Von solch schnellen Entscheidungen, wie sie in den USA herbeigeführt werden, können Investoren deutscher Firmen nur träumen. Anlegerschützer und Anwälte drängen deshalb darauf, dass auch in Deutschland die Umkehr der Beweislast eingeführt wird, die Unternehmen und Banken zwingen würde, ihre Bücher zu öffnen. Diese Forderungen wurden schon bei der Vorbereitung des vierten Finanzmarktförderungsgesetzes laut, doch dazu konnte sich das Bundesjustizministerium offenbar nicht durchringen. Im vierten Finanzmarktförderungsgesetz, das am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, wurde die rechtliche Position der Anleger kaum verbessert.
Die Bundesregierung erklärte, dass mit dem Gesetz drei Hauptziele verfolgt werden: den Anlegerschutz durch Erhöhung der Marktintegrität und der Markttransparenz zu verbessern, die Handlungsmöglichkeiten der Marktteilnehmer zu erweitern und zu flexibilisieren sowie Lücken im Abwehrsystem gegen die Geldwäsche zu schließen und das Aufspüren von Geldern zu erleichtern, die der Finanzierung terroristischer Vereinigungen dienen. Auf diese Weise werden die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland gestärkt und die Funktion des Kapitalmarkts als Motor für Wachstum und Beschäftigung fortentwickelt.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass nicht die Schutzbedürfnisse der Kleinanleger den Inhalt des Gesetzes bestimmten, sondern die Interessen der Banken und Großinvestoren: Erreicht wurde zweifellos, dass die Börsen, Immobilienfonds und Hypothekenbanken jetzt flexibler handeln können. Die Börsen dürfen ihre Kurse jetzt auch nur elektronisch feststellen, Immobilienfonds praktisch unbegrenzt auch Objekte außerhalb der EU erwerben und Hypothekenbanken in den USA, Kanada und Japan Kredite vergeben. Gerade für Immobilienfonds werden damit angesichts der aktuell hohen Mittelzuflüsse dringend benötigte Anlagemöglichkeiten geschaffen, kommentierte die Börsenzeitung.
Wie die Banken ihr Revier verteidigen
Wie die Großfinanz die Debatte um das Gesetz bestimmte, zeigten die Anhörungen zum Entwurf des Gesetzes im Februar 2002. In der ursprünglichen Fassung wollte Bundesfinanzminister Hans Eichel auch Leerverkäufe von inländischen Aktien untersagen lassen, wenn eine erhebliche Marktstörung droht, die schwerwiegende Gefahren für die Gesamtwirtschaft oder das Finanzsystem erwarten lässt.
Bei Leerverkäufen werden Papiere veräußert, die der Verkäufer zum Zeitpunkt des Verkauf noch nicht besitzt oder geliehen hat, sondern die bis zur Übergabe zu einem späteren Zeitpunkt an den Käufer erst einkaufen muss. Fallen zwischen dem Verkauf und der Auslieferung die Kurse der Aktien, dann kann der Leerverkäufer die Wertpapiere zu einem günstigeren Preis einkaufen, als er sie vorher verkauft hat. Die Differenz ist sein Profit. Durch das Verbot von Leerverkäufen sollten diese spekulative Eingriffe von großen Hedge-Fonds unterbunden werden, die die Abwärtstrends an den Börsen durch derartige Aktienverkäufe auf Termin erheblich verstärken und beschleunigen können.
Außerdem wollte die Bundesregierung die Anti-Geldwäsche- Bestimmungen verschärfen sowie durch Kontenscreening und Zugriff auf die Kundendaten der Banken terroristische Organisationen leichter aufspüren können. Die Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wie das Verbot von Leerverkäufen stieß allerdings auf Widerstand bei der Kreditwirtschaft, die für ihre Anliegen auch den Bundesrat mobilisieren konnte. Darüber hinaus wollte die Kreditwirtschaft noch weitere Liberalisierungen durchsetzen: Im Hypothekenbankengesetz sollte das Geschäftsvolumen von Grundstücksbeleihungen in Japan, den USA und Kanada statt auf das Dreifache des haftenden Eigenkapitals auf das Fünffache ausgedehnt werden. Obendrein sollte der Einsatz von Derivaten im öffentlichen Pfandbriefgeschäft den Regelungen für Hypothekenbanken angeglichen werden.
