Nachdem Sie bisher die verschiedenen Inhalte kennen gelernt haben, die im Vorstellungsgespräch möglich sind, ist nun auf einen ganz besonderen Gesprächsaspekt einzugehen, nämlich auf die Psychologie der Gesprächsführung. Um Sie von vornherein zu beruhigen: Bitte bewerten Sie das nicht über. Wie bereits früher erwähnt, ist nicht jeder Personalleiter oder Gesprächsführer des Unternehmens der geborene Gesprächspartner. Wenn Sie aber meinen, nur Ihre Gesprächspartner könnten das Vorstellungsgespräch optimal leiten, gehen Sie fehl. An Beispielen wurde bereits deutlich, dass auch Sie als Bewerber das Vorstellungsgespräch beeinflussen und sogar lenken können. An dieser Stelle soll jedoch darauf eingegangen werden, mit welchen psychologischen Tricks und Taktiken Sie im Vorstellungsgespräch, oder davor oder danach, vonseiten des Arbeitgebers rechnen müssen. Dabei muss es sich nicht immer um psychologische Gesprächsführung handeln, sondern kann auch nur eine zufällig zum Zuge gekommene Schläue Ihres Gesprächspartners sein, die er für Psychologie hält.
Die Berufspsychologie, mit der wir es hier zu tun haben, beschäftigt sich damit, Arbeitsprozesse in der Wirtschaft zu analysieren, z. B. im Hinblick auf verdeckte oder offene Konfliktfelder, und damit, berufsspezifische Eignungen von Mitarbeitern und Bewerbern herauszufinden. Eine psychologische Gesprächsführung im Vorstellungsgespräch ist deshalb eine gesteuerte Unterhaltung, in der man durch bestimmte Fragestellungen oder auch nur durch das Aufzeigen von Sachverhalten herausbekommen will, wie der Bewerber reagiert und ob er einem bestimmten (erwarteten) Persönlichkeitsprofil entspricht. Es ist allerdings nicht ganz unumstritten, ob aus privaten Angaben und persönlichkeitsspezifischen Fakten wirklich Rückschlüsse auf die Berufsleistungen eines Menschen gewonnen werden können. Dass das nicht so ist, wurde nach Angaben des renommierten Psychologen Funke von der Universität Hohenheim im dortigen Forschungszentrum für Berufsdiagnostik erarbeitet. Im Regelfall werden Sie im ersten Vorstellungsgespräch keine echte, länger andauernde psychologische Gesprächsführung erleben.
Die ist manchmal bei einem zweiten, vertiefenden Gespräch gegeben und auch nur bei qualifizierteren Positionen, bei denen es z.B. auf Führungsverhalten, Entescheidungsfreundigkeit und auch Kritikfähigkeit ankommt. Wenn Sie sich bei einem Personal oder Unternehmensberater bewerben, der für ein Unternehmen die Personalauswahl vorbereitet, dann müssen Sie mit einem solchen konstruierten Testgespräch rechnen. Es sollte Ihnen aber angekündigt werden, und Sie sollten ferner die Gelegenheit bekommen, zu den Ergebnissen Stellung zu nehmen. Meistens wird bei der Bestätigung der Einladung gefragt, ob Sie mit einem Test oder einem psychologischen Testgespräch einverstanden sind. Es kommt aber auch nicht selten vor, dass bereits beim Vorstellungsgespräch ein Psychologe anwesend ist und zuhört. Lassen Sie sich niemals durch solche Dinge irritieren und geben Sie sich stets so unbefangen, wie Sie im privaten und im beruflichen Umgang sind. Im ganz „normalen“ Vorstellungsgespräch taucht die Fragepsychologie allenfalls bei den Themenkomplexen „Angaben zur Person“ oder bei „Fragen zur
Selbsteinschätzung des Bewerbers“ auf. Grundsätzlich gilt:
■ Erzählen Sie niemals zu viel, Unwesentliches oder allzu Privates von sich. Antworten Sie stets sachlich, prägnant und aussagekräftig. Versuchen Sie niemals sich wichtig zu machen.
