Am 22. Mai 1996 ging es für Daimler-Chef Jürgen Schrempp sowie für den Aufsichtsratsvorsitzenden des Schwäbischen Traditionskonzerns, Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Hilmar Köpper, ums Ganze. Auf der Hauptversammlung des Daimler Konzerns mussten sie den Aktionären den schlechtesten Jahresabschluss sowie den höchsten Verlust in der Unternehmensgeschichte verkünden. Bei einem Umsatz von 103,5 Milliarden € hatte Daimler-Benz 1995 den Rekordverlust von 5,7 Milliarden € eingefahren. Die Luft- und Raumfahrttochter DASA kam auf ein Minus von 4,2 Milliarden € und die AEG auf ein Defizit von 2,3 Milliarden €. Die Belegschaft war um sechs Prozent auf 311.000 Beschäftigte gesunken.
Sturz aus der Gewinnzone
Wie auf diesen Jahrestreffen üblich, durften die Anteilseigner über die Entlastung des Vorstands abstimmen. Im Fall Daimler- Benz war das im Mai 1996 allerdings keine Routineangelegenheit. Denn der Krach war programmiert: Kleinaktionärsvertreter hatten schon vor der Versammlung gedroht, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. Die drei Großbanken – Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank – hatten darauf verzichtet, den Kleinaktionären eine Empfehlung zur Stimmabgabe auszusprechen. Die Depotkunden sollten ihren Banken vielmehr konkrete Anweisungen geben, ob sie der Entlastung des Vorstands zustimmen wollten. Im Klartext: Ob sie mit der Art und Weise, wie der Vorstand die Geschäfte im Jahr 1995 geführt hat, einverstanden waren.
Schon dieser Verzicht der Banken auf die Ausübung des Depotstimmrechts galt als höchst ungewöhnlich. Würde dem Vorstand die Entlastung verweigert, wäre die Daimler-Führung verwundbar – enttäuschte Aktionäre könnten beispielsweise Schadensersatzforderungen gegen sie anstrengen.
Grund für massiven Ärger gab es allemal. Für die Anteilseigner glich das vergangene Geschäftsjahr einer Achterbahnfahrt: Erst hatte ihnen der scheidende Vorstandsvorsitzende Edzard Reuter für 1995 strahlende Gewinne von einer Milliarde € und eine glänzende Zukunft versprochen, dann sorgte Reuters Nachfolger und Ziehsohn Schrempp dafür, dass die Hoffnungen der Aktionäre auf üppige Dividenden und steigende Aktienkurse wie Seifenblasen zerplatzten. Nur sechs Wochen nach seinem Amtsantritt revidierte er die Ergebnisprognose seines Vorgängers: Statt hoher Gewinne wurde ein Verlust von 300 Millionen € in Aussicht gestellt, der im Laufe des Jahres immer größere Dimensionen annahm, bis schließlich ein Jahr nach der frohen Botschaft von Reuter der Megaverlust von 5,7 Milliarden € in den Büchern ausgewiesen wurde.
Wo waren die Kontrolleure?
Spätestens da fragten sich viele: Wer ist der neue Daimler-Chef? Was treibt den Vorstandsvorsitzenden zu einer so brutalen Abrechnung mit seinem Mentor? Wo waren die Aufsichtsräte, als die fatalen Beschlüsse gefasst wurden, die dem Konzern Milliardenverluste bescherten? War Schrempp nicht selbst bis zu seinem Aufstieg an die Spitze des Industriekonglomerats für den hochdefizitären Luft-und-Raumfahrt-Bereich zuständig? Hatte er sich nicht höchstpersönlich für die Mehrheitsbeteiligung des Daimler- Konzerns am maroden niederländischen Flugzeugbauer Fokker, seinem Love-Baby eingesetzt?
Auf solche Fragen pflegte Schrempp schlichte, allzu einfache Antworten zu geben: Der Einstieg bei Fokker sei sicher sein Fehler gewesen, den er zwar spät erkannt, dann aber unverzüglich korrigiert habe. Doch bis zum Mai 1995 sei Reuter der Chef gewesen – da hatte er, der Nachfolger, nichts zu sagen. Erst danach habe er seinen eigenen Kurs einschlagen können.
