent auf ein Rekordtief von 0,85 Euro ab. Nachdem das Moorhuhn-Papier bereits in den acht Wochen vor Bekanntgabe der Bilanzmanipulationen rund 93 Prozent seines Wertes verloren hatte, ohne dass es dafür nachvollziehbare Gründe gegeben hätte, ging das BAWe einem Verdacht auf Insiderhandel nach.

Der Vorstandsvorsitzende Markus Scheer, der im April 2002 seines Amtes enthoben wurde, ist auch Großaktionär des Unternehmens. Vor dem Börsendebüt am 22. November 1999 hatte Scheer noch einen Anteil von 5,45 Prozent an der Phenomedia AG. Doch Ende 2001 hatte er mitgeteilt, dass er seinen Bestand verringert habe: Am 5. Dezember 2001 verkaufte er 38.500 Aktien im Wert von 548.625 Euro. Am 19. Dezember 2001 wurden 174.286 Anteile im Gesamtwert von 1.864.860 Euro veräußert.

Die Aktie von Phenomedia war am 22. November 1999 zu einem Ausgabepreis von 22,50 Euro am Neuen Markt platziert worden. Zum Konsortium, das den Börsengang vorbereitet und begleitet hatte, gehörten Delbrück ft Co. Privatbankiers, Dresdner Bank AG, net.IPO AG, Westdeutsche Genossenschafts-Zentrale eG und die Gontard ft Metallbank, die die Führung des Konsortiums übernommen hatte. Bei der Zuteilung wurden die Anteilseigner von Gontard ft Metallbank, die Aktionäre der Goltlzack AG bevorzugt, sie erhielten 250.000 Aktien. Weitere 100.000 Papiere wurden an Geschäftsfreunde der Moorhuhn-AG verteilt. Im April 2002 meldete Phenomedia Konkurs an.

Unruhiger Alterssitz: die Refugium-Pleite
Phenomedia ist allerdings nicht der einzige Pleitefall unter den Firmen, die die mittlerweile insolvente Gontard ft Metallbank aufs Börsenparkett gebracht hatte. Auch die Refugium Betriebsmanagement GmbH, die als Holdinggesellschaft bundesweit 57 Seniorenheime mit 6.000 Betten betreibt, musste bereits Insolvenz anmelden. Vor dem Landgericht Bonn mussten sich zudem vier ehemalige Vorstände wegen Verdachts auf Bilanzfälschung verantworten. Die Refugium Holding hatte sie auf über zwölf Millionen Euro (23,4 Millionen €) Schadensersatz verklagt. Zudem ermittelte die Bonner Staatsanwaltschaft gegen den Chef der Gontard ft Metallbank, Lothar Mark, wegen des Verdachts auf Insiderhandel mit Refugium-Aktien. Die Aktie des Unternehmens notierte zum Zeitpunkt des Insolvenzantrages unter einem Euro. Bei der Börseneinführung am 18. März 1999 waren die Papiere noch rund 40 Euro wert gewesen.

Insolvenz bei SER Systems und Sunburst Merchandising
Gegen den Softwareanbieter SER Systems haben Kleinaktionärsschützer Strafanzeige gestellt und eine Sonderprüfung beantragt. Die Vorwürfe lauten auf Untreue, Insolvenzverschleppung und betrügerischen Konkurs. Im Kern geht es um den Verkauf der US- Tochtergesellschaften des nach eigenen Angaben fünftgrößten deutschen Softwareanbieters an die amerikanische Firma KES Acquisitions, an der der ehemalige Vorstandschef von SER, Carl Mergele, beteiligt sein soll. Als Kaufpreis sollen 20 Millionen US- Dollar vereinbart worden sein. Doch im Notarvertrag wurden nur 50.000 Euro ausgewiesen. Überdies war die Veräußerung von Tochtergesellschaften und Vermögensteilen der CER per einstweiliger Verfügung vom Landgericht Koblenz untersagt worden, weil die Finanzlage der Firma schon länger sehr angespannt war.

Dennoch hatte der SER-Vorstand in einer Ad-hoc-Meldung am 12. Juni 2002 den Verkauf der US-Töchter bekannt gegeben. Daraufhin haben die Banken ihre Kreditlinien gekündigt. Als dann noch der US-Käufer der dringenden Bitte um Zahlung des Kaufpreises nicht nachgekommen sei, mussten die SER Systems AG und die SER SoftTech GmbH Anfang Juli 2002 Insolvenzantrag stellen.

Zahlungsunfähig ist seit November des Jahres 2001 auch der Lizenzrechtehändler Sunburst Merchandising AG. Der einstige Überflieger am Neuen Markt hat 25 Mitarbeiter beschäftigt und mit seinen Geschäften Schulden von 40 Millionen Euro aufgetürmt. Die Aktionäre des Unternehmens, das Comicfiguren und Devotionalien vermarktet hat, müssen einen Wertverlust von 95 Prozent verzeichnen.

Gegen den Firmengründerund ehemaligen Vorstandschef Hero Alting ermitteln Staatsanwaltschaft und BAWe wegen Betrugsverdacht und Insidergeschäften. Der frühere Sunburst-Chef soll unmittelbar vor einer Gewinnwarnung in großem Stil Aktien verkauft haben. Obendrein wird ihm vorgeworfen, Bilanzen und Ad- hoc-Mitteilungen gefälscht zu haben. Die Münchner Rechtsanwaltskanzlei Rotter hat im Auftrag von 25 Anlegern der mittlerweile insolventen Sunburst Merchandising AG Strafanzeige gegen die Firma erstattet – wegen falscher Darstellung der Unternehmenssituation.

Spektakuläre Bilanzfälschungen bei Comroad
Für einen der größten Skandale sorgte im Frühjahr 2002 der Telematikanbieter Comroad. Das einstige Vorzeigeuntemehmen, das sogar im Nemax 50 notierte, hat in großem Stil seine Bilanzen gefälscht. Statt eines Umsatzes von 93,6 Millionen Euro, wie der Gründer und Vorstandschef Bodo Schnabel noch am 15. Januar 2002 gemeldet hatte, erzielte Comroad im Jahr 2001 nur 1,3 Millionen Euro Umsatz. Mehr als 98 Prozent der gemeldeten Geschäftstätigkeit waren Luftbuchungen, also Scheingeschäfte mit Partnern, die es nicht gab. Schnabel wurde bereits Ende März 2002 in Untersuchungshaft genommen. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Kursbetrug, Bilanzfälschung – auch gegen Schnabels Ehefrau, die der Beihilfe bezichtigt wird. Das Ehepaar besitzt noch immer die Mehrheit an dem Unternehmen und Frau Schnabel ist Mitglied des Aufsichtsrats.

Die Wirtschaftsprüfer der Gesellschaft Rödl Et Partner wurden mit einem Sondergutachten beauftragt, das auf die Jahre 1996 bis 2000 ausgeweitet wurde. In die Kritik ist jedoch auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG geraten, die Comroad seit 1997 geprüft hatte, sich aber erst im Februar 2002 geweigert hatte, den Geschäftsbericht für 2001 zu testieren. Das Mandat wurde damit niedergelegt.

An der Börse wurden diese Enthüllungen mit großem Entsetzen aufgenommen. Der Fondsmanager vom Bankhaus Sal. Oppenheim, Peter Guntermann sagte daraufhin: Ich frage mich, was die Prüfer heutzutage machen. Das Unternehmen ist seit ein paar Jahren an der Börse; es hat Ergebnisse veröffentlicht, die vermutlich ebenfalls falsch sind, und die sind alle von den Prüfern testiert worden.

