Als die russische Wirtschaft im Herbst 1998 ihrem Kollaps entgegentaumelte, brannte es in einer anderen Region der Welt schon lichterloh. Auch Thailand, Malaysia, Indonesien und Südkorea waren in eine schwere Krise gestürzt worden. Zu Beginn der 90er Jahre hatten viele Politiker der westlichen Industriestaaten sehnsüchtig auf diese ostasiatischen Schwellenländer geblickt. In den so genannten Tigerstaaten hatte sich ein beeindruckender wirtschaftlicher Wandel vollzogen. Mit zweistelligen Wachstumsraten, Preisstabilität, niedrigen Löhnen und hohen Exportüberschüssen schienen die asiatischen Musterknaben in dieser Zeit auf dem besten Wege zu sein, zu den Industriestaaten aufzuschließen.
Aus der Sicht der westlichen Finanzinstitutionen und der US- Regierung hatten die ostasiatischen Emerging Markets Ende der 80er Jahre nur einen Makel: Ihre Kapitalmärkte waren streng kontrolliert, ausländische Banken hatten keine Chance an dem Wirtschaftswunder dieser Region zu partizipieren.
Deshalb wurde der Druck auf die Regierungen der Schwellenländer erhöht, den Kapitalverkehr zu liberalisieren und auch Ausländern den Handel mit Wertpapieren an den Börsen der aufstrebenden Tigerstaaten zu gestatten. Als zu Beginn der 90er Jahre ausländische Investoren endlich Zugang zu den begehrten Finanzmärkten erhielten, wurden die Länder mit ausländischem Kapital überschwemmt, obwohl die Staaten dank der hohen Sparquote eigentlich kein zusätzliches Geld für ihre Infrastrukturinvestitionen brauchten. Ihre Notenbanken hielten die Wirtschaft an der kurzen Leine, um eine Überhitzung der Konjunktur zu verhindern. Das Geld für Investitionen war absichtlich knapp, die Zinsen wurden weiterhin hochgehalten.
Für die ausländischen Finanzkonzerne waren das ideale Bedingungen. Sie kamen in Scharen, allen voran die deutschen Kreditinstitute Dresdner Bank, Commerzbank und die öffentlich-rechtliehen Banken wie die WestLB. Wichtigste Anlaufstelle war von 1994 an zunächst Südkorea. Das Land hatte die größten Fortschritte in der Industrialisierung gemacht. Die großen Chaebol, die Industrie-Konglomerate Südkoreas, konkurrierten bereits erfolgreich mit den westlichen Unternehmen – beispielsweise im Schiffbau und in der Stahlerzeugung. Wie in anderen Tigerstaaten war auch die koreanische Notenbank der Politik des knappen Geldes gefolgt und hatte versucht, mit hohen Zinsen das Wachstumstempo zu zügeln und die Inflationsraten niedrig zu halten.
Expansion mit westlichem Geld
Doch nun kamen die ausländischen Finanzinstitute und lockten die knapp gehaltenen Unternehmer mit Krediten, die gerade mal 0,3 Prozent über den in Europa üblichen Sätzen und damit deutlich unter den koreanischen Raten lagen. Pro Monat lenkten die westlichen Finanzkonzerne zwei Milliarden Dollar nach Korea. Bereits 1996 waren mehr Dollars im Land, als die Wirtschaft überhaupt investieren konnte. Die Westdeutsche Landesbank allein hatte bis zum Jahr 1997 zwei Milliarden US-Dollar in Korea investiert.
Die meisten Kredite wurden nur mit kurzen Laufzeiten von ein bis drei Monaten vergeben, wurden aber automatisch verlängert. Deshalb glaubten die koreanischen Unternehmen das billige Geld auch für langfristige Projekte, den Bau neuer Fabriken oder den Kauf teurer Anlagen verwenden zu können. Was in Korea begann, passierte bald auch in Thailand, Indonesien und Malaysia. Die Ausländer drängten uns Kredite geradezu auf, zitierte Der Spiegel die Vizepräsidentin der Bangkok Bank, Vongthip Chumpani.
