Bevor 1993 in Deutschland die Zinsabschlagsteuer eingeführt wurde, halfen deutsche Banken zahlreichen Steuerzahlern bei der Kapitalflucht in nahe liegende Steueroasen wie Luxemburg, die Schweiz oder Liechtenstein. Sogar öffentlich-rechtliche Banken, die vom Staat protegiert werden, haben sich nicht davor gescheut, den Fiskus um dreistellige Millionenbeträge zu bringen. Aber auch bei der Versteuerung ihrer eigenen üppigen Gehälter nahmen es manche Bankmanager nicht so genau.
Die Steuersünder
Für mich ist es Ökonomie im Kopfstand, wenn den Banken der Vorwurf gemacht wird, sie seien zu einem Teil für den Kapitalexport deutscher Anleger ins Ausland verantwortlich. Die Mobilität des Kapitals hat zugenommen, der Kunde ist zum Grenzgänger geworden, erklärte der frühere Dresdner-Bank-Chef Wolfgang Roller 1989.
Als der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel zum 1. Januar 1993 die Zinsabschlagsteuer von 30 Prozent auf alle Kapitaleinkünfte einführen ließ, nahm die Zahl dieser Grenzgänger dramatisch zu. Um fast jeden Preis versuchten Sparer und Kapitalanleger zu verhindern, dass ihnen die Bank bei jeder Zinsgutschrift 10 Prozent der Erträge abzieht und diesen Obolus dem Finanzamt überweist. Erst später bei der Einkommenssteuererklärung hätten sie diese Abgabe mit dem tatsächlich anfallenden Steuersatz verrechnen können. Bleibt der Steuersatz des Anlegers am Jahresende unter 30 Prozent, bekommt er Geld vom Finanzamt zurück, liegt er darüber, muss er die Differenz nachzahlen. Steuerfrei waren damals nur Zinseinkünfte bis 6.100 € für Ledige und 12.200 € bei Ehepaaren. Mittlerweile wurden auch diese Sätze noch halbiert. Um einen Abzug durch die Bank zu vermeiden, müssen die Steuerzahler ihrem Kreditinstitut aber einen entsprechenden Freistellungsauftrag erteilen.
Hilfe bei der Steuerflucht
Schon im November 1991, bei der Ankündigung der in Fachkreisen kurz Zast genannten Zinsabschlagsteuer, begannen die ersten Steuermuffel ihr Erspartes über die deutschen Grenzen zu schaffen. Im Laufe des Jahres 1992 schwoll der Geldstrom immer weiter an. Liquide Werte, vor allem Aktien- und Geldvermögen, wurden eilends in Steuerparadiese ausquartiert. Steueroasen gab es zu Beginn der 90er Jahre mehr als genug. Zahlreiche Broschüren und Bücher gaben den Steuermüden Orientierungshilfe und zeigten die Vor- und Nachteile der einzelnen Länder und Inseln auf.
Auf den Cayman-Inseln, drei flachen Koralleninseln in der Karibik, mussten Einheimische wie Ausländer überhaupt keine Steuern zahlen. Dort registrierte Firmen, die aber keine Geschäftstätigkeit im Land ausübten, entrichteten nur eine jährliche Gebühr von umgerechnet 430 €. Auf den Niederländischen Antillen vor der Küste Venezuelas kamen Ausländer mit einer Einkommensteuer zwischen 2,4 und drei Prozent weg, Kapitalerträge waren völlig steuerfrei. Investmentgesellschaften, Finanzierungsunternehmen oder Reedereien wurden mit einer reduzierten Gewinnsteuer von ebenfalls zwischen 2,4 und drei Prozent belastet. Auf den vor der französischen Küste gelegenen britischen Kanalinseln Guernsey, Aldemey und Jersey konnten Ausländer ihr Vermögen in einen Trust oder eine Stiftung nach liechtensteinischem Recht einbringen und dann die Erträge steuerfrei kassieren. Einkünfte aus dem Ausland sowie Geschäftsführergehälter an Ausländer waren steuerfrei.