Der Aufsichtsratschef Köpper, der auch den mit einem Anteil von damals noch 22 Prozent größten Einzelaktionär des Konzerns – die Deutsche Bank – repräsentierte, hatte vorgezogen zu den Vorgängen bei Daimler-Benz im Sommer 1995 zu schweigen. Köppers Position wurde aber unerfreulicher, als sich im Laufe des Schreckensjahres die Hinweise verdichteten, dass die Finanzabteilung bei Daimler die aus dem Februar 1995 erstellte Prognose schon Mitte Mai 1995, also deutlich vor Reuters Auftritt auf der Hauptversammlung, bei der er noch einen Milliardengewinn prognostizierte, nach unten korrigiert hatte. In einem internen Papier wurde schon frühzeitig vor einem Verlust von 300 Millionen € gewarnt. Dies warf unangenehme Fragen für den neuen Chef und seinen Kontrolleur auf. Wie konnte es passieren, dass keiner Reuter in den Arm gefallen war, als er die glänzenden Gewinne in Aussicht stellte?
Der Aufsichtsratsvorsitzende rückte immer mehr ins Schussfeld der Kritik. Immerhin hatte er Reuters Vertrag über die Pensionsgrenze hinaus verlängert, obwohl dessen Politik, den Autokonzern durch die Übernahmen von AEG, MBB, Dornier und Fokker in einen Hightechkonzern zu verwandeln, von Anfang an umstritten und seit Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands zum Scheitern verurteilt war.
Köppers Vorgänger Alfred Herrhausen, der im November 1989 von der RAF ermordet wurde, hatte Reuter 1987 noch vor der Übernahme des maroden Luft- und Raumfahrtkonzerns MBB gewarnt, sich aber trotzdem von dem eloquenten Daimler-Chef die Zustimmung abringen lassen. Warum also hatte dann nicht wenigstens Köpper früher interveniert und die horrende Wertvernichtung beendet?
Flucht nach vorn
Im Mai 1996 versuchten Schrempp und Köpper einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und das Interesse der erbosten Aktionäre auf die Zukunft zu richten. Die würde, wie Schrempp immer wieder betonte, so glänzend sein, dass die Anteilseigner wieder mit Stolz auf ihr Unternehmen blicken könnten. Überhaupt sollte künftig der Gewinn für den Aktionär – neudeutsch als Shareholder Value bezeichnet – die oberste Handlungsmaxime im Konzern sein.
Um den zukünftigen Profit zu sichern wurden unter Schrempps Führung bereits Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut, alte Werke im Inland geschlossen und neue Fabriken im Ausland aufgemacht. So wurde ein neues Mercedes-Werk in Brasilien gebaut, weil dort – so rechnete der Hausherr in der Möhringer Konzernzentrale vor – die Montage der Autos um 30 Prozent billiger sei. Für Schrempp zählten damals nur noch die harten Fakten. Mit übergeordneten Zielen – wie der Verantwortung für Arbeitsplätze in Deutschland, dem Erhalt des sozialen Friedens oder der Zukunft des Industriestandorts Deutschland – durfte ihm keiner mehr kommen. Beim Presseempfang im Mercedes-Museum am Abend vor der Bilanzpressekonferenz im April wurde er fast rabiat: Mit Deutschland habe ich sowieso nicht mehr viel am Hut, bekannte der Chef des Konzerns, der damals der größte Subventionsempfänger der deutschen Industrie war.
Und weil der Daimler-Chef an jenem Abend so richtig in Fahrt war, setzte er noch eins drauf: Die Deutschen würden sich noch umgucken, in zwei, drei Jahren gibt es nicht mehr vier Millionen Arbeitslose, sondern sieben Millionen. Schneidig fügte er hinzu: Mit Evolution sei Deutschland nicht zu retten, es müsse einen ganz harten Schnitt geben. So einen wie er ihn bei Daimler-Benz vollzogen hatte?
Ein kongeniales Duo
Ganz cool, pragmatisch vom Scheitel bis zur Sohle – so sieht sich Jürgen Schrempp am liebsten: Als ein standfester Wirtschaftslenker, der jeder Situation auf dem glatten Parkett des internationalen Business gewachsen ist. Ein bisweilen hemdsärmeliger Industriestratege, der auch handfeste Auseinandersetzungen nicht scheut. So gefiel er auch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden. Köpper hatte schon früh auf Schrempp gesetzt und dessen Aufstieg an die Spitze des Konzerns stets gefördert und verteidigt. Er kam mit dem Praktiker Schrempp besser aus als mit dem intellektuellen Visionär Reuter.