Gegen die Leerverkäufe wehrten sich die Banker mit dem Hinweis, dass diese Geschäfte dann verstärkt im Ausland abgewickelt würden und der Börsenplatz Deutschland geschwächt würde, erklärte der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB).’Auch der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) warnte, dass bei einer deutschen Insellösung die Marktteilnehmer auswichen. Der Bankenexperte Professor Wolfgang Gerke von der Universität Nürnberg hielt das Verbot von Leerverkäufen als Steuerungsinstrument für untauglich und wandte ein, dass die Börsen in der kritischen Situationen die Kurse aussetzen, den Handel unterbrechen könnten.
Noch heftiger erregten die geplanten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung die Branche. Kontenabruf und Kontenscreening seien bedenkliche Eingriffe in die Kreditinstitute und deren Kundendaten, erklärte das geschäftsführende Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Holger Berndt. Die Kreditwirtschaft dürfe nicht zum Hilfssheriff der Strafverfolgungsbehörden werden.
Der Zentrale Kreditausschuss (ZKA), in dem die Verbände der Kreditwirtschaft zusammengeschlossen sind, lehnte es ab, immer neue Daten liefern zu müssen, die den Strafverfolgungsbehörden keine brauchbaren Ergebnisse liefern würden, aber den Banken zusätzliche Kosten aufbürdeten. Nach Schätzungen des ZKA würde der automatische Kontenabruf durch die Aufsichtsbehörden die Kreditwirtschaft rund zwei Milliarden Euro kosten. Billiger wäre es, wenn die Banken auf Anfragen von Aufsichtsamt oder den Strafverfolgungsbehörden reagieren könnten.
Jochen Sanio, der Präsident des Bundeaufsichtsamtes für das Kreditwesen, hielt die Kostenkalkulationen für viel zu hoch. Schätzungen anderer Experten hatten Mehrkosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro für die gesamte Branche ergeben. Sanio begründete seine Forderung nach den von der Bundesregierung geplanten Überwachungsmaßnahmen mit der bisher nur wenig erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Geldinstituten. Nach dem 11. September 2001 hätte sich herausgestellt, dass die Banken Anfragen von Aufsichtsamt und BKA bisweilen nur zögerlich bearbeiteten. Manche Kreditinstitute verfügten nicht einmal über entsprechende Datenbanken. Aber auch Landeszentralbanken ließen derartige Anfragen schon einmal liegen. Ein Abfragesystem für die Aufsichtsbehörde sichere zudem Vertraulichkeit und biete höchstmöglichen Grundrechtsschutz.
Sieg der Banken im Vermittlungsausschuss
Das Gesetz passierte zwar den Bundestag, doch der Bundesrat verweigerte die Zustimmung. Ein Vermittlungsausschuss wurde eingesetzt, dies war zum ersten Mal bei der Verabschiedung von Finanzmarktförderungsgesetzen der Fall. Die ersten drei Gesetze von 1990, 1994 und 1998 gingen in beiden Häusern des Parlaments glatt durch. Der Vermittlungsausschuss folgte dem Anrufungsbegehren des Bundesrates, die im Gesetz vorgesehene Untersagungsmöglichkeit von Leerverkäufen zu streichen. Wegen des Sachzusammenhangs soll darüber hinaus auch die Regelung über die Meldepflicht von Leerverkäufen entfallen, da die Aufsicht durch das Entfallen der Untersagungsmöglichkeit keine Eingriffsmöglichkeiten bezüglich getätigter Leergeschäfte mehr hat.
