Wenige Wochen nach dem glanzvollen Start entdeckte der Chef der neuen Bank, Albrecht Schmidt, dass Eberhard Martini, sein neuer Partner, Kreditrisiken bei Immobiliengeschäften in Höhe von 3,5 Milliarden € nicht angegeben hatte. Diese Wertberichtigungen hätten im Jahresabschluss 1997 berücksichtigt werden müssen.
Schmidt war persönlich tief erschüttert und machte aus seiner Verärgerung keinen Hehl: Ich habe eine bittere Enttäuschung erlitten und eine gehörige Wut im Bauch, erklärte der Bankchef. Er war vor allem bemüht, den Verdacht, er habe von der Schieflage im Immobiliengeschäft schon während der Fusionsverhandlungen erfahren, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ein Versagen dieses Ausmaßes habe er sich nicht vorstellen können, tobte Schmidt und forderte personelle Konsequenzen.
Allerdings waren die Risiken, die im aus dem Ruder gelaufenen Immobiliengeschäft der Hypobank lauerten, offenbar auch der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft WEDIT nicht aufgefallen. Der Vorstand habe die entsprechenden Unterlagen nicht herausgegeben, versuchten sich die Prüfer später der Verantwortung zu entziehen.
Am 30. Oktober verkündete Martini forsch: Der 1997er Abschluss war in Ordnung. Einen Rücktritt von seinem Aufsichtsratsmandat lehnte er ab. Im November wurde der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden Topbankern heftiger, die Angriffe peinlicher. Martini i nahm sich den neuen Großbankchef zur Brust: Schmidts Charakter ist vom Ehrgeiz zerfressen, so ein Mann kann keine Bank führen.
Die weitere Eskalation wäre vielleicht noch vermeidbar gewesen, wenn der Aufsichtsrat konsequente Aufklärungsarbeit geleistet hätte, schrieb das Manager Magazin im Mai 1999. Doch dazu konnte sich das Kontrollgremium nicht durchringen, obwohl – wie das Hamburger Wirtschaftsmagazin berichtete – einer der Räte, DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, dringend empfahl, die Angelegenheit transparent aufzuarbeiten. Schließlich wisse er aus eigener Erfahrung, was es bedeute, mit unangenehmen Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu gehen.
Doch den Mitgliedern des Aufsichtsgremiums ging es offenbar j weniger um das Image der Bank als vielmehr um das Ansehen der | Banker, genauer um das der Hyponesen, wie die Mitarbeiter der J ehemaligen Hypobank von den Vereinsbankern intern genannt j wurden. Aufsichtsratschef Klaus Götte suchte einen Kompromiss, der den Hypobankern half, das Gesicht zu wahren, und dem die verärgerten Vereinsbanker im Vorstand gerade noch zustimmen konnten.
So einigten sich die Räte schließlich darauf, die 3,5 Milliarden-€-Schieflage als außerordentliche Wertberichtigung des Jahres 1998 auszuweisen, die sich durch einen Methodenwechsel bei der Risikobewertung ergeben habe, zitierte das Manager Magazin. Danach sprach der Aufsichtsrat, wie es im gehobenen Wirtschaftskreisen üblich ist, dem gesamten Vorstand sein Vertrauen aus.
Im Januar 1999 versuchte Ex-Hypobanker Martini, seinen Widersacher Schmidt auszuhebeln. Als über die Verlängerung von Schmidts Vertrag beraten werden sollte, war Martini dagegen und versuchte auch seine Ratskollegen davon zu überzeugen, dass Schmidt nicht der richtige Mann für die neue Bank sei. Mit dieser Meinung stand Martini allerdings allein – Schmidts Vertrag wurde mit überwältigender Mehrheit von 19:1 Stimmen verlängert.
Im Februar 1999 stellte die HypoVereinsbank die Ergebnisse des Fusionsjahres 1998 vor. Bankchef Schmidt kündigte einen radikalen Sparkurs an, vor allem die Immobiliensparte und das Kreditgeschäft wurden drastisch zurückgenommen. Der Kampf der beiden Topbanker Schmidt und Martini zog sich hin. Im März beschloss der Aufsichtsrat, eine Sonderprüfung des Immobilienbereichs zu veranlassen.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Götte trat schließlich am 20. März 1999 zurück. Als seinen Nachfolger holte der Großaktionär Allianz im April 1999 den Ex-Vize-Präsidenten der US- Investmentbank J.P. Morgan, Klaus Viermetz, ins Boot. Viermetz, einer der wenigen Deutschen, die an der Wallstreet Karriere gemacht haben, kannte Schmidt und die Bank. Er hatte den Hypo- Vereinsbank-Chef 1997 bei der Abwehrstrategie gegen die Deutsche Bank und bei der Übernahme der Hypobank beraten.
Der neue Aufsichtsratsvorsitzende hatte viel zu tun.
Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre forderte eine Ausgleichszahlung für die früheren Vereinsbank-Anteilseigner. Der Wert der Hypobank sei schließlich geringer gewesen, als bei der Berechnung des Aktientauschverhältnisses angenommen worden war. Auf der Hauptversammlung am 6. Mai 1999 machten die 1 privaten Anteilseigner der HypoVereinsbank ihrem Ärger Luft. 1 Seit dem Immobilienskandal im Herbst 1998 hatten ihre Aktien i ein Drittel ihres Werts verloren. Gemessen an der Börsenkapitalisierung der Bank waren 17 Milliarden € vernichtet worden.
Zehn Stunden wurde debattiert. Nur dank der geschickten Moderation von Aufsichtsratschef Viermetz konnte der Eklat verhindert und ein Kompromiss erzielt werden: Über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sollte erst entschieden werden, wenn das Ergebnis der Sonderprüfung vorlag, für die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO engagiert wurde.
Als BDO drei Tage vor der Aufsichtsratssitzung am 26. Oktober 1999 das Gutachten präsentierte, bestätigte sich der Verdacht. Die Risiken aus den Immobiliengeschäften waren noch höher ausgefallen als ursprünglich angenommen: Der Fehlbetrag lag 3 nach Bewertung durch die Prüfer bei 3,6 Milliarden €. Bankchef Schmidt sah sich rehabilitiert und begann eine schonungslose Abrechnung mit den Hypobankern im neuen Bankvorstand.
Ex-Hypobank-Chef Eberhard Martini musste sein Aufsichtsratsmandat zurückgeben. Sein früherer Finanzchef Werner Ministermann, der für die Bilanz verantwortlich war, wurde ebenfalls I seines Amtes, der Leitung der Hamburger HypoVereinsbank-Tochter Vereins- und Westbank, enthoben. Vier weitere ehemalige Hypobank-Vorstände, Peter Hoch, Martin Kölsch, Martin Schütte und Josef Wertschulte, die an den riskanten Immobiliengeschäften nicht direkt beteiligt waren, baten ebenfalls um ihre Entlassung.
Vor denen muss man den Hut ziehen, denn die haben sich, ohne dass ein eigenes Verschulden vorlag, der Gesamtverantwortung des Vorstands gestellt, bewerteten ehemalige Hypobank Mitarbeiter den Abgang des Quartetts. In Kreisen der Aktionäre wurde der spektakuläre Abgang für unabwendbar gehalten:
Reinen Tisch zu machen war die einzige Möglichkeit, um die Bank in die Lage zu versetzen, in Zukunft unbelastet nach vorne blicken zu können.
Vor allem den Großaktionären Allianz, Viag und dem Freistaat Bayern lag daran, die Altlasten aus dem Immobiliendebakel loszuwerden.
Erhebliche Nachwirkungen hatte der Skandal auch auf die Mitarbeiter der Bank. Durch den Machtkampf an der Spitze wurde die Belegschaft gespalten.
Das war nicht alles. Als der Börsenboom 2001 jähr abriss und die Aktienkurse auf Talfahrt gingen, zerplatzten auch die Träume von einer schnellen Sanierung der Schieflage bei der Hypobank. Schmidt versuchte durch die Übernahme der Bank Austria Kreditanstalt, die ein ertragreiches Osteuropa-Geschäft betrieb, ein Gegengewicht zum Ausgleich der Verluste zu schaffen.
Doch das reichte nicht, um die desaströse Lage im Privatkundengeschäft und im Immobilienbereich der HypoVereinsbank aufzufangen. Der Berg an riskanten Krediten betrug 23 Milliarden Euro.
Anfang 2003 übernahm Dieter Rampl, ein ehemaliger Vereinsbanker, das Ruder. Er verordnete der Bank den ersten scharfen Sparkurs. 11000 von 70000 Arbeitsplätzen sollten eingespart werden. Filialen wurden geschlossen. Natürlich war für die Schieflage nur die schlechte Konjunktur verantwortlich. Dass sich die Bank – und da vor allem die Hypo-Seite – durch leichtsinnige und oft auch betrügerische Immobiliengeschäfte in die katastrophale Situation manövriert hatte, wurde nicht erwähnt.
Im Jahr 2003 wurden die ersten riskanten gewerblichen Kredite in die neu gegründete Tochter Hypo Real abgeschoben und an die Private-Equity-Gesellschaft Lone Star verscherbelt. Auch in den folgenden Jahren versuchte Schmidt-Nachfolger Rampl weiteren Ballast abzuwerfen. Beteiligungen wie die Norisbank wurden verkauft, die österreichische Tochter Bank Austria brachte er gegen den Widerstand seines Vorgängers Schmidts wieder an die Börse und verschaffte sich so Kapital.
Im Jahr 2005 gab es kaum noch Hoffnung, dass die HypoVereinsbank aus eigener Kraft die Talsohle überwinden könnte. Rampl suchte nach einem Partner für die zweitgrößte deutsche Geschäftsbank. Spekulationen zufolge hatte er ein Auge auf die Commerzbank geworfen. Doch die wollte mit dem angeschlagenen Münchner Bankkonzern und seiner Schieflage nichts zu tun haben.