Nach der Hauptversammlung der Thyssen AG am 14. März 1997 bat der nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer (SPD), der auch im Aufsichtsrat des größten deutschen Stahl- und Anlagenkonzerns saß, den Chef des Kontrollgremiums, Heinz Kriwet um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. Krupp bereite eine feindliche Übernahme des Thyssen Konzerns vor, raunte der altgediente Politiker dem Topmanager zu. Mit dieser Nachricht brachte Schleußer nicht nur den Aufsichtsratschef in Rage, sondern wenige Tage später auch die Deutschland AG ins Wanken.
Der Konzern, dem Kriwet seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen gedient hatte, sollte von dem kleineren Rivalen im Revier, der Krupp-Hoesch-Gruppe übernommen werden. Unfassbar. Ein Kampf wie David gegen Goliath – mit einem Unterschied: Der Düsseldorfer Riese zog in Topform ohne überflüssiges Fett und mit modernen Anlagen in den Kampf, der Essener David war ausgepowert, mit schlaffen Muskeln und altem Gerät angetreten. Im Klartext: Thyssen erwirtschaftete mit 123.746 Mitarbeitern einen Umsatz von 38,67 Milliarden € und erzielte dabei durch geschickte Produktstrategie Gewinne, Krupp kam mit 66.300 Mitarbeiter zwar auf einen Umsatz von 24 Milliarden €, doch der Profit der Gesamtgruppe wurde von den Verlusten der höchst unrentablen Stahlsparte aufgezehrt.
Die Übernahmeschlacht beginnt
Am Mittag des 15. März 1997, einem Samstag, alarmierte Kriwet per Telefon den Vorstandschef der Thyssen AG, Dieter Vogel. Beide mochten das Unglaubliche nicht so recht begreifen. Sollte der Krupp-Hoesch-Chef Gerhard Cromme tatsächlich einen so tollkühnen Plan im Schilde führen? Noch unvorstellbarer war für die beiden Spitzenkräfte des Konzerns, dass sich möglicherweise deutsche Banken an einem derart verwegenen Abenteuer beteiligen würden.
Andererseits wäre ein Übernahmeversuch eine Erklärung für den Höhenflug der Thyssen-Aktie, die seit Januar jenes Jahres unaufhörlich gestiegen war. Und der Zeitpunkt für einen Überraschungsangriff, den Schleußer genannt hatte, die Woche vor dem Osterfest, war nicht schlecht gewählt. Dann würden sich viele Manager, Banker und Wirtschaftsanwälte bereits in Urlaub verabschiedet haben. In vielen Unternehmen, Banken und Kanzleien wäre nur die Stallwache auf dem Posten, eine Abwehrschlacht wäre nur schwer zu organisieren. Thyssen-Chef Vogel informierte seine engsten Mitarbeiter. Schnell war der Entschluss gefasst, dem Angreifer durch eine Vorwärtsstrategie die Tour zu vermasseln. Das restliche Wochenende verbrachten die Manager damit, befreundete Banker, Aufsichtsräte und Journalisten anzurufen und durch geschicktes Fragen auf den drohenden Übernahmekampf aufmerksam zu machen.
Operation Hammer und Thor
Am Montag, den 17. März, brach über den Börsenplätzen Frankfurt und Düsseldorf ein Sturm von Gerüchten, Spekulationen und Halbwahrheiten über die beiden Unternehmen los. Erst am Abend konkretisierten sich die Vermutungen, dass Krupp-Hoesch tatsächlich Thyssen übernehmen wolle. Doch noch immer fehlte eine offizielle Erklärung des Krupp-Plans.
Am Dienstag, den 18. März, konnte auch Krupp den Nachfragen nicht mehr standhalten. Krupp-Chef Cromme ließ öffentlich erklären, dass ein Übernahmeangebot vorbereitet werde. Thyssen-Chef Dieter Vogel ließ sofort eine Pressekonferenz einberufen und ging wieder in die Offensive: Vor den anwesenden Journalisten bezeichnete er das Vorgehen von Krupp als Wildwest-Methoden. Vogel alarmierte die Düsseldorfer Landesregierung und telefonierte mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl.
