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Insolvenzentwicklung in Europa

Unternehmen investieren EU-weit oder weltweit und gründen Zweigniederlassungen in verschiedenen Staaten. Privatpersonen eröffnen Bankkonten in Luxemburg oder kaufen Ferienhäuser an der Costa Brava. Sie bilden Vermögenswerte im Ausland. Was passiert mit diesem Vermögen im Insolvenzfall? Welches Recht ist anwendbar oder welche Befugnisse hat der Insolvenzverwalter? Diese und weitere Fragen klärt das Internationale Insolvenzrecht. Die „Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren“ (EUInsVO), die am 31.5.2002 in Kraft trat, regelt die Verhältnisse von Insolvenzverfahren innerhalb der EU-Staaten (außer Dänemark) und ist unmittelbar geltendes Recht. Das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, das am 20.3.2003 in Kraft getreten ist, vereinfacht grenzüberschreitende Insolvenzverfahren. Mit der Neuregelung erfasst das Insolvenzverfahren in Übereinstimmung mit europarechtlichen Vorgaben das gesamte Vermögen des Schuldners, also auch das im Ausland. Im Grundsatz gilt das Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet wurde. Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt es etwa zum Schutz von Arbeitnehmern und Gläubigern. Diese sollen sich auf das ihnen vertraute Recht berufen dürfen. In Europa gibt es aber nach wie vor kein vereinheitlichtes materielles Insolvenzrecht, sondern nur vereinheitlichende Kollisionsregeln. Die Vereinheitlichung des materiellen Insolvenzrechts ist wegen der großen Komplexität der Aufgabe und der teilweise erheblichen nationalen Unterschiede von der EU bisher nicht in Angriff genommen worden. Daraus resultiert, dass die Vergleichbarkeit der Insolvenzzahlen der europäischen Länder nur bedingt aussagekräftig ist. Allerdings lässt die Entwicklung der Insolvenzen Aussagen zu Veränderungen in der Unternehmenslandschaft, zur Konjunktur oder zur Finanzierungssituation in den einzelnen Staaten erkennen.

Insolvenzentwicklung in Westeuropa
Die Zahl der Gesamtinsolvenzen der Europäischen Union ohne die osteuropäischen Beitrittskandidaten plus der Schweiz und Norwegen betrug im Jahr 2003 269.800 Fälle, was einer Zunahme gegenüber 2002 von 10,3 Prozent entspricht (Vorjahr: 244.578). Innerhalb der letzten fünf Jahre stieg die Zahl der Insolvenzen von 190.700 Fällen im Jahr 1998 auf nunmehr fast 270.000 Insolvenzen. Verantwortlich für den Zuwachs sind maßgeblich die Länder Deutschland und Großbritannien: In Deutschland verzeichnete man 2003 einen Anstieg der Gesamtinsolvenzen um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, in Großbritannien waren es immerhin 5,4 Prozent. Grund für den enormen Anstieg der Gesamtinsolvenzen in Deutschland war die Zunahme der Privatpersoneninsolvenzen. Seit 1999 ist es möglich, sich als Privatperson zu entschulden. 2001 wurde die Insolvenzordnung reformiert und weitere Erleichterungen für Privatpersonen verabschiedet. Seitdem ist ein massiver Anstieg der Privatpersoneninsolvenzen zu verzeichnen: 2003 gab es über 60.000 Insolvenzen in diesem Segment. Nicht alle europäischen Länder besitzen ein Insolvenzverfahren für Privatpersonen. Nimmt man nur die Unternehmensinsolvenzen der europäischen Länder, ergibt sich für das Jahr 2003 eine Zahl von knapp 157.100 Insolvenzen. 2002 waren es noch 151.250. Die höchsten relativen Zuwächse an Firmenpleiten verzeichnet Portugal: Um 42,2 Prozent auf 2.980 insolvente Betriebe stieg hier der Wert binnen Jahresfrist. Auf Grund der schwachen Binnennachfrage in Portugal — seit 2001 ist die Binnennachfrage in Portugal rückläufig — zogen sich immer mehr Unternehmen aus dem Markt zurück. Auf Platz zwei der Länder mit den höchsten Zuwachsraten lag 2003 Norwegen. Um über 18 Prozent auf 3.000 betroffene Betriebe stieg hier der Anteil der Insolvenzen. Grund war die – bis ins dritte Quartal 2003 andauernde – Rezession des großen Erdölexporteurs. Auch im zweistelligen Zuwachsbereich der Unternehmensinsolvenzen liegt die Schweiz: Über 4.500 Betriebe mussten hier den Gang zum Insolvenzgericht antreten, 13,4 Prozent mehr als noch 2002.