Aktionärsschützer halten die Bilanzmanipulationen bei Comroad für den schwersten Betrugsfall in der Geschichte des Neuen Marktes. So etwas Krasses habe ich noch nie erlebt, sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz gegenüber dem Manager-Magazin-Online. Klaus Nieding von der DSW forderte Schadensersatz für die Anleger. Bei Comroad müsse von der vorsätzlichen Verbreitung falscher Tatsachen ausgegangen werden. Deshalb müsste die Schadensersatzpflicht aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) angewendet werden.

Mittlerweile hat auch das BAWe eine Voruntersuchung wegen Verdachts auf Insiderhandel begonnen. Unmittelbar vor der Ad- hoc-Mitteilung vom 20. Februar 2002, als Comroad melden musste, dass die Wirtschaftsprüfer von KPMG ihr Mandat abgegeben haben, sollen auffällig viele Aktien verkauft worden sein.‘ Der Kurs der Comroad-Aktien, die im November 1999 von der Privatbank Hauck ft Aufhäuser und Concord Effekten zu 20,50 Euro an die Börse gebracht worden waren, notierten im April 2002 bei 0,30 Euro.

Auch Vertreter der Old Economy geraten unter Verdacht
Doch nicht nur die Wackelkandidaten am Neuen Markt werden von wütenden Anlegern und ihren Schutzgemeinschaften verfolgt, selbst Großunternehmen wie die Deutsche Telekom oder DaimlerChrysler wollen die frustrierten Aktionäre vor den Kadi zerren. Bei der Deutschen Telekom klagen Rechtsanwälte im Auftrag frustrierter Volksaktionäre wegen Bilanzmanipulation und Kursbetrug durch die Überbewertung des Immobilienbesitzes der größten europäischen Telekommunikationsgesellschaft. Gegen DaimlerChrysler sind Verfahren wegen der Fusion mit dem US-Autokonzern anhängig. Weil das Zusammengehen der beiden Unternehmen in der Öffentlichkeit zwar als Fusion unter Gleichen dargestellt, tatsächlich aber von DaimlerChiysler-Chef Jürgen Schrempp in Form einer Übernahme durchgezogen wurde, fühlt sich der Chrysler-Großaktionär Kerk Kerkorian getäuscht und verlangt Schadensersatz in Milliardenhöhe.

Für neue Aufregung und Turbulenzen an der Börse sorgte im Juli 2002 der Finanzdienstleister MLP, der erst vor wenigen Monaten in die Oberliga des deutschen Aktienmarktes, den DAX, aufgenommen worden war. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Bilanzfälschung und ließ die Büros der Firma filzen. Körbeweise schleppten die Beamten die Akten aus den Kontoren. Sollte sich der Verdacht bestätigen,werden auch die MLP-Anleger auf Entschädigung dringen, denn das Papier der einstigen Börsenrakete steht schon seit langem unter Druck und von dem Höchststand von 167 Euro im Spätsommer 2000 waren am 24 Juli 2002, dem Tag nach der Razzia, gerade mal 18,60 Euro übrig geblieben.

Wie gewinnen die Banken Geld in der Krisen – zusätzliche Information

Ob Lateinamerika, Afrika, Asien oder Russland – mit Hilfe der internationalen Banken wurden viele Staaten der Dritten Welt und Schwellenländer in eine ausweglose Schuldenfalle gelockt und dann von gewissenlosen Spekulanten auf den internationalen Kapitalmärkten in den Ruin getrieben. Die schweren Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs muss die Bevölkerung tragen, die globale Finanzindustrie verdient immer – an den Zinsen für Staatsanleihen und Kredite, an Umschuldungsaktionen und am Wiederaufbau der zerstörten Strukturen.

Am 15. Juni 2001 schob sich ein Zug von 1.100 Demonstranten durch das Frankfurter Bankenviertel. Auf ihren Transparenten standen Sätze wie zehn Gebote auch für Banken und Freie Menschen sind wichtiger als freie Märkte. Andere Spruchbänder forderten den Schuldenerlass für die Dritte Welt und die Besteuerung von Devisentransaktionen. Vor dem Portal der deutschen Börse zeigten die Teilnehmer, größtenteils Kirchentagsbesucher, Gewerkschafter und Studenten, ein Goldenes Kalb, das über Leichen ging. Vor den Türmen der Deutschen Bank brannten die Teilnehmer des Marsches, der unter dem Motto Die Macht des Geldes durchkreuzen stand, Löcher in Geldscheine, um den Zinsanteil zu markieren.

Auf der Kundgebung vor den Türmen des mächtigsten deutschen Bankkonzerns appellierte die Theologin Dorothee Solle an die Zuhörer sich einer neuen, großen antikapitalistischen Bewegung anzuschließen. Das Geld töte mehr Kinder als durch Kriege umkommen, erklärte die Rednerin. Die Verantwortung für die Schwächeren sei mit dem Neoliberalismus immer stärker zurückgedrängt worden. Die Ökonomie herrsche immer totalitärer, nur sei sie dabei viel geschickter, netter, softer als frühere Systeme mit Absolutheitsanspruch‘, warnte Solle die Zuhörer, die dem Aufruf der Initiative Kirche von unten, Pax Christi Limburg, des DGB Frankfurt und der Initiative Ordensleute für den Frieden gefolgt waren.

Im Rückblick war der Auftritt der Kirchentagsbesucher im Frankfurter Bankenviertel nur eine von vielen Aktionen, mit denen vorwiegend junge Menschen, Studenten und Arbeiter, aber auch Gewerkschafter und Hausfrauen begannen, sich gegen die bedingungslosen Globalisierungsstrategien von Finanzgiganten und Industriekonzernen zur Wehr setzten. Damit wollten sie auf das Elend, das die Finanzkonzerne der Ersten Welt in den Entwicklungsländern angerichtet hatten, aufmerksam machen. Begonnen hatte die Demonstration des kollektiven Unmuts gegen die Allmacht der westlichen Finanzinstitutionen allerdings schon früher. Im November des Jahres 1999, während der Beratungen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle, sollte die totale Liberalisierung aller Märkte beschlossen und freier Handel zwischen allen Staaten der Welt vereinbart werden. Doch es kam ganz anders. 50.000 Menschen aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und unterschiedlicher Nationalitäten demonstrierten während dieser Veranstaltung gegen die Globalisierungspolitik der westlichen Industriestaaten. Fasziniert verfolgten Millionen von Fernsehzuschauern dieselben Bilder: Die Protestbewegung, der amerikanische Gewerkschaftler, mexikanische Saisonarbeiter, Pazifisten, Umweltschützer, Studenten und Hausfrauen angehörten, sperrte mit Straßenblockaden und Menschenketten den Zugang zu dem Kongresszentrum ab und störte den Ablauf der Milleniumsveranstaltung nachhaltig.

Dieser unerwartete Ansturm, die schiere Größe der Protestbewegung überforderte alle: Die Veranstalter, die auf einen derartigen Auflauf von protestierenden Menschen nicht vorbereitet waren; die Polizeikräfte, die vor dem Chaos, das die Straßensperren der Demonstranten verursachten, schließlich kapitulierten und auch die amerikanischen und internationalen Medien. Journalisten aus aller Welt, die über den Durchbruch des Freihandels und seinen Segnungen für alle Erdenbürger berichten sollten, sahen sich plötzlich einer Massenbewegung gegenüber, von deren Existenz und Anliegen die meisten der Berichterstatter nichts mit bekommen hatten.