Währenddessen wurde im Thyssen-Hauptquartier die Verteidigung organisiert. Vogels engste Mitarbeiter hatten keine Mühe Bundesgenossen zu finden. Krupps Angriff wurde nur von zwei deutschen Banken, allerdings den damals größten Instituten im Lande, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank, sowie den Investmenthäusern Goldman Sachs, der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell und der Dresdner Kleinwort Benson geführt. Seit Dezember des Jahres 1996 hatten sie an dem Plan, der unter dem Codenamen Hammer und Thor geführt wurde, gearbeitet. Besonders pikant an der Situation war, dass im Thyssen-Aufsichtsrat mit Ulrich Cartellieri ein Vorstandsmitglied der Deutschen Baiik und mit Wolfgang Roller der Aufsichtsratschef der Dresdner Bank saßen. Cartellieri hatte zudem seine Teilnahme an der Thyssen-Hauptversammlung abgesagt – wegen einer Darmgrippe. Beide beeilten sich zu beteuern, dass sie von dem Geheimplan, der von beiden Banken maßgeblich mitentwickelt wurde, nichts gewusst hätten. Glaubhaft war das nicht. Vor allem Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri geriet unter Druck. Der Banker hatte zu jenem Zeitpunkt mehrere Hüte auf.
Die Investmentbanker des Krupp-Lagers waren ohnehin schon in die Bredouille gekommen. Weil der Plan zur feindlichen Übernahme durch Schleußers Intervention vorzeitig bekannt geworden war, lief ihnen die Zeit davon. Eilig mussten sie nun das Übernahmeangebot Zusammenzimmern. Der Übernahmekurs wurde auf 435 € pro Thyssen-Aktie festgesetzt. Danach hätte Krupp-Hoesch für die 31,2 Millionen Aktien rund 13,6 Milliarden € aufbringen müssen, dazu wären noch 3,5 Milliarden € für die Übernahme der Thyssen-Schulden gekommen. Der Gesamtpreis hätte somit bei 17,1 Milliarden € gelegen.
Banken wollen Thyssen zerschlagen
In ihrem Plan sahen Deutsche Bank und Dresdner Bank, die die Finanzierung übernehmen wollten, eine Rückzahlung der hohen Schulden durch die Zerschlagung des Thyssen-Konzerns vor. Etwa zwei bis vier Milliarden € hätte der Essener Konzern wieder hereinholen können durch den Verkauf der 40.000 Thyssen- Wohnungen und Gebäude sowie durch die Veräußerung des 30- Prozent-Pakets am E-Plus-Mobilfunk-Netz. Der E-Plus-Partner Vebacom, der zusammen mit dem Stromgiganten RWE die Telekommunikationsgesellschaft Otelo gegründet hatte, hätte auch gern den Thyssen-Anteil für drei Milliarden € übernommen. Nach Abzug von Krediten und Steuern brächte die Telekom-Sparte nach Einschätzung von Branchenkennern noch 2,5 Milliarden €. Weitere 1,5 Milliarden € würden Verkäufe von anderen Thyssen-Bereichen einschließlich des Hochhauses abwerfen, in dem die Hauptverwaltung des Düsseldorfer Konzerns saß. Für die restlichen neun bis elf Milliarden € müsste Krupp-Hoesch Kredite aufnehmen. Die Zinszahlungen ließen sich aber leicht aus den Gewinnen von Thyssen bedienen. Branchenkenner rechneten bereits mit einem Gewinnüberschuss von mindestens 330 Millionen €, der Krupp-Hoesch jährlich aus der Thyssen-Gruppe zuflösse. Das wäre deutlich mehr als die 208 Millionen, die Cromme 1997 mit seinem eigenen Konzern hätte erwirtschaften können.
Der Krupp-Hoesch-Chef würde zudem von der umfangreichen Rationalisierung profitieren, die der Thyssen-Konzern-Chef Dieter Vogel bereits eingeleitet hatte. Dabei wurde die Belegschaft um 9,3 Prozent abgebaut, Geschäftsbereiche wurden gestrafft, unrentable Firmen für den Verkauf aussortiert.
