Fusionen und Übernahmen haben auch die deutsche Bankenlandschaft verändert. Mit welchem Dilettantismus man hierbei oft ans Werk ging, zeigen die Vorgänge bei der Entstehung der HypoVereinsbank oder der versuchten Fusion zwischen Deutscher Bank und Dresdner Bank. Gleichzeitig rücken öffentlich-rechtliche Banken ins Zwielicht, weil sie zusammen mit Politikern einen wirtschaftlich-politischen Filz bilden, der einerseits den Instituten und ihren Kunden, andererseits aber auch dem Steuerzahler schweren Schaden zufügt. Die Bank steht in Ihrer Wohnung und ist ein sprachgesteuerter Computer. Bis zu 90 Prozent aller Standardgeschäfte werden dann über so ein Gerät abgewickelt. Wenn Sie abends nach Hause kommen, fragen Sie zum Beispiel: Hallo SEB, was gibt’s Neues? Und der Computer antwortet: Sie haben Rechnungen von den Stadtwerken und der Telekom. – Ist mein Konto gedeckt? – Ja. – Okay, dann überweise das Geld.
Mit diesem fiktiven Dialog antwortete SEB-Chef Lars Lundquist in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit auf die Frage, wie eine typische SEB-Filiale im Jahr 2010 aussehen könnte. Visionen vom automatisierten Bankgeschäft haben Konjunktur im deutschen Bankgewerbe: Die größte Industrienation Europas gilt seit langem als overbanked. Rund 43.800 Bankstellen gibt es in Deutschland, dazu kommen noch einmal 12.800 Postbank- Schalter in den Ämtern des gelben Logistikkonzerns. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit knapp sechs Bankfilialen auf 10.000 Einwohnern in der Spitzengruppe. Manfred Weber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, weist immer wieder daraufhin, dass es in Deutschland mehr Bankfilialen als Metzgereien, Bäckereien oder Tankstellen gäbe. Nur in Österreich und der Schweiz ist die Banken dichte noch größer. In den Niederlanden und in Schweden kommen weniger als drei Filialen auf 10.000 Einwohner.
Das in Deutschland vertraute Bild, in jedem Zentrum, an jedem Marktplatz zwei bis drei Bankfilialen zu sehen, soll sich drastisch ändern. Statt Menschen sollen künftig nur noch Automaten die Kunden bedienen. Denn das weitläufige Filialnetz ist ein großer Kostenblock, den die Kreditinstitute kräftig ausdünnen wollen. Und selten war die Stimmung für das Filialsterben besser als jetzt. Der Börsencrash und die zahlreichen Großpleiten wie Kirch, Holzmann und Hetzel schlagen sich in den Bilanzen der Banken nieder. Die Gewinne schrumpfen dramatisch und selbst Großbanken wie die Commerzbank mussten bereits im Jahr 2001 Verluste melden.
Deutschlands Banken und Sparkassen befinden sich in einer schwierigen Situation, warnte gar Bundesbankpräsident Ernst Welteke, 2002 könnte für viele Institute ein kritisches Jahr werden. Der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer mahnte seine Kollegen bereits im Herbst 2001, das Finanzsystem befände sich in höchster Fragilität.3 Für einige der kleineren Geldhäuser kamen diese Warnungen allerdings zu spät. Im Frühjahr 2002 mussten gleich drei Banken dichtmachen, darunter war auch die altehrwürdige Gontard H Metallbank AG in Frankfurt. Andere Pleitekandidaten wie die Schmidt-Bank, die Volksbank Stuttgart und das Sorgenkind der Hauptstadt, die Berliner Bankgesellschaft, konnten gerade noch vor dem Untergang gerettet werden.
In ihrer Not griffen die Banken zu den altbekannten Rezepten, um die Kostenlast zu drücken: Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen. Mehr als 30.000 Stellen sollen in den nächsten Jahren gestrichen werden. Zum Spitzenreiter in dieser Disziplin dürfte wohl die Deutsche Bank aufsteigen: Knapp 13.000 Stellen will der Branchenführer eliminieren. Der neue Chef des Instituts, Josef Ackermann, will damit die Kosten bis 2003 um zwei Milliarden Euro senken. Bei der Commerzbank sollen 4.000 Arbeitsplätze wegfallen und der Beinahe Pleitier, die Berliner Bankgesellschaft, hat den bevorstehenden Abbau von ebenfalls 4.000 Stellen ankündigt. Mit diesen radikalen Einschnitten soll nun endlich nachgeholt werden, was die Banken schon seit Jahren versäumt haben: die gleitende Anpassung ihrer Strukturen an die herrschenden Marktverhältnisse. Schon zu Beginn der 90er Jahre schockte der damalige Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri seine Kollegen mit einem drastischen Vergleich: Die Banken werden die Stahlindustrie von morgen sein. Mitte der vergangenen Dekade warnten dann auch der damalige Commerzbank-Chef Martin Kohlhaussen und der ehemalige Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Hilmar Köpper vor einer Krise durch die Bankenschwemme und forderten einen durchgreifenden Strukturwandel.