Die Konferenz wurde schließlich ohne Ergebnis abgebrochen. An dem vorzeitigen Ende waren allerdings nicht die Demonstranten Schuld, wie die US-Regierung zunächst behauptete, sondern die Teilnehmerstaaten selbst, weil sie sich nicht einigen konnten. Weder die USA noch die Europäer waren bereit, die totale Marktöffnung, die sie von Entwicklungsländern und Schwellenstaaten bedingungslos forderten, auch im eigenen Land umzusetzen. Die Industriestaaten konnten sich nicht über die Subventionen an ihre Bauern einigen und die Franzosen wollten ihre Filmindustrie nicht dem gnadenlosen Wettbewerb mit Hollywood ausliefern. Aber auch die Entwicklungsländer bestanden auf Änderungen des WTO-Abkommens. Dennoch war mit Seattle ein Durchbruch geschafft – ein ganz anderer allerdings, als ihn sich die Regierungen, Konzerne und internationalen Institutionen der westlichen Welt vorgestellt hatten. Die Anhänger der Globalisierung werden ihre Gegner nicht mehr los: Im Januar 2000 demonstrierten 1.000 Menschen beim Weltwirtschaftsforum im beschaulichen Schweizer Skiort Davos. Im April 2000 versammelten sich in Washington 20.000 Globalisierungsgegner während der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds vor den Gebäuden dieser beiden Institute, deren Politik in den vergangenen Jahren das Elend in den Schwellenländern und Entwicklungsländern erst noch verschärft hatte.

9.000 Demonstranten trafen sich im September 2000 während der Herbsttagung von IWF und Weltbank in Prag. 60.000 Menschen protestierten beim Treffen der EU-Regierungschefs in Nizza gegen die fortschreitende Liberalisierung in Europa, 20.000 beim EU-Gipfel im schwedischen Göteborg. Der bisherige Höhepunkt der Protestbewegung gegen die Globalisierung wurde im Juli 2001 in Genua erreicht: 200.000 Demonstranten protestierten in der norditalienischen Hafenstadt beim Treffen der Regierungschefs der acht wichtigsten Industriestaaten dieser Welt, zu denen neben den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Japan auch Russland gehört.

Trotz zunehmender Gewalttätigkeit kleinerer militanter Gruppen, die die Ziele der Massenbewegung für heftige Scharmützel mit Polizei und Ordnungshütern missbrauchten, war den Regierungen der westlichen Industriestaaten spätestens seit Genua klar geworden, dass sie sich mit den Anliegen der Globalisierungsgegner, die sich unter dem Dach der Attac zusammengefunden haben, auseinander setzen müssen. Der Name ist ein französisches Kürzel und steht für Association pour une Taxation des Transactions Financieres pour TAide aux Citoyens, zu deutsch eine Vereinigung zur Besteuerung der Finanztransaktionen zum Nutzen der Bürger.

Der Name ist Programm und weist auf die eigentlichen Verursacher von Armut und Elend in vielen Staaten dieser Welt hin: Die internationalen Finanzkonzerne, die mit ihren gigantischen Kapitalströmen die in Jahrzehnten mühsam errungenen Erfolge in der Wirtschaftsentwicklung und Armutsbekämpfung vernichtet und viele Staaten in Lateinamerika und Asien in den Staatsbankrott getrieben haben. Das erste Opfer dieser maßlosen Spekulationswelle wurde Anfang der 80er Jahre Mexiko.

Die Opfer der internationalen Finanzkrise von 2001 – detailliertere Information

Der Weg zum Schadensersatz ist gerade für die neuen Börseninvestoren mit bescheidenen Mitteln und Möglichkeiten sehr lang und dornig. Wer ein Auto kauft und merkt, dass es statt der vom Hersteller angegebenen 180 nur 120 PS hat, kann es zurückgeben. Wer aber die Aktie einer Firma kauft, die einen Gewinn von 600 Millionen € angekündigt hat und dann 2,6 Milliarden € Verlust erwirtschaftet, hat kaum eine Chance, sein Geld wiederzubekommen, stellte Der Spiegel im Juni 2001 fest. So dauert es Monate bis Jahre ehe überhaupt gegen ein Unternehmen vorgegangen werden kann. Vor allem wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt, was je nach Ausgang der Untersuchung die Chancen der Privatanleger auf Entschädigung erhöht, vergehen Jahre, bis tatsächlich etwas passiert. Mühsam müssen Anwälte und Ermittlungsbeamte das Beweismaterial zusammenstellen. Und dann müssen die zuständigen Richter Zeit finden, sich der komplizierten Materie zu widmen. So wundert es wenig, dass es trotz der großen Welle von anhängigen Klagen nach Auskunft der Münchner Anwaltskanzlei Rotter noch in keinem Fall ein endgültiges Urteil zugunsten eines Aktionärs gibt.

Wie stockend die Mühlen der Justiz mahlen, zeigen die Verfahren, die Anleger gegen EM.TV, Infomatec und den Seniorenheim- Betreiber Refugium angestrengt hatten. Allein vier Klagen gegen den Geldvernichter EM.TV, bei denen es insgesamt um eine Schadenssumme von mehr als zwei Millionen € ging, wurden von den zuständigen Gerichten abgewiesen. Die Richter des Landgerichts München konnten die Kausalität zwischen falschen oder übertriebenen Jubelmeldungen und dem Kauf der Aktien durch die Anleger nicht zu erkennen. Im Klartext: Sie hielten es nicht für erwiesen, dass der Kläger erst aufgrund der geschönten Meldungen zum Kauf der Papiere animiert worden sei. Mit dieser Begründung wurden auch zwei Verfahren gegen den Seniorenheim- Betreiber Refugium niedergeschlagen.

In beiden Fällen hatte die Schutzvereinigung der Kleinanleger für insgesamt 15 Mitglieder des Vereins, die eine Schadenssumme von mehr 230.000 € zurückforderten, vor dem Landgericht Bonn geklagt. Von den insgesamt neun Verfahren, die gegen die Softwarefirma Infomatec und ihre Gründer angestrengt wurden, wurden vier – drei vom Landgericht Augsburg, eines vom Landgericht München – abgewiesen. Auch hier vermissten die Richter den schlüssigen Beweis, dass die Jubelmeldungen über Großaufträge den entscheidenden Ausschlag für den Aktienkauf gegeben hätten. Immer wieder vertraten die Gerichte die Ansicht, dass die Ad-hoc-Meldungen ausschließlich für Analysten und andere professionelle Börsen-Anleger verfasst würden, die dann auch wüssten, wie sie die Inhalte der Mitteilungen zu interpretieren hätten.

Bei dieser Misserfolgsquote war es ein spektakuläres Ereignis, als die 6. Kammer des Augsburger Landgerichts im August 2001 dem Infomatec-Anleger Frank P den vollen Schadensersatz von knapp 100.000 € zusprach. P, der von der Kanzlei Rotter vertreten wurde, konnte mit Hilfe von Zeugen klar darlegen, dass die Firma wider besseren Wissens und gegen die Warnung von Mitarbeitern, die Jubelmeldung verfasst hatte. Zudem konnte er sich als einen gewissenhaften Anleger darstellen, der auch bei seinen vorangegangenen Börseninvestments deutlich gezeigt hatte, dass er nicht auf die schnelle Mark aus war, sondern langfristige Anlagen bevorzugte.
Doch auch dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die beklagten Infomatec-Gründer Gerhard Harlos und Alexander Häfele legten Berufung gegen das Urteil ein und beantragten eine Revision. Darüber wird im Oktober 2002 vom Oberlandesgericht München entscheiden. Sollte sein Mandant in diesem Verfahren unterliegen, will Anwalt Rotter mit dem Fall zum Bundesgerichtshof gehen. Rotter: Wir brauchen auch bei Kursanlagebetrug und falschen Ad-hoc-Meldungen endlich eine höchstrichterliche Entscheidung.