Das Führungsduo verband neben den gemeinsamen Zielen auch eine ähnliche Karriere. Beide hatten ihr Handwerk von der Pike auf gelernt, als Lehrlinge, der eine bei der Bank, der andere bei Daimler. Theoretische Diskurse, politische Ambitionen oder auch nur eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Macht und dem Einfluss, den beide Institutionen schon aufgrund ihrer Größe ausübten, waren beiden gleichermaßen fremd. Köpper beendete solche Diskussionen gern mit dem Hinweis, dass er beim Thema Macht schon die Bartwickelmaschine im Keller höre. Am Ende zählte sowieso nur, davon waren die beiden Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft überzeugt, was unter dem Strich herauskommt.
Das war an jenem Maitag wenig genug. Wer beim Amtsantritt von Edzard Reuter eine Daimler-Aktie im Wert von 1.100 € gekauft hatte, musste bis 1995 bei dessen Abschied von der Konzernspitze einen Verlust von 400 € hinnehmen. Gemessen an der Entwicklung des Deutschen Aktien Index in diesem Zeitraum betrug der Wertverlust aller Daimler-Aktionäre sogar 36 Milliarden €.
Geschönte Wahlergebnisse
Viele der geprellten Anteilseigner erinnerten sich noch an die Worte des Aufsichtsratschefs Köpper zum Abschied von Reuter im Mai 1995. Damals hatte der Deutsche-Bank-Chef den Daimler- Vorstandsvorsitzenden, der in der Wirtschaftspresse längst zum Minus-Mann diskreditiert worden war, noch als treibende Kraft für die Modernisierung des Konzerns gepriesen und Reuters Wechsel in den Aufsichtsrat des Technologiekonzerns befürwortet.
Auf der Jahreshauptversammlung 1996 verkündete Köpper zu Beginn seiner Rede, was alle Aktionäre längst wussten – dass Reuter den Aufsichtsrat bereits im Februar 1996 verlassen habe. Doch um die gebeutelten Aktionäre zu beruhigen und einen Aufstand der wütenden Kleinanleger zu verhindern, war Köpper kein Trick zu billig. Rund 60 Wortmeldungen lagen vor, doch Köpper verstand es, die kritischen Beiträge unabhängiger Redner und die rhetorisch geschickten, konstruktiven Appelle von Managern aus Konzerntochtergesellschaften der Deutschen Bank wohl zu koordinieren. Das Ergebnis der Abstimmung, die wegen der vielen Anträge erst gegen 23 Uhr stattfand, bescheinigte ihm, wie erfolgreich sein Versammlungsmanagement war: 98 Prozent der Anwesenden hatten Vorstand und Aufsichtsrat entlastet.
Allerdings hat Köpper auch bei diesem Ergebnis, das an Wahlgänge im real existierenden Sozialismus oder im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erinnerte, ein wenig nachgeholfen: Die Stimmenthaltungen lagen bei 20 Prozent. Doch bei der Abstimmung über die Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat wurden diese Voten nicht berücksichtigt. Dabei handelte es sich zumeist um Vertreter der Banken, die von ihren Depotkunden keine Anweisung für die Stimmabgabe erhalten hatten.
Machtkampf um Mercedes
Mit der Hauptversammlung war allerdings die Feuerprobe noch nicht zu Ende. Schon bevor sich die Aktionäre über den Jahresabschluss 1995 echauffieren konnten, hatte Schrempp begonnen, den Konzern umzukrempeln. Die Holdingstruktur mit der Dachgesellschaft Daimler-Benz AG, die von Reuter eingeführt worden war, um den integrierten Technologiekonzern, dessen Produktpalette vom Airbus bis zur Kaffeemaschine reichte, führen zu können, wurde zurückgenommen. Schrempp wollte das Konglomerat wieder auf den Kernbereich, die Produktion von Autos und Nutzfahrzeugen zurückführen. Denn dort wurden, wie das Jahresergebnis 1995 zeigte, die Gewinne erzielt, während die AEG und der gesamte Luft- und Raumfahrtbereich dem Konzern nur Verluste und schlechte Presse bescherten.