                                               2003                                  2002               Veränderung in Prozent
Belgien 7.463 7.222 + 3,3
Dänemark 2465 2.469 -0,2
Deutschland 39.470 37.620 + 4,9
Finnland 2.810 2.885 -2,6
Frankreich 40.472 37.987 + 6,5
Griechenland 480 489 – 1,8
Großbritannien 15.667 17.094 -8,3
Irland 316 379 – 16,6
Italien 16.000 15.500 + 3,2
Luxemburg 641 695 -7,8
Niederlande 6.355 6.489 -2,1
Norwegen 3.080 2.603 + 18,3
Österreich 5.564 5.281 + 5,4
Portugal 2.980 2.092 + 42,4
Schweden 8.061 7.819 + 3,1
Schweiz 4.539 4.002 + 13,4
Spanien 545 629 – 13,4
Gesamt 156.980 151.255 + 3,7

Ganz anders dagegen Irland, der Sieger im Insolvenzranking: Die grüne Insel konnte ihre Unternehmensinsolvenzen um 16,6 Prozent auf 316 Fälle reduzieren. Zum Vergleich eine deutsche Dimension: In Düsseldorf gingen im Jahre 2003 480 Betriebe in die Insolvenz. Irland machte innerhalb der letzten 30 Jahre eine erstaunliche Entwicklung durch: vom ärmsten Land der EU zu einem der beliebtesten Standorte deutscher Firmen. Grund dafür: Die private Einkommensteuer hat nur zwei Stufen: 22 und 41 Prozent, die Kapitalertragssteuer wurde um die Hälfte auf 20 Prozent gekürzt und die für Investoren wichtige Körperschaftsteuer liegt bei 12,5 Prozent. Die großen fünf westeuropäischen Nationen wiesen unterschiedliche Tendenzen in der Unternehmensinsolvenzentwicklung des Jahres 2003 auf: Während Deutschland (plus 4,9 Prozent), Frankreich (plus 6,5 Prozent) und Italien (plus 3,2 Prozent) eine Zunahme der Unternehmenskonkurse verzeichneten, sind die Insolvenzen in Großbritannien (minus 8,3 Prozent) und Spanien (minus 13,4 Prozent) rückläufig. Setzt man die Zahl der Insolvenzen ins Verhältnis zur Zahl der existenten Unternehmen, erhält man die relative Insolvenzquote der einzelnen Länder. Spanien belegt hier die Spitzenposition — mit 2 Insolvenzen pro 10.000 Betrieben —, was aber mit der Ausgestaltung des spanischen Insolvenzrechtes zu erklären ist.

Spaniens Insolvenzzahlen liegen weit hinter denen der anderen europäischen Großnationen: 2003 meldeten lediglich 545 Firmen Konkurs an, was auch daran liegt, dass in Spanien eine der GmbH ähnliche Rechtsform ohne großes finanzielles Aufkommen gegründet werden kann. Geht ein solches Unternehmen insolvent, lohnt es sich nicht, ein Abwicklungsverfahren zu betreiben — vielmehr bleibt das Unternehmen als „Ruine“ in den Registern. Griechenland belegt mit 6 Insolvenzen pro 10.000 Unternehmen Platz zwei der relativen Insolvenzbetroffenheit. Irland folgt auf dem dritten Platz: Hier waren 33 von 10.000 Unternehmen insolvent. Am unteren Ende der Skala rangiert Luxemburg mit 321 Insolvenzen pro 10.000 existenten Betrieben. Deutschland liegt im Mittelfeld der westeuropäischen Länder. 136 von 10.000 Unternehmen gingen in Konkurs. 2003 lag die Arbeitslosenquote der EU bei 8,4 Prozent. 1,7 Millionen Arbeitsplätze waren bedroht, weil ein Arbeitgeber Insolvenz anmelden musste (2002: 1,6 Millionen). Der größte Anteil an Insolvenzen kommt traditionell aus dem Dienstleistungssektor: 2003 stellte diese Branche 42,9 Prozent aller Unternehmensinsolvenzen in Europa. Dieser Wert nahm außerdem binnen Jahresfrist um 2,3 Prozentpunkte zu. Der Insolvenzsituation entspricht der bis November 2003 anhaltende Stellenabbau im Dienstieistungsbereich: Seit dem Sommer 2002 wurden durchgängig mehr Mitarbeiter entlassen als neu eingestellt. Dagegen konnten Handel und Bauwirtschaft ihren Anteil am Insolvenzaufkommen verringern: Ein Viertel aller Insolvenzen (25,3 Prozent; 2002: 25,6 Prozent) kommt aus dem Handel, und ein gutes Fünftel aus der Dienstleistungsbranche (20,6 Prozent; Vorjahr: 21,4 Prozent). Parallel zur Zunahme der Fertigung und Auftragseingänge im Jahre 2003 nahm der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am Insolvenzaufkommen ab und lag bei lediglich 11,2 Prozent (Vorjahr: 12,4 Prozent).

Insolvenzentwicklung in Osteuropa
Mit der EU-Osterweiterung wuchs die Europäische Union um zehn Länder: Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei, Slowenien, Malta und Zypern traten zum ersten Mai 2004 der Gemeinschaft bei. Damit stießen 74^6 Millionen Bürger zur Europäischen Union, doch die Länder sind denkbar unterschiedlich entwickelt, der Abstand zum EU-Durchschnitt mitunter sehr groß: Die Pro-Kopf-Einkommen reichen von knapp 17.000 € in Zypern bis 3.760 € in Lettland, die Arbeitslosigkeit in Polen und der Slowakei liegt nur wenig unter 20 Prozent.