Gleiches Recht für alle?
Ein anderer Kläger, den Rotter im Fall Infomatec vertreten hatte, kam indes mit seiner Forderung nicht zum Zuge. Der Fernsehtechniker Adam E. hatte einen verhängnisvollen Fehler begangen. Er hatte – als die Kursmanipulationen der Infomatec-Gründer offenkundig wurden und der Kurs abzustürzen begann – von den beiden Chefs des Softwareanbieters weitere Aktien als Entschädigung für die Vermögenseinbuße gefordert. Dies nahmen der Richter als Beweis für das große Interesse des Aktionärs an den Zocker-Papieren und unterstellten dem geprellten Kläger, dass er eigentlich nur Profit aus dem Fall schlagen wolle.

Für Verwirrung unter den Kleinanlegern sorgte auch ein Urteil der 6. Zivilkammer des Augsburger Landgerichts vom Januar 2002, in dem die Schadensersatzforderungen gegen Infomatec von vier Klägern abgewiesen wurden. Nach Ansicht des Gerichts sei den beiden Infomatec-Chefs Harlos und Häfele kein vorsätzliches Fehlverhalten nachzuweisen.

Der Kanzlei Rotter gelang es aber für ihre Mandanten knapp eine Milliarde € aus dem Vermögen der Infomatec-Gründer ein- frieren zu lassen und mittels vier Arreste der Verfügungsgewalt der Herren Häfele und Harlos zu entziehen. Auf diese Weise wurde auch der Geldanspruch abgesichert, den der Infomatec-Kläger P. erstritten hatte, aber bis zur endgültigen Entscheidung nur gegen Sicherheitsleistung hätte vollstrecken können.

Auch die Hoffnungen, die bei den Anlegern geweckt wurden durch die Entscheidungen der Staatsanwaltschaften in Augsburg und München, gegen die Infomatec-Gründer Harlos und Häfele sowie die EM.TV-Pioniere Thomas und Florian Haffa Anklage zu erheben, erfüllten sich nicht. Nach mehr als zweijähriger Ermittlungsarbeit hat die Staatsanwaltschaft Augsburg im Mai 2002 gegen die Infomatec-Manager Anklage erhoben – wegen Kapitalanlage- und Kursbetrug sowie Verstoß gegen das Insiderverbot.

Im Fall EM.TV hat die zuständige Richterin der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München I, Huberta Knöringer, die bereits im November 2001 eingereichte Anklage der Staatsanwaltschaft gegen die Brüder Thomas und Florian Haffa in vollem Umfang zur Hauptverhandlung zugelassen. Auch bei diesem Prozess geht es um Kapitalanlage- und Kursbetrug sowie Insider- handel. Zwar verurteilte Richterin Knöringer die Brüder zu Geldstrafen; Thomas Haffa sollte 1,2 Millionen Euro zahlen, sein Bruder Florian 240 000 Euro. Doch die Anleger gingen leer aus. Die Brüder legten gegen das Urteil Berufung ein.

Mit welchen Zeiträumen geprellte Anleger rechnen müssen, zeigt das Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall der Immobiliengeschäfte der früheren Bayrischen Hypobank. Die Kläger, ein Münchner Ehepaar, die jetzt vor dem BGH obsiegt haben, hatten die überteuerte Wohnung mit Hilfe von Hypobank-Krediten bereits 1993 erworben und gleich danach versucht, das Geschäft, das ihnen von einem Mitarbeiter eines Strukturvertriebs im Auftrag der Hypobank vermittelt worden war, wieder rückgängig zu machen. Doch erst nach neun Jahren erbitterter Auseinandersetzung und nach Ausschöpfen aller juristischen Instanzen sind sie ihrem Ziel näher gekommen. Jetzt können sie mit der Nachfolgerin der Hypobank, der HypoVereinsbank, über die Modalitäten der Rückabwicklung streiten.

Der lange Weg zur Entschädigung
Anleger, die Anleihen gekauft haben, stehen in der Regel etwas besser da als Aktionäre. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zählen sie zu den Gläubigern, die, solange noch Vermögenswerte vorhanden sind, wenigstens auf die Rückzahlung eines Teil ihres Investments hoffen dürfen. Wenn der Anleihenemittent völlig Pleite ist, müssen allerdings auch sie mit erheblichen Einbußen bis hin zum Totalverlust rechnen. Dieser Abschlag heißt im Börsenjargon Haircut.

Doch auch hier brauchen die Investoren oft einen langen Atem und einen versierten Rechtsanwalt. In den meisten Fällen müssen sich die Anleger mit den Banken auseinander setzen, die ihnen diese Wertpapiere verkauft haben. So haben Investoren, die bei der Commerzbank und der Dresdner Bank Anleihen des niederländischen Flugzeugherstellers Fokker gezeichnet hatten, sogar den Rechtsweg bis zum Bundesgerichtshof ausschöpfen müssen. Im Jahr 1996, nach der Pleite des Flugzeugbauers, der wenige Jahre zuvor von der DaimlerChrysler-Tochter DASA übernommen worden war, waren auch ihre Wertpapiere ein Totalausfall. Doch weil die Banken es versäumt hatten, den Anlegern, die nach Geldanlagen für die Altersvorsorge gefragt hatten, die großen Risiken dieser hochverzinsten Investments klar zu machen, müssen sie ihren Kunden Schadensersatz zahlen.

So entschied auch das Berliner Kammergericht in zweiter Instanz im Falle eines Rentners, dem die Landesbank Berlin statt sicherer Rentenpapiere Aktienanleihen aufgeschwatzt hatte. Diese riskanten Anlageformen, die eine Kombination von Anleihen und Aktienoptionen darstellen, waren bei vielen Anlegern sehr beliebt: Sie boten Zinsen von bis zu 20 Prozent. Doch viele Privatinvestoren vergaßen dabei offensichtlich, dass hohe Zinsen immer auch hohe Risiken beinhalten. Als bei Fälligkeit statt Geld Aktien in ihre Depots gelegt wurden, waren viele unbedarfte Anleger schlicht wütend. Doch auch in diesen Fällen gilt: Nur wer nach- weisen kann, dass die Bank beim Verkauf der Papiere nicht ausreichend über die Risiken hingewiesen hat, kann auf Entschädigung hoffen. Anlegerschützer wollen durchsetzen, dass die Käufer von Aktienanleihen schriftlich über die Risiken belehrt werden müssen.

Die Opfer der internationalen Finanzkrisen
Auch bei den internationalen Finanzkrisen mussten viele Anleger, die Anleihen von Schwellenstaaten in Asien und Lateinamerika gezeichnet hatten, tüchtig Federn lassen. Vor allem die Argentinien-Krise dürfte für viele Privatanleger zu einem Debakel werden, denn die argentinische Regierung hat sich vor allem über Anleihen Geld an den internationalen Kapitalmärkten beschafft. Mehr als 70 Prozent des Schuldenbergs von 142 Milliarden Dollar wurden als Bonds ausgegeben – über die internationalen Großbanken. Seit die argentinische Regierung den Schuldendienst eingestellt hat, werden diese Obligationen – wenn überhaupt – mit einem Abschlag von 80 Prozent gehandelt. Im Klartext bedeutet dieser Haircut, dass die Anleger bestenfalls 20 Prozent ihres Investment zurückbekommen, wenn sie einen Käufer für diese Papiere finden.

