Bonbons für die Aktionäre der Banken und Sparkassen

Natürlich gibt es Gruppen, die von den fiesen Geschäften der Banken profitieren: die Aktionäre der Geldhäuser, die, vom Ballast kritischer Kredite befreit, auf kräftige Kursgewinne hoffen können. Denn die Börse belohnt rabiates Verhalten und Turbokapitalismus.

Und an die Adresse der Aktionäre gerichtet erklärt denn auch die Hypo Real Estate ihre Philosophie: Offenheit, Fairness und Transparenz kennzeichnen die Unternehmenskultur der Hypo Real Estate Group. Die Gruppe nimmt durch zahlreiche Projekte ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr und fordert eine nachhaltige und lebenswerte Umwelt.
Die abgezockten Kunden können nur auf die Politik hoffen. Denn der florierende Handel mit den Schulden braver Häuslebauer sorgt bereits für Aufmerksamkeit in Berlin.

Der Finanzausschuss des Bundestags hat sich im Februar 2007 mit dem Thema beschäftigt. Der Vorsitzende des Ausschusses, der CSU-Politiker Eduard Oswald, erklärte dazu: Es ist kaum verständlich, wenn sich Kreditnehmer plötzlich nicht mehr ihrer heimischen Bank, sondern fremden Institutionen als Verhandlungspartner gegenübersehen. Mechthild Dyckmans, justizpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, mahnt vor allem bei ordnungsgemäß bedienten Krediten mehr Fairness an: Auch eine Selbstverpflichtung der Banken, die Kunden rechtzeitig über eine geplante Übertragung des Kredits zu informieren, würde das Problem entschärfen.

Schlechte Nachrichten aus den USA
Dass eine Selbstverpflichtung der Banken zur Information ihrer Hypothekenkunden über einen geplanten Kreditverkauf kein Allheilmittel ist, zeigt die Entwicklung in den USA. Dort haben die Hypothekenbanken längst eine neue Variante erfunden, um sich belastender Darlehensverträge zu entledigen. Sie wurden als CDO – Collateralized Debt Obligations – an Anleger weitergereicht. (Collateralized Debt Obligations sind Anleihen, deren Zins- und Tilgungszahlungen aus den Cashflows, den Gewinnen, eines Portfolios aus Kredit- und Anleiheforderungen bedient werden. CDOs werden in mehreren Tranchen ausgegeben, auch als Anteile für kleinere Anleger.)
Die Kreditinstitute können mit CDOs unerwünschte Risikopositionen unter Einbeziehung des organisierten Kapitalmarktes veräußern und über anschließende Investments gewünschte, für sie günstigere Rendite-Risiko-Strukturen aufbauen.
Mit anderen Worten: Die Banken sortierten ihre faulen Kredite aus, packten sie in eigens dafür gegründete Gesellschaften und boten sie am Kapitalmarkt an — als risikoarme, weil ja mit Sicherheiten versehene Anleihen.

Leider stammen diese Kredite aus der jüngsten Boomphase des US-Immobilienmarktes, als selbst für bescheidene Einfamilienhäuser stattliche Preise erzielt wurden. Die Banken finanzierten die überteuerten Immobilien und heizten damit die Preisentwicklung weiter an.

Diese Entwicklung ist umso erstaunlicher, als die Geldinstitute aus den vorangegangenen Überhitzungen im Aktienmarkt oder der großen Immobilienkrise in den 1970er Jahren, als reihenweise US-Hypothekenbanken Konkurs anmelden mussten, wenig gelernt oder die falschen Schlüsse gezogen haben.
Seit 2005 hat sich am US-Immobilienmarkt das Blatt gewendet. Die einst so teuren Häuser und Wohnungen lassen sich nur noch mit erheblichen Preisabschlägen verscherbeln. Die Zinsen steigen. Jede siebte Hypothekenfinanzierung platzt, die Liegenschaften werden gepfändet. Doch diesmal haben die Banken mit ihrer leichtsinnigen Kreditvergabe ein großes Rad gedreht. Kippelige, riskante Kredite im Wert von 800 Milliarden Dollar wurden in Portfolios zusammengefasst und als Anleihen an Investoren weitergereicht. Allerdings haben nicht nur vermögende Privatanleger diese Schrottanleihen gekauft, sondern auch Pensionskassen, Finanzgesellschaften und Banken. Allein im ersten Halbjahr 2007 haben diese Schrottanleihen bereits 40 Prozent an Wert verloren. Die Krise am Bondmarkt bedrohte die internationale Finanzbranche und die Börsen rund um den Globus. Im Juli 2007 kam es schließlich zum Crash. Zwei große US- Fondsgesellschaften waren pleite. Mehrere Milliarden Dollar hatten die Fondsmanager mit ihren Junkbonds vernichtet. Schlimmer noch: Die Krise erschütterte die Aktienmärkte weltweit. Die Kurse, die, nach dem Börsen-Crash des Jahres 2001, gerade erst wieder neue Höchststände erreicht hatten, brachen weltweit ein.

Auch in Deutschland drohte eine Bank im Sog der weltweiten Krise unterzugehen. Die IKB, ein Kreditinstitut, dessen Klientel vornehmlich aus mittelständischen Unternehmern bestand, hatte sich mit den auf faulen Krediten basierenden Schrottanleihen verspekuliert. Im Geschäftsjahr 2006/2007 erzielte die Spezialbank mit 1832 Mitarbeitern noch einen Konzernjahresüberschuss von 180 Millionen Euro. Die Bilanzsumme war um 7,8 Milliarden auf 52,1 Milliarden Euro gestiegen. Doch jetzt konnte das Institut nur in letzter Minute durch eine Rettungsaktion des größten Einzelaktionärs der IKB, der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), gerettet werden. Die Staatsbank sprang mit einer Liquiditätsspritze von 8,1 Milliarden Euro ein.

Sollte die IKB zusammenbrechen, hatte der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) Jochen Sanio, gewarnt, könnte das die schwerste Bankenkrise seit 1931 auslösen.

Das maximale Verlustrisiko bei IKB liege nach Auskunft der KfW bei 3,5 Milliarden Euro. Davon werde die KfW auch den Löwenanteil, nämlich 70 Prozent, übernehmen, den Rest teilen sich Privatbanken und die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute. Der Börsenkurs der IKB sackte innerhalb einer Woche ab, ihr Wert sank um eine Milliarde Euro. Und vermutlich wird sich die Bank von dem Spekulationsdebakel nicht erholen, sondern von einem anderen Finanzinstitut übernommen.

Lukratives Wettbewerbshindernis beim Immobilienkredit

Die Vorfälligkeitsentschädigungen wirken auch als Wettbewerbshindernis. Wer einmal ein Haus oder eine Wohnung auf Pump finanziert hat, kann sich gut vorstellen, welcher Stress auf den Besitzer zukommt, der seine Immobilie verkaufen will, weil er aus Berufsgründen in eine andere Stadt ziehen muss, seinen Job verliert oder andere Gründe zur vorzeitigen Ablösung des Kredites führen. Längst nicht alle Banken sind kulant und übertragen beim Kauf einer anderen Immobilie die alte Hypothek auf eine neue.

Aber auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen sind die Vorfälligkeitsentschädigungen äußerst fragwürdig. Sie verhindern den Wettbewerb unter den Banken. Denn wenn jemand sein Darlehen umschulden möchte, weil ihm ein anderes Institut bessere Konditionen bietet, dann muss er sich genau überlegen, ob sich der Wechsel lohnt, wenn die Vorfälligkeitsentschädigung mit ins Kalkül gezogen wird. Durch diese Fessel, die deutsche Geldinstitute ihren Darlehensnehmern anlegen, werden nämlich zum Beispiel ausländische Banken davon abgehalten, in den deutschen Hypothekenmarkt als Finanziers einzutreten.

Zum Wohle der Kunden und des Wettbewerbs fordern deshalb Verbraucherschützer, die Höhe der Entschädigungszahlungen auf drei Monatszinsraten zu beschränken und außerdem die Banken zur Transparenz zu zwingen: Sie sollen verpflichtet werden, die Berechnungsmethode anhand von konkreten Beispielen offenzulegen.
Wer von den Verbrauchern ein Mehr an Mobilität erwartet und gleichzeitig den Erwerb von Eigenheimen fördert, darf sie mit Entschädigungszahlungen bei einer vorzeitigen Beendigung nicht allein lassen, sagte Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherschutzorganisationen. Die Selbstbedienungsmentalität der Banken wirkt als Bremse für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt.

Der Fall von DaimlerChrysler richtig verstehen

Der Weg des Daimler-Konzerns ins Chaos begann Mitte der 1980er Jahre. Damals leitete Edzard Reuter den Autohersteller und Alfred Herrhausen den Geldkonzern. Beide waren in ihren Organisationen Ausnahmeerscheinungen: eher Intellektuelle als Pragmatiker, eher Strategen als Taktiker, und beide äußerst eloquent, wenn es ihren Interessen diente. Auch nach der politischen Farbenlehre bildeten sie ein interessantes Gespann. Reuter, der Sohn eines ehemaligen Berliner Bürgermeisters, stand der SPD nahe, und Herrhausen, der Quereinsteiger ins Bankgewerbe, war einer der wenigen Wirtschaftsmänner, deren Rat der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl suchte und gelegentlich befolgte.

Im Jahr 1987 hatten Herrhausen und Reuter eine schwierige Entscheidung zu treifen. Der damals noch staatseigene Flugzeugbauer MBB, der auch für den deutschen Anteil an der europäischen Airbus-Produktion zuständig war, sollte privatisiert werden. Und Reuter wollte ihn haben. MBB war genau das Unternehmen, das Reuters Expansionspläne für Daimler und den nachfolgenden Konzernumbau deutlich voranbringen könnte. Reuter wollte den Hersteller von Nobellimousinen, Bussen und Lastwagen in einen integrierten Technologiekonzern umformen.
Doch Herrhausen gefiel der Plan nicht, er hielt das Risiko für das Unternehmen für zu groß. MBB würde Daimler durch Rüstungsaufträge zum Spielball politischer Entscheidungen machen. Außerdem hatte Daimler durch die Übernahme des Flugzeugherstellers Dornier und der angeschlagenen AEG kaum noch Managementkapazitäten frei. Doch Reuter konnte den Banker überzeugen. Daimler übernahm MBB – wie sich bald zeigen sollte mit fatalen Folgen.
Herrhausen wurde im November 1989 von der RAF ermordet, Reuter führte den Konzern bis Mai 1995, Aufsichtsratsvorsitzender wurde Hümar Köpper, Herrhausens Nachfolger in der Führung der Deutschen Bank.