Der westliche, billige Geldsegen verführte die Unternehmen zur massiven Expansion auf Pump, jedes Projekt wurde finanziert ohne Prüfung auf seine Rentabilität. So wurden riesige Immobilienanlagen gebaut, Bürotürme, Industriekomplexe – alles teure Prestigeobjekte, die vielleicht den Bauherren eines Tages Ehre machen könnten, aber eigentlich nicht wirklich gebraucht wurden. Die ausländischen Kreditinstitute machten alles mit. Allein an indonesische Unternehmen liehen die deutschen Banken 16 Milliarden € aus. Insgesamt sollen deutsche Banken rund 100 Milliarden € in die Tigerstaaten gepumpt haben.
Die großzügige Kreditvergabe an die ostasiatischen Schwellenländer gestaltete sich allerdings schon Mitte der 90er Jahre viel riskanter als die Finanzkonzerne in Europa und in den USA dies wahrhaben wollten. Als China 1994 seine Landeswährung Yuan um ein Drittel abwertete, um die wachsenden Handelsbilanzdefizite auszugleichen, begannen die Exportüberschüsse der vier Schwellenländer zu schrumpfen.
Weil ihre Währungen bei der Öffnung der Kapitalmärkte an den US-Dollar gekoppelt worden waren, um die Ängste der ausländischen Investoren vor Währungsverlusten zu zerstreuen, konnten die Zentralbanken der Tigerstaaten die Kurse ihrer Währungen nun nicht abwerten – was aber zur Stützung ihrer Exportwirtschaft dringend notwendig gewesen wäre. Dadurch wurden ihre Erzeugnisse auf den Weltmärkten zu teuer, Preissenkungen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, gingen zu Lasten der Produzenten. Gleichzeitig entstand neue Konkurrenz in Vietnam, China und auf den Philippinen, wo T-Shirts und Turnschuhe billiger produziert werden konnten als in den bereits höher entwickelten, aber nun auch hoch verschuldeten Schwellenländern.
Anfang 1997 warnte die US-Investmentbank Goldman Sachs in einer Länderstudie vor den Währungsrisiken in Thailand. Der Bäht müsse abgewertet werden, weil die Wirtschaftsleistung des Landes rückläufig sei. Viele der mit Dollar-Krediten finanzierten Immobilienprojekte und Infrastrukturmaßnahmen seien nicht rentabel.
Die Stunde der Spekulanten
Wegen der hohen Abhängigkeit von den ausländischen Krediten wagte die thailändische Notenbank nicht den notwendigen Währungsschnitt vorzunehmen. Im Rückblick war das einer der schweren Fehler, den sich die Regierungen Thailands, Indonesiens und Malaysias anrechnen lassen müssen. Denn genau diese Unterlassung zog eine neue Klientel an: Devisenspekulanten und so genannte Hedgefonds-Manager, die wissen, wie an einer drohenden Wirtschaftskrise Geld zu verdienen ist. Die Methode klingt einfach: Die Spekulanten verkaufen Devisen, Aktien oder andere Wertpapiere, die sie zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses nicht besitzen, sondern sich bei anderen Investmentgesellschaften borgen. Wenn dann die Kurse fallen, können sie sich die Papiere an der Börse zu einem für sie günstigeren Kurs besorgen und an den ursprünglichen Besitzer zum vorher vereinbarten höheren Preis zurückgeben. Die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem niedrigen Kaufkurs stecken die Zocker als Profit ein. So wird aus dem an und für sich sinnvollen Instrument des Hedgefonds, mit dem unter anderem Währungsrisiken im Außenhandel eingegrenzt werden sollen, ein reines Spekulationsgeschäft. Sinken die Kurse, profitiert der Spekulant, steigen die Kurse, verliert er. Bei einer drohenden Krise, wie in Asien am Ende der 90er Jahre, waren Hedgefonds ein bombensicheres Geschäft.