In der Schweiz erhoben zwar Bund, Kanton und Gemeinde von den ansässigen Eidgenossen Einkommensteuern von 18 bis 33 Prozent auf Kapitalerträge. Reiche Ausländer, die in der Schweiz leben, konnten aber eine Pauschalsteuer aushandeln. Auf Gibraltar mussten sehr wohlhabende Ausländer, so genannte High Net Worth Individuals maximal 19.500 Pfund Einkommensteuer zahlen, wenn sie einen Wohnsitz auf dem Felsen vor der spanischen Küste hatten und sich dort mindestens 30 Tage im Jahr aufhielten. In der britischen Kronkolonie waren Mitte der 90er Jahre noch rund 55.000 Briefkastenfirmen registriert, deren Gewinne sowie Geschäftsführergehälter steuerfrei waren. Im Großherzogtum Luxemburg waren Kapitalerträge von Ausländern ohne Wohnsitz in dem Zwergstaat steuerfrei. Obendrein konnten sich die Anleger auf das Bankgeheimnis verlassen, das nur in besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung, wie Urkundenfälschung und Betrug, aufgehoben wurde.
Im Fürstentum Monaco mussten nur Franzosen und Monegassen Steuern zahlen, andere wohlhabende Zeitgenossen, die sich dort niederließen, konnten ihre Einkünfte so gut wie steuerfrei einstecken. Selbst in Österreich kamen die Piefkes besser weg als daheim in Deutschland. In der Alpenrepublik wurde Ausländern nur eine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent abgeknüpft, andere Abgaben wie Einkommensteuer auf Erträge oder Vermögen und Erbschaftsteuer fielen dann nicht mehr an. Neben den bekannten Fluchtorten boten sich den Steuervermeidern aber auch Belgien und Dänemark als Steuerhäfen an – auch dort konnten Ausländer ihre Zinserträge steuerfrei kassieren. Sogar in Schottland kamen deutsche Anleger besser weg. Die Bank of Scotland umwarb deutsche Kunden mit der Anzeigenschlagzeile Wanna be my Schotterboy? und 7,15 Prozent Zinsen auf €-Einlagen – natürlich ohne Zinsabschlag.
Die meisten Deutschen wollten bei ihrer Flucht vor dem Fiskus aber nicht auf das vertraute Ambiente ihrer heimischen Kreditkonzerne verzichten. Nur zu gern waren die Geldkonzerne ihren Kunden bei der Ausreise in die einschlägig bekannten Steueroasen behilflich. Sie scheuten sich auch nicht mit dem speziellen Service zu werben: Reisen bildet – Kapital, lockte beispielsweise die Deutsche Bank. Ihre Tafelpapiere können Sie uns gern zur Verwahrung übergeben. Wir informieren Sie über Ablauf und Vorteile, informierte die Landesbank Rheinland-Pfalz aus Luxemburg. Die drohende Einführung der Zinsabschlagsteuer wirkte 1992 auf das deutsche Bankengewerbe wie ein Konjunkturprogramm.
Alle größeren Geldinstitute Deutschlands – darunter auch öffentlich-rechtliche Landesbanken sowie Regionalbanken – wollten von dem Kapitaltransfer profitieren. Wer noch keine Niederlassung in Luxemburg, der damals beliebtesten Steueroase, hatte, beeilte sich den Rückstand schleunigst aufzuholen, um die vermögende Kundschaft nicht an die Konkurrenz abgeben zu müssen. Allein im Jahr 1992 gründeten deutsche Kreditinstitute – darunter waren sogar einzelne Sparkassen und Volksbanken – 23 neue Dependancen in Luxemburg. In dem Kleinstaat brach ein regelrechter Bauboom aus. Die Banker versuchten sich gegenseitig mit prunkvollen Glaspalästen und gediegenen Geschäftsräumen zu übertrumpfen.
Den Steuerflüchtigen boten die deutschen Kreditinstitute vielfältigen Service, den sie sich über deftige Gebühren gut bezahlen ließen. So wurden vermögende Kunden, die sich auf der Flucht vor dem deutschen Fiskus an die Banken wandten, von den Kunden-beratern mit zahlreichen Tipps und Ratschlägen für den sicheren Transfer ihrer Vermögen versorgt.
Die Vermögensberater der Schweizer Tochtergesellschaft der Deutschen Bank beruhigten manche ängstliche Geldanleger aus Deutschland schon am Telefon: In Zürich, so die Botschaft, ruhen Ihre Anlagen sicher wie in einem Safe. Geschulte Verkäufer rieten Bankkunden, die über größere Bargeldbestände oder Wertpapiere im Schließfach verfügten, ihre Habe einfach in einen Koffer zu packen und sie bei der nächsten Reise in die Schweiz oder nach Luxemburg bei der Bank ihres Vertrauens abzugeben.