Am 22. Mai 1996 mussten dann Daimler-Chef Jürgen Schrempp und der Aufsichtsratsvorsitzenden des Schwäbischen Traditionskonzerns, Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Köpper, auf der Hauptversammlung des Daimler-Konzerns den Aktionären den schlechtesten Jahresabschluss sowie den höchsten Verlust in der Unternehmensgeschichte verkünden. Bei einem Umsatz von 103,5 Milliarden € hatte die Daimler-Benz AG 1995 den Rekordverlust von 5,7 Milliarden € eingefahren. Die Luft- und Raumfahrttochter DASA kam auf ein Minus von 4,2 Milliarden € und die AEG auf ein Defizit von 2,3 Milliarden €. Die Belegschaft war im vorangegangenen Geschäftsjahr um sechs Prozent auf 311000 Beschäftigte gesunken.

Auf diesen Jahrestreffen stimmen die Anteilseigner auch über die Entlastung des Vorstands ab. Im Fall Daimler-Benz AG war das im Mai 1996 allerdings keine Routineangelegenheit. Im Gegenteil – der Krach schien programmiert: Kleinaktionärsvertreter hatten schon vor der Versammlung gedroht, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. Die drei Großbanken – Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank – hatten darauf verzichtet, den Kleinaktionären eine Empfehlung zur Stimmabgabe zu geben. Die Depotkunden sollten ihren Banken vielmehr konkrete Anweisungen geben, ob sie der Entlastung des Vorstands zustimmen wollten. Im Klartext: ob sie mit der Art und Weise, wie der Vorstand die Geschäfte im Jahr 1995 geführt hatte, einverstanden waren.

Schon dieser Verzicht der Banken auf die Ausübung des Depotstimmrechts galt als höchst ungewöhnlich. Würde dem Vorstand die Entlastung verweigert, wäre die Daimler-Führung verwundbar – enttäuschte Aktionäre könnten beispielsweise Schadensersatzforderungen gegen sie anstrengen. Grund für massiven Ärger gab es allemal. Für die Anteilseigner glich das vergangene Geschäftsjahr einer Achterbahnfahrt: Erst hatte ihnen der scheidende Vorstandsvorsitzende Edzard Reuter im Mai 1995 strahlende Gewinne von einer Milliarde € und eine glänzende Zukunft versprochen. Dann sorgte Reuters Nachfolger und Ziehsohn Schrempp wenige Wochen nach seiner Amtsübernahme dafür, dass die Hoffnungen der Aktionäre auf üppige Dividenden und steigende Aktienkurse wie Seifenblasen zerplatzten. Nur sechs Wochen nach seinem Amtsantritt revidierte er die Ergebnisprognose seines Vorgängers: Statt hoher Gewinne wurde erst ein Verlust von 300 Millionen € angekündigt, der im Laufe des Jahres immer größere Dimensionen annahm, bis schließlich ein Jahr nach Reuters froher Botschaft ein Megaverlust von 5,7 Milliarden € ausgewiesen wurde.

Spätestens da fragten sich viele: Wo waren die Aufsichtsräte, als die fatalen Beschlüsse gefasst wurden, die dem Konzern Milliardenverluste bescherten? Auf solche Fragen pflegte Schrempp schlichte, allzu einfache Antworten zu geben: Der Einstieg bei Fokker sei sicher sein Fehler gewesen, den er zwar spät erkannt, dann aber unverzüglich korrigiert habe. Doch bis zum Mai 1995 sei Reuter der Chef gewesen – da hatte er, der Nachfolger, nichts zu sagen. Erst danach habe er seinen eigenen Kurs einschlagen können.

Der Aufsichtsratschef Köpper, der auch den mit einem Anteil von 22 Prozent größten Einzelaktionär des Konzerns – die Deutsche Bank — repräsentierte, hatte es vorgezogen, zu den Vorgängen bei der Daimler-Benz AG im Sommer 1995 zu schweigen. Köppers Position wurde immer unerfreulicher, als sich im Laufe des Schreckensjahres die Hinweise verdichteten, dass die Finanzabteilung bei Daimler die aus dem Februar 1995 erstellte Prognose schon Mitte Mai 1995, also deutlich vor Reuters Auftritt auf der Hauptversammlung, bei der er noch einen Milliardengewinn prognostizierte, nach unten korrigiert hatte. In einem internen Papier wurde schon frühzeitig vor einem Verlust von 300 Millionen € gewarnt.

Dies warf unangenehme Fragen für den neuen Chef und seinen Kontrolleur auf: Wie konnte es passieren, dass keiner Reuter in den Arm gefallen war, als er die glänzenden Gewinne in Aussicht stellte?

Der Aufsichtsratsvorsitzende rückte immer mehr ins Schussfeld der Kritik. Immerhin hatte er Reuters Vertrag über die Pensionsgrenze hinaus verlängert, obwohl dessen Politik, den Autokonzern durch die Übernahmen von AEG, MBB, Dornier und Fokker in einen Hightechkonzern zu verwandeln, von Anfang an umstritten und seit Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands zum Scheitern verurteilt war.

Warum also hatte dann Köpper nicht früher interveniert und die horrende Wertvernichtung beendet?
Im Mai 1996 ging es Schrempp und Köpper darum, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und das Interesse der erbosten Aktionäre auf die Zukunft zu richten. Die würde, wie Schrempp stets betonte, so glänzend sein, dass die Anteilseigner wieder mit Stolz auf ihr Unternehmen blicken könnten. Überhaupt sollte künftig der Gewinn für den Aktionär – neudeutsch als Shareholder Value bezeichnet – die oberste Handlungsmaxime im Konzern sein.

Um den zukünftigen Profit zu sichern, wurden unter Schrempps Führung bereits Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut, alte Werke im Inland geschlossen und neue Fabriken im Ausland aufgemacht. So wurde ein neues Mercedes-Werk in Brasilien gebaut, weil dort – so rechnete der Hausherr in der Möhringer Konzernzentrale vor – die Montage der Autos um 30 Prozent billiger sei.

Für Schrempp zählten damals nur die harten Fakten. Mit übergeordneten Zielen – wie der Verantwortung für Arbeitsplätze in Deutschland, dem Erhalt des sozialen Friedens oder der Zukunft des Industriestandorts Deutschland – durfte ihm keiner kommen.
Ganz cool, pragmatisch vom Scheitel bis zur Sohle – so sieht sich Jürgen Schrempp am liebsten: als standfester Wirtschaftslenker, der jeder Situation auf dem glatten Parkett des internationalen Business gewachsen ist. Ein bisweilen hemdsärmeliger Industriestratege, der auch handfeste Auseinandersetzungen nicht scheut. So gefiel er auch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden.
Köpper hatte schon früh auf Schrempp gesetzt, dessen Aufstieg an die Spitze des Konzerns stets gefordert und verteidigt. Er kam mit dem Praktiker Schrempp besser aus als mit dem intellektuellen Visionär Reuter.

Das Führungsduo verband neben den gemeinsamen Zielen auch eine ähnliche Karriere. Beide hatten ihr Handwerk von der Pike auf gelernt, als Lehrlinge. Der eine bei der Bank, der andere bei Daimler. Theoretische Diskurse, politische Ambitionen oder auch nur eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Macht und dem Einfluss, den beide Institutionen schon aufgrund ihrer schieren Größe ausübten, waren ihnen fremd.
Köpper beendete solche Diskussionen gerne mit dem Hinweis, dass er beim Thema Macht schon die Bartwickelmaschine im Keller höre. Am Ende zählte nur, davon waren die beiden Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft überzeugt, was unter dem Strich herauskommt.
Das war an jenem Maitag im Jahr 1996 wenig genug. Wer beim Amtsantritt von Edzard Reuter eine Daimler-Aktie im Wert von 1100 € gekauft hatte, musste bis 1995 bei dessen Abschied von der Konzernspitze einen Verlust von 400 € hinnehmen. Gemessen an der Entwicklung des Deutschen Aktienindex in diesem Zeitraum betrug der Wertverlust aller Daimler-Aktionäre 36 Milliarden €.
Um die gebeutelten Aktionäre zu beruhigen und einen Aufstand der wütenden Kleinanleger zu verhindern, war Köpper sich für keinen Trick zu schade. Rund 60 Wortmeldungen lagen vor, doch Köpper verstand es, die kritischen Beiträge unabhängiger Redner und die rhetorisch geschickten, konstruktiven Appelle von Managern aus Konzerntochtergesellschaften der Deutschen Bank gut zu koordinieren.

Das Ergebnis der Abstimmung, die wegen der vielen Anträge erst gegen 23 Uhr stattfand, bescheinigte ihm den Erfolg seines Versammlungsmanagements: 98 Prozent der Anwesenden hatten Vorstand und Aufsichtsrat entlastet.
Allerdings hat Köpper auch bei diesem Ergebnis, das an frühere Wahlen zum Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der
Sowjetunion erinnerte, nachgeholfen: Die Stimmenthaltungen lagen bei 20 Prozent. Dabei handelte es sich zumeist um Vertreter der Banken, die von ihren Depotkunden keine Anweisung für die Stimmabgabe erhalten hatten. Bei der Abstimmung über die Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat wurden diese Voten jedoch nicht berücksichtigt.
Mit der Hauptversammlung war allerdings die Feuerprobe noch nicht zu Ende. Der Konzern wurde umgekrempelt. Die Holdingstruktur mit der Dachgesellschaft Daimler-Benz AG, die Reuter eingeführt hatte, um den integrierten Technologiekonzern, dessen Produktpalette vom Airbus bis zur Kaffeemaschine reichte, fuhren zu können, wurde zurückgenommen.

Schrempp wollte das Konglomerat wieder auf den Kernbereich, die Produktion von Autos und Nutzfahrzeugen, zurückführen. Der Auflösung der Mercedes-Benz AG stand allerdings Helmut Werner, Chef der Fahrzeugsparte, im Wege. Werner wollte die Selbständigkeit dieses Bereichs und seinen Posten wahren. Er versuchte, sich mit seinen Vorstandskollegen bei Mercedes der Integration der Mercedes-Benz AG zu widersetzen.

Doch er hatte Schrempp, der sein erstes Jahr als Daimler-Benz- Chef nur mit erheblichen Blessuren überstanden hatte, unterschätzt. Der Daimler-Chef erfreute sich noch immer des ungeteilten Wohlwollens seines Aufsichtsratschefs Köpper. Überdies hatten Köpper und Schrempp den Coup geschickt eingefädelt.
Die wichtigsten Männer bei Mercedes, Jürgen Hubbert und Dieter Zetsche, wurden einbezogen. Bereits im Winter 1995 hatten die beiden Spitzenkräfte eindeutige Angebote bekommen: Beide sollten in den neuen Zentralvorstand der Daimler Benz AG aufrücken, Hubbert als Verantwortlicher für das gesamte Pkw-Geschäft, Zetsche als Chef des Vertriebs. Auch den Chef der Nutzfahrzeugsparte Kurt J. Lauk, den Personalvorstand Heiner Tropitzsch und den Topentwickler Klaus-Dieter Vöhringer ereilte der Ruf in den neuen zehnköpfigen Vorstand der Daimler-Benz AG.
Aufsichtsratschef Köpper sorgte dafür, dass die Umstrukturierung, die monatelang den Flurfunk und die Gerüchteküche im Konzern belebt hatte, im obersten Kontrollgremium keinen Schiflbruch erlitt. Am 23. Januar 1997 sollte der Aufsichtsrat über den neuen Vorstand befinden. Am 17. Januar informierte Köpper die Aufsichtsräte vorab schriftlich, dass der Präsidialausschuss die fünf neuen Vorstandsmitglieder zur Zustimmung empfiehlt.
Damit hatte sich der Aufsichtsrat gegen den bisherigen Mercedes-Chef Werner entschieden.