Zu den erfolgreichsten Spielern der Hedgefonds-Szene gehörte in jenen Jahren der Anglo-Amerikaner George Soros, der sich seit Ende der 60er Jahre mit seinen Hedgefonds-Gesellschaften Quantum und Quota ein Milliarden-Vermögen zusammenspekuliert hatte. Berühmt wurde Soros 1992 als er gegen die Bank von England antrat und den Kurs des britischen Pfunds so unter Druck setzte, dass Großbritannien aus dem Europäischen Währungssystem ausscheiden musste, weil die Notenbank nicht mehr in der Lage war, die britische Währung in der von den EU-Währungshütern vorgeschriebenen Bandbreite zu halten. Soros hatte indes sein Ziel erreicht: Sein Profit aus dem Angriff betrug eine Milliarde Dollar – gewonnen in nur einer Woche.
Als am 14. und 15. Mai 1997 der Run auf die thailändische Währung begann, war auch Soros’ Quantum-Fonds mit dabei. Insgesamt zwei Milliarden Dollar soll der gebürtige Ungar eingesetzt haben. Um den Angriff der Zocker abzuwehren, warf die Notenbank mehrere Milliarden Dollar auf den Markt, um die eigene Währung aufzukaufen und den Verfall zu stoppen. Doch damit war die Schlacht noch nicht vorbei, der scheinbar erfolglose erste Angriff lockte weitere Spekulanten an: Selbst eine deutsche Bank setzte 200 Millionen Dollar auf einen Kursverfall der thailändischen Währung.
Während die Banken wie Haie das bereits angeschlagene Land umkreisten, versuchte die thailändische Notenbank durch Zinserhöhungen die Kapitalflucht der Investoren aus den westlichen Industriestaaten, denen sich die einheimische Geldelite eilig angeschlossen hatte, zu stoppen. Ohne Erfolg: Am 2. Juli 1997 musste der Kurs des Bäht freigegeben werden, die Dollarreserven der Zentralbank hatten sich erschöpft. Die Folgen waren verheerend, bis zum Abend jenes Tages war der Wert der Währung um 20 Prozent gefallen.
Nach diesem Blutbad zog die Karawane der Devisenhändler und Hedgefonds-Manager weiter, als Nächstes wurde gegen die malaysische, die indonesische und die koreanische Währung spekuliert. Binnen weniger Wochen waren die Dollarreserven der jeweiligen Zentralbanken vernichtet, die Kurse der heimischen Wertpapiere an den Aktienbörsen im freien Fall, die ausländischen Kredite gekündigt, 15 bis 20 Jahre erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung fast ausgelöscht.
Die Regierungen Thailands, Indonesiens und Südkoreas waren wie gelähmt, nur Malaysias Staatschef Mahathir Mohamad begehrte auf, Schuld an der asiatischen Krise seien die internationalen Spekulanten, allen voran George Soros: Der Devisenhandel ist unnötig, unproduktiv und unmoralisch, er sollte gestoppt und illegal gemacht werden, zitierte Der Spiegel den Regierungschef. In späteren Interviews bestritt der Topspekulant allerdings, dass er mit Leerverkäufen gegen die malaysische Währung spekuliert hätte.
Im Würgegriff des IWF
Dann schritt der IWF ein – mit insgesamt 95 Milliarden Dollar versuchten der Währungsfonds und die G7-Staaten den Wechselkurs-Verfall zu stoppen. Thailand erhielt 17 Milliarden Dollar, Indonesien 33 Milliarden Dollar und Südkorea 55 Milliarden Dollar. Nur Malaysia ging wegen der unbotmäßigen Haltung seines Regierungschefs den ausländischen Kreditinstituten gegenüber leer aus.