Auch bei anderen Punkten folgte der Vermittlungsausschuss bei seiner Entscheidung den Einwänden der Banken und des Bundesrates: Das Pfandbriefgesetz soll an die Änderungen des Hypothekenbankgesetzes hinsichtlich der Möglichkeiten der Durchführung von derivativen Geschäften angepasst werden, wobei die Kreditinstitute die Funktion des Treuhänders übernehmen würden. Die Beschränkung des Geschäftsvolumens von Grundstücksbeleihungen durch Hypothekenbanken in Japan, Kanada und den USA wird vom bisher vorgesehenen Dreifachen des haftenden Eigenkapitals für die USA und Kanada auf das Fünffache angehoben, während das Geschäftsvolumen für Japan auf das Dreifache beschränkt bleibt.
Anlegerschutz kommt zu kurz
Bei den Maßnahmen, die gegen Geldwäsche und Schattenbanking eingesetzt werden sollen, konnte die Kreditwirtschaft allerdings nur einen Teilerfolg erzielen: Das im Kreditwesengesetz neu geregelte Datenabrufsystem zur Bekämpfung des Terrorismus, der Geldwäsche und des Untergrundbankenwesens soll beibehalten werden. Die bei den Banken für den Abruf im Online-System bereitzuhaltenden Kontostammdaten werden auf das zur Identifizierung und Zuordnung von Konten Unerlässliche reduziert. Deshalb sieht die vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagene Neufassung vor, auf die Aufnahme des Geburtsorts des Kontoinhabers in diesen bankinternen Dateien vollständig zu verzichten.
Durchsetzen konnte sich die Bundesregierung lediglich bei dem Kontenscreening, dabei sollen mit den Methoden der Rasterfahndung ungewöhnliche Kontenbewegungen erfasst werden. Diese Überwachung müssen die Banken selbst organisieren und Abweichungen den Aufsichtsbehörden melden.
Die Kreditwirtschaft war mit dem Ergebnis zufrieden: Der Finanzplatz ist gut aufgestellt, sagte Thomas Weisgerber, Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbandes deutscher Banken der Börsen-Zeitung.
Verärgert waren nur Anlegerschützer und Verbraucherverbände. Der vorgelegte Regierungsentwurf bleibt hinter den Erfordernissen eines verbesserten Anlegerschutzes weit zurück, so Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. Das Heraufsetzen der sechsmonatigen Verjährungsfrist um ein halbes Jahr sei halbherzig und im Hinblick auf das Vertrauen des Verbrauchers als Anleger in den Kapitalmarkt nicht zielführend. Gefordert hatten die Anlegerschützer eine Frist von drei Jahren. So viel Zeit ist auch nötig, um bei Kapitalanlagedelikten die notwendigen Ermittlungen und Recherchen vornehmen zu können. Denn auch die von Aktionärsschützern immer wieder geforderte Beweisumkehr zugunsten geschädigter Anleger wurde in diesem Gesetz nicht berücksichtigt. Tatsächlich wurden nur die Vorschriften für Ad-hoc-Mitteilungen verschärft. Unternehmen, deren Manager künftig falsche oder unvollständige Angaben zur Geschäftsentwicklung machen, müssen mit Geldbußen bis zu 500.000 Euro rechnen und obendrein den geprellten Anlegern den Schaden ersetzen. Auch dies ist nach Ansicht von Anlegerschützern eine höchst unbefriedigende Regelung. Danach müssten sich die Anteilseigner ihren Schaden von den Firmen, an denen sie beteiligt sind, erstatten lassen. Die Manager hingegen, die den Schaden angerichtet haben, kommen ungeschoren davon. Schadensersatzansprüche müssten sich vielmehr gegen Vorstände und Aufsichtsräte richten, kritisierte Klaus Nieding, Präsident des Deutschen Anleger-Schutzbundes (DASB) und Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.