Ohne Köpper im Rücken hätte Schrempp die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit kaum überstanden: Er ist ein unglaublicher Gentleman – er regiert nicht in meine Geschichte rein und ist da, wenn ich ihn brauche, lobte der Daimler-Chef seinen obersten Kontrolleur.

Das blieb auch so, als Köpper im Mai 1997 in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank wechselte und dort den Vorsitz übernahm. Sein Nachfolger Rolf Breuer verzichtete – auch das war ein Novum in der Geschichte der Deutschen Bank – auf das Daimler- Mandat. So konnte sich Schrempp, als er im Frühjahr 1998 die Hand nach Chrysler ausstreckte, auf Köpper verlassen. Offiziell eingeweiht wurde der Aufsichtsratschef in die Mission Gamma – wie die Fusion von Daimler und Chrysler intern genannt wurde -, als das Projekt kurz vor dem Abschluss stand.

Der Entschluss, mit Chrysler über eine Partnerschaft zu sprechen, war bereits im August 1997 gefasst worden, als die US-Investmentbank Goldman Sachs ein erstes Konzept vorgelegt hatte. Monatelang verhandelte Schrempp mit Chrysler-Chef Bob Eaton. Doch erst am 19. April 1998 stattete er zusammen mit Chrysler-Chef Eaton dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Köpper in dessen Privathaus offiziell einen Besuch ab.

Dennoch spielte Köpper in den letzten drei Wochen vor der öffentlichen Bekanntmachung der Megafusion eine bedeutende Rolle, berichten die FHZ-Journalisten Holger Appel und Christoph Hein in ihrem Buch Der DaimlerChrysler-Deal: Er hat uns immer vorangetrieben und Mut gemacht, wenn alles zu scheitern drohte, zitieren die beiden Autoren ein Mitglied aus der Projekt-Gamma-Truppe.

Sein Meisterstück legte Köpper jedoch hin, als die Verhandlungen kurz vor der Unterzeichnung zu kippen drohten. Eaton verlangte eine Absicherung von der deutschen Kapitalseite. Köpper gelang es, Zusagen von den Anteilseignern der Daimler-Benz 1 AG noch vor dem 6. Mai beizubringen. Ohne Köpper wäre der Deal gescheitert, er hat sich, sensationell verhalten, sagten Gamma-Projekt-Mitarbeiter.
Köpper wurde für sein Engagement mit dem Aufsichtsratsvor- ; sitz der neuen DaimlerChrysler AG belohnt. Er sorgte aber auch dafür, dass die Deutsche Bank bei diesem Superprojekt doch zum Zuge kam, wonach es zuerst nicht aussah. Sozusagen im letzten Augenblick wurden Investmentbanker der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell ins Team geholt. Immerhin sollen sie für ihren kurzen Einsatz 60 Millionen Dollar erhalten haben. Insgesamt dürften die Investmentbanken knapp 250 Millionen € für ihre Arbeit beim Zusammenschluss kassiert haben.

In den ersten Monaten nach dem spektakulären Deal, der am 7. Mai 1998 unterschrieben wurde, schwärmten die Akteure von ihrem Werk nur in den höchsten Tönen. Als Hochzeit im Himmel feierte Daimler-Chefjürgen Schrempp die Fusion mit Amerikas drittgrößtem Autokonzern. Durch das Zusammengehen von Daimler und Chrysler war auch der drittgrößte Automobilkonzern der Welt entstanden. Er produzierte mit 421000 Beschäftigten 4,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr und erzielte einen Umsatz von mehr als 132 Milliarden Dollar.

Die Partnerschaft begeisterte auch die Analysten der internationalen Bankenszene: Die beiden Konzerne würden sich gut ergänzen. Schrempp ließ gelegentlich – wenn auch eher rhetorisch – etwas Skepsis anklingen: Der Faktor Mensch könnte den erfolgreichen Bestand der Elefantenhochzeit noch gefährden. Bewähren musste sich der himmlische Bund schließlich auf der Erde, und da lauerten viele Gefahren.
In den Unternehmen begannen die unteren Führungskader gleich nach der Verkündung des Coups um Posten und Pfründe zu rangeln, statt sich, wie vom Vorstandschef gewünscht, um die Integration der Mitarbeiter in das neue deutsch-amerikanische Unternehmen zu kümmern.
Als der erste Jubel verhallt war, begannen auch Experten aus der Autobranche den Megadeal zwischen Daimler und Chrysler, mit dem sich die beiden Unternehmen für die künftigen Herausforderungen in der Automobilbranche wappnen wollten, kritischer zu sehen und als Auftakt für einen tiefgreifenden Umbruch im weltweiten Automarkt zu begreifen.

Die Fusion hat die Gesetze der Branche weltweit total verändert, sagte Daniel T. Jones, britischer Autor mehrerer Bücher über die Automobilindustrie. Weitere Fusionen und Übernahmen werden die Zahl der Konzerne in diesem Bereich reduzieren. Die Konzentration werde sich erhöhen. Das war keine leere Prophezeiung: Damals buhlten gerade BMW und VW um den britischen Autokonzern Rolls-Royce. Renault hatte die Mehrheit bei Nissan übernommen und Ford baute um die Luxusmarke Jaguar die Premier Auto Group auf.

Schrempp und Köpper bereiteten ebenfalls ihren nächsten Coup vor. Im Herbst 2000 verkündete Schrempp die Übernahme von 34 Prozent an der Mitsubishi Motor Company. Obwohl die Chrysler-Übernahme noch nicht verdaut war, schickten Köpper und Schrempp den Konzern in ein neues Abenteuer.
Mit Mitsubishi sollten nun auch die asiatischen Märkte aufgerollt werden.
Auch dieser Akquisition stimmte der Aufsichtsrat offenbar ohne Zögern zu, obwohl Daimler schon einmal – noch zu Reuters Zeiten – einen Versuch unternommen hatte, mit diesem japanischen Industriekonglomerat zu kooperieren und schließlich gescheitert war.

Warum also waren sich Vorstand und Aufsichtsrat im Herbst J 2000 so sicher, dass DaimlerChrysler mit Mitsubishi zusammen – arbeiten könnte? Schrempp hatte darauf nur eine Antwort: Er | beschwor immer wieder seine Vision von einer Welt AG, die in allen Märkten dieser Welt zu Hause ist.

Mit Vollgas startete DaimlerChrysler in die Krise. Statt wachsender Umsätze und glänzender Gewinne bescherten die neuen Töchter Schrempps Welt AG Milliardenverluste. Unausgelastete Fabriken und veraltete Modelle zehrten an den stattlichen Profiten, die der Kernbereich Mercedes-Benz erzielte.

Verluste auf allen Ebenen für die Banken und Sparkassen in den 90er

Den größten Aderlass an Arbeitsplätzen in der jüngsten Vergangenheit verursachten die Banken jedoch selbst durch ihren Hang zu Größenwahn, Allmacht und Omnipräsenz in allen Märkten und Sparten des Geldgeschäfts. Zigtausende von Jobs sind seit Mitte der 1990er Jahre, bereits abgebaut worden, weil Banken zusammengelegt und dadurch entstandene Doppelbesetzungen abgeschafft wurden. Nicht zum Wohl der Kunden und Mitarbeiter oder gar der Aktionäre – wie das Beispiel der HypoVereinsbank zeigt.

So einfach wollten sich die Kleinaktionäre nicht abspeisen lassen. Die einhundertdreißigste und zugleich letzte Hauptversammlung der HypoVereinsbank sollte allen Beteiligten- vor allem aber dem Chef des Hauptaktionärs Unicredito Italiano, Alessandro Profümo, in Erinnerung bleiben. Deshalb heben es Kleinanleger und die Sprecher der Aktionärsschützerverbände ordentlich krachen. Jahrelang haben wir Krisen und Verluste ertragen, sind durch knietiefen Sumpf mitgewatet und werden jetzt vom Großaktionär Unicredit einfach rausgeschmissen, klagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Auch Harald Petersen von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) stimmte in das Klagelied mit ein: Was für ein jämmerliches Ende mit unserer HVB heute! Ich bin von der Geburt bis zur Beerdigung dabei gewesen, sagte er und fügte hinzu: Spaß gemacht hat’s wirklich nicht.

Sie nehmen die Aktionäre aus, schimpfte lautstark SdK-Sprecher Petersen. DSW-Frau Bergdolt legte unter dem tosenden Beifall der 800 Aktionäre nach: Unicredit hat die HVB ausgeschlachtet. Die Italiener handelten unredlich und unfair. Zwei Tage dauerte diese letzte Hauptversammlung, die gleichzeitig das Schicksal der einst zweitgrößten deutschen Privatbank besiegelte. Die protestierenden Aktionäre konnten die komplette Übernahme der HypoVereinsbank nicht aufhalten. Im Herbst 2007 wird die Bank vom Kurszettel gestrichen und ein unrühmliches Kapitel in der deutschen Bankengeschichte geschlossen werden.

Kampf der Giganten
Im Sommer 1997 fand in München eine denkwürdige Verlobung statt. Die beiden Lokalmatadore – besser passen würde vermutlich: Erzrivalen – die Bayerische Vereinsbank und die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank wollten zu einem Bankkonzern verschmelzen.

Kupplerdienste bei dieser überraschenden Verbindung verrichtete damals, wenn auch unfreiwillig und auf Umwegen, der damalige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Köpper. Im letzten Jahr seiner Amtszeit als Vorstandssprecher von Deutschlands größtem Geldkonzern machte Köpper einen entscheidenden Zug, der das gesamte deutsche Banken- und Versicherungswesen für die nächsten Jahre beschäftigten würde: Die Deutsche Bank hatte sich heimlich, still und leise einen Anteil von 5,2 Prozent an der Bayerischen Vereinsbank zusammengekauft.
Als er diesen Coup dem Chef der bayerischen Regionalbank offenbarte, reagierte Albrecht Schmidt abweisend: Wir wollen eine eigenständige, große deutsche Bank mit Sitz in München bleiben, sagte er dem Chef des größten deutschen Kreditinstituts. Auch andere fanden den Vorstoß des Bankmanagers nicht erbaulich. Allianz-Konzernherr Henning Schulte-Noelle gefiel der Einbruch der Frankfurter in sein Territorium überhaupt nicht.

