Ob Lateinamerika, Afrika, Asien oder Russland – mit Hilfe der internationalen Banken wurden viele Staaten der Dritten Welt und Schwellenländer in eine ausweglose Schuldenfalle gelockt und dann von gewissenlosen Spekulanten auf den internationalen Kapitalmärkten in den Ruin getrieben. Die schweren Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs muss die Bevölkerung tragen, die globale Finanzindustrie verdient immer – an den Zinsen für Staatsanleihen und Kredite, an Umschuldungsaktionen und am Wiederaufbau der zerstörten Strukturen.
Am 15. Juni 2001 schob sich ein Zug von 1.100 Demonstranten durch das Frankfurter Bankenviertel. Auf ihren Transparenten standen Sätze wie zehn Gebote auch für Banken und Freie Menschen sind wichtiger als freie Märkte. Andere Spruchbänder forderten den Schuldenerlass für die Dritte Welt und die Besteuerung von Devisentransaktionen. Vor dem Portal der deutschen Börse zeigten die Teilnehmer, größtenteils Kirchentagsbesucher, Gewerkschafter und Studenten, ein Goldenes Kalb, das über Leichen ging. Vor den Türmen der Deutschen Bank brannten die Teilnehmer des Marsches, der unter dem Motto Die Macht des Geldes durchkreuzen stand, Löcher in Geldscheine, um den Zinsanteil zu markieren.
Auf der Kundgebung vor den Türmen des mächtigsten deutschen Bankkonzerns appellierte die Theologin Dorothee Solle an die Zuhörer sich einer neuen, großen antikapitalistischen Bewegung anzuschließen. Das Geld töte mehr Kinder als durch Kriege umkommen, erklärte die Rednerin. Die Verantwortung für die Schwächeren sei mit dem Neoliberalismus immer stärker zurückgedrängt worden. Die Ökonomie herrsche immer totalitärer, nur sei sie dabei viel geschickter, netter, softer als frühere Systeme mit Absolutheitsanspruch‘, warnte Solle die Zuhörer, die dem Aufruf der Initiative Kirche von unten, Pax Christi Limburg, des DGB Frankfurt und der Initiative Ordensleute für den Frieden gefolgt waren.
Im Rückblick war der Auftritt der Kirchentagsbesucher im Frankfurter Bankenviertel nur eine von vielen Aktionen, mit denen vorwiegend junge Menschen, Studenten und Arbeiter, aber auch Gewerkschafter und Hausfrauen begannen, sich gegen die bedingungslosen Globalisierungsstrategien von Finanzgiganten und Industriekonzernen zur Wehr setzten. Damit wollten sie auf das Elend, das die Finanzkonzerne der Ersten Welt in den Entwicklungsländern angerichtet hatten, aufmerksam machen. Begonnen hatte die Demonstration des kollektiven Unmuts gegen die Allmacht der westlichen Finanzinstitutionen allerdings schon früher. Im November des Jahres 1999, während der Beratungen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle, sollte die totale Liberalisierung aller Märkte beschlossen und freier Handel zwischen allen Staaten der Welt vereinbart werden. Doch es kam ganz anders. 50.000 Menschen aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und unterschiedlicher Nationalitäten demonstrierten während dieser Veranstaltung gegen die Globalisierungspolitik der westlichen Industriestaaten. Fasziniert verfolgten Millionen von Fernsehzuschauern dieselben Bilder: Die Protestbewegung, der amerikanische Gewerkschaftler, mexikanische Saisonarbeiter, Pazifisten, Umweltschützer, Studenten und Hausfrauen angehörten, sperrte mit Straßenblockaden und Menschenketten den Zugang zu dem Kongresszentrum ab und störte den Ablauf der Milleniumsveranstaltung nachhaltig.