Eine Fusion würde zudem Spielraum für weitere Kostenreduzierung schaffen. Krupp-Hoesch-Chef Cromme war sicher, dass sich 70 Prozent der Produkte der beiden Konzerne ergänzen. Im Klartext hieß das: Die restlichen 30 Prozent müssten bereinigt werden, Arbeitsplätze abgebaut, Betriebe verkauft oder stillgelegt werden. Ein Kahlschlag von 30.000 Stellen, wie ihn Arbeitnehmer und Betriebsräte beider Konzerne befürchteten, schien keine irreale Größe zu sein. Bereits vor der Übernahmeschlacht hatte Thyssen für 1997 den Abbau von 6.000 Jobs angekündigt; bei Krupp sollten 2.200 Stellen gestrichen werden.
Der Widerstand bei Thyssen formiert sieh Obwohl eine Fusion der beiden Konzerne betriebswirtschaftlich sinnvoll war, weil kostspielige Überkapazitäten beseitigt würden, war sie 1997 politisch kaum zu verkraften. Im Revier brodelte es ohnehin: Die Kumpel aus den Steinkohlezechen hatten bereits lautstark vor der Landesregierung in Düsseldorf und im Bonner Regierungsviertel gegen Subventionsabbau und Arbeitsplatzverluste protestiert, einen Aufstand der Stahlkocher wollten Landes- und Bundespolitiker daher unter allen Umständen vermeiden. Selbst der damalige Regierungschef Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau (SPD), der als ein Mitglied der Friedrich-Krupp- Stiftung – wenn auch erst spät – in den Deal eingeweiht worden war, zeigte sich nicht nur überrascht, er artikulierte auch offen seinen Unmut über das Vorgehen des Krupp-Chefs und seiner Bankiers. Auch Finanzminister Heinz Schleußer und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sparten nicht mit Kritik an Crommes Coup.
Die Bedenken der Politiker und die Wut der Thyssen-Belegschaft, die sich nicht vom Erzrivalen schlucken lassen wollten, wusste Konzernchef Vogel geschickt zu nutzen. Der Topmanager kündigte schärfsten Widerstand gegen die Übernahme an. Thyssen stand durch den Zeitgewinn ein ganzes Arsenal von Abwehrmaßnahmen zur Verfügung. Da gab es eine bereits genehmigte, aber noch nicht vollzogene Kapitalerhöhung um 500 Millionen €, die, wenn sie ausgeführt worden wäre, den Übernahmepreis für Krupp um weitere 2,5 bis 4,5 Milliarden € nach oben getrieben hätte. Poison pill nennen angelsächsische Unternehmer diese Waffe, deren Einsatz sich Vogel auf der für den Donnerstag der folgenden Woche einberufenen Hauptversammlung genehmigen lassen wollte.
Fusion statt feindlicher Übernahme
Vor dieser bedrohlichen Kulisse fand am 19. März 1997 ein Gespräch zwischen den beiden Kontrahenten bei Ministerpräsident Johannes Rau statt. Der nordrhein-westfälische Landesvater hatte die Aufsichtsratsvorsitzenden und die Vorstandschefs beider Konzerne in die Düsseldorfer Staatskanzlei einbestellt und versuchte nun Krupp-Chef Cromme die feindliche Thyssen-Übernahme auszureden. Stattdessen sollten Gespräche zur Fusion der Stahlbereiche beider Unternehmen aufgenommen werden. Am 20. März begannen die von der Landesregierung verordne- ten Sitzungen an geheimen Orten, meist im Thyssen-Gästehaus Schloss Landsberg in Essen-Kettwig. Moderatoren waren Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und der frühere Mercedes-Benz-Chef Helmut Werner. Beide waren für eine Stahlfusion: Nicht nur wegen der bestehenden Überkapazitäten in der Stahlbranche allgemein, sondern auch wegen der unrentablen Standorte und veralteten Produktionsanlagen bei Krupp, die dazu führten, dass die Kosten für jede Tonne Krupp-Stahl 60 € über denen der Thyssen-Erzeugnisse lagen. Pro Jahr fielen bei Krupp Verluste von 200 Millionen € allein im Stahlbereich an. Eine gemeinsame Fertigung könnte dieses Loch stopfen. So kommt die Stahlindustrie wieder in Form, begründete Werner seine Haltung. Auch Clement sprach sich für die Zusammenlegung aus: Die Stahlfusion ist längst überfällig. Sie dürfe aber nicht mit Methoden erkämpft werden, die das Land explodieren lassen.