Mit diesem Kauf hatte die Bank eine seit Jahrzehnten etablierte Grenze überschritten, die die Bereiche Versicherungswirtschaft auf der einen und Bankwesen auf der anderen trennt. Die größte deutsche Bank und der größte deutsche Versicherer hatten damals noch ihre eigenen Einflusssphären mit gegenseitigen Beteiligungen. Die Manager beider Konzerne trafen sich in Aufsichtsräten der großen Unternehmen, aber ihre Geschäfte liefen weitgehend getrennt – der eine kümmerte sich um die Konten, Sparbücher, Kredite und Wertpapiere, der andere um die Absicherung von Personen und Unternehmen gegen alle Widrigkeiten des Lebens. Mit dieser Arbeitsteilung kamen sich die beiden Konzerne jahrzehntelang nicht ins Gehege. Die friedliche Koexistenz der beiden Branchenriesen wurde durch den Vorstoß von Köpper gefährdet, denn die Bayerische Vereinsbank gehörte eindeutig zum Satellitensystem des Allianz- Konzerns. Sie war zudem einer seiner Aktionäre. Mit dem Kauf des Bayerische -Vereinsbank-Aktienpakets hatte sich die Deutsche Bank zu weit vorgewagt.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, Vereinsbank- Chef Schmidt und der Vorstandsvorsitzende der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank, Eberhard Martini, begannen über eine Fusion zu verhandeln – mit Billigung und vermutlich sogar auf Initiative von Allianz-Chef Schulte-Noelle. Der Versicherungskonzern hielt rund 20 Prozent an der Hypobank. Wie Der Spiegel berichtete, suchte der Allianz-Chef seit längerem nach einem starken Partner für das Institut, weil dessen Rentabilität zu jener Zeit durch viele riskante Kreditengagements sowie spekulative Immobiliengeschäfte in Milliardenhöhe gefährdet war.

Hypobank-Chef Martini trotzte zwar lange dem Begehren seines Großaktionärs, doch im Sommer 1997 musste er der Offerte der Vereinsbank zustimmen. Die Choreographie des bayerischen Pas de deux war schnell skizziert, die beiden Bankchefs der traditionell eher verfeindeten Regionalinstitute einigten sich auf einen merger of equals.

Allerdings gab es von Anfang an keinen Zweifel daran, dass einer gleicher als andere sein würde und die Vereinsbank die Hypobank schlucken würde. Den Hypobank-Aktionären wurde ein 6:l-Clou angeboten, für sechs Hypobank-Anteilsscheine gab es eine Allianz-Aktie aus dem Bestand der Vereinsbank. Die bayerische Landesregierung unterstützte die Fusion, die den Abbau von Arbeitsplätzen, die Schließung von Filialen nach sich ziehen und die Konzentration auf weniger Bankinstitute beschleunigen würde, mit einem großzügigen Steuerverzicht. Eigentlich hätte der Wertzuwachs der Allianz-Aktien bei ihrer Veräußerung versteuert werden müssen. Doch die Landesregierung gewährte für den Aktientausch Steuerbefreiung und verzichtete dadurch auf Steuereinnahmen von fünf Milliarden €.

Insgesamt übernahm die Vereinsbank 45 Prozent der Hypobank. Deren ehemaliger Chef und frühere Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Eberhard Martini, erhielt ein Aufsichtsratsmandat, sogar ein Teil des Namens wurde übernommen: Das neue Unternehmen hieß Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG, kurz HypoVereinsbank, geführt wurde es vom Chef der alten Vereinsbank, Albrecht Schmidt.

Am 1. September 1998 wurden die beiden Institute offiziell zur zweitgrößten deutschen Privatbank verschmolzen. Der Allianz gehörten an dem neuen Koloss des deutschen Finanzmarktes 17,6 Prozent der Anteile, der Münchner Rück 6,5 Prozent, der Viag 8,2 Prozent und dem Freistaat Bayern 6,8 Prozent. 60,9 Prozent der Anteile befanden sich in Streubesitz. Die Deutsche Bank hatte ihre Beteiligung an der alten Bayerischen Vereinsbank wieder zurückgegeben.

Wirbel um das BGH-Urteil

Die Badenia legte gegen das Karlsruher OLG-Urteil Revision ein. Der Fall landete beim Bundesgerichtshof. Für die Klägerin waren das keine guten Aussichten, denn die BGH-Urteile hatten sich in den Jahren zuvor nicht immer als verbraucherfreundlich erwiesen. Wir hoffen, dass die im Urteil [des OLG Karlsruhe] genannten Gründe auch vor dem BGH ausreichen, sagte damals der Anwalt der Klägerin.

Grund für zaghaften Optimismus lieferte 2006 der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einer Entscheidung. Dessen Richter entschieden, dass die Banken und Bausparkassen das Risiko eines überhöhten Kaufpreises oder ausbleibender Mietzahlungen tragen müssen, wenn sie nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt haben. Doch der BGH schwächte die Forderungen der Straßburger Richter ab. Der Text des Urteils in der Formulierung der Presseabteilung des BGH spricht für sich:

Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden, welche Rechte Verbrauchern zustehen, die ihren zur Finanzierung einer Eigentumswohnung geschlossenen Realkreditvertrag nach den Vorschriften des Haustürwiderrufsgesetzes widerrufen haben. Die Kläger waren 1995 von einem Vermittler in ihrer Privatwohnung geworben worden, zum Zwecke der Steuerersparnis ohne nennenswertes Eigenkapital eine Eigentumswohnung zu kaufen. Sie schlossen deshalb zunächst einen entsprechenden notariellen Kaufvertrag ab und traten einer Mieteinnahmegesellschaft bei. Zur Finanzierung des Kaufpreises schloss sodann die beklagte Bausparkasse als Vertreterin einer Bank mit den Käufern einen Darlehensvertrag, wobei das den Käufern gewährte Vorausdarlehen mit Hilfe von zwei bei der Beklagten abgeschlossenen anzusparenden Bausparverträgen getilgt werden sollte. Eine Belehrung der Käufer und Darlehensnehmer nach dem Haustürwiderrufsgesetz erfolgte nicht. Die Käufer bestellten für die Bausparkasse eine Grundschuld an der gekauften Eigentumswohnung über die Darlehenssumme, übernahmen dafür die persönliche Haftung und unterwarfen sich der Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen. Nachdem die Kläger das aufgenommene Vorausdarlehen einige Jahre bedient hatten, widerriefen sie ihre Darlehensvertragserklärungen, da sie über ihr Widerrufsrecht nach dem Haustürwiderrufsgesetz nicht belehrt worden seien. Mit ihrer Klage wenden sie sich gegen die Zwangsvollstreckung der beklagten Bausparkasse, an die die darlehensgebende Bank ihre Ansprüche abgetreten hat. Sie machen insbesondere geltend, mit Rücksicht auf die unterbliebene Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz könnten sie die Rückzahlung des Darlehens verweigern und die Bausparkasse auf die gekaufte Eigentumswohnung verweisen. Außerdem behaupten sie, über die mit der Eigentumswohnung verbundenen Risiken, insbesondere die tatsächlich zu erzielende Miete und den Wert der Wohnung getäuscht bzw. nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat aber die Revision zugelassen.
Der XI. Zivilsenat hatte die Verhandlung zunächst zurückgestellt, um die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auf die Vorlage des Landgerichts Bochum (WM 2003,1609) in einer Sache abzuwarten, an der die beklagte Bausparkasse beteiligt ist. Nachdem die Entscheidung des EuGH am 25. Oktober 2005 (WM 2005,2079) ergangen ist, hatte der XI. Zivilsenat nun unter anderem zu entscheiden, welche Konsequenzen aus dem Urteil des EuGH zu ziehen sind. Er ist hierbei zu folgendem Ergebnis gelangt:

Es besteht auch im Hinblick auf die Europäische Haustürgeschäfterichtlinie kein Anlass, die ständige Rechtsprechung des Senats zu ändern, nach welcher der Verbraucher nach dem Widerruf des Darlehensvertrages gemäß § 3 Haustürwiderrufsgesetz (HWiG) zur sofortigen Rückzahlung der Darlehensvaluta zuzüglich marktüblicher Zinsen verpflichtet ist. Der EuGH hat ausdrücklich betont, dass dies auch in Fällen, in denen die Darlehensvaluta nach dem für die Kapitalanlage entwickelten Konzept unmittelbar an den Verkäufer zum Erwerb der Immobilie ausgezahlt wird, der Haustürgeschäfterichtlinie entspricht. Auch soweit der EuGH gemeint hat, Art. 4 der Haustürgeschäfterichtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, den Verbraucher vor den Risiken einer kreditfinanzierten Kapitalanlage zu schützen, die er im Falle einer Widerrufsbelehrung der kreditgebenden Bank hätte vermeiden können, bestehen weder Grund noch Möglichkeit zu einer anderslautenden richtlinienkonformen Auslegung des § 3 HWiG.

Die Frage, ob im Hinblick auf die genannte Vorgabe des EuGH aus der unterbliebenen Widerrufsbelehrung – wie in Literatur und Rechtsprechung zum Teil vertreten – ein Schadensersatzanspruch der Kläger folgen könnte, hat der Senat offengelassen. Ein derartiger Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung scheidet hier nämlich schon wegen Fehlens der erforderlichen Kausalität aus, weil die Kläger den Kaufvertrag bereits geschlossen hatten, bevor es zum Abschluss des Darlehensvertrages kam. Die Erteilung einer Widerrufsbelehrung konnte sie daher vor den Risiken ihres Immobilienkaufs nicht mehr schützen.

Der XI. Zivilsenat hat aber im Interesse der Effektivierung des Verbraucherschutzes bei realkreditfinanzierten Wohnungskäufen und Immobilienfondsbeteiligungen, die nicht als verbundene Geschäfte behandelt werden können, und um dem in den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 zum Ausdruck kommenden Gedanken des Verbraucherschutzes vor Risiken von Kapitalanlagemodellen im nationalen Recht Rechnung zu tragen, seine Rechtsprechung zum Bestehen von eigenen Aufklärungspflichten der kreditgebenden Bank in diesen Fällen ergänzt. Danach können sich die Anleger in Fällen eines institutionalisierten Zusammenwirkens der kreditgebenden Bank mit dem Verkäufer oder Vertreiber des finanzierten Objekts unter erleichterten Voraussetzungen mit Erfolg auf einen die Aufklärungspflicht auslösenden konkreten Wissensvorsprung der finanzierenden Bank im Zusammenhang mit einer arglistigen Täuschung des Anlegers durch unrichtige Angaben der Vermittler, Verkäufer oder Fondsinitiatoren bzw. des Fondsprospekts über das Anlageobjekt berufen. Die eine eigene Aufklärungspflicht auslösende Kenntnis der Bank von einer solchen arglistigen Täuschung wird widerleglich vermutet, wenn Verkäufer oder Fondsinitiatoren, die von ihnen beauftragten Vermittler und die finanzierende Bank in institutionalisierter Art und Weise Zusammenwirken, auch die Finanzierung der Kapitalanlage vom Verkäufer oder Vermittler angeboten wurde und die Unrichtigkeit der Angaben des Verkäufers, Fondsinitiators oder der für sie tätigen Vermittler bzw. des Verkaufs- oder Fondsprospekts nach den Umständen des Falles evident ist, so dass sich aufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung geradezu verschlossen.