Bei dem Themenkomplex „Angaben zur Person“ sind die Fragen eher harmlos, können aber zur gefährlichen Falle werden, wenn man nicht genau aufpasst. Natürlich weiß der Arbeitgeber genau, dass seinem Fragerecht arbeitsrechtliche Grenzen gesetzt sind, dennoch wird immer wieder mit sanftem Druck versucht, einiges an persönlichen Angaben vom Bewerber oder der Bewerberin herauszubekommen. Dazu ein Beispiel:
Ein Unternehmen hatte bereits zwei Buchhalterinnen nacheinander wegen Schwangerschaft „verloren“. Bei der Ersatzeinstellung wollte der Personalchef auf Nummer sicher gehen und die Bewerberinnen einfach fragen, ob sie demnächst den Wunsch hätten, Kinder zu bekommen. Da diese Frage jedoch ebenso wie die nach einer bestehenden Schwangerschaft unzulässig ist, überlegte sich der Personalleiter eine Taktik. Er begann mit einer jüngeren Bewerberin eine ganz lockere Unterhaltung über deren Motivation, sich auf einen zunächst befristeten Arbeitsplatz zu verändern. Dann erläuterte er, dass die jetzige Stelleninhaberin drei Jahre im Erziehungsurlaub sein würde und fragte die Bewerberin, was sie denn von der gesetzlichen Regelung halte, dass man bis zu drei Jahren Erziehungsurlaub nehmen könne. Die Bewerberin antwortete wörtlich: „Im Prinzip ist das eine gute Regelung, denn dadurch kann ja die Mutter relativ lange beim Kind sein bzw. auch der Vater, je nach den persönlichen Umständen. Ich weiß aber auch, dass das in den Firmen nicht immer einfach ist, dann drei Jahre jemanden als Ersatz einzustellen, wir hatten sowas bei uns auch häufiger. Und gerade bei höheren Berufen ist das ein Problem, wo will man so schnell Ersatz hernehmen. Also, mein Freund und ich haben das mal diskutiert, mal überlegt, was wir machen würden. Wir wollen erst nächstes Jahr heiraten und danach Kinder bekommen, zwei wünschen wir uns, aber das ist ja noch lange hin. Wir wollen uns jedenfalls die drei Jahre teilen, eine Hälfte er, eine Hälfte ich. Dann ist man nicht so lange aus dem Beruf, und die Kinder sind nicht allein in der ersten Zeit.“
Die Bewerberin hatte hier ungewollt mehr gesagt, als gefragt war, aber genau das war die Absicht der Fragestellung. Außerdem hat der Personalchef viel mehr erfahren, als er direkt hätte fragen dürfen. Fest stand für ihn, dass er eine Bewerberin vor sich hatte, die ebenfalls Mutter werden wollte. Nun ist das kein Grund, eine Bewerberin abzulehnen, doch wissen Sie ja sicher aus Erfahrung, dass Sie in aller Regel keine genauen Begründungen für eine Bewerbungsabsage bekommen, und wenn, dann handelt es sich meistens um nichts sagende, standardisierte Absagen. Aus dem Beispiel lernt man, präzise auf die Frage zu antworten, nicht mehr und nicht weniger. Sie sehen, wie sehr man sich als Bewerber hüten muss, einfach „drauflos“ zu reden. Versuchen Sie bei solchen Fragestellungen stets hinter den Sinn zu kommen und orientieren Sie sich mit den Antworten grundsätzlich und immer am Allerwichtigsten: an der ausgeschriebenen Position. Diese wollen Sie haben, dafür müssen Sie Begründungen liefern und sich in die Erwartungshaltung des Arbeitgebers hineindenken.
Manchmal kommt es auch vor, dass man Sie mit vermeintlichen Nebensächlichkeiten testen will. Man bietet Ihnen vor Gesprächsbeginn Kaffee, Wasser oder Saft an, was durchaus üblich ist. Das Getränk sollten Sie dann auch austrinken oder zumindest einen Teil davon. Viele Bewerber bestellen sich etwas, manchmal sogar mit Bemerkungen („Ja, ein Kaffee würde mir jetzt nach der langen Fahrt gut tun“), und lassen das Getränk vor lauter Aufregung stehen. Das kann Sie als nervösen und angespannten Bewerber entlarven, auch wenn Sie sich noch so viel Mühe geben locker zu erscheinen. Alkoholika sollten Sie grundsätzlich niemals annehmen, auch nicht nach Gesprächsende. Lassen Sie sich nicht verleiten, auch nicht, wenn Ihnen der Personalchef nach dem recht gut gelaufenen Vorstellungsgespräch sagt: „Nun wollen wir uns erst mal mit einem kleinen Cognac stärken.“ Lehnen Sie immer ab, nehmen Sie lieber noch einen Kaffee oder ein Wasser. Ähnliches gilt für das Rauchen. Prinzipiell sollte man in Vorstellungsgesprächen nicht rauchen.
