Home » Aktien » Fundamentalanalyse beim Aktienhandel – das Kurs-Gewinn-Verhältnis

Fundamentalanalyse beim Aktienhandel – das Kurs-Gewinn-Verhältnis

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) gibt an, das Wie vielfache des Gewinns der Anleger für die Aktie bezahlt. Das KGV ist eine sehr wichtige Kennzahl, die in fast allen Publikationen angegeben wird. Dabei wird zuerst der Jahresgewinn des Unternehmens durch die Anzahl der umlaufenden Aktien geteilt; so erhält man den Gewinn pro Aktie. Danach dividiert man den aktuellen Börsenkurs durch den Jahresgewinn pro Aktie.

Für Sie als Anleger ist es wieder wichtig, die Zahl richtig zu interpretieren. Eine allgemeine Regel lautet, dass Aktien mit einem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis relativ teuer sind, da Sie ein Vielfaches des Gewinns für die Aktien bezahlen müssen. Die Modellvorstellung ist, dass der Kaufpreis einer Aktie gleichsam über den Gewinn an den Anleger zurückfließt, da zumindest ein Teil des Gewinns als Dividende ausgeschüttet wird. Demnach sollten Sie Aktien mit einem hohen KGV meiden und solche mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis bevorzugen.
Diese vermeintlich einfache Regel ist aber in der Praxis wesentlich komplizierter. Stellen Sie sich vor, eine Aktie ist über Monate gesunken. Dann ist der aktuelle Börsenkurs relativ niedrig. Wenn aber der Gewinn des Unternehmens in den letzten Jahren konstant war oder sogar zurückgegangen ist, ergibt sich beim KGV trotzdem ein vergleichsweise guter Wert, denn der Zähler des Quotienten ist wegen der Kursrückgangs verringert worden. Diese vermeintlich gut bewertete Aktie kann sich aber dann als schlechtes Investment erweisen, denn wenn eine Aktie über Monate sinkt, sollten Sie warten, bis eine Trendumkehr erfolgt. Die schlechte Gewinnentwicklung spricht von fundamentaler Seite dafür, die Aktie nicht zu kaufen.
Die eherne Regel „niedriges KGV gute Aktie, hohes KGV schlechte Aktie“ ist zu schablonenartig, um richtig zu sein. Viel mehr gilt: Das KGV kann ohnehin nur innerhalb einer Branche verglichen werden. Wenn eine Bankaktie ein KGV von 11 und eine Internetaktie von 30 besitzt, sagt dies gar nichts aus. Denn Bankaktien haben traditionell ein niedriges KGV, da die Gewinne bei vielen Kreditinstituten relativ kontinuierlich fließen. Risiken, wie sie im Technologiesektor vorherrschen, sind im Finanzwesen nicht von Bedeutung. Dennoch können natürlich auch Finanzdienstleister durch Umbrüche im Markt deutlich in eine Schieflage geraten. Aber die Risiken sind ganz anderer Natur als in anderen Branchen.

Technologieaktien sind hingegen fast immer Wachstumswerte, deren Kurs in Boomzeiten deutlich ansteigen kann. Die Gewinnentwicklung bleibt hinter dieser Euphorie meist weit zurück. Ein charakteristisches Beispiel sind Biotechnologiewerte, die in den ersten Jahren der Gründung meist nur das Geld der Investoren „verbrennen“, was man mit dem Begriff „Cash Burn Rate“ zu umschreiben versucht. Der Grund dafür ist, dass die Entwicklung neuer Medikamente mit extrem hohen Investitionen verbunden ist und dass der Erfolg der aufwändigen Forschung sich erst ganz um Ende zeigt. Viele anfangs als erfolgversprechend eingestuften Wirkstoffe zeigen in der klinischen Erprobung erhebliche Nebenwirkungen oder sind weniger wirksam als bereits auf dem Markt etablierte Standardpräparate. Aufgrund all dieser Umstände haben Biotechnologieaktien meist ein hohes KGV, da die Aktienkurse bei jeder Pressemitteilung, die die Marktreife des neuen Medikaments ankündigt, in die Höhe getrieben werden. Bis ein neues Arzneimittel jedoch zugelassen wird, können viele Jahre vergeben. Während dieser langen Zeit verdient das Unternehmen buchstäblich nichts, da es noch kein Produkt verkaufen kann. In dieser Phase lebt es ausschließlich von den Geldern der Investoren.

Wenn ein Unternehmen bislang nur Verluste eingebracht hat, lässt sich das KGV erst gar nicht berechnen. Dass manche Bio – technologieunternehmen dennoch zumindest geringe Gewinne vorweisen können, liegt daran, dass manche Firmen noch ein anderes Geschäftsfeld haben, das für Umsätze sorgt, wie beispielsweise die Diagnostik, die Analyse von Gensequenzen oder die Produktion von Laborgeräten.
Wenn Sie folglich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis angemessen einschätzen möchten, sollten Sie die Kennzahl nur innerhalb derselben Branche vergleichen. Bei Wachstumswerten wie Technologieaktien kann auch ein höheres KGV noch gerechtfertigt sein. Allerdings sollten es keine astronomisch hohen KGVs sein. Zur Zeit des Internetbooms im Jahre 1999 erreichten manche Internetaktien ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 100 oder 200. Bei solch hohen Bewertungen ist die Aktie viel zu teuer, und ein Kursrückgang ist in absehbarer Zeit vorprogrammiert. Ein KGV von 100 bedeutet nichts anderes, als dass Sie hundertmal den Jahresgewinn erwirtschaften müssen, um das entsprechende Kursniveau zu erreichen. Solche hohen Bewertungen deuten auf eine Übertreibung oder gar eine Spekulationsblase hin, die jederzeit platzen kann. Selbst gut positionierte Technologiewerte rechtfertigen keine solch hohen KGVs.

Umgekehrt sollten Sie sich auch vor scheinbaren Schnäppchen hüten. Wenn eine Aktie nur ein KGV von 5 aufweist, sieht dies zwar günstig aus, aber der niedrige Wert kann dadurch zustande gekommen sein, dass der Aktienkurs ständig gesunken ist. Außergewöhnlich niedrige KGVs sind meist ein Anzeichen für eine Aktie, die zu den Verlierern zählt. Erkenntnisse aus der Finanzmarktforschung deuten darauf hin, dass das optimale Kurs-Gewinn-Verhältnis geringfügig unter dem Branchendurchschnitt liegt. Eine Aktie, die zu stark nach oben oder unten vom Durchschnitt abweicht, ist nicht empfehlenswert. Zur Sicherheit sollten Sie aber stets noch andere Kennzahlen zur Beurteilung heranziehen und die gesamte Ertrags- und Finanzlage betrachten.
Das KGV gibt auch Aufschluss über die Bewertung eines Aktienmarktes; obwohl die Branchendurchschnitte unterschiedlich sind, spielen länderspezifische Besonderheiten eine Rolle. Der Aktienmarkt eines Landes, das einen längeren Boom hinter sich hat, hat stets viel höhere KGVs, und dies wirkt sich auf alle Branchen aus. Insofern kann es sinnvoll sein, Länder, die bereits ein sehr hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis aufweisen, zu meiden. Denn es ist, als ob Sie in letzter Minute auf einen bereits anfahrenden Zug aufspringen.