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses Feststellungen zu der von den Klägern behaupteten arglistigen Täuschung und der Frage eines institutionalisierten Zusammenwirkens der beklagten Bausparkasse mit den Vermittlern treffen kann. (Urteil vom 16. 05. 2006 – XI ZR 6/04, zitiert nach der entsprechenden Verlautbarung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs) Bemerkenswert an diesem Urteil ist vor allem, dass der XI. Senat vor allem die Banken schützt, indem er die Beweislast umkehrt. Der düpierte Kunde muss nachweisen, dass der Verkäufer, der ihm die Immobilie angedreht hat, und die Bank, die bereitwillig dafür ein Darlehen herausgerückt hat, ein institutionalisiertes Zusammenwirken verbunden hat. Im Grunde genommen wird verlangt, dass der abgezockte Kunde einen Vertrag über die interne Kooperation präsentiert, möglichst mit Vereinbarungen über Provisionszahlungen zwischen Immobilienvermittler und Kundenberater der Bank. Ein aussichtsloses Unterfangen.

Die Richter erkannten nicht einmal den vorliegenden Fall als verbundenes Geschäft an, weil der Kauf der Wohnung von einer Immobiliengesellschaft und der Abschluss eines Darlehensvertrages sowie der Abschluss von zwei Bausparverträgen zeitlich und räumlich getrennt nacheinander erfolgten.

Noch schwieriger ist es nach diesem Urteil geworden, die deutschen Geldhäuser auf den Tatbestand der arglistigen Täuschung festzunageln: Da müssen die Versprechen der Wohnungsverkäufer offensichtlich schon so phantastisch ausfallen, dass sie jedem unbedarften Zuhörer auffallen, so dass sich dann doch jedem (auch den Richtern an deutschen Zivilgerichten) der Eindruck aufdrängt, die Bank habe die betrügerischen Angaben eigentlich nicht übersehen können.

Mit der Einsicht von Banken ist es allerdings manchmal nicht weit her. Das hat bereits der Fall des berühmten Immobilienbetrügersjürgen Schneider Mitte der 1990er Jahre bestens demonstriert. Da hat sich die Kreditabteilung der Deutschen Bank nicht einmal darüber informiert, ob die tatsächliche Größe eines von ihnen wesentlich mitfinanzierten Gebäudes mit den Plänen übereinstimmte.

Verbraucherschützer, Juristen und – natürlich – die Anwälte der frustrierten Anleger gingen wegen des BGH-Urteils auf die Barrikaden. Der Senat habe mit seinen bisherigen Entscheidungen gezeigt, dass er gegen den Verbraucherschutz, seine eigene frühere Rechtsprechung und große Teile der Wissenschaft urteilt, sagte Udo Reifner, Chef des, Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF).
Ich halte die Anforderungen, ab wann ein massiver Beratungsfehler der Banken und Versicherungen angenommen wird, für zu hoch. Das äußerte der Bankrechts-Professor Hans-Peter Schwintowski von der Berliner
Humboldt-Universität. Prof. Dr. Volker Emmerich, langjähriger Direktor des Bankrechtlichen Institutes an der Universität Bayreuth, hat das oben zitierte Urteil des BGH zu den Schrottimmobilien in der Zeitschrift Juristische Schulung‘ heftig kritisiert und die Rechtsprechung des Bankensenats unter seinem Vorsitzenden Richter Nobbe aufs schärfste gerügt:

Der XI. Zivilsenat bestätigt erneut seinen Ruf als Bankenschutzsenat, der den Anlegern praktisch jeden Schutz verweigert, um die Banken gegen die Risiken der von ihnen sehenden Auges mitfinanzierten Schrottimmobilien abzusichern. Die Behauptung, die Banken hätten nicht gewusst, was sie tun, ist angesichts der Umstände der Fälle – Zehntausende von Verträgen, die von denselben Banken finanziert werden – geradezu grotesk und absurd und nicht ernst zu nehmen. Ebenso
bitter ist es, sehen zu müssen, dass sich der XI. Senat offenkundig weigert, den vom EuGH verlangten verbesserten Anlegerschutz zu gewähren.

Vorzeitige Rückzahlung ist unerwünscht beim Immobilienkredit

Wer seinen Immobilienkredit vorzeitig ablöst, müsste den Banken doch eigentlich einen Gefallen erweisen. Doch weit gefehlt. Die Geldhäuser wollen das geliehene Kapital gar nicht vor Ablauf der Darlehenszeit zurück. Denn dann müssten sie ja über neue Anlagen für das Geld nachdenken. Das macht Arbeit, und die muss der Kunde bezahlen. Also wurde die Vorfälligkeitsentschädigung erfunden. Diese Gebühr sollte sich an den Zinsen orientieren, die die Bank erhält, wenn sie das Geld für die Restlaufzeit des Kredites in andere, ähnlich sichere Anlagen investiert. Die Differenz zwischen den Zinsen, die das Kreditinstitut aus der Bedienung des Hypothekendarlehens erhalten hätte, und der Rendite, die die Bank durch ein Investment – beispielsweise in festverzinsliche Wertpapiere wie Pfandbriefe – erwirtschaften würde, muss der Kunde zahlen, der ein Darlehen vorzeitig ablöst.

Die Summe, die dem Darlehensnehmer allerdings tatsächlich in Rechnung gestellt wird, liegt irgendwie im Gutdünken der Banken. Sie entscheiden, wie sie das vorzeitig erhaltene Kapital reinvestieren, und zur Berechnungsgrundlage werden natürlich besonders niedrigverzinste Papiere herangezogen, damit der Kunde richtig für seine Entscheidung bluten muss, vorzeitig einen Kredit zurückzuzahlen.

Das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) hat bei einem Vergleich festgesteilt, dass in Deutschland die höchsten Vorfälligkeitsentschädigungen in ganz Europa eingefordert werden. Danach werden zum Beispiel für ein Darlehen über 100000 Euro mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einem festen Zinssatz von sechs Prozent bei einer vorzeitigen Rückzahlung nach fünf Jahren eine Entschädigung von 10000 Euro fällig. In Österreich, dem zweitteuersten Land in diesem Vergleich, müssen nur 5000 Euro bezahlt werden, in Frankreich nur 3000 Euro und in Portugal kommt der Kunde mit 1400 Euro weg.

Doch die Kunden werden nicht nur abgezockt, sondern auch über die Methoden, wie die Banken ihren Anteil errechnen, im Unklaren gelassen. Selbst die Experten des IFF konnten die Kalkulationen der Banken oft nicht nachvollziehen. Schon die Begriffe sind für Laien völlig unverständlich: Da werden Zerobond-Abzinsungsfaktoren oder Zins-Interpolationen herangezogen, oder die Kosten werden nach der Barwertmethode anhand von fiktiven Wideranlagen sowie kalkulatorischen Risiko- und Verwaltungskosten ermittelt. Gern wird auch der PEX-Index herangezogen, um die Gebühr auf ein für Kunden schädliches Maß heraufzutreiben. Ein äußerst perfides Vorgehen. In der Definition der Deutschen Bundesbank ist der PEX ein Kursindex, der in seiner Zusammensetzung einem Pfandbriefportfolio aus 30 synthetischen Pfandbriefen mit ganzzahligen Laufzeiten von 1 bis 10 Jahren und jeweils drei Kupontypen von 6 Prozent, 7,5 Prozent und 9 Prozent entspricht.

Dieser Index bildet nicht nur realisierte Kurse ab, sondern basiert auf den Konditionen von deutschen Pfandbriefinstituten, zu denen sie bereit wären, Pfandbriefe zu verkaufen. Dabei haben die Herausgeber von Pfandbriefen immer ein Interesse daran, die Konditionen – Ausgabekurs, Zinssatz und Laufzeit – so niedrig wie möglich zu halten, um ihre Kosten zu kontrollieren. Die Käufer solcher Wertpapiere wollen genau das Gegenteil, mehr Zinsen und in Hochzinsphasen auch längere Laufzeiten. Allein der Bezug auf diese fiktive Größe macht die Vorfälligkeitsberechnung für jeden Kunden zum Buch mit sieben Siegeln. Nicht einmal nachvollziehbar für Experten. Solange nicht die Annahmen bekannt sind, die die Bank ihren Berechnungen zugrunde gelegt hat. Doch die werden besser gehütet als das Bankgeheimnis. Diese Unsitte beschäftigte auch den Bundesgerichtshof, der im November 2004 befand, dass eine Orientierung an den Hypothekenpfandbriefen Möglichkeiten zu einer realistischeren Darstellung der Zinsdifferenz böte. Doch es brauchte Zeit und Druck von Seiten der Kunden, bis die Banken Bereitschaft zur Korrektur zeigten.

Manche Hypothekenbank beschreitet sogar einen ganz anderen Weg: Sie sattelt noch ein paar Euro obendrauf und verlangt zusätzlich Bearbeitungs- und sonstige Gebühren. Den Rekord im Abzocken auf diesem Gebiet hält wohl die Aareal Bank mit Sitz in Mainz.

Wer einen Immobilienkredit dieses Instituts vorzeitig zurückzahlen will, muss nicht nur eine Vorfälligkeitsentschädigung entrichten, sondern auch noch eine Treuhandgebühr von oft über 400 Euro. Das ist zwar rechtswidrig, aber viele Kunden zahlen diesen Betrag, um die Ablösung nicht zu gefährden. Gegen diese unrechtmäßige Bereicherung der Bank will die Hamburger Verbraucherzentrale mittels Sammelklage Vorgehen. Für Kunden, die ihre Abhängigkeit von ihrer Bank reduzieren und ihre Schulden vorzeitig zurückzahlen wollen, lohnt es sich in den meisten Fällen, die Verträge genau zu prüfen und nachzurechnen. Diese Mühe zahlt sich eigentlich immer aus – auch wenn fremde Hilfe in Anspruch genommen wird und ein Honorar von 100 bis 200 Euro anfällt.

Aktienkurse im Keller in den USA und in Japan

Für die Aktionäre waren Schrempps Abenteuer in den USA und in Japan eine herbe Enttäuschung. Der Kurs der Aktie war von einem Höchststand von über 100 Euro im Frühjahr 1998 auf rund 46 Euro im Frühjahr 2002 abgerutscht. Im Herbst 2001, nach den Terroranschlägen von New York und Washington, war der Wertverlust noch dramatischer ausgefallen: Das Daimler- Chrysler-Papier war auf 29 Euro durchgesackt. Und die Talfahrt ging schier unaufhaltsam weiter. Im März 2002 erreichte der Kurs mit 23,82 Euro einen Tiefpunkt.

Seit der Chrysler-Übernahme hatte der Konzern mehr als zwei Drittel seines Börsenwerts eingebüßt. Der mächtige Konzern war vom Jäger zum Gejagten geworden, die Welt AG selbst drohte zur Beute profitlüsterner Akquisiteure zu werden, die sich von der Zerschlagung von Schrempps Imperium satte Profite versprachen.

