Der forsche Vorstoß der Deutschen Bank
Im letzten Jahr seiner Amtszeit als Vorstandssprecher, 1997, machte Hilmar Köpper einen entscheidenden Zug, der das gesamte deutsche Banken- und Versicherungswesen für die nächsten Jahre beschäftigte: Die Deutsche Bank hatte sich heimlich, still und leise einen Anteil von 5,2 Prozent an der Bayerischen Vereinsbank zusammengekauft. Als er diesen Coup dem Chef der bayerischen Regionalbank offenbarte, reagierte Albrecht Schmidt nicht gerade erfreut: Wir wollen eine eigenständige, große deutsche Bank mit Sitz in München bleiben, sagte er dem Chef des größten deutschen Kreditinstituts. Doch auch andere fanden den Vorstoß des Bankmanagers nicht erbaulich: Allianz-Konzernherr Henning Schulte-Noelle gefiel der Einbruch der Frankfurter in sein Territorium überhaupt nicht.
Mit diesem Kauf hatte die Bank eine seit Jahrzehnten etablierte Grenze überschritten, die die Bereiche Versicherungswirtschaft auf der einen und Bankwesen auf der anderen trennt. Die größte deutsche Bank und der größte deutsche Versicherer hatten ihre eigenen Einflusssphären mit gegenseitigen Beteiligungen. Die Repräsentanten beider Konglomerate trafen sich in Aufsichtsräten der großen Konzerne, aber ihre Geschäfte liefen weitgehend getrennt – der eine kümmerte sich um die Konten, Sparbücher, Kredite und Wertpapiere, der andere um die Absicherung von Personen und Unternehmen gegen alle Widrigkeiten des Lebens. Mit dieser Arbeitsteilung kamen sich die beiden Konzerne jahrzehntelang nicht ins Gehege. Die friedliche Koexistenz der beiden Branchenriesen wurde durch den Vorstoß von Köpper gefährdet, denn die Bayerische Vereinsbank gehörte eindeutig zum Satellitensystem des Allianz- Konzerns. Sie war zudem einer seiner Aktionäre. Mit dem Kauf des Bayerische-Vereinsbank-Aktienpakets hatte sich die Deutsche Bank weit vorgewagt.
Die Allianz schlägt zurück
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, Vereinsbank-Chef Schmidt und der Vorstandsvorsitzende der ebenfalls in München ansässigen Bayerischen Hypothekenbank, Eberhard Martini, begannen über eine Fusion zu verhandeln – mit Billigung und sogar auf Initiative von Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle. Der Versicherungskonzern hielt rund 20 Prozent an der Hypobank. Wie Der Spiegel berichtete, suchte der Allianz-Chef seit längerem nach einem starken Partner für das Institut, weil dessen Rentabilität zu jener Zeit durch riskante Kreditengagements sowie durch spekulative Immobiliengeschäfte gefährdet war. Hypobank-Chef Martini trotzte zwar lange dem Begehren seines Großaktionärs, doch im Sommer 1997 musste er der Offerte der Vereinsbank zustimmen.
Die Architektur der bayerischen Bankenhochzeit war schnell skizziert, die beiden Bankchefs der traditionell eher verfeindeten Regionalinstitute einigten sich auf einen Merger of equals. Allerdings gab es von Anfang an keinen Zweifel daran, dass die Hypobank von der Vereinsbank geschluckt werden würde. Den Hypobank-Aktionären wurde ein 6:1-Clou angeboten, für sechs Hypobank-Anteilsscheine gab es eine Allianz-Aktie aus dem Bestand der Vereinsbank. Die bayerische Landesregierung unterstützte die Fusion, die im schlimmsten Fall auch den Abbau von Arbeitsplätzen, die Schließung von Filialen nach sich ziehen und die Konzentration auf weniger Bankinstitute beschleunigen würde, mit einem großzügigen Steuerverzicht. Eigentlich hätte der Wertzuwachs der Allianzaktien bei ihrer Veräußerung versteuert werden müssen. Doch die Landesregierung gewährte für den Aktientausch Steuerbefreiung und verzichtete dadurch auf Steuereinnahmen von fünf Milliarden €.
Insgesamt übernahm die Vereinsbank 45 Prozent der Hypobank. Deren ehemaliger Chef und früherer Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Eberhard Martini, erhielt ein Aufsichtsratsmandat, sogar ein Teil des Namens wurde übernommen: Das neue Unternehmen hieß Bayerische HypoVereinsbank, geführt wurde es vom Chef der alten Vereinsbank Albrecht Schmidt.