Mit diesen Finanzhilfen sollte auf den internationalen Märkten Vertrauen in die bereits abgewerteten Währungen geschaffen und den Spekulanten suggeriert werden, dass sich weitere Angriffe auf die bereits abgewerteten Währungen nicht lohnen würde, weil die Staaten wieder genug Geld in den Kassen hätten, um sich erfolgreich zu verteidigen, erklärte der frühere Vizepräsident der Weltbank Joseph Stiglitz das Vorgehen des Währungsfonds. Doch das Kalkül ging nicht auf: Die unter Druck geratenen Staaten gaben das Geld des Währungsfonds an ihre Unternehmen weiter, damit sie die Kredite der ausländischen Banken zurückzahlen konnten. Außerdem nutzten reiche Inländer den Dollarzufluss, um ihre Vermögen in Dollar zu tauschen und außer Landes zu bringen. Innerhalb kürzester Zeit war der Geldsegen des IWF wieder dort, wo er hergekommen war: in den reichen Industriestaaten.
Dann bekamen die nachhaltig geplünderten Tigerstaaten die harte Hand der IWF-Ökonomen zu spüren, denn die so schnell und zweckwidrig verbrauchten Milliardenbeträge waren nur gegen strengste Auflagen gewährt worden. Die Staaten mussten sich verpflichten, die Privatisierung der staatlichen Unternehmen energisch voranzutreiben, die am schwersten überschuldeten Banken zu schließen, die Märkte für ausländische Investoren zu öffnen. Zudem wurden Zinserhöhungen und strikte Ausgabendisziplin der öffentlichen Haushalte verordnet sowie Steuererhöhungen.
Um zu verhindern, dass auch andere Schwellenländer eine ähnlich zügellose Schuldenpolitik mit dem Geld der Großfinanz aus den Industriestaaten betreiben könnten, wurden – im Sinne einer Abschreckung gemäß des viel zitierten moralhazard – noch weitere Auflagen erlassen. Die Beamten des Fonds verlangten grundlegende Reformen, eine bessere Regulierung der Finanzmärkte sowie Offenheit und Transparenz der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es ging darum, so scheinen es die Notenbank-Chefs der westlichen Industriestaaten zu wollen, ein Exempel zu statuieren, eine Abschreckung für andere Staaten aufzubauen, um sie von zügelloser Schuldenpolitik abzuhalten.
Das Ergebnis dieser Rosskur ist bekannt, die einst prosperierenden Tigerstaaten verarmten zusehends. Die Folgen schildert Stiglitz: Die Arbeitslosenrate vervierfachte sich in Südkorea, verdreifachte sich in Thailand und verzehnfachte sich in Indonesien. Vor allem im indonesischen Inselstaat führte die Schließung überschuldeter Banken zu Volksaufständen und Unruhen. Die Regierung des Diktators Suharto stürzte zwar, doch auch seine mehr oder weniger demokratisch gewählten Nachfolger konnten der ruinierten Wirtschaft des Landes keinen neuen Auftrieb geben. Nur Malaysia, wo sich der Autokrat Mahathir gegen den Rat und die Drohung aller westlichen Wirtschaftsexperten die Einmischung des IWFs verbeten hatte und, statt den Kapitalmarkt weiter zu liberalisieren, strikte Kapitalverkehrskontrollen eingeführt hatte, konnte die verheerende Krise besser durchstehen. Anders als von den Finanzexperten des IWF prophezeit, kamen sogar ausländische Investoren in das Land zurück. Drei Monate nach der Finanzkatastrophe konnte Malaysia wieder eine Milliarde Dollar an Auslandsinvestitionen verbuchen. Und lange vor den Nachbarn wies Malaysia wieder Wachstumsraten auf – wenn auch sehr bescheidene. Dort, wo der IWF jedoch sein hartes Regime hatte ausüben können, entstand, so Stiglitz, der Eindruck – den ich teile -, dass der IWF, statt an der Lösung mitzuwirken, selbst zu einem Teil des Problems der Länder geworden war.
Diese Meinung teilen seither immer mehr Wirtschaftswissenschaftler, auch in den USA. So kritisierte der Harvard-Professor Jeffrey Sachs, dass der IWF durch seine Politik der wirtschaftlichen Enthaltsamkeit die Panik in den Tigerstaaten vergrößert und der Region insgesamt mehr geschadet als genutzt habe.