Der Anlegerschutzverein DSW hat bereits eine Arbeitsgruppe gegründet, um die Interessen der geschröpften Investoren zu vertreten. Daneben hat sich auch die Interessengemeinschaft Argentinien – the first German Society of Bondholders gebildet, die unter der Leitung des Vereinsgründers Stefan Engelsberger mit Hilfe der Anwaltskanzlei Rotter versuchen will, den argentinischen Staat zur vollständigen Rückzahlung seiner Schulden zu zwingen.

Auf die Hilfe der deutschen Banken – allen voran der Deutschen Bank – wollen Engelsberger und Co. lieber verzichten. Sie fürchten, dass die Großbank vor allem die eigenen Interessen im Auge hat und nur zu gern einer Umschuldung zustimmen würde, auch wenn dabei die alten Bondholder kräftig geschoren werden. Die Bank verdient schließlich glänzend an solchen Kreditgeschäften. Da wunderte es Engelsberger und Anwalt Rotter auch nicht, dass sie bei einem Besuch im Büro des leitenden Angestellten in der argentinischen Vertretung in Washington eine Einladung der Deutschen Bank zu einem Skiwochenende in Argentiniens Nobelwintersportort Bari Loce liegen sahen. Mit solchen exklusiven Aufmerksamkeiten, das wussten die deutschen Besucher sofort, verwöhnt die Bank gerne ihre wirklich vermögende Kundschaft und lukrative Geschäftspartner.

Engelsberger und seine Vereinsmitglieder suchen nach Wegen, wie sie an ihr Geld kommen könnten. Ihre Strategie beschreibt die Interessengemeinschaft auf ihrer Homepage: Mit dem Ziel, Voraussetzungen für eventuelle Vollstreckungsmaßnahmen zu schaffen, überlegt die IGA auch das Erwirken vollstreckbarer Titel.“ Dr. Engelsberger zur Strategie der IGA: Wir verfolgen eine Politik der Nadelstiche. Zwar können wir nicht 100 Milliarden Euro pfänden, aber Vollstreckungsmaßnahmen würden den Aktionsradius der Argentinier in der Welt empfindlich einengen und zu einem langfristigen Imageverlust auf den Kapitalmärkten führen.“ Ralph M. Stone, Partner der Kanzlei Rotter in New York, verfolgt deshalb die bei einem New Yorker Gericht eingereichten Klagen und bereitet sich auf etwaige Rechtsschritte vor. Zu den Maßnahmen gehört auch die Einreichung einer Sammelklage geschädigter Bondbesitzer gegen die argentinische Regierung in den USA.

Verfahren in den USA günstiger
Nicht nur die Opfer der Argentinien-Krise versuchen ihre Verfahren in den USA zu fuhren. Die Aktionäre dort sind deutlich besser geschützt als die Anteilseigner in Deutschland. Wesentlicher Unterschied ist die Beweislage. In Deutschland gibt es keine einzige Beweiserleichterung für den Kläger, sagt Anwalt Rotter. Wer gegen seine Bank oder das Management gerichtlich vorgehen will, muss selber auch die Belege für die Klagegründe präsentieren. In den USA muss dagegen das beklagte Unternehmen versuchen, die Vorwürfe zu entkräften. Dafür wird das Discovery verfahren eingeleitet, in dem die beklagte Firma ihre Bücher offenlegen muss. Diesen Enthüllungsprozess versuchen die Firmen zu vermeiden, lieber wird ein Vergleich geschlossen, sagt Bernd Jochem, Rechtsanwalt in der Kanzlei Rotter. Hinzu kommt, dass die Verjährungsfristen für alle Betroffenen ausgesetzt werden, wenn ein Anleger Klage eingereicht hat. Außerdem müssen Investoren, die durch falsche oder übertriebene Ad-hoc-Meldungen zum Aktienkauf animiert wurden, nicht im Detail die Kausalität zwischen einer Falschmeldung und dem Investment nachweisen, an der viele Gerichtsverfahren in jüngster Zeit gescheitert sind. Vielmehr gilt die Fraud-on-the-market-theory, nach der angenommen wird, dass die vermeintliche Jubelmeldung bereits in dem Kurs der Aktie, den der Anleger zahlen muss, eingepreist ist.

Zudem ist in den USA die so genannte Class action üblich – das sind Sammelklagen, bei denen sich eine Gruppe von Geschädigten zusammenflndet und gemeinsam gegen die Firma vorgeht. Der Erfolg des Verfahrens kommt dann allen betroffenen Anlegern zugute, auch denen, die nicht selbst geklagt haben. Dieses Vorgehen hat auch Vorteile für die Kläger, da sie nicht allein die Verfahrenskosten zahlen müssen. Die Anwälte werden nach US-Recht nicht nach einer Pauschale bezahlt, sondern nur bei Erfolg des Verfahrens. Dann allerdings erhalten sie ein Viertel bis ein Drittel der Schadenssumme.

Obendrein neigen die amerikanischen Gerichte eher dazu, dem geschröpften Anleger Recht zu geben, als das Management des Unternehmens davon kommen zu lassen. Diese anlegerfreundliche Rechtslage versuchen auch deutsche Anwälte zu nutzen. Wann immer möglich werden Klagen in die USA verlegt. So will die Münchner Rechtsanwaltskanzlei Rotter zusammen mit einer New Yorker Kanzlei eine Sammelklage gegen die Hugo Boss AG in den USA einreichen. Dem Unternehmen und zwei ehemaligen Managern wird vorgeworfen, die Anleger durch unterdotierte Rückstellungen und Bestandsdifferenzen im US- Geschäft über den tatsächlichen Umsatz der Firma getäuscht zu haben. Bei einer Inventur wurde ein Fehlbetrag von acht Millionen Euro festgestellt. Die Gewinnerwartungen für 2002 mussten erst von 107 auf 95 Millionen Euro und dann auf 70 Millionen Euro zurückgenommen werden. Klagen könnten nach Ansicht der Münchner Anwälte alle Anleger, die zwischen dem 5. November 2001 und dem 28. Mai 2002 Aktien von Hugo Boss erworben hatten.

Der Vergleich als Lösungsweg
Auch gegen die mittlerweile insolvente Frankfurter Gontard ft Metallbank versuchen deutsche und amerikanische Investoren per Sammelklage in den USA vorzugehen. Vorgeworfen wird der Bank, die sich auf Wertpapiergeschäfte spezialisiert hatte und viele der späteren Flops an den Neuen Markt gebracht hat, Prospektbetrug bei dem Börsendebüt der Aktien von Team Communications am Neuen Markt im Jahr 1999. Die Kanzlei Rotter hat zusammen mit den US-Sozietäten Shalov Stone ft Bonner und Milberg Weiss Bershad Hynes ft Lerach et al. am 30. Juli 2001 als Vertreter von 15 deutschen Anlegern eine Sammelklage mit einem Streitwert von 100 Millionen € gegen die Bank, das Unternehmen sowie den früheren Team-Communications-Chef Drew S. Levin eingereicht. Darin wird den Verantwortlichen vorgeworfen, sie hätten den Kurs der Aktie durch Falschinformationen auf ein künstlich hohes Niveau getrieben. Als dann die Angaben korrigiert werden mussten, sei der Kurs der Aktie kollabiert. Die Gontard ft Metallbank hätte als Konsortialführerin bei dem Börsendebüt die Schieflagen des Unternehmens, die sich schon damals abgezeichnet hätten, erkennen müssen, wenn sie die Unternehmensberichte besser geprüft hätte. Die Klage wurde der Gontard ft Metallbank dann aber nicht mehr zugestellt, sagte Rechtsanwalt Bernd Jochem, nachdem Team Communications Vergleichsverhandlungen zugestimmt habe, die dann zum Jahreswechsel 2001/2002 aufgenommen wurden.