Bedenken, dass dieser Kapitaltransfer möglicherweise nicht ganz legal sei, zerstreute so mancher Kundenberater mit dem Hinweis auf die Steuerquote, die in Deutschland einfach viel zu hoch sei. Daher wäre es nur legitim, wenn viele Bundesbürger ihr hart erarbeitetes Geld durch geschickte Kapitalanlage im Ausland vor dem Zugriff des gierigen Finanzministers retten würden. Nach so viel einfühlsamer Bestätigung ihres Tuns hatten die meisten Steuersünder auch kein Unrechtsbewusstsein mehr. Ihre Welt war wieder in Ordnung.
Und die € rollte: Allein die Berliner Bank International SA in Luxemburg registrierte einen Zuwachs bei ihrem Anlagekapital von mehr als zwei Milliarden €. Die Dresdner Bank im Großherzogtum konnte sechs Milliarden € für Direktanlagen einsammeln.
Die große Zahl der Bareinzahler unter den Kapitalflüchtlingen verursachte den Luxemburger Banken allerdings auch erhebliche Probleme – die Kreditinstitute mussten schließlich für den Rücktransport der angelieferten Bargeldmengen sorgen. In den ersten Monaten nach der Steuereinführung zum 1. Januar 1993, als sich vor allem in Bankgeschäften weniger versierte Zahnärzte, Schlächtermeister und Klempner auf den Weg in die Steueroase machten, verkehrten regelmäßig Geldtransporter im kleinen Grenzverkehr, die die €-Exporte in die nächste Filiale des jeweiligen Geldkonzerns zurückbringen mussten.
Zu den privaten Steuerhinterziehern kamen noch die Unternehmen – auch dort suchte so mancher Finanzchef nach Möglichkeiten, die deutsche Steuer zu umgehen. Trotz aller Anstrengungen waren die deutschen Kreditinstitute weder personell noch technisch auf den Ansturm vorbereitet. Bei manchen Instituten hatte sich die Zahl der Depots innerhalb eines knappen Jahres fast verzehnfacht. Jeden Monat kamen weit über 1.000 Kunden dazu.
Nachdem der erste Ansturm der Kunden, die persönlich in Augenschein nehmen wollten, wo ihr Geld verwaltet wurde, vor bei war, stiegen viele Steuersünder auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr um. Auch hier kamen die Banken ihrer Kundschaft entgegen. In vielen Zweigstellen gab es Formulare für die Eröffnung eines Kontos oder Depots bei einer Tochtergesellschaft oder einer Partnerbank in den Steuerparadiesen. Unter der Anleitung ihrer Kundenberater zahlten die Steuerflüchtlinge dann ihr Anlagekapital ein, das auf ihre jeweiligen Auslandskonten überwiesen wurde. Damit bei möglichen Steuerprüfungen die Beamten nicht auf den Namen des Steuersünders stoßen, wurde überdies empfohlen, auf die Banküberweisung nur die Kontonummer, nicht aber den Namen des Kunden zu schreiben.
Das erleichterte auch den Banken die Verwaltung des anvertrauten Geldes. Per Computerstandleitung wurde das Kapital virtuell ins Ausland transferiert und dort ebenso virtuell investiert. Gekauft wurden die Wertpapiere nämlich in Deutschland, im Namen der ausländischen Tochter, die auch die Depotauszüge – je nach Kundenwunsch – versandte oder aufbewahrte. Nur die Schweizer Banken bevorzugten weiterhin die bewährte Bareinzahlung an ihren Schaltern. Notfalls auch per Kurierdienst – für 500 bis 1.000 € pro Sendung. Wem das zu viel war, konnte seine Ersparnisse als so genannten Wertbrief auch mit der Post schicken. Wer richtig viel Geld ins Ausland transferieren wollte, konnte sich an private Vermögensberater wenden, die bei Anlagevolumen ab einer Million € auch einen Hausbesuch abstatteten und dabei das Schwarzgeld gleich mitnahmen.
Das Ergebnis der neuen Steuer war für den Finanzminister ein Jahr nach ihrer Einführung verheerend: Rund 300 Milliarden € hatten seit November 1991, als die Zast angekündigt wurde, das Land verlassen. Selbst die Bundesbank hatte das Ausmaß der Kapitalflucht überrascht. Dass so viel Geld noch in Küchenschränken, unter Matratzen und in privaten Safes aufbewahrt und am Fiskus vorbei geschmuggelt worden war, hatten die obersten Währungshüter offenbar nicht erwartet.