Unternehmensinsolvenzen der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer

                                   2003                           2002                            Veränderung %
Polen 1.076 1.238 – 13,1
Slowakei 5.554 6.263 -11,3
Slowenien 1.555 1.408 + 10,4
Tschechien 4.000 4.002 -0,05
Ungarn 7.718 6.240 + 23,7
Lettland 986 902 + 9,3
Litauen 589 798 -26,7
Gesamt 21.478 20.851 + 3,0

Zwar werden alle zehn Länder von der EU als funktionsfähige Marktwirtschaften bezeichnet, doch müssen die Reformbemühungen noch weiter vorangetrieben werden, da viele gesetzliche Regelungen nach dem Systemwechsel noch unklar sind. Marktwirtschaft und Demokratie erreichen noch nicht dieselbe Effektivität wie im Westen. Verwaltung und Justiz sind vielfach unterentwickelt und nicht imstande, Gesetzesverstöße zu kontrollieren und entsprechend zu bestrafen. In den meisten Ländern existiert noch kein funktionierendes Insolvenzrecht mit einem entsprechenden rechtsstaatlichen Unterbau an Behörden. Verstöße gegen insolvenzrechtliche Änderungen werden selten geahndet. Dementsprechend existieren in den mittel- und osteuropäischen Ländern zahlreiche insolvente Unternehmen, die noch am Markt tätig sind und jeden Tag Forderungsausfälle mit sich bringen können. Die Zahl der Insolvenzen in den Beitrittsländern (mit Ausnahme von Zypern, Malta und Estland, hier waren keine Zahlen erhältlich) hat im Verlauf von Januar 2002 bis 2003 um 3,0 Prozent zugenommen und ist damit ähnlich wie die Kurve der Unternehmensinsolvenzen in Westdeutschland verlaufen. Insgesamt waren 21.478 Insolvenzen zu verzeichnen — auf Grund des noch nicht optimal funktionierenden Insolvenzrechtes vieler Staaten dürfte die Zahl der zahlungsunfähigen oder überschuldeten Unternehmen indes um einiges größer sein. Vor allem Ungarn ist für den Anstieg verantwortlich: Hier nahmen die Insolvenzen um 23,7 Prozent auf 7.718 Fälle zu. In Ungarn verschlechterte sich im Laufe des Jahres 2003 das BIP-Wachstum von 3,3 im Jahre 2002 auf 2,6 Prozent. Um der schwächeren Wirtschaftsentwicklung entgegenzuwirken, wurden Zinssenkungen der Nationalbank beschlossen, das öffentliche Defizit reduziert und die Lohnsteigerungen zurückhaltender.

Den größten Rückgang der Insolvenzen verzeichnet Litauen: Um 26,2 Prozent auf 589 Fälle schrumpfte das Insolvenzaufkommen des Baltikumstaates. Litauen (8 Prozent) weist die höchsten Wirtschaftswachstumsraten der Beitrittsländer aus. Das Baltikum ist durch weit gehend ausgeglichene Staatshaushalte sowie hohe Leistungsbilanzdefizite gekennzeichnet. Obwohl gerade in Litauen das das politische Bild von Korruptionsskandalen und politischen Rivalitäten geprägt ist, kam es in der Vergangenheit zu tief greifenden Strukturreformen. Nach Einschätzung des Bundesfinanzministeriums ist der Marktaustritt für Unternehmen insbesondere in Tschechien und Slowenien unzulänglich geregelt. Ungarn, Estland und Polen werden in dieser Hinsicht noch als führend angesehen. Allerdings relativiert sich diese Aussage bei Betrachtung der relativen Insolvenzbetroffenheit, etwa der polnischen Unternehmen: Von 10.000 existenten Betrieben in Polen gehen, laut Statistik, gerade einmal drei in Konkurs. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 135. Polen hat aber zum ersten Oktober 2003 ein neues Insolvenzrecht verabschiedet, das die ordnungsgemäße Abwicklung von Unternehmen stärken soll. Die höchste relative Insolvenzbetroffenheit der Beitrittsländer ist in Slowenien zu finden: Hier melden von 10.000 Betrieben 243 Insolvenz an. Der Durchschnitt der osteuropäischen Länder liegt bei 29 Insolvenzen pro 10.000 aktiven Unternehmen.

Fazit
Die Insolvenzen der europäischen Länder weichen teilweise — auch auf Grund unterschiedlicher gesetzlicher Gegebenheiten — stark voneinander ab. Eine Vergleichbarkeit der westeuropäischen Länder mit den osteuropäischen Beitrittsstaaten ist auf Grund der teilweise noch sehr ungefestigten Verhältnisse in den MOE-Staaten nur bedingt gegeben. Jedoch können die Entwicklungstendenzen der Unternehmensinsolvenzen Aufschluss über die Reformfortschritte und das Funktionieren der beschlossenen Gesetze in den einzelnen neuen Mitgliedstaaten geben.