Doch das waren damals eher Lippenbekenntnisse, geändert hat sich lange Zeit wenig. Gerade mal 3.000 Filialen wurden in den 90er Jahren geschlossen, die meisten davon waren Zweigstellen von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die Großbanken verschleppten die dringend erforderliche Bereinigung des Marktes, teils aus Angst vor öffentlichem Unmut und Kundenflucht, teils weil sie gerade andere, profitablere Märkte im Auge hatten und deshalb Unruhe im eigenem Haus um jeden Preis vermeiden wollten.
So erklärte Köpper im November 1996 in dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel: Wir selbst haben aber nicht vor, Filialen zu schließen. Wir sind dabei, unsere Standorte umzustrukturieren und besser auf die Kundschaft auszurichten. Das große Filial- sterben wird es bei uns nicht geben.
Neues Jagdrevier Versicherungswesen
Den Großbanken boten sich Ende des vergangenen Jahrhunderts viele Möglichkeiten, ihre Geschäftsfelder zu erweitern: Da lockten zum einen die lukrativen Margen, die sich im Investment Banking mit der Beratung von Konzernen bei großen Kapitaltransaktionen sowie dem Kauf und Verkauf von Unternehmen verdienen ließen. In dieser Sparte hatten die deutschen Banken bis Ende der 80er Jahre jedoch wenig vorzuweisen. Das Milliardengeschäft der feindlichen und freundlichen Übernahmen, der Zerschlagung ganzer Konzerne und der Fusionen wurde traditionell von amerikanischen und britischen Investmenthäusern dominiert. Zum anderen beobachteten die deutschen Geldkonzerne mit Sorge, wie ihre Kunden Ende der 80er Jahre immer mehr Kapital den Versicherungskonzernen als Beiträge für Lebensversicherungen und für die eigene Altersvorsorge zuschoben. Die Versicherungswirtschaft konnte immer größere Summen von Prämiengeldern verwalten.
Deshalb wurden bereits in den 80er Jahren in den deutschen Großbanken Pläne für die so genannten Allfinanzkonzerne geschmiedet. Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich die Zusammenfassung von Versicherungsangeboten und Bankdienstleistungen in einer Hand. Der Kunde sollte bei seiner Bank nicht nur seine Girokonten und sein Sparbuch haben sowie seine Wertpapiere ordern, sondern auch seine Versicherungen abschließen können. Durch eine solche Ausweitung der Finanzdienstleistungen in Richtung Versicherung und Vorsorge wollten die Banken an dem großen Kapitalreservoir teilhaben, das bis dahin nur den Versicherungskonzernen Vorbehalten war.
Doch dieser Markt war nicht einfach zu erobern. Zwar waren die großen deutschen Geldkonzerne – die Deutsche Bank, die Dresdner Bank sowie die beiden kleineren Institute Bayerische Hypobank und Bayerische Vereinsbank – durch gegenseitige Beteiligungen direkt oder über Kreuz mit dem deutschen Versicherungsriesen Allianz und dessen Schwestergesellschaft, der Münchner Rück, verhandelt, doch jetzt ging es um den direkten Einstieg in das Geschäft mit Lebensversicherungen und privater Altersvorsorge. Ein eigenes Engagement in diesem Bereich schien umso lohnender, je offenkundiger die Nöte der gesetzlichen Altersvorsorgekassen und je ungewisser die staatlichen Renten für die nächsten Generationen wurden.
Die Versicherungswirtschaft registrierte die Ambitionen der Banken mit Sorge, wachte sie doch eifersüchtig über ihre Territorien. Ein feindlicher Angriff auf einen größeren Konzern der Branche hätte schwerste Konsequenzen im fein gesponnenen Netzwerk der Deutschland AG, dem undurchdringbaren Dschungel von finanziellen Beteiligungen und personellen Verflechtungen des deutschen Topmanagements, zur Folge gehabt. Jeder branchenfremde Eindringling wäre an dem Versicherungsriesen Allianz gescheitert, der wiederum über Kapitalbeteiligungen und Aufsichtsratsmandate in allen wichtigen deutschen Bank- und Industriekonzernen mitreden kann. Gleichzeitig konnten auch die großen Versicherungskonzerne ihr Interesse an den direkten Kontakten der Banken zu ihren Kunden nicht verbergen. Die Allianz suchte nach kundennahen Vertriebswegen.