Offiziell gingen den Finanzämtern allein im Jahr 1993 rund zehn Milliarden € verloren. Nach Schätzungen des Münchner Ifo-Instituts wurden dem Fiskus jedoch Kapitalerträge von etwa 30 bis 40 Milliarden € verheimlicht. Das entsprach – so berichtete Die Woche – bei einer sechsprozentigen Verzinsung etwa 650 Milliarden € Schwarzgeld.Als die Zast-Pleite nicht mehr zu verheimlichen war, begannen Waigels Truppen damit zurückzuschlagen.
Die Banken im Visier der Steuerfahnder
Von 1994 an fanden sich bei den Banken immer häufiger ungebetene Besucher ein, die nicht nur die Aktenablagen der Kreditinstitute durcheinander brachten, sondern bei den Mitarbeitern Existenzängste auslösten und Tausende von Anlegern in Angst und Schrecken versetzten: Die Banken waren ins Visier der Steuerfahnder geraten. Den Anfang machte im Januar 1994 die Dresdner Bank: Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft leitete eine spektakuläre Durchsuchung der Hauptstelle der Dresdner Bank in der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt ein. Der Verdacht: Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Anfang 1996 gibt die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie in 112 Fällen gegen Kunden und Mitarbeiter Ermittlungen aufgenommen hat.
Im Februar 1994 fielen über 100 Steuerfahnder in elf Büros der Hypo-Bank-Tochter Hypo Capital Management ein. Auch in diesem Fall ging es um den Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Ein Jahr später, im Juni 1995, beschlagnahmten 25 Fahnder bei der Deutschen Bank in Saarbrücken die Daten von rund 10.000 Kunden. Dabei sollen, wie später bekannt wurde, 30 so genannte steuerauffällige Delikte aufgedeckt worden sein. Gegen sechs Mitarbeiter der Bank wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt.
Im Februar 1996 filzen knapp 200 Steuerfahnder die Filialen und die Zentrale der Commerzbank, einschließlich der Vorstandsetage. Ausgelöst wurde diese Razzia durch eine Datenliste von 1.600 Kunden der Luxemburger Commerzbank-Tochter Cisal, die ihnen bei einem ganz anderen Delikt in die Hände gefallen war. Mit diesen Aufstellungen hatte ein ehemaliger Commerzbank- Mitarbeiter versucht, fünf Millionen € von seinem ehemaligen Arbeitgeber zu erpressen. Doch die Unterlagensammlung, die die Steuerfahnder mit- nahmen, enthielt noch wesentlich brisanteres Material. Kurze Zeit später erhielt das Frankfurter Finanzamt ein Schreiben aus der Vorstandsetage, in dem Unrichtigkeiten in den Jahresabschlüssen der viertgrößten deutschen Bank seit 1984 korrigiert werden sollten. Mit dieser Korrektur, die nicht ganz einer Selbstanzeige entsprach, versuchte der Commerzbank-Vorstand noch einen Ausweg aus einem peinlichen Verfahren zu finden. Denn aus den Dokumenten, die die Fahnder einkassiert hatten, ging auch hervor, dass die Bank bei den Wertberichtigungen gemogelt und falsche Steuererklärungen abgegeben hatte.
Die Woche schilderte den Fall in der Ausgabe vom 15. März 1996 ausführlich: In den 70er Jahren hatte die Commerzbank Kredite von mindestens fünf Milliarden € an lateinamerikanische Staaten, vor allem an Argentinien, vergeben. Im Zuge der Schuldenkrise Mitte der 80er Jahre wurden diese Kredite notleidend, die Banken hätten ihre Forderungen eigentlich in den Bilanzen abschreiben müssen.
Das war nicht einfach, weil die Commerzbank die Darlehen sowohl aus Frankfurt als auch aus New York vergeben hatte. Die New Yorker Filiale, die eine eigene Bilanz erstellt und amerikanischem Steuerrecht untersteht, konnte die notwendigen Wertberichtigungen damals noch nicht vornehmen, weil die US-Steuerbehörden zur fraglichen Zeit Wertberichtigungen auf Lateinamerika-Kredite noch nicht anerkannten. Im Gegensatz zum deutschen Recht, das eine Wertberichtigung erlaubt, wenn der Kredit gefährdet erscheint, gestatten die amerikanischen Steuer behörden die Abschreibung erst dann, wenn der Ausfall von Zins und Tilgung fast unabwendbar ist.