Der Auflösung der Mercedes-Benz AG stand allerdings Helmut Werner, Chef der Fahrzeugsparte, im Wege. Werner wollte die Selbstständigkeit dieses Bereichs und seinen Posten wahren. Er versuchte sich mit seinen Vorstandskollegen bei Mercedes der Integration der Mercedes-Benz AG zu widersetzen.
Doch er hatte Schrempp, der sein erstes Jahr als Daimler-Benz – Chef nur mit erheblichen Blessuren überstanden hatte, unterschätzt. Trotz seiner Eskapaden wie dem nächtlichen Renkontre mit der römischen Polizei – auf dem Weg zur Spanischen Treppe war Schrempp nach einer kleinen Geburtstagsfeier zusammen mit seiner Büroleiterin und seinem Assistenten sowie einer Flasche Rotwein von Polizisten angehalten und, nachdem die Gruppe sich mit Verbalattacken heftig gegen den unfreiwilligen Zwischenstopp wehrte, zur Feststellung der Personalien auf das Revier begleitet worden – und trotz des Fokker-Debakels – erfreute sich der Daimler-Chef noch immer des ungeteilten Wohlwollens seines Aufsichtsratschefs Köpper. Überdies hatte Schrempp seinen Coup geschickt eingefädelt. Er hatte die wichtigsten Männer bei Mercedes, Jürgen Hubbert und Dieter Zetsche, auf seine Seite gezogen. Bereits im Winter 1996 hatten die beiden Spitzenkräfte eindeutige Angebote bekommen: Beide sollten in den neuen Zentralvorstand der Daimler-Benz AG aufrücken, Hubbert als Verantwortlicher für das gesamte PKW-Geschäft, Zetsche als Chef des Vertriebs. Auch den Chef der Nutzfahrzeugsparte Kurt J. Lauk, den Personalvorstand Heiner Tropitzsch und den Topentwickler Klaus-Dieter Vöhringer holte Schrempp in den neuen zehnköpfigen Verstand der Daimler-Benz AG.
Aufsichtsratschef Köpper eilt zu Hilfe
Aufsichtsratschef Köpper sorgte inzwischen dafür, dass die Umstrukturierung, die monatelang den Flurfunk und die Gerüchteküche im Konzern belebt hatte, im obersten Kontrollgremium keinen Schiffbruch erlitt. Am 23. Januar 1997 sollte der Aufsichtsrat über den neuen Vorstand befinden. Am 17. Januar informierte Köpper die Aufsichtsräte vorab schriftlich, dass der Präsidialausschuss die fünf neuen Vorstandsmitglieder zur Zustimmung empfiehlt.
Damit hatte sich der Aufsichtsrat gegen den bisherigen Mercedes-Chef Werner entschieden. Zwar versuchte Schrempp noch – so stellt es zumindest Jürgen Grässlin, Sprecher der Kritischen Aktionär/Innen bei Daimler-Benz und Autor des Buches Jürgen E. Schrempp dar – den erfolgreichen Automanager zu halten und bot Werner den eigens geschaffenen Posten des Koordinators des Automobilbereichs an. Damit wäre Werner immerhin der zweite Mann an der Daimler-Spitze gewesen, doch der Mercedes-Chef ging lieber. Die neue Struktur ließ nur Platz für einen Spitzenmanager, der das Sagen hat. Und Werner, der ebenfalls nur Erster sein wollte, sah keine Chance für sich – unter Schrempp wären Führungskonflikte vorprogrammiert gewesen. Ohne Köpper in seinem Rücken hätte Schrempp die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit kaum überstanden: Er ist ein unglaublicher Gentleman – er regiert nicht in meine Geschichte rein und ist da, wenn ich ihn brauche, lobte der Daimler-Chef seinen obersten Kontrolleur.
