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Fondsmanager Kurt Ochner – Der Fall des Gurus richtig verstehen

Im Sommer 2000 hatte Michael Müller (Name von der Autorin geändert) noch rund 205.000 Euro in seinem Investmentfondsdepot bei der Züricher Privatbank Julius Bär. Ein Jahr später waren es nicht einmal mehr 115.000 Euro. Dabei hat Müller nicht etwa wie manch ein geldgieriger Zocker der New Economy, geblendet von den rasanten Kursgewinnen, alles auf eine Karte gesetzt und Aktien von EM.TV gekauft oder von Infomatec und Gigabell.

Müller war eher fürs Solide: Investmentfonds statt Aktien, um das Risiko zu streuen, und auch die nur in Branchen, in denen er sich auskennt. Als Unternehmensberater hat er oft mit Firmen der New Economy zu tun. Da lag es nahe, dass der Mittvierziger auch einen Teil seines Vermögens in diese Wachstumsmärkte investieren wollte. Müller stieg über die Consors-Direkt-Broker 1999 in die Fonds ein, die ihm nach Lektüre von Anlegermagazinen und Börsenberichten als die erfolgreichsten erschienen.

Im Juli 1999 kaufte er für 35.000 Euro Anteile des JB Special German zu einem Ausgabekurs von 107 Euro und am 1. Oktober desselben Jahres für 78.000 Euro Anteile des JB Special Europe Fund – Ausgabekurs 253 Euro. Der Special German Stock wurde von Kurt Ochner gemanagt, dem damals gefeierten Star des Neuen Marktes, der Special Europe Fonds von seinem Nachfolger Carlo Seregni.

Der Fondsguru steigt aus
Michael Müller war zunächst zufrieden: Das ging ganz gut los. Im Juli 2000 notierten die Fondsanteile des Special German bei 397 Euro – doch dann ging’s bergab: Anfang April 2001 waren es gerade noch 105,50 Euro, der Wert seiner Fondsanteile war um 72,41 Prozent abgesackt auf 14.800 Euro.

Der Special Europe war ebenfalls abgerutscht: Von seinem Höchststand 423,70 Euro im Juli 2000 auf 144 Euro im April 2001 – ein Minus von knapp 63 Prozent. Weil seine Fonds auch im Vergleich zu Konkurrenzprodukten im gleichen Segment schlechter dastanden, fühlte Müller sich von seinen Fondsmanagern – allen voran von Kurt Ochner – über den Tisch gezogen. Als Müller Aufklärung von seinem Fondsmanager bei der renommierten Schweizer Bank verlange, musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass Kurt Ochner nicht mehr da war. Offiziell hat sich die Julius Bär Kapitalanlagegesellschaft von ihrem Topmanager getrennt, weil dieser seine Beratungstätigkeit nicht aufgeben wollte. Unter seinen zusätzlichen Verpflichtungen als strategischer Berater von Unternehmen, die am Neuen Markt debütieren wollen, könnten seine eigentlichen Aufgaben als Fondsmanager leiden, erklärte die Bank den Rausschmiss.

Das Schneeballsystem bricht zusammen
Insider sehen den wahren Grund für die Trennung eher in Ochners Anlagestrategie, einer Art Schneeballsystem, mit dem er die Kurse der Fondsaktien manipulieren konnte. Das Vermögen des Special German betrug im Jahr 2000 noch rund 2,6 Milliarden Euro. Dieser große Batzen wurde vorwiegend in einige kleinere Unternehmen im Technologiesektor angelegt. Zwar sei Ochner, wenn er sich mit Aktien seiner Lieblingsfirmen eindeckte, unter dem für Fonds gesetzlich zulässigen Limit von zehn Prozent geblieben, aber er kaufte oft Papiere eines Unternehmens für drei verschiedene Fonds, die er managte. Das ist zwar in der Branche üblich, bei marktengen Werten jedoch eine hochriskante Strategie.

Jeder Kauf katapultiert den Wert der Papiere nach oben. Umgekehrt schlägt sich jeder Verkauf in sinkenden Kursen nieder, die dann auch den Wert des Fondsportfolios mindern. Ochner musste also immer wieder zukaufen, er brauchte ständig frisches Kapital, um seine Geldmaschine am Laufen zu halten und seine eigene Performance als erfolgreicher Guru des Neuen Marktes nicht zu gefährden. Als im Sommer vergangenen Jahres die Kurse am Neuen Markt aber auf breiter Front einbrachen und der Kapitalstrom versiegte, platzte Ochners künstlich aufgeblähtes Fondsgebilde wie eine Seifenblase. Anleger, die erst spät eingestiegen waren, konnten Zusehen, wie sich ihr Kapital auflöste.