Die Commerzbanker unter dem damaligen Vorstandschef und späteren Aufsichtsratsvorsitzenden Walter Seipp übernahmen die Wertberichtigungen aus den USA direkt in ihre Frankfurter Bilanz. Damit umgingen sie die Anerkennungsschwierigkeiten und konnten dadurch die in Deutschland zu versteuernde Gewinne mindern.
Nach deutschem Steuerrecht war dieser Trick allerdings nicht zulässig: Forderungen dürfen nicht über Ländergrenzen hinweg verschoben werden, sondern müssen dort abgeschrieben werden, wo sie bestehen. Die von New York vergebenen Kredite hätten also in den USA wertberichtigt werden müssen.
Das wäre aber nicht so lukrativ gewesen: 100 Millionen € Kreditausfall brachten damals in Deutschland 57 Millionen € Steuerersparnis, in den USA aber nur 32 Millionen €. Den Steuervorteil nutzte die Bank: Über fünf Jahre hinweg – von 1984 bis 1988 – wurden durch steigende Wertberichtigungen auf die notleidenden Darlehen stille Reserven gebildet. Die Länderrisiken sollten über die Jahre voll abgeschrieben werden.
Nach 1988 hat die Commerzbank – wie ihr Sprecher Ulrich Ramm 1996 gegenüber der Flamburger Wochenzeitung Die Woche erklärte – die Wertberichtigungen wieder nach New York transferiert. Die stillen Reserven im Inland wurden also wieder aufgelöst und in New York neu gebildet. Damit stieg der zu versteuernde Gewinn im Inland entsprechend, so Ramm. Der wirtschaftliche Effekt der zu wenig gezahlten Steuern sei weitgehend ausgeglichen worden.
Die Frankfurter Finanzbehörden sahen das anders. Schließlich einigte man sich 1998 auf einen Kompromiss: Die Commerzbank zahlte mehr als eine halbe Milliarde € an Steuern sowie Flinterziehungszinsen nach. Aufsichtsratschef Seipp und zwei ehemalige Führungskräfte überwiesen 1,2 Millionen € an gemeinnützige Hinrichtungen und die Bank bekam noch eine Geldbuße von sechs Millionen € aufgebrummt. Dafür wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Im September 1996 nahmen sich Steuerfahnder und Staatsanwälte die WestLB vor. Obwohl die Fahnder nach ihrem Eindruck damals in eine chemisch gereinigte Landesbank kamen, beschlagnahmten sie kistenweise Akten und Kontounterlagen, die – wie sich später herausstellte – genügend Indizien für den Vorwurf der organisierten Steuerhinterziehung brachten. Kundenkapital in dreistelliger Millionenhöhe wurde zu den WestLB-Töchtern in der Schweiz und nach Luxemburg transferiert, um das Geld dem Fiskus vorzuenthalten.
Mit Hilfe von Decknamen und Zahlencodes seien die Vermögen getarnt und die Geldbewegungen verschleiert worden. Unter allen Umständen sollte verhindert werden, berichtete damals Die Woche, dass die vermögende Kundschaft zu anderen Geldinstituten abwandert. So schaltete die Landesbank – wie andere Banken auch – vor Inkrafttreten des Zinsabschlagsteuergesetzes großflächige Anzeigen, in denen ungeniert mit Geldanlagen in Steuerparadiesen geworben wurde. Die Anlageberater der WestLB wurden auf Seminaren in Zürich eigens für die dubiosen Transaktionen geschult.
Nach Ansicht des Oberstaatsanwalts Johannes Pütz sei ein System der Steuerhinterziehung entwickelt worden, das erheblicher krimineller Energie bis hinauf in den Vorstand bedurft hätte. Im März 1997 begannen die Ermittlungen gegen die DG Bank wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Ein Jahr später gingen Staatsanwälte in einer umfassenden Durchsuchungsaktion landesweit gegen Volks- und Raiffeisenbanken vor, die im Verdacht standen, über die Frankfurter DG-Bank Kundengelder ins Ausland, vor allem nach Luxemburg, transferiert zu haben.