So kam Ende der 90er Jahre, als einige Banken ihre Wunschträume in Richtung Allfinanz und Investment Banking umzusetzen begannen, Bewegung in die starre Bankenlandschaft. Dieser Aufbruch ging jedoch nicht ohne Pannen ab. Auch hier boten die deutschen Banken immer wieder Anlass für Heiterkeit und Häme im internationalen Money Business. Ein dilettantischer Ausflug ins Investment Banking: Deutsche Bank und Morgan Grenfell Erste Schritte in Richtung internationales Investment Banking unternahm die Deutsche Bank bereits 1989. Für die damals stattliche Summe von rund einer Milliarde € kaufte das Kreditinstitut unter der Federführung des Vorstandsmitglieds Hilmar Köpper das Londoner Investmenthaus Morgan Grenfell. Doch mit der Integration der Investmentbanker in die Organisation der Muttergesellschaft taten sich die Banker schwer.
Nachdem einige Morgan-Grenfell-Topmanager nach dem Eigentümerwechsel die Firma verlassen hatten, musste sich die Frankfurter Zentrale wohl oder übel auf die Besonderheiten der neuen Mitarbeiter einstellen. Um die ebenso eitlen wie sensiblen Geschäftemacher bei der Stange zu halten und neue Teams anheuern zu können, wurde die Londoner Tochter an der langen Leine geführt. Ihre Spitzenkräfte wurden deutlich besser bezahlt als die Stammbelegschaft in Deutschland, die sich mit dem weniger rentablen Alltagsgeschäft mit Normalverdienern, Handwerksmeistern und mittelständischen Unternehmern abmühen musste. Auch als Vorstandschef der Bank hat Köpper den Sonderstatus der Morgan-Grenfell-Banker immer verteidigt: Die Bezüge sind erfolgsbezogen, und da mag es in einem guten Jahr viele Dutzend geben, die mehr verdienen als ich, sagte der Bankchef im Jahr 1996 im Interview mit dem Magazin Der Spiegel.
Die Gefahr, dass hohe Erfolgsprovisionen auch die Zocker des Gewerbes anlocken und dadurch Kunden und Aktionäre schädigen könnten, spielte Köpper gern herunter: Das größte Risiko ist mangelnde Integrität. Das wissen wir und deswegen haben wir Vorkehrungen getroffen, um mögliche Schäden durch Fehlverhalten von Einzelnen in engen Grenzen zu halten. Unsere internen Kontrollen sind umfassend und sehr streng.
Offenbar waren sie nicht streng genug, denn erst im September 1996 – wenige Wochen vor dem Spiegel-Gespräch, hatte einer der Superstars von Morgan Grenfell, der Investmentbanker Peter Young, mit betrügerischen Aktiengeschäften einen Schaden angerichtet, der die Bank rund 400 Millionen Pfund gekostet hat.
Insider ließen damals keinen Zweifel, dass diese Panne als Krönung der Serie von Patzern und Peinlichkeiten in Köppers Amtszeit zu dessen vorzeitigem Abgang beigetragen, wenn nicht gar den Ausschlag für die Demission gegeben hatte. Denn die Börse hatte den Dilettantismus der Bank im Ausland wie im Inland längst abgestraft: Der Börsenkurs dümpelte bei 40 Euro, der Börsenwert des gesamten Geldkonzerns war geringer als der Substanzwert oder wie Köpper es formulierte: Die Addition von ausgewiesenem Eigenkapital und Reserven nach Steuern lag um einige Milliarden über dem Marktwert. Was den Bankier im November 1996 aber nicht allzu sehr zu beunruhigen schien: Bankaktien waren offenbar nicht der Geschmack des Jahres.
Der damals auch in Deutschland populären Strategie der Optimierung des Shareholder Value schien Köpper plötzlich abgeschworen zu haben: Dieses Kriterium kann nicht im Ernst der alleinige Maßstab für die Bewertung eines Managements sein. Es gibt noch andere Bereiche, um die sich ein Unternehmen kümmern muss: Um Kunden und Mitarbeiter zum Beispiel. Sharehol- der-Value, zu deutsch Wertsteigerung für Aktionäre, wird nur durch eine mittelfristige Optimierung erzielt, nicht durch kurzfristiges, nur auf schnelle Gewinne fixiertes Denken. Den Kurs an der Börse macht nicht das Management. Es schafft nur die Voraussetzungen.
Doch der schlappe Börsenkurs war in jenen Tagen nicht das einzige Problem der Deutschen Bank: Auch in der Öffentlichkeit hatte ihr Ansehen nach den zahlreichen Pleiten gelitten. In der vom Manager Magazin geführten Imagerangliste rutschte Deutschlands Spitzeninstitut von Platz zwei auf Platz 63 ab.