Doch Cromme und Vogel, beide ehrgeizig, beide wegen vergangener Erfolge als Vertreter der neuen Wirtschaftselite gefeiert, mochten so schnell nicht nachgeben. In einem Gespräch unter vier Augen machte der sonst eher leise Vogel seinem Gegner lautstark klar, dass er erst zu Verhandlungen bereit sei, wenn das Übernahmeangebot zurückgezogen werde und Cromme sich schriftlich dazu verpflichte, auch keinen neuen Versuch zu wagen.
Die Fronten bröckeln
Vogel hatte die stärkeren Bataillone auf seiner Seite. Am 21. März fand eine Betriebsratsversammlung bei Thyssen statt, auf der die Arbeitnehmervertreter beschlossen, sich am 25. März auf den Marsch auf Frankfurt zur Deutschen Bank zu machen und die Banker unter Druck zu setzen. Diese Drohung löste im feinen Frankfurter Bankenviertel Panikstimmung aus. Die Aussicht auf Tausende wütender Stahlkocher vor den glänzenden Fassaden ihrer Geldtürme erfüllte die Bankmanager mit schierem Entsetzen. So hatten sie sich den Ausflug in die hohen Sphären des globalen Investment Banking, der neuen Königsdisziplin im Bankgewerbe, nicht vorgestellt.
Am darauf folgenden Wochenende bröckelte dann auch die Front der Banker: Die Commerzbank hatte von Anfang an abgewinkt, den Krupp-Angriff zu unterstützen. Seit Bekanntwerden des Plans koordinierte die damals noch drittgrößte private Bank sogar die finanzielle Seite der Thyssen-Verteidigung. Doch auch die Bayerische Hypobank, heute HypoVereinsbank, zog sich zurück. Und selbst bei der Dresdner Bank, die zusammen mit der Deutschen Bank von der Thyssen-Zerschlagung kräftig profitieren wollte, bekamen die Banker kalte Füße und wollten am liebsten die Fronten wechseln.
Machtkampf in der Deutschen Bank
Im Vorstand der Deutschen Bank tobte ein Machtkampf, wie ihn der Geldkonzern wohl noch nie in seiner mehr als 100-jährigen Geschichte erlebt litte. Den Streit vom Zaun gebrochen hatte Deutsche-Bank Vorstand Cartellieri, der sich als Aufsichtsrat bei Thyssen und als Moderator der Stahlindustrie auch bei Krupp bestens auskannte.
Cartellieri fürchtete um seinen Ruf als unbescholtener Banker. Als Kenner des Thyssen-Konzerns durch seine Aufsichtsratstätigkeit und als Beteiligter durch seine Position als Vorstand des Instituts, dessen Tochtergesellschaft den umstrittenen Deal ausführte, stand er im Schussfeld öffentlicher Kritik. Als Cartellieri gegenüber dem Magazin Der Spiegel erklärte, er habe vor dem Übernahmeversuch gewarnt, wurde seine Aussage sofort von der Presseabteilung dementiert: Die Behauptungen zur Rolle von Herrn Cartellieri entsprechen absolut nicht den Tatsachen. Tatsächlich war der Vorstand der Bank, in dem alle Entscheidungen nach dem Konsensprinzip getroffen werden müssen, über den Übernahmeplan zerstritten. Die Fraktion der Investmentbanker, der damals noch designierte Nachfolger von Hilmar Köpper, Rolf-E. Breuer, der Chef der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell, Michael Dobson, und Bankvorstand Ronaldo Schmitz hatten den Coup zunächst stiekum ohne Wissen der anderen Vorstandsmitglieder ausgeheckt, und, als er nicht länger geheim gehalten werden konnte, ihren Kollegen im obersten Entscheidungsgremium immer wieder versichert, die Übernahme würde letztlich friedlich über die Bühne gehen.