Während Daimler Chryslers Großaktionär, die Deutsche Bank, den Wertverfall ihres Aktienpakets in den 1990er Jahren noch ohne offene Kritik hingenommen hatte, rührte sich nun Widerstand. Vor allem die Investmentbanker von Europas größtem Geldhaus wollten die DaimlerChrysler-Papiere hebend gerne loswerden.
Die Kapitalverbindung zwischen der Bank und Europas größtem Autokonzern wurde im Ausland – vor allem in den USA – stets mit Argwohn betrachtet, weil Interessenkonflikte programmiert schienen und die Bank durch ihre privilegierte Stellung als Finanzinstitut und Großaktionär des Konzerns auch Zugang zu privilegierten Informationen hat. Das stärkte nicht gerade die Position der Deutschen Bank im internationalen Investment Banking, wo die wirklich großen Deals eingefädelt werden.

Deshalb hat Köppers Nachfolger Breuer immer wieder erklärt, dass sich die Bank aus den Industriebeteiligungen zurückziehen wolle. Erst lag es an der Steuerpolitik der jeweiligen Bundesregierung, die einen Verkauf des Pakets wegen der hohen Abgaben wenig lukrativ erscheinen ließ. Dann stellte der Aktienkurs das Hindernis für die Abgabe des Pakets dar: Die Bank würde beim gegenwärtigen Wert des Papiers auf Hunderte Millionen Euro verzichten müssen.
Die Banker arbeiteten dabei durchaus mit an dem fortschreitenden Wertverlust. Auf der Bilanzpressekonferenz 2001 stand Breuer den Journalisten auch nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung noch Rede und Antwort.

Auf Fragen, die nach einer neuen Aufgabe der Bank bei DaimlerChrysler gestellt wurden, sagte der Deutsche-Bank-Chef forsch: Ich kann bestätigen, dass die Deutsche Bank ein Mandat hat, DaimlerChrysler bei seiner Verteidigungsstrategie zu beraten, und sorgte für Schlagzeilen in der Tagespresse.
Von der Süddeutschen Zeitung bis zur Bild war Breuers Aussage die Spitzenmeldung des nächsten Tages. Hatte der erste Mann in Deutschlands größtem Geldkonzern doch die schlimmsten Befürchtungen über den Zustand des Konzerns mit seinem Hinweis erst öffentlich gemacht. Schlimmer noch: Breuer hatte mit seinem Statement gegen ein ehernes Gesetz im Bankbetrieb verstoßen – über Kundenbeziehungen wird in der Öffentlichkeit nicht geredet.

Breuers Verhalten warf wieder einmal viele Fragen auf: Was war nur in den Bankchef gefahren? Wollte er dem Daimler- , Chef gezielt eins auswischen oder nur die Bedeutung, die die Deutsche Bank im internationalen Investmentgeschäft einnahm, demonstrieren – eine Rolle, die sie bis zu jenem Zeitpunkt nicht oft spielen durfte?
Breuer schwieg über seine Motive, fühlte sich wie üblich in solchen Situationen nur gründlich missverstanden, Über den Medienrummel soll er sich nur gewundert haben, wie Der Spiegel in der Woche darauf süffisant berichtete.
DaimlerChrysler soll die Geschäftsbeziehungen zur Deutschen Bank seit der verbalen Entgleisung ihres Chefs auf ein Minimum beschränkt und die wirklich lukrativen Aufträge, wie die Platzierung von Anleihen oder Aktienpaketen, fast ausschließlich an Goldman Sachs vergeben haben.

Dass die Chemie zwischen dem ehemaligen Deutsche-Bank- Chef Breuer und dem DaimlerChrysler-Boss Schrempp nicht mehr stimmte, zeigte sich im Februar 2002.
Schrempp gab überraschend eine Gewinnwarnung für das laufende Geschäftsjahr heraus und schockte die Börse: Der Kurs der DaimlerChrysler-Aktie gab um 4,3 Prozent nach. Breuer war nach Angaben von Vertrauten stinksauer über Schrempps Ankündigung: Im Februar 2001 hatte der DaimlerChrysler-Chef für 2002 noch einen Gewinn von 5,5 bis 6,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Jetzt soll es nur ein Überschuss von deutlich über 2,6 Milliarden Euro werden. Unerwartet kam die neue Prognose vor allem deshalb, weil die Manager der drei großen Bereiche Mercedes-Benz, Chrysler und Nutzfahrzeuge kurz zuvor erklärt hatten, sie würden ihre Ziele für 2002 erreichen. Die Deutsche Bank wartete seit langem darauf, ihren Anteil von zwölf Prozent an DaimlerChrysler zu verringern — doch allein durch den Kurssturz nach Schrempps jüngster Beichte verlor das Paket fast weitere 240 Millionen Euro an Wert.

Erholt hat sich die Aktie erst, als im Juli 2005 bekannt wurde, dass Schrempp Ende des Jahres sein Amt niederlegen wird. Da legte der Kurs innerhalb eines Tages um mehr als zehn Prozent zu und übersprang endlich wieder die 40-Euro-Marke.
Am 1 .Januar 2006 trat dann Dieter Zetsche an, der bis zu seiner Ernennung zum DaimlerChrysler-Chef für die Sanierung von Chrysler zuständig war.
Eine Aufgabe, die er offensichtlich nicht vollendet hatte. Denn die Aktionäre und die Deutsche Bank drängten auf eine nachhaltige Lösung für den Gesamtkonzern. Das konnte nur bedeuten, dass Chrysler und Daimler wieder getrennte Wege gehen. Diese Lösung stellte Zetsche den Aktionären auf der Hauptversammlung im April 2007 in Berlin in Aussicht. Nachdem sich Daimler und Cerberus über die Konditionen geeinigt hatten, stieg die Notierung der Aktie wieder über 70 Euro.
Seit Herbst 2007 ist Daimler wieder ein weitgehend lupenreiner deutscher Autokonzern, wenn man von der Beteiligung an dem europäischen Luftfahrtunternehmen und Airbus-Bauer EADS absieht.

Doch noch etwas wird die Zukunft des deutschen Industrieunternehmens bestimmen: Die Deutsche Bank, die so lange die Geschicke des Konzerns mitbestimmt, die Umwege und Irrfahrten geduldet oder sogar aktiv unterstützt hat, steht nicht mehr fest an der Seite des Vorstandschefs.

Hilmar Köpper, der 17 Jahre erst als Vorstandssprecher der Deutschen Bank, dann als ihr Aufsichtsratschef auch das oberste Kontrollgremium bei Daimler geführt und für Schrempp die Mehrheiten organisiert hatte, ist am 4. April 2007 ausgeschieden. Mit 72 Jahren ging Köpper in den Ruhestand – auch als Aufsichtsrat. Und sein Nachfolger als Chef des Aufsichtsrats wird nicht etwa ein Vorstand der Bank, sondern Manfred Bischoff, der frühere Chef der deutschen Luft- und Raumfahrttochter, die vor ihrer Integration in die EADS noch DASA hieß.
Zwar verabschiedet sich die Deutsche Bank nicht vollständig aus dem Kontroll- und Aufsichtsgremium, aber sie beansprucht auch keine privilegierte Funktion mehr. Der Aufsichtsratschef der Bank, Clemens Börsig, der zuvor im Vorstand der Deutschen Bank für Controlling zuständig war, nimmt die Funktionen eines einfachen Ratsmitglieds wahr.

Diese Besetzungspolitik demonstriert auch nach außen, wie sehr sich die Beziehungen zwischen Bank und Autokonzern gelockert haben. Die Deutsche Bank hat ihre Beteiligung in den vergangenen Jahren von mehr als 12 auf magere 4,4 Prozent abgebaut. Doch selbst dieser Rückzug auf Raten ging nicht ganz geräuschlos über die Bühne. Wieder einmal scheint die Bank ihr eigenes Wohl über das ihrer Kunden und ihrer Co-Aktionäre gestellt zu haben.

Vertrauen ist wichtig bei – Deutsche Telekom Aktien

Ich war so gerne Aktionär, sang 1996 Manfred Krug in der millionenschweren Werbekampagne, die die Deutsche Telekom für ihr Börsendebüt geschaltet hatte. Die Deutschen, ein Volk von Sparbuchinhabern, sollten sich an der Privatisierung des Staatskonzerns beteiligen und zu einem Volk von Aktionären werden – mit Hilfe der Volksaktie Telekom. Begleitet wurde der spektakuläre globale Börsengang – die Aktien des größten deutschen Telekommunikationsunternehmens wurden gleichzeitig an allen großen Börsen der Welt eingeführt – von den ersten Adressen des internationalen Kapitalmarktes. Die deutschen Großbanken waren dabei und auch die international tätigen amerikanischen Investmenthäuser.
Zum ersten Mal in der deutschen Börsengeschichte wurde eine Aktienplazierung nach dem sogenannten Bookbuilding-Verfahren durchgeführt. Große internationale Investmentgesellschaften wie die US-Pensionsfonds, die über Milliarden von Anlegerkapital verfügen, geben dabei Gebote dafür ab, zu welchem Preis sie T-Aktien in ihre Portfolios nehmen würden.

Die Präsentationstour – im Börsenjargon Roadshow genannt – wurde von einem wahren Medienrummel begleitet, in Deutschland wurde das TV-Publikum allabendlich mit Werbespots berieselt – der Erfolg Heß nicht auf sich warten. Ads der Ausgabekurs von 14 Euro bekannt gegeben wurde, war die Volksaktie vielfach überzeichnet, der größte Teil ging an institutionelle Anleger wie Banken und Versicherungen. Dennoch kamen auch viele private Käufer zum Zuge und erhielten ihr magentafarbenes Wertpapier.

Heute wünscht sich so mancher Volksaktionär, er wäre bei der Aktienzuteilung nicht zum Zuge gekommen. Nach den anfänglichen Höhenflügen der T-Aktie und einer weiteren Aktienplazierung im Börsen-Boomjahr 2000 begann knapp zwölf Monate später der freie Fall des Kurses: Im Juli 2007 pendelte er mit um die 13 Euro immer noch unter dem Emissionskurs der ersten Tranche im Jahr 1996. Zeitweise hatte die T-Aktie sogar Mühe, über die 10-Euro-Marke zu kommen.

Der Streit um die Bewertung von Immobilien, die hohen Schulden durch die Ersteigerung der UMTS-Lizenzen, die künftige Handy-Generationen internetfähig machen sollten, sowie teure Unternehmensübernahmen und die harte Konkurrenz durch neue Wettbewerber auf dem Telefonmarkt haben kräftig am Wert des einstigen Börsenüberfliegers gezehrt.
Die Banken, die die T-Aktien an die Börse gebracht und am Handel mit den Papieren kräftig verdient haben, leisteten sich ebenfalls Pannen, die dem Kurs der Aktie zusätzlich schadeten. Der größte Fauxpas dieser Art unter Hefim Spätsommer 2001 der Deutschen Bank.
Am 6. August 2001 konnten T-Aktionäre vorsichtig Hoffnung schöpfen. Nach dem Sturzflug der vergangenen zwölf Monate schien das Papier wieder den Boden für einen neuen Aufstieg gefunden zu haben. Die Analysten der Deutschen Bank gaben eine nachdrückliche Kaufempfehlung ab. Mit Erfolg: Der Kurs legte an diesem Tag um 1,93 Prozent auf 24,26 Euro zu.