Wenn kein Gesprächsteilnehmer raucht und auch kein Aschenbecher auf dem Tisch steht, sollten Sie, selbst wenn Sie Raucher sind, nicht nach Raucherlaubnis fragen. Raucht dagegen einer der Gesprächsteilnehmer selbst und bietet Ihnen eine Zigarette an, dann leimen Sie höflich ab, konzentrieren Sie sich lieber auf das Gespräch. An der Art, wie Sie rauchen, kann man übrigens auch Persönlichkeitsmerkmale erkennen. Etwas anderes kann gelten, wenn Sie z.B. im zweiten Vorstellungsgespräch zum Erfolg gekommen sind und der ebenfalls rauchende Personalchef Ihnen eine Zigarette anbietet. Überlegen Sie immer, ob Rauchen in die Situation passt, und vor allem, ob Ihre Gesprächspartner Raucher sind. Ist das nicht der Fall, dann halten Sie sich zurück. Es könnte ja auch sein, dass der Arbeitgeber der Meinung ist, nur rauchfreie Mitarbeiter seien gesund. Hinter dem Zigarettenangebot eines Personalleiters kann aber auch Taktik stecken. Wenn z.B. zwei Mitarbeiter in einem Raum tätig sind und einer davon Rauch nicht verträgt, dann könnte die Annahme einer Zigarette für Sie als Bewerber das Aus bedeuten. Wie man es auf gar keinen Fall machen sollte, zeigt ein weiteres Beispiel:
Ein Personalleiter rauchte konsequent nur filterlose Gauloises, also recht starke französische Zigaretten. So auch in einem Bewerbungsgespräch, hier jedoch aus Taktik. Er fragte eine junge Bewerberin vor dem Anzünden der Zigarette, ob das Rauchen sie störe. Sie verneinte und sagte, dass sie selbst am Abend rauche. Im Laufe des Bewerbungsgespräches wurde die junge Frau immer nervöser und fragte schließlich den Personalleiter: „Kann ich bitte mal einen von Ihren Beruhigungsstängeln haben?“
Gelassen sollten Sie auch reagieren, wenn einer der Gesprächspartner während des Gespräches mit oder ohne Entschuldigung den Raum verlässt. Das kann reine Termingründe haben, es kann aber auch eine psychologische Taktik sein, nämlich herauszufinden, ob Sie als Bewerber mit den verbleibenden Gesprächspartnern in gleicher Intensität das Gespräch fortsetzen oder nicht. Das gilt besonders dann, wenn z.B. der ranghöchste Teilnehmer, Geschäftsführer oder Personalchef, den Raum verlässt. Kommen diese nach einer kurzen Abwesenheit wieder, dann machen Sie nicht den Fehler, Ihre Ausführungen zu wiederholen; das wird schon von den anderen Damen oder Herren übernommen, üblicherweise in kurzer Zusammenfassung. Nicht weniger gefährlich kann für Sie als Bewerber die Situation werden, wenn es um den Fragenkomplex zur Selbsteinschätzung geht. Hier können ganz punktuelle Fragen auftauchen, aber auch die Darstellung von Sachverhalten, zu denen Sie dann Stellung nehmen sollen. Manchmal versucht man auch, Sie direkt in Widersprüche zu verwickeln, indem man Sie mit früheren Aussagen konfrontiert, um zu sehen, wie Sie reagieren. Punktuelle Fragen sind z. B.:
– Wo sehen Sie Ihre Stärken, wo Ihre Schwächen?
– Meinen Sie nicht, dass Sie für die Position überqualifiziert sind?