Am 1. September 1998 wurden die beiden Institute offiziell zur zweitgrößten deutschen Privatbank verschmolzen. Der Allianz gehörten an dem neuen Koloss des deutschen Finanzmarktes 17,4 Prozent, der Münchner Rück 6,4 Prozent, der Viag 8,1 Prozent und dem Freistaat Bayern 6,7 Prozent. Die restlichen Anteile befanden sich in Streubesitz. Die Deutsche Bank hatte ihre Beteiligung an der alten Bayerischen Vereinsbank wieder zurückgegeben.
Skandal bei der Hypobank
Doch damit war der Fusionspoker noch lange nicht beendet. Wenige Wochen nach dem glanzvollen Start entdeckte der Chef der neuen Bank, Albrecht Schmidt, dass Eberhard Martini, sein Fusionspartner von der Hypobank, erhebliche Kreditrisiken bei Immobiliengeschäften in Höhe von 3,5 Milliarden € nicht angegeben hatte. Diese Wertberichtigungen hätten im Jahresabschluss für 1997 berücksichtigt werden müssen. Schmidt war persönlich tief erschüttert und machte aus seiner Verärgerung keinen Hehl: Ich habe eine bittere Enttäuschung erlitten und eine gehörige Wut im Bauch, erklärte der Bankchef. Er war vor allem bemüht, den Verdacht, er habe von der Schieflage im Immobiliengeschäft schon während der Fusionsverhandlungen erfahren, gar nicht aufkommen zu lassen. Ein Versagen dieses Ausmaßes habe er sich nicht vorstellen können, tobte Bankchef Schmidt und forderte vehement personelle Konsequenzen.
Allerdings waren die Risiken, die im aus dem Ruder gelaufenen Immobiliengeschäft der Hypobank lauerten, offenbar auch der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Wedit nicht aufgefallen. Der Vorstand habe die entsprechenden Unterlagen nicht herausgegeben, versuchten sich die Prüfer später der Verantwortung zu entziehen.
Am 30. Oktober verkündete Martini forsch: Der 1997er Abschluss war in Ordnung. Einen Rücktritt von seinem Aufsichtsratsmandat lehnte er ab. Im November wurde der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden Topbankern heftiger, die Angriffe peinlicher. Einen Höhepunkt der Niveaulosigkeit erreichte Martini mit seiner Kritik am neuen Großbankchef: Schmidts Charakter ist vom Ehrgeiz zerfressen, so ein Mann kann keine Bank führen.
Die weitere Eskalation wäre vielleicht noch vermeidbar gewesen, wenn der Aufsichtsrat konsequente Aufklärungsarbeit geleistet hätte, schrieb das Manager Magazin im Mai 1999. Doch dazu konnte sich das Kontrollgremium nicht durchringen, obwohl – wie das Hamburger Wirtschaftsmagazin berichtete – einer der Räte, DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, dringend empfahl die Angelegenheit transparent aufzuarbeiten. Schließlich wisse er aus eigener Erfahrung, was es bedeute, mit unangenehmen Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu gehen .Doch den Mitgliedern des Aufsichtsgremiums ging es offenbar weniger um das Image der Bank als vielmehr um das Ansehen der Banker, genauer der Hyponose, wie die Mitarbeiter der ehemaligen Hypobank von den Vereinsbankern intern genannt wurden. Aufsichtsratschef Klaus Götte suchte einen Kompromiss, der den Hypobankern half das Gesicht zu wahren und dem die verärgerten Vereinsbanker im Vorstand gerade noch zustimmen konnten.
So einigten sich die Räte schließlich darauf, die 3,5-Milliarden- €-Schieflage als außerordentliche Wertberichtigung des Jahres 1998 auszuweisen, die sich durch einen Methodenwechsel bei der Risikobewertung ergeben habe, zitierte das Manager Magazin. Danach sprach der Aufsichtsrat, wie es im gehobenen Wirtschaftskreisen üblich ist, dem gesamten Vorstand sein Vertrauen aus. Im Januar 1999 versuchte Ex-Hypobanker Martini seinen Widersacher Schmidt auszuhebeln. Als über die Verlängerung von Schmidts Vertrag beraten werden sollte, war Martini dagegen und versuchte auch seine Ratskollegen davon zu überzeugen, dass Schmidt nicht der richtige Mann für die neue Bank sei. Mit dieser Meinung stand Martini allerdings allein – Schmidts Vertrag wurde mit überwältigender Mehrheit von 19:1 Stimmen verlängert.