Einen Tag später, am Dienstag, dem 7. August, war jedoch schon wieder Heulen und Zähneklappern angesagt. Die T-Aktie sackte um 3,47 Prozent auf 23,37 Euro ab und führte die Liste der Verlierer im Deutschen Aktienindex DAX an.
Die Papiere werden von institutioneller Seite aggressiv um jeden Preis verkauft, versuchte ein Händler einer Frankfurter Großbank die unerwartete Trendwende zu erklären.

Daraufhin ging die Talfahrt weiter: Am folgenden Freitag hatte die Volksaktie fast 20 Prozent des Werts vom Montag verloren. Als Schlusskurs der schwarzen Börsenwoche für die Aktionäre des magentafarbenen Riesen wurden 19,37 Euro notiert, nachdem die T-Aktie zeitweise sogar auf 18,75 Euro abgestürzt war, damals der tiefste Stand seit drei Jahren. Die Aktionäre waren verärgert: Ron Sommer raubt mir meine Rente, schimpfte ein frustrierter Kleinaktionär auf den Telekom-Chef. Damit wandte er sich aber ausnahmsweise an die falsche Adresse.

Nach den Kursstürzen der vergangenen zwölf Monate erhielten die Kleinanleger eine weitere bittere Lektion – von der Deutschen Bank. Sie zeigte ihnen deutlich, wie kleine Leute im weltweiten Milliardenmonopoly von den großen Spielern abgezockt werden.
Der Hintergrund: Nur einen Tag nach der von der Bank her- ; ausgegebenen Kaufempfehlung hatten die Investmentbanker versucht, im Auftrag des Hongkonger Konzerns Hutchinson Whampoa 44 Millionen T-Aktien im Markt unterzubringen – zu einem vereinbarten Kurs von 23,60 Euro.

Sogenannte Blocktrades, Verkäufe großer Aktienpakete, sind keine Seltenheit an den internationalen Kapitalmärkten. Im Jahr 2000 wurden zum Beispiel solche Wertpapierdeals in der Größenordnung von knapp 40 Milliarden Dollar abgewickelt. Von Januar bis Anfang August 2001 wurden weitere Pakete für knapp 32 Milliarden Dollar verschoben, wie die britische Thomson Financial Securities Data ermittelt hat, die derartige Wertpapierver- kaufe erfasst. Allein 2001 wechselten Aktien des britischen Telekommunikationskonzerns Vodafone im Wert von 6,4 Milliarden
Dollar vom in mehreren Tranchen die Besitzer. Im März wurden weitere 420 Millionen Papiere dieses Konzerns veräußert, der im Jahr 2000 Mannesmann übernommen hatte, im Mai noch einmal 182,5 Millionen und im Juni weitere rund 6,65 Millionen Aktien. Gemessen an diesen Volumina nehmen sich die Telekom-Transaktionen mit einem Wert von knapp zwei Milliarden € fast bescheiden aus. Dass dieser Deal dennoch ein Kursdebakel der Sonderklasse verursachte, liegt an den groben Pannen, die den Investmentbankern der Deutschen Bank bei dem hochsensiblen Geschäft offenbar unterhefen.

Blocktrades müssen schnell, vertraulich und marktschonend abgewickelt werden, erklärte ein Börsenexperte. In den meisten Fällen gelingt es erfahrenen Aktienhändlern und Investmentbankern, selbst Millionen von Wertpapieren innerhalb weniger Stunden per Telefon, Fax oder E-Mail an institutionelle Anbieter zu veräußern. Die Papiere werden zu festen Preisen angeboten oder aber zu Kursen, die in einem beschleunigten Bookbuilding – Verfahren ermittelt werden. Dabei können die Investoren erklären, zu welchem Preis sie eine bestimmte Menge Aktien übernehmen wollen. Danach werden die Aufträge abgewickelt, und die Banker können sich über eine stattliche Provision freuen. Die Deutsche Bank zum Beispiel, die damals mit dem Slogan Vertrauen ist der Anfang von allem warb, hat an dem T-Aktien-Paket rund 150 Millionen € verdient. Viel Geld für ein schnelles Geschäft, das nachhaltig das Image der Bank beschädigt hat.

Von einem Blocktrade können – wenn er klug eingefädelt und geräuschlos abgewickelt wird – sogar Kleinaktionäre profitieren. Nicht selten führen solche Transaktionen dazu, dass der Kurs des heimlich in großen Stückzahlen gehandelten Papiers in den darauffolgenden Tagen im öffentlichen Handel steigt. So kletterte der Kurs der Sonera-Aktie zwei Tage nach der Transaktion von 15,6 Millionen Stück, die einen Erlös von 754 Millionen Euro brachte, von 51,10 Euro am 18. April 2000 auf 56,51 Euro am 20. April und lag damit sogar noch über dem Wert vom Vortag des Deals. Der französische Pharma- und Kosmetikkonzern Sanofi-Synthelabo konnte ebenfalls kurz nach der Plazierung von 15,69 Millionen Papieren einen Kursgewinn von 3,25 Euro pro Aktie verbuchen. Selbst bei dem grossten Deal der jüngsten Wirtschaftsgeschichte, dem Verkauf von 1 564 Millionen Aktien der Firma Vodafone Air Touch PLC, der am 22. März 2000 mehr als drei Milliarden Dollar einbrachte, stieg der Kurs der Vodafone-Aktie am 23. März zunächst um 2,50 Pfund.

Abstürze wie im Fall Telekom sind gerade beim Verkauf von Blue-Chip-Aktienpaketen außerordentlich selten. Und dennoch gelang der Deutschen Bank genau dies mit ihrem Alleingang. Die Käufer des Pakets hatten sich zwar auf einen Kurs von 23,60 Euro geeinigt. Weil die Researchabteilung der Deutschen Bank am Vortag jedoch eine Studie veröffentlicht hatte, in der die Telekom-Aktien zum Kauf empfohlen wurden, fand der Paketverkauf plötzlich nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf offener Bühne statt. Fondsmanager und Privatanleger fühlten sich genarrt, weil die Deutsche Bank wider ihre eigene Kaufempfehlung ebenfalls ihre Telekom-Aktien loszuwerden versuchte. Der Telekom- Kurs brach ein.
Die Banken müssen bestraft werden, wenn sie Interessenkonflikte in der Compliance-Abteilung nicht lösen können, kritisierte Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen der Universität Erlangen, den Vorfall. Den Begriff Compliance erklärt die Deutsche Bank auf ihrer Website wie folgt:
Die Kreditinstitute haben dafür zu sorgen, dass Geschäfte ihrer Mitarbeiter in Wertpapieren, Devisen, Edelmetallen und Derivaten nicht gegen Interessen der Bank/Sparkasse und deren Kunden verstoßen. Zum Schutze der Anleger und zur Vermeidung von Interessenskonflikten haben deshalb die Kreditinstitute unter Beachtung der Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte Regelungen über solche Geschäfte zu treffen und die Einhaltung der Leitsätze zu überwachen. Mit diesen Regeln soll Vertrauen in den jeweiligen Kapitalmarkt bzw. zu den Marktteilnehmern geschaffen bzw. erhalten werden. In vielen Banken gibt es mittlerweile Compliance-Abteilungen, die die vertrauliche Behandlung von Informationen in den relevanten Abteilungen überwachen sollen und insbesondere Insider-Verstößen vorbauen sollen.
Im Fall des T-Aktien-Pakets hätte die Deutsche Bank entweder den Bericht der Analysten vor der Veröffentlichung stoppen, oder aber auf den Verkauf des Pakets samt der Provision verzichten müssen.

Wir müssen verhindern, dass solche Konflikte in dieser Form auf uns Anleger zukommen, sagte Gerke.

Der Pressesprecher der Deutschen Telekom, die von dem Deal der Deutschen Bank völlig überrascht wurde, brachte das Kursdebakel der T-Aktie auf eine griffige Formel: Aktien für zwei Milliarden € verkauft, 100 bis 150 Millionen € verdient und 40 Milliarden € vernichtet. Die großen Investmentgesellschaften fürchteten schlimme Folgen für den Konzern und seine Aktie: Vielleicht war das sogar der Dammbruch für die Flucht aus der Aktie, orakelte damals einer der Chefmanager der Investmentfondsgesellschaft DWS. Der Mann hatte recht. Der Kurs fiel und fiel. Der Tiefpunkt lag bei 8,45 Euro. Bis 2007 hatte die T-Aktie nicht einmal den Emissionskurs der ersten Tranche erreicht.

ln einem internen vertraulichen Bericht vom 15. August 2001 gibt die Compliance-Abteilung der Deutschen Bank die Schuld an dem Kursabsturz den amerikanischen Investmentbanken Goldman Sachs und Merrill Lynch. Beide Häuser hätten am 8. August 2001 das Kursziel für die T-Aktie deutlich nach unten korrigiert: Goldman Sachs habe Marktgerüchten zufolge das Kursziel bei 17 Euro gesehen, und Merrill Lynch sei in einer ausführlichen Analystenstudie zu einem Kursziel von 18 Euro zum Jahresende 2001 gekommen und habe den Verkauf dieser Aktien empfohlen. An diesem und den folgenden Tagen gaben im Übrigen auch die Kurse praktisch aller anderen europäischen Telekommunikationswerte erheblich nach, so der Bericht.

Wie der Deutsche Bank-Analyst Stuart Bird zu einem so deutlich positiveren Kursziel kam, das er in seiner Studie mit 31 Euro angegeben hatte, wird sein Geheimnis bleiben. Auch in dieser Hinsicht vermittelt der oben genannte Bericht interessante Einblicke in die Arbeitsweise der Analyse- und Research-Abteilung der Deutschen Bank:

Der die DT [Deutsche Telekom] beobachtende Analyst verfasste seine Studien ausschließlich unter Verwendung öffentlich zugänglicher Informationen und war deshalb kein Insider. Von der Geschäftsabteilung wurde er zuweilen gebeten, bei diesen Kundengesprächen seine Einschätzung zur DT-Aktie zu erläutern. Bevor diese Gespräche sich dann möglichen Geschäften zuwandten, wurde der Analyst ausgeschlossen. An den Gesprächen mit Hutchison Whampoa hat er nie teilgenommen. Von der bevorstehenden Transaktion wurde er erst im Rahmen der Unterrichtung am 07.08.2001, um 7.15 Uhr ins Bild gesetzt. So beschreibt der Brief der Compliance-Abteilung die Aufgabe des Analysten und seine Beteiligung an dem Fall.