Fast als letztes der großen Bankhäuser ist im Juni 1998 auch die Deutsche Bank an der Reihe. An der Razzia nahmen 300 Steuerfahnder und sieben Staatsanwälte teil, durchsucht wurden aufgrund des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt sowie die Filialen in Freiburg, Düsseldorf, Kassel und das Rechenzentrum in Eschborn. Die Bank hatte allerdings Vorkehrungen für diesen Fall getroffen, mit dem Besuch des Staatsanwalts musste sie schließlich seit 1995 rechnen. In Freiburg etwa erschienen die Arbeitsplätze den Ermittlern am Montag gründlich präpariert. Die Hüllen kamen einem furchtbar neu vor, grummelt ein Beamter, so ein Bericht des Magazins Der Spiegel. Weiter schrieb das Hamburger Wochenmagazin: Die Rechtsabteilung hatte eine mehrseitige Checkliste Durchsuchung verteilt. Punkt 1: Pforte vorbereiten, die unverzüglich die vorgesehenen Kontaktpersonen informiert. Auch auf gegenseitiges Einvernehmen legen die Bankjuristen Wert – die Fahnder sollen ordentliche Verpflegung sowie Kopierer und Lesegeräte für verfilmte Dokumente erhalten. In einer am Montag ausgegebenen Mitarbeiterinformation heißt es: Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass keine Unterlagen vernichtet werden dürfen – auch dann nicht, wenn die gesetzliche Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist.7 Dennoch war das beschlagnahmte Material so ausführlich, dass die Staatsanwaltschaft ein Jahr später gegen den Chef des Konzerns, Rolf-E. Breuer, und fünf weitere Vorstandsmitglieder – darunter auch ehemalige Mitglieder der obersten Konzernführung – Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung von Kunden der Bank einleitete. Nach Auskunft der Presseabteilung der Deutschen Bank war das Verfahren im Sommer 2002 noch nicht abgeschlossen.
Dennoch konnten die Fahnder in diesem Fall einen Erfolg verbuchen. 100 Mitarbeiter der Bank und 400 Kunden erstatteten Selbstanzeige wegen Beihilfe zum Steuerbetrug beziehungsweise wegen dieses Delikts. Zum Zeitpunkt der Razzia hatten auch clevere Sparkassenmitarbeiter in Monheim bereits ein Modell entwickelt, das Kunden und Mitarbeiter mit einigermaßen heiler Haut der Rache des Fiskus entkommen ließ: Die zwischen Bankberater und Kunde koordinierte Selbstanzeige. Nachdem die Steuerfahnder bereits die Räume und Büros der Sparkasse durchsucht hatten, überredete die Bank ihre steuermüde Kundschaft, ihrerseits über eine Selbstanzeige nachzudenken, um großen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig versprachen die Mitarbeiter gegenüber den Steuerbehörden Fehler bei der Kundenberatung einzuräumen. Als sich 150 Kunden und 29 Mitarbeiter bei den Steuerbehörden gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen gegen die Bankmitarbeiter eingestellt. Die Kunden kamen mit Steuernachzahlungen und Strafzinsen davon.
In einem Gespräch mit der Zeitung Die Woche erklärte der Sparkassenchef Wolfgang Ufers die Aktion: Wir mussten schnell was tun: Hier sind 38 Leute von der Steuerfahndung reinmarschiert. Für sie ist das ein Riesenevent, vergleichbar nur mit einem Betriebsausflug. Da kann man hinterher keine defensive Verteidigungsstrategie fahren. Und unsere Kunden kommen dabei ohne Anklage und ohne Strafzuschlag weg.
Wir haben damals bloß unseren Job gemacht. Schuld an der Kapitalflucht war die mangelnde Informationspolitik der Bundesregierung. Sie hat mit der Zinsabschlagsteuer den Eindruck erweckt, dass den Steuerpflichtigen ein Teil ihres Vermögens weggenommen werden sollte. Da darf man sich dann auch nicht wundern, wenn die Betroffenen ihr Geld nehmen und damit wie die Lemminge ins Ausland rennen.