Die Fusion mit Chrysler wird eingefädelt Das blieb auch so, als Köpper im Mai 1997 in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank wechselte und dort den Vorsitz übernahm. Sein Nachfolger Rolf-E. Breuer verzichtete auf das Daimler-Mandat. So konnte sich Schrempp, als er im Frühjahr 1998 die Hand nach Chrysler ausstreckte, ganz auf Köpper verlassen. Offiziell eingeweiht wurde der Aufsichtsratschef in die Mission Gamma – wie die Fusion von Daimler und Chrysler intern genannt wurde als das Projekt kurz vor dem Abschluss stand. Der Entschluss, mit Chrysler über eine Partnerschaft zu sprechen, wurde bereits im August 1997 gefasst, als die US-Investmentbank Goldman Sachs ein erstes Konzept vorgelegt hatte. Während der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt im September 1997 suchte Schrempp den Kontakt zu Bob Lutz, damals noch stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats bei Chrysler. Am 12. Januar 1998 unterbreitete Schrempp dem Chrysler-Chef Bob Eaton seinen Plan, die beiden Unternehmen zu fusionieren. Das legendäre Gespräch, das im Firmensitz von Chrysler stattfand, soll nur 17 Minuten gedauert haben. Ende Januar 1998 erklärte Eaton per Telefon sein Einverständnis, mit den Verhandlungen zu beginnen. Am 5. Februar informierte der Chrysler-Chef sogar sein Board, das Kontrollgremium des Autokonzerns, über die Fusionsgespräche mit Daimler.
Schrempp hingegen zog die Mission alleine durch. Erst am 19. April 1998 stattete er zusammen mit Chrysler-Chef Eaton dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Köpper in dessen Privathaus einen Besuch ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein kleiner Kreis von Spitzenmanagern, die das besondere Vertrauen der jeweiligen Konzernherrn besaßen, alle wesentlichen Fragen der Verschmelzung – die Führung des Konzerns durch eine Doppelspitze, Bewertungsfragen und Firmensitz – geklärt. Dazu zählten auch ausgesuchte Teams von Investmentbankern von Goldman Sachs für Daimler, von der Credit Suisse First Boston (CSFB) für Chrysler sowie Anwälte renommierter Kanzleien Die übrigen Vorstandsmitglieder der beiden beteiligten Konzerne hatten zumindest Hinweise auf das bevorstehende Großereignis erhalten, als endlich auch der oberste Kontrolleur von Daimler und der Repräsentant des Großaktionärs ins Vertrauen gezogen wurde.
Schweigen ist Gold
Dennoch spielte Köpper in den letzten drei Wochen vor der öffentlichen Bekanntmachung der Megafusion eine bedeutende Rolle, berichten die FAZ-Journalisten Holger Appel und Christoph Hein in ihrem Buch Der Daimler-Chrysler-Deal; Er hat uns immer vorangetrieben und Mut gemacht, wenn alles zu scheitern drohte, zitieren die beiden Autoren ein Mitglied aus der Projekt-Gamma-Truppe. Sein Meisterstück legte Köpper jedoch hin, als die Verhandlungen kurz vor der Unterzeichnung zu kippen drohten. Eaton verlangte eine Absicherung von der deutschen Kapitalseite. Köpper gelang es, Zusagen von den Anteilseignern der Daimler- Benz AG noch vor dem 6. Mai bei zu bringen. Ohne Köpper wäre der Deal gescheitert, er hat sich sensationell verhaltern, sagten Gamma-Projekt-Mitarbeiter.35 Köpper wurde für sein Engagement mit dem Aufsichtsratsvorsitz der neuen DaimlerChrysler AG belohnt.
Köpper sorgte aber auch dafür, dass die Deutsche Bank bei diesem Superprojekt doch noch zum Zuge kam. Sozusagen im letzten Augenblick wurden Investmentbanker der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell ins Team geholt. Immerhin sollen sie für ihren kurzen Einsatz 60 Millionen Dollar erhalten haben. Insgesamt dürften die Investmentbanken knapp 250 Millionen € für ihre Arbeit kassiert haben.
Dafür wurde aber auch nicht getratscht. Anders als bei Thyssen und Krupp wurde das Zusammengehen der beiden Autokonzerne, das – wie sich später herausstellte – eine Übernahme der Amerikaner durch die Deutschen war, unbemerkt von Presse und Öffentlichkeit bis zur Unterschriftsreife verhandelt. Keiner der 25 beteiligten Daimler- und Chiysler-Manager, der Investmentbanker von Goldman Sachs und Morgan Grenfell hat sich in diesen Monaten zu Indiskretionen verführen lassen. Schrempp und Köpper hatten offenbar die überzeugenderen Argumente als ein Jahr zuvor Krupp-Chef Cromme: Wer beim Quatschen erwischt wird, fliegt, habe beispielsweise der Daimler-Boss seinen Mitarbeitern gedroht.