Im Mai 2002 wurde mit der Firma Team Communications Group und den Haftpflichtversicherungen, bei denen die beklagten Manager versichert waren, eine vorläufige Einigung (Memorandum of Understanding) über einen Vergleich abgeschlossen. Danach sollen alle Aktionäre, die zwischen dem 19. November 1999 und dem 16. März 2001 Aktien der Gesellschaft erworben haben, für ihre Vermögenseinbußen entschädigt werden. Insgesamt beträgt die Summe 12,5 Millionen US-Dollar, davon werden noch 20 bis 30 Prozent Honorar für die New Yorker Anwälte abgezogen. Wie viel Geld die einzelnen Anleger erhalten, hängt von der Anzahl der Geschädigten ab, die sich bis August 2002 bei Team Communication melden und ihre Ansprüche vorlegen müssen. Im Schnitt dürften wohl ein bis zwei US-Dollar pro Aktie übrig bleiben.

Erinnerung nach der Schuldenkrise in Mexiko – detailliertere Information

1973 wurden auf dem Treffen der Finanzminister der wichtigsten Industriestaaten in Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire das seit 1944 geltende System fester Wechselkurse aufgegeben und der internationale Kapitalverkehr liberalisiert. Danach begannen die Banken der Industriestaaten – zunächst die Finanzinstitute in den USA, später auch europäische und japanische Banken – die Schwellenländer mit Anlagekapital in Höhe von Milliarden von Dollars zu überschwemmen. Hauptadressaten für den Geldsegen waren die Diktaturen Afrikas und Lateinamerikas – dort finanzierten die westlichen Banken unter dem Schutz der Militärregime mit Milliardensummen gigantische Infrastrukturprojekte, Herrscherpaläste und Industriekomplexe. Welchen Nutzen diese riesigen Prestigeprojekte für die Bewohner der betroffenen Staaten haben sollten, wie es um ihre Wirtschaftlichkeit, geschweige denn ihre Umweltverträglichkeit bestellt war, spielte für die Banken keine Rolle. Hauptsache die Schulden wurden mit hohen Zinszahlungen bedient. Dass sich diese Staaten immer tiefer verschuldeten und in der Folgezeit immer mehr Geld leihen mussten, um die alten Kredite bedienen zu können, schien ebenfalls keine Besorgnis im Westen auszulösen. Dass die Potentaten oft Gelder für Staatsprojekte auf ihre eigenen Konten oder die ihrer Freunde und Helfershelfer in der Schweiz umleiteten, war ebenfalls lange kein Grund, den üppigen Geldfluss zu stoppen. Rund eine Billion Dollar flössen in diese oft korrupten Staaten, doch zur Bevölkerung drang davon kaum etwas durch.

Im August 1982 kam es dann zum Knall: Mexiko, das Niedriglohnland im Hinterhof Amerikas konnte seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Die Staatskasse war leer, die Wirtschaft lag danieder, das einst aufstrebende Land, das mit dem Export seiner Ölvorkommen solide Wachstumsraten und den Aufbau von Industriestrukturen erzielt hatte, war am Ende.

Zinsschock durch die Fed
Ausgelöst wurde die Liquiditätskrise in dem mittelamerikanischen Staat allerdings in den USA: Zu Beginn seiner Amtszeit hatte US- Präsident Ronald Reagan den damaligen Chef der US-Notenbank Paul Volcker dabei unterstützt, zur Bekämpfung der hohen Inflationsraten in den USA die Zinsen auf 20 Prozent hochzusetzen. Durch den dadurch ausgelösten Zinsschock hoffte die Federal Reserve Bank die überhitzte amerikanische Konjunktur abkühlen zu können. Die Expansion der Wirtschaft auf Kredit sollte eingedämmt und den Konsumenten das Leben auf Pump abgewöhnt werden.

Doch die Zinserhöhung hatte weit dramatischere Folgen: Während in den USA durch den Zinsanstieg nur eine Rezession ausgelöst wurde, war die geldpolitische Maßnahme für die Schuldnerstaaten in der Dritten Welt fatal. Ihre Zinszahlungen verdreifachten sich und diesen Schuldendienst konnte kein Land finanzieren.

Gleichzeitig begann ein Ansturm auf den Dollar, weil Anleger in aller Welt von den hohen Zinsen profitieren wollten. Die Folge: Der Wechselkurs des Dollars schnellte nach obem Die anderen Zentralbanken mussten ebenfalls ihre Zinsen erhöhen, um zu verhindern, dass über die teureren Importe aus dem Dollarraum – vor allem die Rohöleinfuhren – auch in ihren Ländern die Inflationsraten stiegen. Die Schuldnerländer, die sich das Geld an den internationalen Kapitalmärkten in der US-Währung geliehen hatten, mussten nun in ihrer heimischen Währung noch höhere Beträge für den Schuldendienst aufbringen.

Neben Mexiko gerieten auch Brasilien und Argentinien in Zahlungsschwierigkeiten, weite Teile Afrikas waren praktisch zahlungsunfähig und verkamen zum Armenhaus der Welt.
Um den drohenden Kollaps des gesamten Weitfinanzsystems abzuwenden, holte die US-Regierung den Internationalen Währungsfonds zu Hilfe. Die Beamten des internationalen Instituts sollten das Schuldenmanagement für die ausgelaugten Entwicklungsländer übernehmen und ihnen frisches Geld von den Zentralbanken der reichen Staaten besorgen. Die neuen Kredite sollten allerdings nur zum Schuldendienst der Altkredite dienen und nur gegen strenge Auflagen vergeben werden. Die Empfängerländer mussten sich dazu verpflichten, einen scharfen Sparkurs einzuschlagen, ihre Märkte zu öffnen, ihre Staatsausgaben erheblich zu reduzieren, ihre Staatsbetriebe zu privatisieren und ihre Kapitalmärkte zu liberalisieren.

Dieser Maßnahmenkatalog wurde später als Washingtoner Konsens bezeichnet. Er diente ausschließlich dazu, die Kreditgeber, die großen Banken in den USA, Europa und Japan vor Ausfällen zu schützen und den multinationalen Konzernen freie Bahn für Investitionen in den ruinierten Volkswirtschaften Lateinamerikas und Asiens zu schaffen, wo sie noch lernfähige und billige Arbeitskräfte rekrutieren konnten.

Staaten wie Brasilien, die sich nicht dem Joch des IWF und der internationalen Bankenwelt beugen mochten, wurde offen mit dem Abzug aller ausländischen Gelder und einem Boykott der dringend benötigten Importwaren gedroht.