Im Frühjahr 1999 einigte sich die Dresdner Bank mit Staatsanwaltschaft und Steuerbehörden: Sechs leitende Mitarbeiter übernahmen die Verantwortung für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Gegen den ehemaligen Vorstandssprecher des Bankkonzerns, Jürgen Sarrazin, und den Leiter der Luxemburger Tochter Friedrich Otto Wendt wurden einjährige Haftstrafen auf Bewährung verhängt. Sarrazin musste eine Geldbuße von 1,5 Millionen € akzeptieren, Wendt 500.000 € Strafe zahlen. Gegen die damals noch amtierenden Vorstandsmitglieder Hans-Jörg Platzek und Gerhard Eberstadt sowie den ehemaligen Vorstand Hans-Günther Adenauer und den früheren Bankchef Wolfgang Roller wurde das Verfahren gegen Geldauflagen von je 500.000 € eingestellt. Die Bank bekam eine Geldbuße von 37 Millionen € aufgebrummt. Selbstverständlich übernahm der Konzern auch die Bußgelder für seine leitenden Angestellten. Sarrazin, der sein Amt bereits Ende 1997 niedergelegt und die Bank verlassen hatte, machte seine Einwilligung in den Deal zudem von der Zahlung mehrerer Millionen € Entschädigung abhängig. Erst als ihm auch dieses äußerst großzügige Dankeschön nach langen Verhandlungen fest zugesagt worden war, stimmte der ehemalige Bankchef dem Befreiungsschlag für den Bankkonzern und seine Mitarbeiter zu. Im Gegenzug hatte die Staatsanwaltschaft versprochen die Ermittlungen einzustellen, rund 500 Mitarbeiter der Bank, die nach der Aktenlage bei den Ermittlungsbehörden mit Anklagen hätten rechnen müssen, konnten endlich aufatmen.
Die Bank kam so mit einem blauen Auge davon, denn nach Schätzungen der Steuerfahndung wurden zwischen 1992 bis 1996 Zinseinkünfte auf 5,1 Milliarden € angelegtes Vermögen nicht der Besteuerung zugeführt. Allein durch Kunden der Dresdner Bank habe sich hierdurch ein Steuerausfall bei der Einkommensteuer von schätzungsweise mehreren hundert Millionen € ergeben.
Im September 1999 durchsuchten die Fahnder, die den Steuervergehen bei der WestLB nachgingen, schließlich sogar die Privatwohnung des damaligen Bankchefs Friedei Neuber und beschlagnahmten dort Akten, Unterlagen und Dokumente als Beweismaterial. Bei einem anderen Weggefährten Neubers waren die Ermittler ebenfalls fündig geworden. Gegen den ehemaligen Düsseldorfer CDU-Finanzexperten Theodor Schwefer hatte die Staatsanwaltschaft bereits Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben. Mit Unterstützung eines Anlageberaters der WestLB soll Schwefer Kapital in Höhe von 2,2 Millionen € unter dem Codewort Dompfaff am Finanzamt vorbei in die Schweiz überwiesen haben. Dem deutschen Fiskus sollen dabei rund 1,4 Millionen € an Einkommensteuer entgangen sein. Im Juli 2001 konnte auch die WestLB und ihr damaliger Chef Friedei Neuber einen Schlussstrich unter die Steueraffäre ziehen: Gegen die Manager der größten deutschen öffentlich-rechtlichen Bank wurden Geldbußen von insgesamt 15 Millionen € verhängt.
An seinem 65. Geburtstag im Oktober 1994 war Dresdner-Bank-Aufsichtsratschef Wolfgang Roller bester Dinge. Nun könne er auch einräumen, plauderte der Jubilar damals leutselig, dass er seinerzeit nur zur Dresdner Bank gekommen sei, weil er Geld gebraucht habe, um Schulden aus seiner Studentenzeit zurückzahlen zu können. Der Entschluss sei aber ein Glücksfall für ihn gewesen.
Sicher hatte der frühere Chef der zweitgrößten deutschen Bank im Laufe seiner steilen Karriere nicht nur alte Schulden begleichen können, sondern mit seinen Bezügen auch so manche Wohnung und ein schmuckes Heim finanziert und sicher auch noch ein paar Millionen fürs Alter zurücklegen können.
Die Herren des Geldes zählen zu den Wohlhabenderen in diesem Lande. Der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer gab sein Einkommen auf der Hauptversammlung des Geldkonzerns im Mai 2002 bekannt: Bezüge von acht Millionen Euro habe er 2001 erhalten. Eine stolze Summe für einen Bankchef in einem Jahr, das den Aktienbesitzern unter seinen Bankkunden als Horrorjahr in Erinnerung bleiben wird. So üppig dürften Rollers Bezüge zu seiner Amtszeit noch nicht ausgefallen sein. Aber auf zwei Millionen € per annum dürfte nach Recherchen des Magazins Der Spiegel auch Wolfgang Roller gekommen sein. Danach haben seine beiden Vorstandskollegen bei der Dresdner Bank, Hans- Günther Adenauer und Hansgeorg Hofmann auch schon 1,5 Millionen € pro Jahr kassiert. Und natürlich hatten Roller, Hofmann und Adenauer alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die das Bankhaus seinen Kunden bietet, um ihre Einkommensmillionen gewinnbringend anzulegen.