Selbst als sich gegen das rabiate Vorgehen der Widerstand in der Politik, bei der Thyssen-Belegschaft und auch in anderen Unternehmen aufbaute, versuchten die Investmentbanker ihren Kurs zu halten. Mir liegt sehr daran, verkündete der künftige Banksprecher Breuer unerschrocken, dass dieser erste große Fall am Finanzplatz ein Exempel setzt. Es gehe darum, Investment Banking am Hochreck vorzuführen, versuchte er seine Kollegen zu überzeugen.
Interessenkollision bei Morgan Grenfell
Doch auch die Traditionalisten blieben stur. Sie hatten längst begriffen, dass die Personalunion von Cartellieri, der zugleich Thyssen und der Deutschen Bank diente, nicht der einzige Schönheitsfehler war. Auch die Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell spielte eine mehr als dubiose Rolle. Im Februar 1997 hatte sie für Thyssen noch eine Roadshow organisiert, mit der die Düsseldorfer in den USA Großinvestoren für ihre geplante Kapitalerhöhung gewinnen wollten. Dabei hatte die Investmentbank auch detailgenaue Kenntnisse über den aktuellen Geschäftsverlauf, über Zukunftspläne, Finanzlage, Investitionen und die Beteiligungspolitik des Konzerns erhalten.
Doch die Deutsche Bank bestritt, dass Krupp aus den Recherchen der Investmentbanker im Hause Thyssen Nutzen gezogen habe. Selbstverständlich habe ich keine Informationen über Thyssen an Krupp oder umgekehrt gegeben, schreibt Cartellieri in einer persönlichen Erklärung. Denn eine vorzeitige Unterrichtung des Thyssen-Vorstands wäre ein unzulässiger Umgang mit Geschäftsinformationen Dritter gewesen.
Die Behauptung von Morgan-Grenfell-Chef Michael Dobson, bei diesen Informationen handle es sich nur um Daten, die den Marktteilnehmer weitgehend bekannt gewesen seien, taugte nicht einmal als Schutzbehauptung. Warum, so fragte nicht nur Der Spiegel, gab es dann die Reisen rund um den Globus? Auch amerikanische Investmentbanker wunderten sich über das Vorgehen von Morgan Grenfell: Solche Interessenkollisionen müssen normalerweise offen gelegt werden. Doch das wollten die smarten Banker um jeden Preis verhindern. Thyssen sollte durch einen Überraschungsangriff überwältigt werden. In den Vorständen deutscher Konzerne ging die Angst um. Viele Topmanager fragten sich, wann sie wohl von ihrer Hausbank mit so einer linken Tour aufs Kreuz gelegt werden.
Erdnüsse für die Deutsche Bank
Am 24. März entzog die Deutsche Bank Krupp die Unterstützung für die Finanzierung der Thyssen-Übernahme. Damit war die Operation Hammer und Thor geplatzt. Nach langen Beratungen mit seinen Vorstandskollegen erklärte Krupp-Chef Cromme schriftlich, dass Krupp den Plan der feindlichen Übernahme aufgibt und auch in Zukunft keinen weiteren Versuch unternehmen werde.