Dieser unerwartete Ansturm, die schiere Größe der Protestbewegung überforderte alle: Die Veranstalter, die auf einen derartigen Auflauf von protestierenden Menschen nicht vorbereitet waren; die Polizeikräfte, die vor dem Chaos, das die Straßensperren der Demonstranten verursachten, schließlich kapitulierten und auch die amerikanischen und internationalen Medien. Journalisten aus aller Welt, die über den Durchbruch des Freihandels und seinen Segnungen für alle Erdenbürger berichten sollten, sahen sich plötzlich einer Massenbewegung gegenüber, von deren Existenz und Anliegen die meisten der Berichterstatter nichts mit bekommen hatten.
Die Konferenz wurde schließlich ohne Ergebnis abgebrochen. An dem vorzeitigen Ende waren allerdings nicht die Demonstranten Schuld, wie die US-Regierung zunächst behauptete, sondern die Teilnehmerstaaten selbst, weil sie sich nicht einigen konnten. Weder die USA noch die Europäer waren bereit, die totale Marktöffnung, die sie von Entwicklungsländern und Schwellenstaaten bedingungslos forderten, auch im eigenen Land umzusetzen. Die Industriestaaten konnten sich nicht über die Subventionen an ihre Bauern einigen und die Franzosen wollten ihre Filmindustrie nicht dem gnadenlosen Wettbewerb mit Hollywood ausliefern. Aber auch die Entwicklungsländer bestanden auf Änderungen des WTO-Abkommens. Dennoch war mit Seattle ein Durchbruch geschafft – ein ganz anderer allerdings, als ihn sich die Regierungen, Konzerne und internationalen Institutionen der westlichen Welt vorgestellt hatten. Die Anhänger der Globalisierung werden ihre Gegner nicht mehr los: Im Januar 2000 demonstrierten 1.000 Menschen beim Weltwirtschaftsforum im beschaulichen Schweizer Skiort Davos. Im April 2000 versammelten sich in Washington 20.000 Globalisierungsgegner während der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds vor den Gebäuden dieser beiden Institute, deren Politik in den vergangenen Jahren das Elend in den Schwellenländern und Entwicklungsländern erst noch verschärft hatte.
9.000 Demonstranten trafen sich im September 2000 während der Herbsttagung von IWF und Weltbank in Prag. 60.000 Menschen protestierten beim Treffen der EU-Regierungschefs in Nizza gegen die fortschreitende Liberalisierung in Europa, 20.000 beim EU-Gipfel im schwedischen Göteborg. Der bisherige Höhepunkt der Protestbewegung gegen die Globalisierung wurde im Juli 2001 in Genua erreicht: 200.000 Demonstranten protestierten in der norditalienischen Hafenstadt beim Treffen der Regierungschefs der acht wichtigsten Industriestaaten dieser Welt, zu denen neben den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Japan auch Russland gehört.
Trotz zunehmender Gewalttätigkeit kleinerer militanter Gruppen, die die Ziele der Massenbewegung für heftige Scharmützel mit Polizei und Ordnungshütern missbrauchten, war den Regierungen der westlichen Industriestaaten spätestens seit Genua klar geworden, dass sie sich mit den Anliegen der Globalisierungsgegner, die sich unter dem Dach der Attac zusammengefunden haben, auseinander setzen müssen. Der Name ist ein französisches Kürzel und steht für Association pour une Taxation des Transactions Financieres pour TAide aux Citoyens, zu deutsch eine Vereinigung zur Besteuerung der Finanztransaktionen zum Nutzen der Bürger.
Der Name ist Programm und weist auf die eigentlichen Verursacher von Armut und Elend in vielen Staaten dieser Welt hin: Die internationalen Finanzkonzerne, die mit ihren gigantischen Kapitalströmen die in Jahrzehnten mühsam errungenen Erfolge in der Wirtschaftsentwicklung und Armutsbekämpfung vernichtet und viele Staaten in Lateinamerika und Asien in den Staatsbankrott getrieben haben. Das erste Opfer dieser maßlosen Spekulationswelle wurde Anfang der 80er Jahre Mexiko.