Katerstimmung nach der Elefantenhochzeit
In den ersten Monaten nach dem spektakulären Deal, der am 7. Mai 1998 unterschrieben wurde, schwärmten die Akteure von ihrem Werk nur in den höchsten Tönen. Als Hochzeit im Himmel feierte Daimler-Chef Jürgen Schrempp die Fusion mit Amerikas drittgrößtem Autokonzern. Durch das Zusammengehen von Daimler und Chrysler war der drittgrößte Automobilkonzern der Welt entstanden. Er produzierte mit 421.000 Beschäftigten 4,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr und erzielte einen Umsatz von mehr als 132 Milliarden Dollar.
Die Partnerschaft begeisterte auch die Analysten: Die beiden Konzerne würden sich gut ergänzen. Mercedes hat einen Marktanteil von gut ein Prozent in den USA, etwas mehr als Chrysler in Europa, sagte Peter Soliman, Automobilexperte bei der Unternehmensberatung Booz Allen ft Hamilton. Die Stuttgarter seien in der Oberklasse zu Hause, aus Detroit werde der Massenmarkt beliefert. Daimler könnte die Türen für Chrysler in Europa und Lateinamerika öffnen und die Amerikaner den Schwaben in ihrem Heimmarkt helfen. Wenn wir Zusammengehen, wer soll uns dann noch schlagen?“, prahlte damals auch Chrysler-Vizepräsident Shamel Rushwin siegessicher.
Schrempp ließ gelegentlich – wenn auch eher rhetorisch – etwas Skepsis anklingen: Der Faktor Mensch könnte den erfolgreichen Bestand der Elefantenhochzeit noch gefährden. Bewähren musste sich der himmlische Bund schließlich auf der Erde, und da lauerten viele Gefahren. In den Unternehmen begannen die unteren Führungskader gleich nach der Verkündung des Coups um Posten und Pfründe zu rangeln, statt sich, wie vom Vorstandschef gewünscht, um die Integration der Mitarbeiter in das neue deutsch-amerikanische Unternehmen zu kümmern.
Als der erste Jubel verhallt war, begannen auch Experten aus der Autobranche den Megadeal zwischen Daimler und Chrysler, mit dem sich die beiden Unternehmen für die künftigen Herausforderungen in der Automobilbranche wappnen wollten, kritischer zu sehen und als Auftakt für einen tief greifenden Umbruch im weltweiten Automarkt zu begreifen. Die Fusion hat die Gesetze der Branche weltweit total verändert, sagte Daniel T. Jones, britischer Autor mehrerer Bücher über die Automobilindustrie. Weitere Fusionen und Übernahmen werden die Zahl der Konzerne in diesem Bereich reduzieren. Die Konzentration werde sich erhöhen. Das war keine leere Prophezeiung: Damals buhlten gerade BMW und VW um den britischen Autokonzern Rolls Royce. Renault hatte die Mehrheit bei Nissan übernommen und Ford baute um die Luxusmarke Jaguar die Premier Auto Group auf.
Vorstoß nach Asien
Schrempp bereitete ebenfalls seinen nächsten Coup vor. Im Herbst 2000 verkündete er die Übernahme von 37,3 Prozent an der Mitsubishi Motor Company. Obwohl die Chrysler-Übernahme noch nicht verdaut war, schickten Köpper und Schrempp den Konzern in ein neues Abenteuer. Mit Mitsubishi sollten nun auch die asiatischen Märkte aufgerollt werden.
Auch dieser Akquisition stimmte der Aufsichtsrat offenbar ohne Zögern zu, obwohl Daimler schon einmal – noch zu Reuters Zeiten – einen Versuch unternommen hatte, mit diesem japanischen Industriekonglomerat zu kooperieren und schließlich gescheitert war. Warum also waren sich Vorstand und Aufsichtsrat im Herbst 2000 so sicher, dass DaimlerChrysler mit Mitsubishi Zusammenarbeiten könnte? Schrempp hatte darauf nur eine Antwort: Er beschwor immer wieder seine Vision von einer Welt AG, die in allen Märkten dieser Welt zu Hause ist. Vor allem ging es ihm um die Absicherung der Luxus-Marke Mercedes gegen das Vordringen von Massenherstellern wie VW und Ford in die Oberklasse. Gleichzeitig sollte der Konzern auch im Massensegment Fuß fassen, ohne das Markenimage zu beschädigen.