Schuldenerlass als Fremdwort
Profitiert haben von der Wende in der Hochzinspolitik der Amerikaner und dem auf Druck der US-Regierung schärferen Vorgehen des IWF nur die Finanzmärkte, wie der Politologe Richard Barnet und der Globalisierungsexperte John Cavanagh in einem Aufsatz für das Schwarzbuch Globalisierung schildern: Von einem Tag auf den anderen verwandelte sich der Bondsmarkt von einem ruhigen Plätzchen in ein Kasino. Das Kaufen, Verkaufen und Verleihen von Währungsprodukten weltweit wurde zu einem eigenen Geschäftszweig. Das meiste hatte wenig oder gar nichts mit Investitionen in die Produktion oder den Handel zu tun. Die Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern gingen zurück, weil die großen Geschäftsbanken sahen, dass sie mit Provisionen, Gebühren und Zinsen beim Recycling von zigmilliarden so genannter Petrodollars, die aus den Schatztruhen in Kuwait und Saudi- Arabien an die Regierungen und Unternehmen in den ärmeren Ländern flössen, mehr verdienen konnten.

Erst 1987 schien sich zaghaft eine Wende in der Schuldenkrise anzubahnen. Der damalige Chef der US-Citibank John Reed und Alfred Herrhausen, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hatten einen Plan ausgearbeitet, der den Schuldnerländern etwas mehr Spielraum beim Schuldendienst einräumen und in hoffnungslosen Fällen auch den Erlass der Schulden vorsehen sollte. Als Herrhausen diesen Plan jedoch ein Jahr später während der IWF- und Weltbanktagung in Berlin 1988 den Damen und Herren der internationalen Hochfinanz präsentierte, applaudierte vor allem die liberale Presse. Seine Bankerkollegen ließen den Vordenker der Industrie glatt auflaufen. Der damalige Commerzbank- Chef Walter Seipp sagte dazu knapp: Im Vokabular eines Privatbankers kommt das Wort Schuldenerlass nicht vor.

Ein Jahr später – auf der IWF- und Weltbanktagung in Washington im Herbst
1989 – wurde bereits deutlich, dass sich die Vorreiter eines humaneren Umgangs mit den Schuldnerländern nicht würden durchsetzen können. Wenige Wochen später fiel die Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands drängte die Nöte der Entwicklungsländer an den Rand des politischen Interesses. Alfred Herrhausen, der prominenteste deutsche Fürsprecher eines teilweisen Schuldenerlasses für die Schuldnerländer, fiel zudem Ende November 1989 einem Anschlag der RAF zum Opfer. Zwar wurde in den folgenden Jahren immer wieder mal in äußersten Notfällen den ärmsten der armen Länder die Rückzahlung von Teilschulden erlassen, doch fester Bestandteil der IWF-Politik ist der Schuldenerlass wahrlich nicht geworden. Das Gegenteil war der Fall, wie die Bewältigung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs Russlands und der Asienkrise Ende der 90er Jahre zeigen sollten.

Unseriöse Beratung Blamage für die Profis – Deutsche Banken heutzutage

Das ganze Analystengequatsche im letzten Jahr war kompletter Schwachsinn, da hat ja nichts gestimmt, erkannte Peter K., gebeutelter Aktienbesitzer und Geschäftsführer einer Vermögensberatung in München, im Januar des Jahres 2001 – zu spät. Es nützt nämlich nichts, wenn einer zehn Jahre Analyst ist und 18 Jahre studiert hat: Der weiß auch nicht, wie es werden wird an der Börse. Wenn so einer Recht behält mit seiner Prognose, ist er der Guru, und wenn er falsch lag, hat er nächste Woche eine andere Meinung. Die Banken gaukeln den Anlegern vor, die Börse sei eine Gelddruckmaschine, die werben aggressiv und bescheißen die Leute. Das Geld, das man in Aktien steckt, kann sofort weg sein, da braucht man Reserven, um die Verluste wieder reinzuholen. Und selbst wenn man wie ich neun Jahre im Geschäft ist, kann man Pech haben: Ich habe in meinem privaten Depot jetzt auch 70 Prozent minus (vor allem durch Internetfirmen). Der amerikanische Broker, mit dem ich zusammenarbeite, hat dieses Mal von mir das Buch Club der Diebe für 19,80 € zu Weihnachten gekriegt, im Jahr davor gab es noch ein goldenes Feuerzeug für
1.000 €.

Unfähige Analysten
Ks. Kritik an der Professionalität der Experten trifft ziemlich ins Schwarze. Viele der jüngeren Analysten sind von den Horrorbotschaften, die seit Mitte des Jahres 2000 in schier endloser Serie auf sie hereinprasseln, ebenso überfordert wie sie es in der Hausse waren. Die meisten von ihnen haben in ihrem Beruf bisher nur steigende Kurse und boomende Kapitalmärkte kennen gelernt und in der Endphase des Aktienbooms wie die Anleger den Kopf verloren. Abweichungen von der Ideallinie der mehr als zehnjährigen Hausse und die Orientierung an realen Daten der Unternehmen wurden entweder zu spät erkannt oder Schlichtweg vernachlässigt, wie die Pleiten der Unternehmen am Neuen Markt zeigen.

Jetzt sind viele genauso frustriert wie viele ihrer Kunden, von denen die meisten erst nach dem Kursverlust ihrer Wertpapiere begonnen haben, sich überhaupt für fundamentale Zusammenhänge von Unternehmensführung und Börse zu interessieren. Die Empfehlungen und Warnungen der Analysten können sie jetzt so wenig einordnen wie in der Boomphase. Wie ahnungslos in der Jahrhunderthausse Analysten zu Werke gingen, zeigt auch der Fall EM.TV

Geblendete Banker
Zu den Investoren, die der flamboyante Chef des Münchner Film- rechte- und Merchandisingunternehmens EM.TV, Thomas Haffa, abgezockt hat, gehören auch Profis. Die Investmentbank Morgan Grenfell, eine Tochterfirma der Deutschen Bank, ist wie viele tausend Kleinanleger auf die überzogenen Gewinnprognosen des Münchner Unternehmers und seines Bruders Florian, der als Finanzchef des einstigen Börsendarlings fungierte, hereingefallen. Die Bank hat Millionenverluste durch die Machenschaften der Haffa Brüder erlitten.

Ins Geschäft mit den Haffas kam Morgan Grenfell im März 2000, als der Kauf von 50 Prozent des Formel-1-Renngeschäfts abgewickelt wurde. Zusammen mit der US-Investmentbank Hellmann 8t Friedman hatte Morgan Grenfell dieses Aktienpaket im Wert von 1,7 Milliarden Dollar von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone übernommen und an EM.TV weiterverkauft. Bezahlt hatte Haffa die Banken aber nicht nur in bar, sondern vor allem mit Aktien seines Unternehmens. Während die Amerikaner ihre EM.TV-Papiere schleunigst weiterverkauften, nahm Morgan Grenfell die damals so hoch bewerteten Aktien auf eigene Rechnung ins Depot. Nach dem Kursverfall um 90 Prozent steht EM.TV nun als satter Verlust von fast einer Milliarde € in den Büchern der düpierten Banker.

Blamage für die Profis
Für die Profis stellte der Vorgang ein mehr als peinliches Debakel dar, mit dem sich die honorigen Londoner Banker, die in der größten deutschen Bank als die Koryphäen im Investment Banking gelten, gründlich blamiert haben. Die skandalösen Vorgänge im Hause EM.TV mochten vielleicht für unerfahrene Kleinanleger schwer zu durchschauen gewesen sein, professionelle Berater dagegen hätten die Fehlentscheidungen, die überteuerten Einkäufe und inflationären Umsatz- und Gewinnprognosen der Gebrüder Haffa eigentlich durchschauen müssen.

