Auch wenn Kurse auf aktuelle Meldungen schnell reagieren und allgemein sehr stark schwanken können, wird jedoch nicht die Gegenwart gehandelt, sondern die Zukunft. Nur so ist zu erklären, dass es unterschiedliche Einschätzungen über den wahren Wert eines Wertpapiers geben muss, um zu einem Handel zu kommen. Wenn ein Unternehmen mitteilt, es habe im letzten Quartal 20 Prozent mehr Gewinn gemacht, dann muss das nicht zu einem Kursanstieg der Aktie führen, es kann sogar das Gegenteil passieren. Dies wird oft mit einer gewissen Verwunderung kommentiert. Worauf die Anleger aber achten, sind die Prognosen für die Zukunft. Teilt das Unternehmen nämlich mit, im nächsten Jahr werde das Geschäft schwieriger werden, stürzt die Aktie ab.
Umgekehrt kann auch ein schlechtes Ergebnis zu einem wahren Käuferansturm führen, wenn die Prognose hoffnungsfroh stimmt. Die Käufer wollen immer wissen: Wie gut sind die Aussichten, die Aktie später zu einem höheren Preis verkaufen zu können? Von der Aktie im Depot haben sie ja nichts. Dass sie einmal x Euro gekostet hat, hilft gar nichts, außer für die Statistik. Dass sie heute für y Euro gehandelt wird, ist auch ganz nett zu wissen. Einen realen Wert erhält sie aber erst, wenn sie wieder verkauft werden kann. Und dann muss der nächste Käufer genauso hoffnungsfroh sein wie der erste zuvor.
Viele Anleger machen daher den Fehler, auf die Gegenwart zu schauen, sich in die Zahlen aus dem letzten Geschäftsbericht zu vertiefen. Steht das Unternehmen schlecht da, machen sie einen großen Bogen darum. Stattdessen reagieren sie auf Erfolgsmeldungen und wollen einsteigen, wenn alle es wollen und die Öffentlichkeit darüber spricht. Nur: Von wem kaufen sie dann die Aktien? Von Anlegern, die keine Zeitung lesen? Nein, von Investoren. Diese hatten nämlich schon vor Monaten oder gar jahren zugeschlagen, als sich niemand um das Unternehmen kümmerte, und verkaufen jetzt, da es im Rampenlicht steht.
Nur weil solche Prognosen schwierig und unsicher sind, ist es möglich, zu investieren und ganz gemächlich ein gutes Geschäft zu machen. Sonst könnte man monatelang (oder noch länger) auf seiner Aktie sitzen bleiben wie manch Händler mit seiner Ware, die niemandem gefällt.
Das Zukunftsprinzip ermöglicht auch recht hohe Bewertungen (in Kurs-Gewinn-Verhältnis oder Ähnlichem gerechnet), wenn die Aussichten stimmen. So gibt es auch in einigen Schwellenländern Aktien, die genauso teuer oder sogar noch teurer sind als vergleichbare aus Europa und Amerika. Berücksichtigt man noch diverse Unsicherheitsfaktoren (Gesetzgebung, Politik), die sonst zu Abschlägen führen, dann erscheinen sie schlichtweg zu teuer. So konnte man zum Beispiel in den Jahren 2005 und 2006 in Ländern wie Tschechien oder Indien Preisniveaus finden, die in der Europäischen Union als unangemessen betrachtet würden. Was zählte, waren aber die Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung, das heißt, man kaufte nicht den Wert von heute, sondern den in ein, zwei oder noch mehr Jahren.