Spätestens seit der Elchtest-Panne bei der Einführung der A- Klasse war allen Daimler-Managern klar, dass der Massenmarkt mit der Marke Mercedes allein nicht zu erobern war. Die Kunden erwarteten Qualität und technische Perfektion der S-Klasse zu Preisen eines Astras oder Golfs. Ein rentables Geschäft war das schon wegen der hohen Entwicklungskosten nicht, jedenfalls nicht auf kurze Sicht. Da schien es doch günstiger, Hersteller zu übernehmen, die eine Modellpalette für den Massenmarkt entwickelt hatten. Zudem hatte Chrysler mit seinen Jeeps und Minivans ein attraktives Segment besetzt, dessen Bedeutung die europäischen Hersteller, mit Ausnahme von Renault, viel zu spät erkannt hatten. Von der Beteiligung an Mitsubishi versprach sich der Daimler-Manager die Öffnung der Märkte in Japan und Ostasien.
Vom Jäger zum Gejagten
Die Frage, ob Mercedes überhaupt in den Volumenmarkt einsteigen müsste, war seit der Einführung der A-Klasse und des Kleinstwagens Smart beantwortet. Doch seine Wunschträume erfüllten sich nicht. Mit Vollgas startete DaimlerChrysler in die Krise. Statt wachsender Umsätze und glänzender Gewinne bescherten die neuen Töchter Schrempps Welt AG Milliardenverluste und unausgelastete, veraltete Fabriken, die an den stattlichen Profiten zehrten, die der Kembereich Mercedes-Benz erzielte.
Für die Aktionäre waren Schrempps Abenteuer in den USA und in Japan eine herbe Enttäuschung. Der Kurs der Aktie war von einem Höchststand von über 100 Euro im Frühjahr 1998 auf rund 46 Euro im Frühjahr 2002 abgerutscht. Im Herbst 2001, nach den Terroranschlägen von New York und Washington, war der Wertverlust noch dramatischer ausgefallen: Das DaimlerChrysler-Papier war auf 29 Euro durchgesackt. Seit der Chrysler-Übernahme hatte der Konzern im Frühjahr 2002 mehr als die Hälfte seines Börsenwerts eingebüßt und die Marktkapitalisierung betrug nur noch knapp 50 Milliarden Euro. Der mächtige Konzern war vom Jäger zum Gejagten geworden, die Welt AG selbst drohte letztlich zur Beute profitlüsterner Akquisiteure zu werden, die sich von der Zerschlagung von Schrempps Imperium stattliche Profite versprachen.
Doch während Daimler Chryslers Großaktionär, die Deutsche Bank, den Wertverfall ihres Aktienpakets in den 90er Jahren noch ohne offene Kritik hingenommen hatte, rührte sich nun Widerstand. Vor allem die Investmentbanker von Europas größtem Geldhaus wollten die DaimlerChrysler-Papiere liebend gerne loswerden. Die Kapitalverbindung zwischen der Bank und Europas größtem Autokonzern wurde im Ausland – vor allem in den USA – stets mit Argwohn betrachtet, weil Interessenkonflikte programmiert sind und die Bank durch ihre privilegierte Stellung als Finanzinstitut und Großaktionär des Konzerns auch Zugang zu privilegierten Informationen hat. Das stärkt nicht gerade die Position der Deutschen Bank im internationalen Investment Banking, wo die wirklich großen Deals eingefädelt werden.
Deshalb hat Köppers Nachfolger Breuer immer wieder erklärt, dass sich die Bank aus den Industriebeteiligungen zurückziehen wolle. Doch passiert ist bis Frühjahr 2002 nichts. Erst lag es an der Steuerpolitik der jeweiligen Bundesregierung, die einen Verkauf des Pakets wegen der hohen Abgaben wenig lukrativ erscheinen ließ. Doch seit Januar 2002 sticht dieses Argument nicht mehr. Durch die Steuerreform von Bundeswirtschaftsminister Hans Eichel sind die Veräußerungsgewinne bei Beteiligungsgesellschaften steuerlich begünstigt – Banken und Versicherungen können ihre Industriebeteiligungen ohne steuerliche Einbußen abstoßen.