Bei der Hypobank rollen die Köpfe
Im Februar 1999 stellte die HypoVereinsbank die Ergebnisse des Fusionsjahres 1998 vor. Bankchef Schmidt kündigte einen radikalen Sparkurs an, vor allem die Immobiliensparte und das Kreditgeschäft wurden drastisch zurückgenommen. Der Kampf der beiden Topbanker Schmidt und Martini zog sich hin. Im März beschloss der Aufsichtsrat eine Sonderprüfung des Immobilienbereichs zu veranlassen.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Götte trat schließlich am 20. März 1999 zurück. Als seinen Nachfolger holte der Großaktionär Allianz im April 1999 den Ex-Vizepräsidenten der US- Investmentbank JPMorgan, Klaus F. Viermetz, ins Boot. Viermetz, einer der wenigen Deutschen, die an der Wallstreet Karriere gemacht haben, kannte Schmidt und die Bank. Er hatte den HypoVereinsbank-Chef 1997 bei der Abwehrstrategie gegen die Deutsche Bank und bei der Übernahme der Hypobank beraten.
Der neue Aufsichtsratsvorsitzende hatte viel zu tun. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre forderte eine Ausgleichszahlung für die früheren Vereinsbank-Anteilseigner. Der Wert der Hypobank sei schließlich geringer gewesen, als bei der Berechnung des Aktientauschverhältnisses angenommen worden war. Auf der Hauptversammlung am 6. Mai machten die privaten Anteilseigner der HypoVereinsbank ihrem Ärger Luft. Seit dem Immobilienskandal im Herbst 1998 hatten ihre Aktien ein Drittel ihres Werts verloren. Gemessen an der Börsenkapitalisierung der Bank waren 17 Milliarden € vernichtet worden. Zehn Stunden wurde debattiert. Nur dank der geschickten Moderation von Aufsichtsratschef Viermetz konnte der Eklat verhindert und ein Kompromiss erzielt werden: Über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sollte erst entschieden werden, wenn das Ergebnis der Sonderprüfung vorlag, für die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO engagiert wurde.
Als BDO drei Tage vor der Aufsichtsratssitzung, die am 26. Oktober 1999 stattfand, das Gutachten präsentierte, bestätigte sich der Verdacht. Die Risiken aus den Immobiliengeschäften waren noch höher ausgefallen als ursprünglich angenommen: Der Fehlbetrag lag nach Bewertung durch die Prüfer bei insgesamt 3,5 Milliarden €. Bankchef Schmidt sah sich rehabilitiert und begann eine schonungslose Abrechnung mit den Hypobankern im neuen Bankvorstand. Ex-Hypobank-Chef Eberhard Martini musste in der Folge sein Aufsichtsratsmandat zurückgeben. Sein früherer Finanzchef Werner Münstermann, der für die Bilanz verantwortlich war, wurde ebenfalls seines Amtes, der Leitung der Hamburger HypoVereinsbank-Tochter Vereins- und Westbank, enthoben. Vier weitere ehemalige Hypobank-Vorstände, Peter Hoch, Martin Kölsch, Martin Schütte und Josef Wertschulte, die an den riskanten Immobiliengeschäften nicht direkt beteiligt waren, baten ebenfalls um ihre Entlassung.
Vor denen muss man den Hut ziehen, denn die haben sich, ohne dass ein eigenes Verschulden vorlag, der Gesamtverantwortung des Vorstands gestellt, bewerteten ehemalige Hypobank- Mitarbeiter den Abgang des Quartetts. In Kreisen der Aktionäre wurde der spektakuläre Abgang für unabwendbar gehalten: Reinen Tisch zu machen war die einzige Möglichkeit, um die Bank in die Lage zu versetzen, in Zukunft unbelastet nach vorne blicken zu können.
Vor allem den Großaktionären Allianz, Viag und dem Freistaat Bayern lag daran, die Altlasten aus dem Immobiliendebakel loszuwerden. Gelungen ist ihnen das aber nicht, denn seit dem BGH- Urteil vom Frühjahr 2002 können die damals von der Hypobank geprellten Anleger Schadensersatz fordern – sie müssen sich an der neuen HypoVereinsbank schadlos halten. Erhebliche Nachwirkungen hatte der Skandal auch auf die Mitarbeiter der Bank. Durch den Machtkampf an der Spitze wurde die Belegschaft gespalten. Bis heute ist noch nicht zusammengewachsen, was seit 1998 eigentlich zusammengehören sollte. Die Wunden, die der Clinch in der Führung der Bank aufgerissen hat, sind bis heute nicht verheilt. Noch immer wird fein unterschieden, wer Hyponese war und wer von der Vereinsbank kam.