Verbranntes Kapital
Für die Masse der gebeutelten Aktionäre ist eine Besserung ihrer Lage nicht in Sicht. Die Werte der 50 größten Firmen dieses Wachstumssegmentes pendelten im Juli 2002 unter der 500- Punkte-Marke – Welten vom Höchststand von 8.500 Punkten entfernt. An der Börse für junge Unternehmen floriert vor allem die Angst der Akteure. Das Segment Neuer Markt hat versagt, resümiert ein Händler. In den nächsten drei bis fünf Jahren werden 50 bis 100 Unternehmen durch Übernahmen und Insolvenz nicht mehr am Markt notiert sein, prophezeite Rainer Gerdau von der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein schon 2001 weitere Pleiten. Einen massiven Vertrauensverlust beklagte Norbert Empting, Börsenmakler bei der Düsseldorfer Schnigge AG. Mit schwerwiegenden Folgen: Die Bundesbank warnte bereits im Februar 2001 vor den Folgen des internationalen Kursdesasters: Von der Talfahrt der Aktienkurse an den großen Börsen gehen retardierende Einflüsse aus, bei einer Kumulation abrupter Marktkorrekturen kann ein erhebliches Risikopotenzial für die realwirtschaftliche Entwicklung entstehen.

Wie schnell Kursabstürze am Aktienmarkt auf die Konjunktur durchschlagen können, zeigt die Studie, die die Ökonomen Laurence Boone, Claude Giorno und Pete Richardson im Auftrag der OECD durchgeführt haben: Bei einem Kurssturz von zehn Prozent an der Börse schrumpft der Konsum in den USA um 0,45 bis 0,75 Prozent, um 0,5 Prozent in Großbritannien und um rund 0,2 Prozent in Deutschland.

Das sind alarmierende Zahlen, wenn man bedenkt, dass die Aktien-Indizes Dow Jones und DAX im Jahr 2001 erheblich geschrumpft sind; bei den Technologiebörsen Nasdaq und Neuer Markt betragen die Kursverluste sogar bis zu 90 Prozent. Innerhalb eines Jahres wurden allein in den USA 4,9 Billionen Dollar Vermögen an der Börse vernichtet. Zum ersten Mal seit 50 Jahren ist das Nettovermögen amerikanischer Haushalte geschrumpft, von 42,3 auf 41,4 Billionen Dollar.

Das große Unternehmensterben
In Deutschland fällt die so genannte Cash-Burn-Rate der privaten Haushalte zwar niedriger aus, weil bisher nur etwa jeder Vierte Wertpapiere besitzt. Aktien haben sich erst seit Ende der 90er Jahre zum populären Anlageinstrument gemausert. Weil viele Newcomer aber erst recht spät und zu Höchstkursen eingestiegen sind, fallen die Verluste umso stärker ins Gewicht. Aktionäre und Fondsanleger haben im Vergleich zum März 2000 zwischen 20 und 50 Prozent ihres Einsatzes verloren. Am Neuen Markt wurde sogar Anlegerkapital bis zu 90 Prozent verbrannt.

Doch nicht nur die Zurückhaltung der Verbraucher belastet die Konjunktur, schwerer fallen die Auswirkungen der Börsenkrise auf die Wirtschaft ins Gewicht. Mittelständische Unternehmen und Gründerfirmen in Wachstumsbranchen haben seitdem Mühe, sich das dringend benötigte Kapital für Wachstum und Überleben zu beschaffen. Zehn Prozent der Firmen, die erst in den vergangenen vier Jahren am Neuen Markt notiert wurden, werden nach Ansicht von Experten die Börsenkrise nicht überleben. Und das bedeutet: Weitere Pleiten und Arbeitsplatzverluste sind unvermeidlich.

Hinzu kommt, dass die jungen Aufsteiger den etablierten Konzernen der Old Economy als Kunden verloren gehen: Der Boom der Informationstechnologiebranche wurde auch durch den hohen Bedarf der New Economy an Computern, Software und Telekommunikationsgeräten genährt. Der Ausfall dieser einst zahlungskräftigen Klientel, die die Erlöse aus ihren Börsendebüts häufig in erstklassige Hightechanlagen investierte, schlägt sich bei etablierten Unternehmen wie IBM, Apple, Intel, Cisco Systems, Siemens und anderen IT-Konzernen in sinkenden Absatzzahlen nieder. Die einst vollmundig verkündeten Gewinnerwartungen müssen immer weiter zurückgenommen werden. Das ist wiederum Gift für die Börse, die Aktienkurse können sich nicht erholen.

Wie geht es weiter?
Nicht nur Unerfahrenheit und Unwissenheit, Misstrauen und enttäuschte Hoffnung verhindern bisher eine Trendwende. Pessimisten schüren die miese Stimmung mit historischen Vergleichen. So sei es nach dem weltweiten Börsencrash vom November 1929 noch bis 1932 stetig bergab gegangen, die Talsohle erreichte der Dow-Jones-Index erst bei 41 Punkten – da hatte er im Vergleich zum Höchststand von September 1929 mehr als 82,2 Prozent verloren. Danach kam die Börse nur langsam in Fahrt: Erst 1949 tanzten wieder die Bullen auf dem amerikanischen Parkett. Das Jahreshoch von 381 Punkten vom September 1929 erreichte der Dow Jones erst wieder 1954 – nach 25 Jahren.

Wasser auf die Mühlen der Bärenfans unter den Börsianern ist auch die Entwicklung in Japan. Mehr als zehn Jahre nach den ersten Kursabstürzen 1990 strebte der Nikkei-Index – von einigen technischen Erholungen abgesehen – noch immer neuen Tiefst- ständen entgegen. Nicht einmal die Senkung der Zinsen auf null Prozent konnte die japanischen Anleger über einen längeren Zeitraum beeindrucken.