– Wie sehen Sie sich als Kollege?
– Hatten Sie schon mal Ärger mit Ihrem Chef? Wenn ja, wie haben Sie reagiert?
– Können Sie Kritik vertragen?
– Warum sollen wir ausgerechnet Sie einstellen?
Sie glauben gar nicht, wie viele Fehler bei der Beantwortung solcher Fragen gemacht werden. Bei der Frage nach dem Ärger mit dem Chef z. B. kommen manchmal erstaunliche Fakten zutage, ganze Geschichten werden erzählt, und nicht selten kommt auch der wahre Bewerbungsgrund ans Licht, nämlich dass man mit dem Chef „nicht kann“. Bei der Frage nach der Kritikfähigkeit wird verständlicherweise meistens positiv geantwortet, oft aber übersehen, dass vorher im Gespräch eine Kritik eingebaut war. Es kann dann sein, dass Sie mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert werden. Bleiben Sie dann ganz ruhig und gelassen, und lassen Sie sich nicht verwirren. Fragen Sie selbst noch einmal höflich nach, worin nach Meinung des Personalchefs der Widerspruch liegen soll, und hören Sie genau zu, vielleicht gibt Ihnen die Antwort eine Brücke, den Widerspruch zu erläutern. Wesentlich kniffliger aber wird es, wenn Ihnen Sachverhalte vorgetragen werden, zu denen Sie Stellung nehmen sollen und bei deren Beantwortung man Sie unter psychologischen Aspekten beurteilt. Ein typisches Beispiel zum Thema Konfliktfähigkeit:
„Sie sind Abteilungsleiter (genau die Position, für die Sie sich beworben haben) und treffen eine Entscheidung. Hiergegen laufen andere Abteilungsleiter bei der Geschäftsführung Sturm. Das Ziel ist, dass Sie Ihre Entscheidung rückgängig machen. Was tun Sie?“
Falsch sind alle Antworten, aus denen sich ergibt, dass man sich in jedem Fall durchsetzen werde. Richtig sind diejenigen, aus denen sich ergibt, dass man erst einmal die Argumente der anderen hören möchte, sie analysiert, mit den Kollegen bespricht und dann ggf. versucht, sich argumentativ durchzusetzen. Überlegen Sie sich bitte auch einmal, wie Sie zu Fehlern stehen, die Ihnen bei der Arbeit unterlaufen. Geben Sie diese ehrlich zu, gehen Sie zu Ihrem Vorgesetzten oder vertuschen
Sie sie und machen andere dafür verantwortlich? Auch dazu kann Ihnen ein kleiner Psychotest im Bewerbungsgespräch präsentiert werden, der zunächst ganz harmlos aussieht:
Man verwickelt Sie in ein Gespräch über Leistungen, die alle positiv sind. Sie sprechen immer in der ICH-Form, weil Sie sich mit den guten Leistungen identifizieren wollen. Langsam wechselt man dann zu Fehlern in der Mannschaft über. Sie sprechen dann nicht mehr in der ICH-Form, sondern nur noch in der WIR-Form.
Dadurch verraten Sie sich als schwache Persönlichkeit, die nicht zu Fehlern steht und auch nicht bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Der Wechsel zum WIR wird dann als eine Flucht gewertet. Die Gespräche sind meistens so geschickt auf gebaut, dass Sie Ihren eigenen Wandel gar nicht bemerken (können oder sollen). Zum Beispiel wenn man Sie bewusst in Widersprüche verwickelt und Sie fragt, ob Sie schon mal Arger mit Ihrem Chef hatten, und Sie verneinen; bei einer sehr viel späteren Frage, z. B. zu Ihrer Konfliktbereitschaft, antworten Sie, dass Sie bislang alle Meinungsverschiedenheiten mit Ihren Vorgesetzten stets im besten Einvernehmen gelöst hätten … Der Psychologe im Gesprächspartner erntete seinen Erfolg, Sie vielleicht Ihre Absage. Merken Sie sich eines: Geben Sie sich auch in kritischen Gesprächssituationen immer natürlich und so, wie Sie auch im Berufsalltag reagieren würden.
Weiterlesen Psychologie der Gesprächsführung Teil II – Tipps während des Bewerbungsgespräches