Interessant ist aber auch, dass der Aktiendeal nicht nur von Deutsche-Bank-Mitarbeitern der Abteilung Equity Capital Markets aus unseren Filialen in London und Hongkong, die am 3.August 2001 zu einem Kundengespräch bei Hutchinson Whampoa zu Gast waren, besprochen wurde, sondern dass dieses Treffen an eine Begegnung hochrangiger Vertreter beider Häuser im Juni d.J. in Frankfurt anknüpfte. In dem Gespräch wurde eine Reihe unterschiedlicher Themen diskutiert, wie die Finanzierung des Hafengeschäfts von Hutchinson Whampoa durch eine Aktienemission und die Möglichkeiten, die Rendite der im Besitz von Hutchinson Whampoa befindlichen Pakete an Vodafone – und DT-Aktien zu erhöhen, z.B. als Absicherung von Umtauschanleihen. Zu diesen Themen wurden Präsentationen unter Verwendung unverbindlicher Preisindikationen gegeben. Im Zusammenhang mit dem DT-Paket wurde noch das von dem Analysten in der Kurzstudie vom 24.07.2001 formulierte Preisziel 32 Euro und nicht die im späteren Verlauf dieses Tages veröffentlichten 31 Euro erwähnt.

Soweit der Rechtfertigungsbrief der Compliance-Abteilung.
Wie gut, dass der Analyst, der von nichts wusste – erst recht nicht von dem Treffen hochrangiger Vertreter beider Firmen in Frankfurt-, bei seiner im Juli 2001 begonnenen umfassenden T-Aktien- Studie, völlig unabhängig natürlich, zu einem so überaus positiven Ergebnis kam. Dass der Bank-Analyst nur ein ganz leicht abweichendes Kursziel von 31 Euro zum Ende des Jahres 2001 prognostizierte statt 32 Euro und die Aktie zum Kauf empfahl, dürfte dem Zustandekommen des Deals sicher geholfen haben.

Ob es sich nun um einen Fall von ziemlich unprofessioneller Naivität handelt, oder aber von besonders raffinierter Kursmanipulation – darf jeder für sich selbst entscheiden.

Kreditpolitik der Banken und Sparkassen

Mit ihrer Kreditpolitik bestimmen Deutschlands Banken, welches Unternehmen im Ernstfall Kapital zum Überleben, zum Wachsen, für Investitionen und neue Produkte bekommt. Sie sind sozusagen die Schiedsrichter, die den Wettbewerb nach ihren Spielregeln lenken, fordern oder abwürgen. Sie entscheiden mit, wer Arbeitsplätze ausbauen darf und wer Pleite machen muss. Die Banken sind sozusagen die oberste Instanz und ein Machtfaktor im Staatsgefüge. Allein die Tatsache, dass sie sich in den meisten Fällen nicht einig sind, dass sie gegeneinander buhlen und miteinander ringen um Marktanteile und lukrative Kunden, verhindert, dass sie ihre Monopolstellung ausspielen können. Mächtiger als jede deutsche Regierung sind sie allemal. Denn sie haben ein ganzes Arsenal an Instrumenten zur Hand, die sie mehr oder weniger geschickt einsetzen können, um die Entwicklung in der deutschen Wirtschaft, in wichtigen Branchen oder auch nur in großen Konzernen nach ihren Wünschen zu steuern.

Wichtiger als die Einflussnahme über die reinen Geldgeschäfte, Kreditvergabe, Kapitalmarktemissionen und Anlageberatung sind die Beteiligungen, die die Banken an Industrieunternehmen halten, und die zahllosen Aufsichtsratsposten und Beiratsmandate, die Banker in deutschen Unternehmen innehaben und über die sie die Geschicke der Unternehmen und auch das Wohl und Wehe der Arbeitnehmer bestimmen.

Und kein Institut hat mehr Einfluss auf Politik und Wirtschaft als der Primus im Gewerbe, die Deutsche Bank. Doch nicht immer dient die enge Allianz mit der größten deutschen Bank dem Wohlergehen des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und manchmal nicht einmal dem seiner Aktionäre.

Wie ein Konzern durch eine allzu enge Kooperation zwischen Bankern und Konzernvorständen auf einen gefährlichen Schlingerkurs gebracht werden kann, zeigt sich am Beispiel von DaimlerChrysler oder der Daimler AG, wie das Unternehmen wohl bald wieder genannt werden wird.

Der Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden beim Daimler, wie die Arbeiter im Schwäbischen den Konzern gerne nannten, gebührte im Vorstand der Deutschen Bank dem Chef des obersten Bf Führungsgremiums. Das war ein Privileg und aus der Sicht der Banker auch eine Pflicht, schließlich war die Bank selbst Aktionär des Autobauers. Da schien es eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass sie über eine einflussreiche Stimme verfugten, um ihre Interessen, die der Kapitalgeber nämlich, durchsetzen zu können.

Der 4. April 2007 ist sicher einer der Tage, der den Mitarbeitern und Aktionären des DaimlerChrysler-Konzerns noch lange 1 in Erinnerung bleiben wird. Es war der Tag der Hauptversammlung, auf der den Anteilseignern die Geschäftsergebnisse des Jahres 2006 präsentiert und ein Ausblick auf das laufende Jahr und f die Zukunft gegeben werden sollte. 6900 Aktionäre waren eigens zu diesem Ereignis nach Berlin ins ICC gekommen. Und die meistens waren nicht gerade guten Mutes.
Im Visier hatten die Anteilseigner den amerikanischen Partner Chrysler der einst als Megaereignis gefeierten Konzernehe. Schon lange nervten die Verluste des einst drittgrößten US-Autoherstellers die deutschen Aktionäre.

Applaus erhielten denn auch nicht so sehr DaimlerChrysler- Chef Dieter Zetsche als vielmehr die Vertreter der Aktionäre, die Aufsichtsräten und Vorständen einmal richtig die Meinung geigten. Zu den scharfen Kritikern zählte überraschenderweise auch die Deutsche-Bank-Fondstochtergesellschaft DWS: Wenn Chrysler am Ende zum Scheidungsrichter geführt würde, wären wir sehr dankbar, sagte Fondsmanager Henning Gebhardt auf der Hauptversammlung unter großem Beifall der Aktionäre. Auch die Vertreter der Kleinaktionäre zeigten sich angriffslustig. Lars Labryga von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sagte, die Fusion der beiden Autobauer sei von vorne bis hinten eine einzige Fehlentscheidung gewesen. Ein Verbleib von Chrysler im Konzern ist keine Option, erklärte der Sprecher der Kleinaktionärsvereinigung DSW, Hans Richard Schmitz. Was fehlt, ist die klare und schnelle Exekution des Verkaufs.

Doch mit ihren Forderungen nach einer schnellen Trennung kamen die Aktionärssprecher fast zu spät. Der geplante Verkauf von Chrysler war für den Daimler-Chef, der Mitte 2005 das Amt von seinem Vorgänger Jürgen Schrempp übernommen hatte, beschlossene Sache. Längst wurden schon mit potenziellen Käufern Gespräche geführt und Interessenten auch Einblick in die Bücher gewährt.
Gut einen Monat nach der neunten Hauptversammlung waren sich Käufer und Verkäufer einig: Im dritten Quartal 2007 gehen 80,1 Prozent von Chrysler an die US-Heuschrecke Cerberus. Der Kaufpreis sollte 5,5 Milliarden Euro betragen.
Von dem Geldsegen hat Daimler nichts: 3,5 Milliarden erhält die Chrysler Corporation, für die Entwicklung neuer Modelle und zur Stärkung der Eigenkapitalbasis, ein Teil geht an die Chrysler Finanzierungsgesellschaft. Außerdem muss Daimler Garantien für den Pensionsfonds übernehmen und die US-Gesellschaft schuldenfrei stellen. Insgesamt, so verkündet der deutsche Konzern auf seiner Homepage, werden so etwa drei bis vier Milliarden Euro fällig werden, um die Verbindung, die einst im Himmel geschlossen wurde, wieder zu trennen. Die Liaison kostet den Konzern insgesamt etwa 40 Milliarden Euro – eine stattliche Summe.

Danach ist Daimler wieder dort angekommen, wo der teure Schlingerkurs einst begonnen hatte – als ein Konzern, der Nobelkarossen, Busse und Lastwagen produziert. Und immer an der Seite der Automanager stand in Treue fest die Deutsche Bank, sie stellte traditionsgemäß den Chef des Aufsichtsrates – bis zu eben diesem 4. April 2007.

Den eigenen Vorteil fest im Blick für die Deutschen Bank

Im Februar 2007 gaben die Analysten der Deutschen Bank eine Analyse der DaimlerChrysler-Aktie heraus, die zu größten Hoffnungen berechtigte. Sie prognostizierten ein Kursziel zwischen 54 bis 74 Euro. Bei den Anlegern kam diese Erwartung allerdings nicht so gut an: Denn die Prognose übertraf die Analysen der Konkurrenz bei weitem. Die Experten von Merrill Lynch und Citibank sahen den Aktienkurs eher zwischen 55 und 60 Euro. Dass sich die Deutsche Bank mit ihrer sehr optimistischen Prognose an die Spitze der Bewegung setzte, irritierte so manchen Aktionär.

Kamen die Analysten der Deutschen Bank zu diesem Ergebnis aufgrund der Bewertung von Daten und Trends oder ist die Strategie der Bank die eigentliche Triebkraft für den Kursoptimismus? Dass der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann die Industriebeteiligungen der Bank möglichst schnell zu möglichst guten Preisen loswerden will, ist kein Geheimnis. Doch lassen sich die Analysten auch zu Handlangern der Investmentbanker machen, die mit hohen Prognosen den Aktienkursen auf die Sprünge helfen, um der Bank einen Reibach zu bescheren?
Das Misstrauen der Aktionäre wird vor allem dadurch geschürt, dass es der Deutschen Bank nicht immer gelungen ist, die chinesische Mauer geschlossen zu halten, die zwischen Analysten und Aktienverkäufern bestehen muss, um Interessenkollisionen zu vermeiden. Die Kontrollen, die solche Kollisionen verhindern sollen, sind offensichtlich nicht sehr wirksam – aber bisweilen sieht es so aus, als ob Interessenkonflikte billigend in Kauf genommen werden, wenn es denn dem Wohl der Bank dient.

Für die Anleger sind die Verkaufspläne allerdings ein großer Unsicherheitsfaktor: Diejenigen, die am lautesten steigende Kurse beschwören, könnten selbst bald auf der Verkäuferseite stehen. Die Deutsche Bank hat schon früher ein paarmal die Seiten gewechselt – nicht gerade zum Nutzen der anderen Aktionäre.
So hatte die Ankündigung vom Abgang Schrempps im Juli 2005 eine wahre Kursrallye ausgelöst. Um 10 Prozent schnellte der Preis der DaimlerChrysler-Aktie nach oben. Die Deutsche Bank nutzte die Gelegenheit und warf 35 Millionen Aktien auf den Markt. Dadurch reduzierte die Bank ihren Anteil am Unternehmen von 10,4 auf 6,9 Prozent – und bremste natürlich den Kursanstieg. Im Laufe der vergangenen zwei Jahren wurde der Anteil weiter verringert – bis auf nur noch 4,4 Prozent. Der schwerwiegendste Vorfall in Sachen Interessenkonflikt ereignete sich allerdings im Jahr 2001.