Warum auch nicht: Ein Bankier, der seine eigenen Finanzen nicht zu mehren weiß, ist auch kein kompetenter Gesprächspartner für seine Kundschaft. Doch die Herren waren in eigener Sache wohl allzu geschäftstüchtig.
Als Erster bekam der Großneffe des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland kalte Füße. Ende 1996, nachdem die Steuerfahnder längst die Dresdner Bank gefilzt hatten, erstattete Adenauer Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung und bot freiwillig eine Nachzahlung von 400.000 € an. Die übrigen Vorstandskollegen machten mit dem Steuervermeider kurzen Prozess: Um Schaden von der Bank abzuwenden, wurde Adenauer zum Rücktritt gedrängt, widerstrebend leistete der Banker dieser unmissverständlichen Aufforderung Folge und schied Ende 1997 aus. Gegen Wolfgang Roller ermittelte die Steuerfahndung 1997 nach einer anonymen Anzeige. Darin wurde der frühere Vorstandssprecher der Dresdner Bank beschuldigt, mehrere Millionen € über Liechtensteiner Stiftungen am Fiskus vorbeigemogelt zu haben. Behilflich soll ihm dabei der prominenteste Treuhänder des Fürstentums, Herbert Batliner, gewesen sein. Der Mann mit der feinen Nase für Steuerschlupflöcher hatte vielen Prominenten die Türen zur Steuerfreiheit geöffnet. Er hatte es aber auch immer verstanden, mit den Regierenden des Staates, den er um seine Einnahmen brachte, gut Freund zu sein. Den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, unter dessen Parteivorsitz die CDU Konten im Steuerparadies führte, schätzte der Helfershelfer der deutschen Steuersünder als Wanderkamerad. Batliner selbst trat auch als Spender für die Stiftung von Hannelore Kohl zugunsten von Patienten und Unfallopfern mit schwersten Schädigungen des zentralen Nervensystems auf. Das Verhältnis zwischen dem Helfershelfer der deutschen Steuersünder und dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl wurde später, als auch die CDU ihre Konten im Steuerparadies nicht mehr verheimlichen konnte, als durchaus freundschaftlich beschrieben.
Im Fall Roller blieb die deutsche Öffentlichkeit noch von den delikaten Details gekonnter Steuerflucht verschont. Zwar gab es Hinweise auf Immobilien in den USA und andere Investments, deren Erträge der Bankchef dem deutschen Fiskus nicht vollständig angegeben haben soll. Bevor aber diese pikanten Gerüchte sich zur Gewissheit verdichten konnten, trat Roller von seinem Amt als oberster Kontrolleur der Bank zurück und bot der Finanzbehörde eine stattliche Nachzahlung von zwei Millionen € an. Die Bank nahm die Schadensbegrenzung ihres langjährigen Chefs dankbar an und ernannte ihn zum Ehrenaufsichtsrat.
Hansgeorg Hofmann, der damals noch Chef der Investment- Banking-Sparte und daher schon aus Berufsgründen für die Anlage der ganz großen Vermögen zuständig war, hatte bei der Verwaltung seines eigenen Vermögens den Überblick über die Einkünfte verloren, die er der Steuer hätte melden müssen. Wie Der Spiegel berichtete, erstattete der Banker 1997 Selbstanzeige im Finanzamt von Bad Homburg.
Als die Deutsche Bank von den peinlichen Offenbarungen bei der Konkurrenz erfuhr, verfügte Bankchef Hilmar Köpper, dass jeder seiner Vorstandskollegen darauf vorbereitet sein müsste, seine privaten Vermögensverhältnisse innerhalb von 15 Minuten umfassend und vollständig offen zu legen. Wer das nicht schaffe, habe ein ernstes Problem. Ein Skandal wegen persönlicher Steuerhinterziehung ist den Vorständen bei der Deutschen Bank bisher erspart geblieben.