Schon die Übernahme der Henson Company, die EM.TV die Rechte an Sesamstraße und Muppetshow einbrachte, hätte die Aufmerksamkeit der Experten erregen müssen. Allein 1,2 Milliarden € (614 Millionen Euro) zahlte Thomas Haffa Mitte Februar 2000 für den Sesamstraße-Produzenten – ungefähr doppelt so viel, wie andere Interessenten für Kermit, Ernie und Miss Piggy ausgeben wollten.

Wenige Tage bevor dieser Deal bekannt wurde, hatte sich Haffa zudem erst rund 780 Millionen € (399 Millionen Euro) durch die Platzierung einer Anleihe beschafft. Dass der EM.TV-Chef zu diesem Zeitpunkt bereits über die Übernahme des Henson-Imperiums verhandelte, wurde in dem Prospekt, der für die Anleihe werben sollte, mit keinem Wort erwähnt. Für Analysten wäre es aber wohl ein Leichtes gewesen, die beiden Vorfälle zu entdecken und zu monieren.

Unseriöses Finanzgefahren
Auch die Art und Weise, wie Haffas kleiner Bruder Florian, der bei EM.TV als Finanzchef agierte, auf Konferenzen der Firmenleitung auftrat, bei denen Analysten die Chancen und Risiken des Unternehmen bewerten und Empfehlungen für die Vermögensberater und Aktionäre geben sollten, stärkte nicht gerade das Vertrauen in die Firma. So konnte Finanzmann Florian Haffa Anfang 2000 nicht einmal verhältnismäßig schlichte Fragen nach Abschreibungsmodalitäten und Cashflow-Entwicklung bei EM.TV beantworten. Es war klar, dass er nicht wusste, worum es eigentlich ging, sagte ein Analyst der französischen Bank Credit Lyonnais der renommierten US-Wirtschaftszeitung The Wall Street Journal nach dem Meeting.

Im Mai 2000, als der EM.TV-Kurs nach dem Kauf von Ecclestones Formel-1-Paket und der Übernahme der Henson Company erstmals zu bröckeln begann, luden die Haffas die Analysten sogar zu einer Sause nach Kitzbühel ein. In der grandiosen Show mit Frosch Kermit und per Video gezeigter Grußadresse von Ecclestone gingen die dürftigen Zahlen, die Florian Haffa den Aktienexperten zur Zukunft von EM.TV präsentierte, offenbar glatt unter. Die Zahlencracks gaben sich mit bloßen Prognosen zu Umsatz und Gewinnentwicklung zufrieden, berichtete The Wall Street Journal. Kritische Fragen nach der Liquidität der Firma sollen nicht gestellt worden sein: Zahlreiche Investmentbanken empfahlen weiterhin den Kauf der EM.TV-Aktien.

Erst als Haffa Ende August 2000 die Halbjahreszahlen vorlegen musste, begannen auch die Analysten aufzuwachen: Die Umsätze von EM.TV hatten gerade mal ein Drittel der Plandaten erreicht, der Gewinn sogar nur 25 Prozent. Im Spätsommer 2000 hat der damalige Controller der Firma den Finanzchef Florian Haffa auf die katastrophale Lage hingewiesen und gewarnt, die alten Prognosen weiter unkorrigiert zu verbreiten. Dennoch soll Florian Haffa noch im Herbst bei einer Präsentationstour durch die USA weiter die längst überholten Planzahlen als aktuelle Prognose vorgetragen haben. Selbst im Oktober 2000, als eine weitere Korrektur des Halbjahresergebnisses vorgenommen werden musste, blieb Finanzchef Haffa bei seinem optimistischen Jahresausblick. Am 1. Dezember ließen die beiden Superunternehmer die Katze endlich aus dem Sack: Der Jahresgewinn für 2000 werde nicht 302 Millionen Euro betragen, sondern nur 26 Millionen Euro. Erst jetzt reagierten die Aktiengurus mit Verkaufsempfehlungen auf breiter Front. Die Folge: Der EM.TV-Kurs sackte ab. Im April 2001 war aus der einst so glänzenden Prognose ein Riesenunternehmensverlust von 1,38 Milliarden Euro geworden.

Firmengründer rechtzeitig abgesprungen
Während die Anleger ihre Investments weitgehend abschreiben konnten, standen die Haffas glänzend da. Firmengründer Thomas hatte seine Millionen durch verschiedene Aktienverkäufe im Sack. So hatte der Unternehmer am 16. und 17. Februar 2000 still und heimlich jeweils 100.000 EM.TV-Aktien aus seinem eigenen Besitz verkauft, obwohl er dies zu diesem Zeitpunkt, während der Lock-up-Periode, nur mit Zustimmung der Emissionsbanken WestLB und Credit Suisse Group (CSG), die EM.TV im Oktober 1997 mit großem Gewinn an die Börse gebracht hatten, hätte tun dürfen. Die Institute wurden aber gar nicht erst gefragt, sondern nur nach dem Deal informiert. Dennoch sah keines der beiden Institute die Notwendigkeit, den nicht genehmigten Aktiendeal öffentlich zu kritisieren. Insgesamt haben die Haffa-Brüder über 70 Millionen € (35,8 Millionen Euro) in die eigene Tasche gescheffelt.

Auch ein anderes Risiko wussten die Unternehmer lange vor Analysten und Anlegern zu verbergen. Mit dem Einstieg in die Formel-1-Gesellschaft von Bemie Ecclestone waren die Haffas eine weitere Verpflichtung eingegangen. Neben dem astronomisch hohen Kaufpreis von 1,7 Milliarden Euro für 50 Prozent der SLEC übernahmen sie noch einige Zeitbomben24 – wie The Wall Street Journal berichtete. Dazu gehörte eine Call-Option, die EM.TV verpflichtete, bis 28. Februar 2001 für rund eine Milliarde Dollar einen weiteren 25-Prozent-Anteil an der Formel-1-Vermarktungsgesellschaft zu übernehmen. Zudem gab es eine Put-Option, mit der Ecclestone die Münchner zu einem späteren Zeitpunkt hätte zwingen können, diesen Anteil zu kaufen – und zwar zu einem Preis, der noch um 100 Millionen Dollar höher war als der für die Call-Option fixierte.

Zeit für die Ermittler
Bereits im Dezember des Jahres 2000 nahm die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I unter der Leitung von Staatsanwalt Stephen Kroner die Ermittlungen auf. Drei Tage vor Weihnachten 2000 statteten Staatsanwalt und zwei Polizisten der Medienfirma einen Besuch ab, vernahmen Zeugen und beschlagnahmten Unterlagen.

Im Herbst 2001 wurde vor der IV Strafkammer des Landgerichts München I Anklage erhoben. Die Vorsitzende Richterin Huberta Knöringer wird Mühe haben, das Milliarden-Monopoly von Ker- mit Haffa, wie sich Firmengründer Thomas gern von Freunden nennen lässt, auseinander zu fieseln. Und das noch unter den Augen der geprellten Anleger. Immerhin hat der einstige Vorzeigeunternehmer mittlerweile reichlich Zeit, sich auf seine neue Rolle als Angeklagter vorzubereiten. Seine frühere Firma wurde zerschlagen, er selbst musste im Sommer 2001 seinen Posten als Vorstandschef räumen.