Deshalb stellt nun der Aktienkurs das Hindernis für die Abgabe des Pakets dar: Die Bank würde beim gegenwärtigen Wert des Papiers auf Hunderte Millionen Euro verzichten müssen.
Gestörte Beziehungen
Die Banker arbeiteten durchaus mit an dem fortschreitenden Wertverlust. Der größte Fauxpas unterlief dabei dem im Mai 2002 zum Aufsichtsratschef gekürten Rolf-E. Breuer. Auf der Bilanzpressekonferenz vom 1. Februar 2002 stand Breuer den Journalisten auch nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung noch Rede und Antwort.
Und weil sich der Deutsche-Bank-Chef in der Rolle des kommunikativen, weltoffenen und modernen Konzernführers rheinischer Provenienz so gut gefällt, zuckte er auch nicht zurück, als Fragen nach einer neuen Aufgabe der Bank bei DaimlerChrysler gestellt wurden. Ich kann bestätigen, dass die Deutsche Bank ein Mandat hat, DaimlerChrysler bei seiner Verteidigungsstrategie zu beraten10, sagte er ohne Zögern auf die Frage eines Journalisten – und hatte wieder einmal für Schlagzeilen in der Tagespresse gesorgt.
Von der Süddeutschen Zeitung bis zur Bild war Breuers Aus sage die Spitzenmeldung des nächsten Tages. Hatte der erste Mann in Deutschlands größtem Geldkonzern doch die schlimmsten Befürchtungen über den Zustand des Konzerns mit seinem Hinweis erst öffentlich gemacht. Schlimmer noch: Breuer hatte mit seinem Statement gegen ein ehernes Gesetz im Bankbetrieb verstoßen – über Kundenbeziehungen wird in der Öffentlichkeit nicht geredet. Breuers Verhalten warf wieder einmal viele Fragen auf: Was war nur in den Bankchef gefahren? Wollte er dem Daimler-Chef wirklich gezielt eins auswischen oder nur die Bedeutung, die die Deutsche Bank im internationalen Investmentgeschäft einnahm, demonstrieren – eine Rolle, die sie bis zu jenem Zeitpunkt nicht oft spielen durfte? Breuer schwieg über seine Motive, fühlte sich wie üblich in solchen Situationen nur gründlich missverstanden. Über den Medienrummel soll er sich nur gewundert haben, wie Der Spiegel in der Woche darauf süffisant berichtete.41 Schrempp soll den Banker, als die Nachricht über die Agenturen verbreitet wurde, umgehend per Telefon zur Rede gestellt haben.
Insider berichten, das DaimlerChrysler die Geschäftsbeziehungen zur Bank seit der verbalen Entgleisung auf ein Minimum beschränke und die wirklich lukrativen Aufträge, wie die Platzierung von Anleihen oder Aktienpaketen, fast ausschließlich an Goldman Sachs vergebe. Dass die Chemie zwischen dem ehemaligen Deutsche-Bank- Chef Breuer und dem DaimlerChrysler-Boss Schrempp nicht mehr stimmt, zeigte sich im Februar 2002. Schrempp gab überraschend eine Gewinnwarnung für das laufende Geschäftsjahr heraus und schockte die Börse: Der Kurs der DaimlerChrysler-Aktie gab innerhalb weniger Minuten um sieben Prozent nach. Breuer war nach Angaben einiger Vertrauter stinksauer über Schrempps Ankündigung: Im Februar 2001 hatte der DaimlerChrysler-Chef für 2002 noch einen Gewinn von 5,5 bis 6,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Jetzt soll es nur ein Überschuss von deutlich über 2,6 Milliarden Euro werden. Unerwartet kam die neue Prognose vor allem auch deshalb, weil die Manager der drei großen Bereiche Mercedes-Benz, Chrysler und Nutzfahrzeuge kurz zu vor erklärt hatten, sie würden ihre Ziele für 2002 erreichen.
Der Clou an der Geschichte: Die Deutsche Bank würde ihren Anteil von zwölf Prozent an DaimlerChrysler gern verringern – doch allein durch den Kurssturz nach Schrempps jüngster Beichte verlor das Paket fast weitere 240 Millionen Euro an Wert.