Am Abend musste der künftige Chef der Deutschen Bank in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF Stellung nehmen. Schmallippig gab Breuer den Rückzug der Bank bekannt. Wieder einmal hatte sich der Branchenführer des deutschen Bankgewerbes gründlich blamiert. Trotz der Kapitulation machten sich am 25. März 12.000 Arbeitnehmer von Thyssen und anderen Konzerntöchtern auf den Weg nach Frankfurt. Gemeinsam mit der IG-Metall demonstrierten sie vor der Hauptverwaltung der Deutschen Bank. Vor das Portal der Deutschen Bank regnete es in Erinnerung an Hilmar Köppers Peanuts im Fall Schneider Erdnüsse. Außerdem entrollten die Stahlkocher Banner mit Parolen wie Aktien kann man nicht essen und Die Dealer von der Deutschen Bank machen die Gesellschaft krank. Auf diese Art und Weise brachten sie den Herren in den beiden Bürotürmen, die im Volksmund Soll und Haben genannt werden, ihre Interpretation des Vorfalls nahe. Auch IG-Metall-Chef Klaus Zwickel goss weiter Öl ins Feuer: Wir sind nicht in Las Vegas. Denn dort sind die Banditen einarmig, rief er den Zuhörern zu. Die Stahlarbeiter applaudierten und johlten, konnten sie doch endlich einmal ihrer Wut auf die vornehmen Geldmanager freien Lauf lassen.
Die Stahlsparten werden zusammengelegt Am 26. März 1997 Unterzeichneten Thyssen und Krupp ein Memorandum of Understanding zur Gründung der Thyssen-Krupp Stahl AG, Thyssen würde zu 60 Prozent an der neuen Gesellschaft beteiligt sein, Krupp zu 40 Prozent. Einen Tag später legte Thyssen-Aufsichtsrat Cartellieri sein Mandat nieder und reiste in den Urlaub. Am 21. August wurde der Vorstand der Thyssen-Krupp Stahl AG berufen: Thyssen besetzte fünf Vorstandsposten einschließlich den des Vorsitzenden, Krupp erhielt drei. Zwei Wochen später wurde Thyssen-Chef Vogel zum Vorsitzenden des neuen Aufsichtsrats der Thyssen-Krupp Stahl AG gewählt.
Obwohl sein ursprünglicher Plan im Desaster endete, fühlte sich Cromme als Sieger. Nachdem man sich auf die Gründung einer gemeinsamen Stahl AG geeignet hatte, wurden zwischen den Aufsichtsgremien beider Konzerne Gespräche über eine Vollfusion vereinbart. Die Verhandlungen über die Zusammenlegung der restlichen Unternehmensteile stockten jedoch schon nach kurzer Zeit. Thyssen-Chef Vogel und Krupp-Lenker Cromme verstrickten sich schließlich in einen über Monate hinweg erbittert geführten Machtkampf um die Vorherrschaft im neuen Konzern. Im Januar 1998 beschlossen die Thyssen-Aufsichtsräte Heinz Kriwet und Günter Vogelsang zusammen mit Krupp-Herrscher Berthold Beitz, den geschäftsschädigenden Streit der beiden Manager zu beenden – Vogel ging. Schulz und Cromme sollten die Fusion zum Abschluss bringen und den neuen Konzern gemeinsam führen. Ende 1998 stimmten die Anteilseigner von Krupp und Thyssen der Verschmelzung beider Unternehmen zu. Eine Thyssen-Aktionärsgruppe versuchte mit einer Anfechtungsklage die Fusion noch zu verhindern. Sie kritisierten, dass das Umtauschverhältnis der Aktien von zwei zu eins zugunsten Thyssens die tatsächlichen Größenverhältnisse nicht richtig wiedergäbe. Auch die aufwendige Verschmelzung wurde von den Klägern in Frage gestellt, eine Übernahme von Krupp durch die größere Thyssen AG wäre ihrer Meinung nach der bessere Weg gewesen.
Am 1. März 1999 erfolgte die Eintragung der Thyssen-Krupp Stahl AG ins Handelsregister. Geführt wird Deutschlands fünftgrößter Industriekonzern von einer Doppelspitze, dem Ingenieur Ekkehard Schulz, der bei Thyssen die Stahlsparte geleitet hatte, und dem Juristen und Volkswirt Gerhard Cromme, bisheriger Chef der Krupp AG. Mit der Fusion endete nun doch friedlich, was zwei Jahre zuvor als Versuch einer feindlichen Übernahme begonnen hatte.